aus bma 11/06

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Archiv, BMW

Ab Mitte der fünfziger Jahre bis 1969 verfügten die Maschinen aus München über komfortable Vollschwingen-Fahrwerke. Diese Radführung sorgte bei den Reisenden für einen in der damaligen Zeit ungeahnten Luxus und verschaffte, in Verbindung mit dem zuverlässigen Boxer-Triebwerk, BMW weltweit den Ruf als „King of the Road”.
Bereits Anfang der fünfziger Jahre beschäftigte man sich bei BMW mit einem revolutionären Rahmenkonzept. Anstelle einer Telegabel und der Geradweg-Federung übernahmen Schwingen die Federarbeit für das Vorder- und Hinterrad. Erste Tests erfolgten im Rennbetrieb. Bis die BMW-Kundschaft allerdings in den Genuß des neuen Chassis kommen sollte, wurde es Frühjahr 1955. Auf dem Brüsseler Automobilsalon präsentierte BMW die aktuelle Boxer-Generation R 50 und R 69 mit Vollschwingenrahmen. Fahrfertig brachte die R 50 nur 195 kg, und die R 69 lediglich 202 kg auf die Waage. Wie eh und je diente ein Schwingsattel als Sitzposition für den Fahrer, und abgesehen von den weißen Zierstreifen waren die Krafträder, wie damals üblich, schwarz lackiert.

 

Im Vergleich zu den Vorgängermodellen R 51/3 und R 68 vermittelte das neue Vollschwingen-Chassis den Passagieren einen nie erahnten Fahrkomfort. Wie in einer Sänfte schwebten sie über alle Fahrbahnunebenheiten hinweg. Die neuen BMWs trafen genau den Geschmack der Touren- und Gespannfahrer.
Basis für das R 50 Triebwerk war der bewährte R 51/3 Motor mit 494 ccm. Mit gezielter Weiterentwicklung ließ sich die Motorleistung von 24 PS auf 26 PS steigern. Der 35 PS starke R 69 Motor war im Wesentlichen der Nachfolger des R 68 Triebwerkes. Das Vierganggetriebe war bei beiden Modellen identisch. Optisch glichen sich die beiden Kräder wie ein Ei dem anderen, nur an ihren Ventildeckeln ließen sie sich unterscheiden. Der R 50 Ventildeckel hatte sechs Rippen und der von der R 69 nur zwei Rippen.
Herausragendes Merkmal der Boxer-Aggregate war das breite Drehzahlband mit mächtig Kraft aus dem Keller. Sportlich angehauchte Solofahrer waren dagegen weniger von dem soft-weichen tourenfreundlichen und komfortablen Schwingenrahmen angetan. Rennmäßige Fahrweise setzte hohes Können voraus. Nur geübte Fahrer waren wirklich in der Lage, „die Kuh richtig fliegen zu lassen”. Äußerst empfindlich reagierte das Fahrwerk auf falsch eingestellte oder verschlissene Kegelrollenlager. Wer die Wartung und Pflege der Schwingenlagerung vernachlässigte, hatte nur wenig Freude mit seiner BMW. Das von seiner Konstruktion her perfekte Schwingen-Fahrgestell verwandelte sich dann in eine bleierne Gummikuh. Grundsolide war dagegen die Motortechnik. Die R 50 erreichte gut 140 km/h, und die R 69 war mit 165 km/h damals eines der schnellsten Motorräder auf dem Markt.
Ohne nennenswerte Änderungen rollten die Kräder in den nächsten Jahren vom Fließband. Erst ab 1960 wurde das Schwingenprogramm geändert und erweitert. Rechtzeitig zur IFMA (Internationale Fahrrad- und Motorrad Ausstellung), die damals in Frankfurt stattfand, präsentierten die Münchner gleich vier neue Maschinen: Die R 50/2, R 60/2, R 50 S und R 69 S. Trotz weltweit rückläufigem Zweiradgeschäft – wer etwas auf sich hielt, fuhr Auto – glaubten die verantwortlichen BMW-Manager weiter an das Motorrad und setzten besonders auf den Export in die USA. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten genossen die BMWs einen enorm guten Ruf und waren der Inbegriff für deutsche Qualität und Zuverlässigkeit. Für die sportlichen Motorradfans in Europa, aber besonders für die leistungsorientierten BMW-Fahrer in Amerika waren die beiden „S”-Modelle vorgesehen.
In der Halbliterklasse war es die über 160 km/h flotte R 50 S, und die 180 km/h schnelle R 69 S etablierte sich ab diesem Jahr als Paradepferd in dem BMW Boxer-Programm. Das aus der R 50 Tourenmaschine übernommene R 50 S Triebwerk leistete nach intensiver Motorkur 35 PS bei 7650 U/min. Für die Sportmaschine mußte der Kunde 3535 DM auf die Ladentheke blättern. Jedoch nach 1634 produzierten Maschinen stellte BMW bereits nach zwei Jahren die Fertigung wieder ein. Heute ist die R 50 S ein begehrtes Sammlerstück und wird entsprechend hoch gehandelt.
Mit Einführung der sportlichen R 69 S schied 1960 die R 69 aus dem Modellprogramm. Zwar basiert der R 69 S Motor auf dem bekannten R 69 Triebwerk, doch für die angestrebte Leistungssteigerung mußte sich der Boxer einer ordentlichen Überarbeitung unterziehen. Durch diese Modifikationen kletterte die Leistung von 35 PS auf respektable 42 PS bei 7000 U/min.
Für den US-Markt wurde die R 69 S ausschließlich mit einem Hochlenker und mit komfortabler Sitzbank produziert.
Mit den neuen S-Modellen konnte BMW nun endlich allen Boxerfans sportliche Maschinen anbieten. Ein Motorradfahrer, der Anfang der sechziger Jahre irgendwo mit einer BMW R 69 S auftauchte, genoß größte Bewunderung und Hochachtung. In dieser Zeit war es unter Motorradfahrern üblich, sich zu grüßen, man hielt zusammen wie Pech und Schwefel. BMW Fahrer waren im Kreise der Motorradzunft aber ein besonderer Menschenschlag. Nie ließen sie etwas auf ihre Maschine kommen. Sie lobten die Zuverlässigkeit des Boxermotors bis hoch in den Himmel und erzählten jedem, der es noch nicht wußte, wie komfortabel der Schwingenrahmen ist.
Bereits zwei Jahre, bevor die neuen Baureihen R 50/5, R 60/5 und R 75/5 ab 1969 als Nachfolger für die Schwingen-Modelle auf den Markt kamen, rüstete BMW ab 1967 die US-Modelle mit der neuen Telegabel der Strich-fünf aus. Bis zum Produktionsende der legendären Schwingen-Reihe 1969 hatte der bajuwarische Motorradhersteller immer wieder einige Detailverbesserungen durchgeführt, doch am grundsätzlichen technischen Aufbau oder der Optik war nichts verändert worden. Längst gehören die Schwingenmodelle zu den klassischen BMW-Boxer-Motorrädern und werden entsprechend hoch gehandelt. Besonders für originalgetreue R 69 S aus den letzten Baujahren müssen Interessenten bis zu 10.000 Euro und manchmal noch mehr anlegen. Ähnlich hoch stehen topgepflegte oder neu aufgebaute Gespanne in den Verkaufsanzeigen. Bedeutend günstiger sind dagegen unrestaurierte Maschinen, aber auch hier sind kaum welche unter 3000 Euro zu bekommen. Ersatzteilprobleme gibt es für die inzwischen über vier Jahrzehnte alten Maschinen im Großen und Ganzen nicht. Die Schwingenmodelle zählen zu den zeitlosen BMW Boxermaschinen. Sie sind begehrte Liebhaberstücke, deren Wert von Jahr zu Jahr steigt.