aus bma 01/05
von Klaus Herder
Wo macht Ihnen das Motorradfahren gemeinhin am wenigsten Spaß? Bitte antworten Sie ganz spontan. Die drei möglichen Antworten lauten: in der Tiefgarage, auf der A 23 bis Pinneberg oder in Hamburgs Innenstadt während des Berufsverkehrs (also ganztägig). Mit 94,4 Prozent aller Nennungen gewinnt der Stadtverkehr die Wahl zum unbeliebtesten Motorrad-Revier. Logisch also, daß der ehemalige Harley-Ingenieur und Ex-Rennfahrer Erik Buell seine neueste Schöpfung „CityX” nennt und als „urbaner Fighter für die City” anpreist. Was soll man von einem Mann schon anderes erwarten, der den Sprit im Rahmen und das Öl in der Hinterradschwinge unterbringt und die vordere Riesen-Bremsscheibe lieber direkt an der Felge als an der Radnabe befestigt? Eben. Von der Harley-Mutter erbte Buell die Kürzel-Seuche. Wo vor acht Jahren noch ein schlichtes S1 als Typenbezeichnung für den etwas anderen V-Twin genügte, lautet der vollständige Name mittlerweile Lightning XB9SX CityX. Die Pressemappen-Prosa verrät, wo’s lang geht: „Dies ist ein Bike für den Motorradfahrer, der es liebt, sich durch den Verkehr zu schlängeln, an Ampeln voll durchzustarten und die unglaubliche Wendigkeit eines Sportmotorrads zu nutzen, um sich durch den Asphaltdschungel zu schlagen.”
Oha, das ist ganz schön starker Tobak und womöglich die Schöpfung einer neuen Motorrad-Kategorie namens „Cityfighter” (O-Ton Buell). Vielleicht ist es aber auch nur eine ganz schön clevere Resteverwertung. Die Buell-Welt ist nämlich mächtig in Bewegung, was vor knapp drei Jahren brandneu war (XB9R), ist mittlerweile schon wieder aus dem Programm geflogen. Doch der Reihe nach: 2002 war das Jahr des Buell-Umbruchs. Die letzten Rohrrahmen-Baustellen wurden verscherbelt (M2, X1), mit der kurzhubigen XB-Baureihe hielt die Neuzeit Einzug in East Troy/Wisconsin. Mit der beinahe halbverschalten XB9R fing alles an, mit der fast nackten XB9S ging’s 2003 weiter, die Rohrrahmen-Oldies waren zwischenzeitlich in die ewigen Langhuber-Jagdgründe eingekehrt. Fürs Modellljahr 2004 gab’s mit den Schwestermodellen XB12R und XB12S ein Comeback für 1200 ccm und lange Kolben-Arbeitswege. Fortan bestand die Buell-Welt aus je zwei Modellen der XB9 (984 ccm, 84 PS) und der XB12 (1203 ccm, 101 PS). Neuner oder Zwölfer – das war neben der Preisfrage (1060 Euro Differenz) noch viel mehr eine Glaubensfrage. Das Duell: Drehorgel gegen Bulldozer konnte die XB12 eindeutig für sich entscheiden, am erstaunlichen Buell-Erfolg in Deutschland (über 40 Prozent Plus im Vergleich zu 2003, rund 1350 verkaufte Maschinen) hat das Urvieh XB12 maßgeblichen Anteil. Die Frage „Wer braucht eigentlich die Neuner?” stellte sich immer öfter, und in einschlägigen Internet-Foren wurde sogar schon über einen bevorstehenden Produktionsstop der kleinen XB spekuliert.
Doch so weit ist Buell noch lange nicht. Die von Harley-Davidson produzierten 984-Kubik-Motoren werden auch weiterhin in East Troy/Wisconsin in aus Italien kommende Alu-Brückenrahmen gesteckt. Die normale XB9 bleibt zumindest für den nordamerikanischen Markt weiterhin im Programm. In Deutschland gibt es 2005 aber nur noch drei verschiedene Buell-Modelle: XB12 R, XB12 S – und die besagte XB9SX CityX. Für die machte Buell blau. Genauer gesagt „Hero Blue”, beim kleinen Windschild und der Tankattrappe der CityX (gesprochen „Zittikross”) sogar in der Spielart „translucent”, was deutlich interessanter klingt als „teildurchsichtig”. Um aus der XB9S eine CityX zu machen, war aber noch etwas mehr Kosmetik erforderlich. Vor Fußgängern, Rinderherden oder sonstigen Hindernissen der Stadt sollen Handprotektoren und ein Lampengitter schützen. Die trendigen Kunststoffteile sind nur eingeklinkt und aufgesteckt, was marodierenden Jugendbanden ein neues Betätigungsfeld und Buell-Ersatzteilverkäufern ein Zusatzgeschäft bescheren dürfte. Die Handschützer stecken auf einem schwer nach Motocross aussehenden Lenker mit Mittelstrebe, der üppige 820 Millimeter breit ist (XB9S: 765 Millimeter). Das Stilmittel breiter Lenker ist momentan unheimlich angesagt, BMW sorgte damit bei der Rockster ebenfalls für eine breitarmige Böse-Buben-Sitzhaltung. Buell legte bei der CityX noch eins drauf und erhöhte gleich noch die Sitzbank um zwölf Millimeter, was die nach vorn übergebeugte Lauer-Sitzposition noch etwas mehr betont. Die Fußrasten sind unverändert weit hinten montiert. Alles zusammen ist zumindest für Menschen bis 1,85 Meter Gesamtlänge erstaunlich bequem und sieht trotzdem mächtig angriffslustig aus. Längere Menschen und/oder Langbeiner stört auf Dauer der doch etwas sportlich-enge Kniewinkel.
Im Rahmen der allgemeinen XB-Modellpflege bekam auch die CityX ein paar Leckerlis spendiert. So federt und dämpft nun eine Upside-down-Gabel von Showa, deren Tauchrohre 43 statt 41 Millimeter messen. Die Einspritzanlage und das Fünfganggetriebe wurden ebenfalls moderat überarbeitet. Größter Fortschritt dürfte aber die neue Reifen-Erstausrüstung sein. Vorbei die Zeiten des unsäglichen Dunlop D 207, der beim Bremsen in Schräglage für eine extreme Aufstellneigung sorgte. Die XB12 rollt ab sofort auf den guten Dunlop D 208. Die CityX trägt Pirelli Scorpion Sync, ein Reifen, der schon auf der Ducati Multistrada eine gute Figur machte und dessen etwas nach Grobstoller aussehendes Profil-Design gut zum angepeilten Kämpfer-Image paßt.
Wo man gerade so am Modellpflegen war, blieb auch die Benzinpumpe nicht unangetastet. Das Teil ist leistungsstärker und leiser geworden. Der zweistufige Elektro-Lüfter blieb vorerst leider unverändert. Der sich um die Abluft des hinteren Zylinders kümmernde Krachmacher lärmt und nervt wie bisher – und das besonders gern im Stadtverkehr!
Die XB geht als die bislang pflegeleichteste und bedienungsfreundlichste Buell durch, die CityX macht da keine Ausnahme. Benzinhahn- und Choke-Fummelei? Fehlanzeige, ein Druck aufs Knöpfchen – Buell läuft. Der Kupplungshebel kann immer noch nicht verstellt werden und verlangt immer noch nach einer zupackenden Hand, aber dafür flutschen die Gänge spürbar leichter und leiser als früher. Daß 1320 Millimeter Radstand sehr kurz und 69 Grad Lenkkopfwinkel ziemlich steil sind und alles zusammen für eine unglaubliche Handlichkeit sorgt, ist für Buell-Kenner keine ganz neue Erkenntnis. Daß allerdings ein paar Millimeter mehr Lenkerbreite und eine etwas höhere Sitzbank die ganze Fuhre noch agiler machen können, ist dann aber doch überraschend. So dämlich das Cityfighter-Konzept im ersten Moment vielleicht klingen mag, so viel Spaß macht es tatsächlich, mit der CityX durch den Verkehr zu wuseln. Der Fahrer sitzt sehr aufrecht und zugleich sportlich und angriffslustig – eine Sitzposition, die nach spätestens zwei Stunden anstrengend wird, bis dahin aber für ziemlich viel Spaß gesorgt hat. Mit der CityX wird man kaum in Urlaub fahren, für den Feierabend-Quickie oder das Sonntagvormittags-Nümmerchen ist die mit 14 Litern vollgetankt nur 205 Kilogramm leichte CityX aber die perfekte Partnerin. Und das ideale Zweit- oder Drittmopped.
Das ganze Stadt-Gewese sollte man ohnehin nicht allzu ernst nehmen, denn die Buell ist natürlich auch dort in ihrem Element, wo großvolumige Twins hingehören: auf der Landstraße. Wenn der Drehzahlmesser im blauen Comic-Cockpit 2000 Touren verkündet, darf ohne Sorge um Ruckeln oder Zuckeln an der Kordel gezogen werden, die Gasannahme ist tadellos. Ab 3000 U/min geht’s mit spürbar Druck voran, zwischen 4000 und 7000 Touren liegt der Spaßbereich. In rund vier Sekunden ist aus dem Stand das Landstraßenlimit erreicht, bei etwas über 200 km/h und 7500 U/min greift der Drehzahlbegrenzer ein. Spürbare Vibrationen sind in praktisch allen Geschwindigkeits- und Drehzahlbereichen Fehlanzeige. Im Leerlauf und an der Ampel beeindruckt der Twin mit einer sehenswerten Schüttel-Show, im Fahrbetrieb ist dank der schwingungsentkoppelten Motor-Aufhängung davon aber nichts zu spüren.
Noch etwas besser als bei den bislang angebotenen Buells funktioniert das Fahrwerk. Gabel und Federbein machen einen tadellosen Job und lassen den Wunsch nach Zubehörteilen noch nicht einmal ansatzweise aufkommen. Die Sechskolben-Bremszange packt fein dosierbar und auf Wunsch auch ziemlich heftig zu, die 375-Millimeter-Bremsscheibe gibt dann eine recht eindrucksvolle Solo-Vorstellung bis hin zum 1a-Stoppie. Die Hinterradbremse agiert dagegen absolut unauffällig, wer den 180er-Reifen rutschen lassen will, muß schon brutal zutreten.
Es sind eigentlich nur Kleinigkeiten, die nörgelwütige Fahrer der Buell anlasten können. So sind die teildurchsichtigen Kunststoffteile etwas kratzempfindlich und der Soziusplatz ein schlechter Witz, den man lieber ganz weglassen sollte. Der Blecheinsatz unterm Rücklicht („Nudelsieb”) wird bei Regenfahrten zum Duschkopf. Macht aber eigentlich nichts, denn ein Sozius wird sowieso nicht mitfahren wollen. Die Sache mit dem nicht einstellbaren Kupplungshebel hatten wir auch schon, die mit dem fehlenden Kat noch nicht. Trost für umweltbewußte Buell-Treiber: Über fünf Liter fackelt die CityX nur bei digitaler Fahrweise ab. Spiegel-Ausleger und Seitenständer sind bereits seit der letzten Modellpflege absolut alltagstauglich, einen praktisch wartungsfreien Zahnriemenantrieb hatten die XB dank Spannrolle immer schon. Was die Neuner-Buell bislang noch nicht hatte, war ein attraktiver Preis. Aber jetzt: Mit 9279 Euro ist die CityX 1164 Euro günstiger als die letzte XB9S. Die Differenz zur XB12 beträgt nun 2220 Euro. Der Abstand zur Zwölfer dürfte damit groß genug sein, um der Neuner eine Daseins- berechtigung zu geben. Und nicht nur das, mit ihrem Kampfpreis kann die CityX auch endlich in Revieren wildern, die ihnen bislang verschlossen waren. Eine nicht unbedingt reizvollere Yamaha BT 1100 Bulldog ist nur rund 700 Euro günstiger. Die Lightning XB9SX CityX ist vielleicht der letzte Versuch, die Neuner-Buell als eigenständiges Modell zu vermarkten. In Form und Funktion ist dieser Versuch voll gelungen, die Sache mit dem „Cityfighter” sollte man nur nicht zu ernst nehmen. Die blaue Neuner kann nämlich beides: Country und Western.
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