aus Kradblatt 10/19, von Michael Praschak, www.asphalt-süchtig.de
BMW S 1000 RR – Der Angstgegner …
Die Ankunft der S 1000 RR im Jahre 2009 versetzte die arrivierte Supersportler-Konkurrenz in Angst und Schrecken. BMWs erstes Superbike kam nicht nur mit einem im Sportlerbereich bisher völlig neuen Design, sie setzte auch technisch Maßstäbe. Das Triebwerk trumpfte damals mit Formel 1 Technik und Ventilsteuerung über Schlepphebel sowie mit Titanventilen und gecrackten Pleueln auf. Auch die Elektronik wurde von BMW auf ein bisher ungekanntes Niveau gehievt.
Und die Doppel-R hielt, was BMW versprach. Die 193 PS gab es nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich auch auf dem Prüfstand. Meistens standen sogar noch ein paar Pferdchen mehr im Stall. Auch das Elektronikpaket aus ABS, Traktionskontrolle und Motormappings schaffte im Zusammenspiel den beeindruckenden Spagat zwischen handzahm und Racing-tauglich. Zwar gelang der Doppel-RR nie, auf WM-Niveau wirklich zu punkten, auf der Straße und im Hobby-Rennsport war sie eine Macht.
Nun, 10 Jahre und eine Evolutionsstufe später schicken die Bajuwaren sich an, mit der Neuauflage der S 1000 RR, der Konkurrenz wieder das Fürchten zu lehren. Um dieses Ziel erneut zu erreichen, blieb bei der Neuentwicklung des Flaggschiffs kein Stein auf dem anderen. Motor und Elektronik, Fahrwerk und Rahmen, Design und Ergonomie – nichts blieb, wie es war.
Vor allem in puncto Design sind die Veränderungen nicht nur offensichtlich, sondern nun auch deutlich massenkompatibler. Denn während eingefleischte Doppel-R-Fans die Vorgängerversionen ob ihres eigenständigen Looks feierten, war die Optik immer auch heftig umstritten. Mit der Vollverkleidung entsprach die Formensprache zwar grundsätzlich der eines Supersportlers, die Front mit den asymmetrischen Scheinwerfern, die Seitenverkleidung mit den kiemenartigen Ausschnitten und der Lack in Rotz-Grün-Metallic sorgten bei der Vorstellung für heftige Reaktionen. Auch das Entenschnabel-Design des Modells ab Baujahr 2015 verhalf der S 1000 RR nicht wirklich zu mehr Fans.
Neue Hülle, neues Herz
Bei der 2019er Version geht BMW optisch nun völlig neue Wege, diesmal aber in eine andere, eher traditionelle Richtung. Die Verkleidung spiegelt mehrere Jahre aerodynamischer Entwicklung wider und wurde komplett neu designt. Der Lufteinlass an der Front erinnert mit seinen Plastikrippen und den am oberen Rand in die Verkleidungsform übergehenden Windschild zwar noch an das Vorgängermodell, hier hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Kein Duck-Face, kein Karl-Dall-Blick mehr. Dafür gibt es jetzt Voll-LED-Scheinwerfer mit Lichtelementen, die in ihrer Form an die Tagfahrleuchten der Autos aus gleichem Hause erinnern. Auch Seitenverkleidung und Heck sind weit weg von der Vorgängerin. Alles wirkt deutlich kompakter, erheblich sportlicher und rückt die neue Doppel-R auf den ersten Blick viel näher an aktuelle Motorräder der gleichen Sparte aus Japan und Italien.
Umso größer ist die Überraschung beim ersten Sitzkontakt. Trotz des deutlich aggressiveren Looks platziert die Beamer ihren Piloten überraschend bequem. Die Sitzposition ist eher ins Motorrad integriert, der Knieschluss ist für einen Sportler erträglich und auch die Handgelenke werde nicht über Gebühr belastet. Dieser Eindruck bestätigt sich dann auf den ersten Landstraßenkilometern. Während man auf manchen Mitbewerbern schon echte Nehmerqualitäten mitbringen muss, um bei StVO-konformen Geschwindigkeiten oder im Stadtverkehr von Fahrspaß zu sprechen, macht einem die BMW das Leben hier leichter. Nichts zwickt, das Sitzpolster ist straff, aber nicht zu hart und der Knieschluss fällt angenehm schmal aus. Spürbar schmaler sogar als auf der Vorgängerin. Grund hierfür sind der laut BMW komplett neu gestaltete Rahmen und der von Grund auf neu entwickelte Motor, der nun mehr als tragendes Element in den Rahmen integriert ist und 12 Millimeter schmaler baut. Beide Bauteile zusammen sparen nicht nur knapp fünfeinhalb Kilogramm Gewicht (Motor: -4 kg, Rahmen: -1,3 kg), sondern fallen so schlank aus, dass die BMW trotz des Reihenvierzylinders nur 2 Zentimeter breiter baut als ein vergleichbarer V4.
Aber nicht nur die hervorragende Ergonomie ist für die Landstraßenqualitäten verantwortlich. Auch Technik und Elektronik tragen immens zur Alltagstauglichkeit bei. Da wäre zum einen die extrem gelungene Motor-Getriebe-Kombination. Auch hier unterstellt man der BMW aufgrund ihrer sportlichen Optik kompromisslosen Rennstreckencharakter – und täuscht sich. Der Motor der S 1000 RR war schon immer landstraßentauglich, das Aggregat des neuen Modells definiert den Begriff für einen Vierzylinder-Supersportler aber völlig neu. Das Kraftwerk glänzt nicht nur durch Laufruhe und feine Gasannahme, sondern vor allem dank des fülligen Drehmomentverlaufs. Ab 5.000 Umdrehungen generiert das Triebwerk laut BMW konsequent über 100 Newtonmeter Drehmoment. Schaltfaules Landstraßen-Cruisen ist also kein Problem. Ermöglicht wird dieses durch die, von BMW bei einem Reihenvierzylinder erstmals eingesetzte, Shiftcam-Technologie. Hier stehen auf der einlassseitigen Nockenwelle zwei Nocken pro Ventil zur Verfügung. Im Drehzahlbereich unter 9.000 Umdrehungen sorgt eine Teillastnocke für fülligen Drehmomentverlauf, darüber kommt die Volllastnocke zum Einsatz und sorgt durch die angepassten Steuerzeiten für die gewünschte High-End-Power. Die variablen Nocken sind aber nicht die einzige Änderung. Daneben wurde auch die Airbox neugestaltet und die Geometrie der Einlasskanäle angepasst. Im Ergebnis soll die S 1000 RR laut BMW nun im unteren und mittleren Drehzahlbereich den Drehmomentverlauf des aktuellen Nakedbikes S 1000 R besitzen.
Abgerundet wird das Ganze durch das hervorragend gestufte Getriebe. Während bei anderen Superbikes die erste Fahrstufe Rennstrecken-typisch lang ausfällt und besonders bei Schleichfahrten innerorts zum häufigen Einsatz der Kupplung nötigt, erlaubt die S 1000 RR frühes Hochschalten. Dabei läuft die BMW in allen Gängen auch kurz über Standgasdrehzahl absolut ruhig und reagiert sensibel auf Fahrbefehle über das formidabel eingestellte E-Gas. Mit 40 km/h im sechsten Gang durch den Ort? Absolut kein Problem.
Landstraßen-Superbike
So gut die BMW bei niedrigen Tempi funktioniert, wirklich Spaß macht Motorradfahren erst dann, lässt man das Ortsschild hinter sich. Und – wer hätte es gedacht – auch hier gibt sich die S 1000 RR keine Blöße. Im Gegenteil. Egal, ob auf der schnellen Zwischenetappe über die Bundesstraße, oder im Winkelwerk deutscher Mittelgebirge, die S 1000 RR überzeugt in allen Bereichen. Besonders bemerkenswert ist dabei, wie handlich und zielgenau sich das Krad fahren lässt. Dabei reagiert die Doppel-R sensibel auf den kleinsten Lenkimpuls, ohne dabei übernervös zu wirken. Besonders positiv fallen diese Eigenschaften auf, wenn man von einem anderen Sportler direkt auf die BMW wechselt. Dann fühlt es sich fast so an, als winkle die Beamer schon beim bloßen Gedanken ans Kurvenfahren in Schräglage ab. Auch die Linienwahl gestaltet sich dann völlig neu, da Die BMW immer noch einen Tick enger kann und will, als man es für möglich hält.
Hier ist es auch egal, ob man auf der normalen S 1000 RR, oder der Variante mit M-Paket unterwegs ist. Schon die Standardversion ist elf Kilogramm leichter als die Vorgängerin und bringt vollgetankt gerade einmal 197 Kilogramm auf die Waage. In der M-Version mit Carbonfelgen, leichterer M-Batterie und weiterer Raffinessen sind es deren sogar nur 193,5.
Ihr hervorragendes Handling und klares Feedback verdankt die BMW aber nicht der Gewichtsersparnis allein. Auch Chassis und Fahrwerk tragen dazu bei. Der Lenkkopf steht mit 66,9° jetzt steiler, die neue Schwinge mit Unterzug ist neun Millimeter länger als bei der Vorgängerin und die Radlastverteilung liegt seit diesem Jahr mit 53,8 Prozent noch deutlicher auf dem Vorderrad. Darüber hinaus wurde der Flex-Rahmen der 2019er S 1000 RR komplett neu entworfen und soll nun ein ausgeklügeltes Wechselspiel zwischen Steifigkeit und Flexibilität erlauben. Die voll einstellbare Upside-Down-Gabel ist im Durchmesser um einen Millimeter geschrumpft (nun 45 Millimeter Gleitrohrdurchmesser) und überzeugt dank des Closed-Cartridge-Systems mit sportlich-straffem Ansprechverhalten.
Trotzdem strapaziert die BMW ihren Reiter auf der Landstraße nicht über Gebühr. Selbst pockennarbige Nebensträßchen der Kategorie C sind erträglich und dabei ist es egal, ob man auf der Standard oder M-Variante sitzt. Bei letztgenannter sollte man aber das Einstellrädchen am linken Lenkerende und das mit 6,5 Zoll riesige TFT-Display bemühen und den Fahrmodus „Road“ wählen, um das elektronische Fahrwerk auf eine landstraßentaugliche Härte zu justieren. Richtig interessant werden Elektronik und Einstellungsmöglichkeiten aber tatsächlich erst, wenn die Regeln der StVO keine Rolle mehr spielen.
Brutal unspektakulär
So überraschend gut die neue S 1000 RR auf der Landstraße funktioniert, ihr wahres Potential offenbart sie erst auf der Rennstrecke. Und das trifft auf alle Komponenten des Gesamtpakets zu. Lässt sich die Ergonomie für die Feierabenderunde als durchaus brauchbar bezeichnen, vermittelt sie auf dem Rundkurs ab dem ersten Meter extrem viel Vertrauen. Draufsetzen, Wohlfühlen und Gas geben sind angesagt. Besonders bemerkenswert ist aber, dass man trotz der immensen Leistung von 207 PS als Pilot zu jedem Zeitpunkt das Gefühl hat, Herr der Lage zu sein. Dabei geht die BMW auf unspektakuläre Weise brutal zur Sache. Unspektakulär deshalb, weil die Kraftentfaltung so sanft und gleichmäßig von statten geht, dass man sich zu keinem Zeitpunkt von der Motorleistung überfordert fühlt.
Das ist besonders bei der M-Variante auffällig, bei der die Elektronik im Race-Modus nicht nur die Leistungsabgabe par excellence kontrolliert, sondern das Ganze auch noch durch das semi-aktive Fahrwerk unterstützt wird. Alles funktioniert hier so gut, dass man die S 1000 RR fast als Fahrschulmoped für Rennstrecken-Neulinge empfehlen will. Das Paket ist aber auch für erfahrene Tester beruhigend, vor allem dann, wenn, wie in diesem Fall, die Session auf unbekanntem Geläuf stattfindet und nur wenig Fahrzeit zur Verfügung steht.
Brutal ist die BMW deshalb, weil am Bremspunkt immer deutlich mehr km/h auf dem TFT-Display angezeigt werden, als man es nach der „entspannten“ Beschleunigungsphase für möglich gehalten hätte. Zweihundertsieben PS katapultieren Mensch und Maschine eben doch vehement nach vorne, auch wenn elektronische Helferlein und eine sehr gelungene Aerodynamik subjektiv einen anderen Eindruck vermitteln. Spätestens am Bremspunkt schießt einem also Adrenalin ins Blut und der Puls nach oben. Zum Glück ist die Brems- der Motorleistung mindestens ebenbürtig. Die BMW Stopper packen brutal zu und das im Race-Mode noch aktive, aber abschaltbare ABS regelt so spät, dass es auch Anbremsdrifts und ein Abheben des Hinterrades zulässt. Einzig die Standfestigkeit ist hier bei beiden Modellen – die M-Variante besitzt um einen Millimeter dickere Bremsscheiben – ein wenig zu bemängeln. Fordert man die Bremse konsequent, fällt sie mit leichtem Fading auf und der Druckpunkt wandert in Richtung Lenker.
Dafür zeigt sich die BMW am Einlenkpunkt wieder von der allerbesten Seite. Vor allem die M-Variante winkelt dank der ultraleichten Carbonfelgen so spielerisch ab, dass man anfangs regelmäßig ungewollt auf, statt an den Curbs unterwegs ist. Hat man sich daran gewöhnt erlaubt die BMW so schnelle und enge Linien, wie man sie von einem Superbike mit Straßenzulassung nicht gewohnt ist. Wie gut das Paket tatsächlich ist, zeigte IDM Pilot Julian Puffe, der während des Tests ebenfalls mit einer neuen Doppel-RR auf der Strecke war. Lediglich mit normalen Slicks bereift fuhr er mit der straßenzugelassenen M-Variante bis auf 3,5 Sekunden an seine Qualifikationszeit aus der IDM heran.
Leider offenbarte die Straßenvariante beim Einsatz auf der Rennstrecke aber auch schnell eine Schwäche, die im einfachen Landstraßenbetrieb vermutlich erst nach einigen tausend Kilometern auffallen wird: der Kunststoffsteg für die Kiemen der rechten Seitenverkleidung ist so schwach dimensioniert, dass er am Testmotorrad während des Einsatzes auf der Rennstrecke durch die Vibration durchriss. Ein Phänomen, dass bei allen Motorrädern zu beobachten war, die bei Renntrainings zum Einsatz kamen. Hier muss BMW dringend nacharbeiten.
Benutzerfreundlich
Die BMW S 1000 RR, Modell 2019, ist ein Angstgegner geworden, allerdings nur für die Mitbewerber. Aktuell gibt es für Motorradfahrer nach meiner Ansicht wohl kein zugänglicheres und fahrbareres Superbike mit so viel Potential. Motor und Elektronik, Ergonomie und Handling – alle Bestandteile des Gesamtpaketes erlauben einen entspannten und stressfreien Einsatz auf der Landstraße und sind zeitgleich Garant für enormen Fahrspaß und pfeilschnelle Rundzeiten auf der Rennstrecke. Dabei glänzt die BMW nicht nur mit Features wie einem Kurven- UND rennstreckentauglichen ABS oder dem riesigen und hervorragend ablesbaren TFT-Display, sondern vor allem mit ihrer Benutzerfreundlichkeit. Noch nie waren 207 PS und 113 Newtonmeter so leicht abrufbar und auch die Bordelektronik ist trotz der enormen Fülle an Einstellmöglichkeit überraschend intuitiv zu bedienen.
Abgerundet wird das Ganze seit diesem Jahr auch durch ein deutlich massentauglicheres Design und es stehen somit eigentlich alle Vorzeichen auf Erfolg.
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