aus Kradblatt 7/15
Text: Vic Mackey, Fotos: M. Tiefenböck
www.motoemotion.info – Jetzt auch auf Facebook!

BMW S 1000 RR – Weil sie es kann …

BMW S1000 RR linksSucht man nach Alleinstellungsmerkmalen der BMW S 1000 RR stößt man zu aller erst auf die Asymmetrie der Scheinwerfer; dem Stilmittel welches die Designer erdachten, um dem bayerischen Superbike eine eigenständige Erscheinung zu verleihen. Das macht sie nicht unbedingt hübsch, aber eben einzigartig. Der Rest ist sonst nämlich ziemlich „japanisch“ und es verwundert wenig, dass die meisten nicht-fachkundigen Betrachter das Motorrad für eine Yamasuki oder Kawonda halten.

Jahrelang hatte man unter dem Projektnamen „190/190“ heimlich Sportmotorräder aus Japan entführt und in geheimen Forschungslaboren seziert. Das Ergebnis präsentierte man 2009 dann einer staunenden Öffentlichkeit: BMW’s ersten „Japaner“.

Mit einem Leistungsgewicht von nahezu 1:1 setzte die BMW S 1000 RR Maßstäbe, in einem für die Bayern völlig neuen Segment. Dabei machte man in Berlin eigentlich nichts anders wie die Fernost, aber eben alles richtig. Vor allem hielt man sein Leistungsversprechen. Über Jahre war es in Mode gekommen, mit jedem Modellwechsel weniger Gewicht und etwas mehr Leistung zu versprechen. Etwas, was meist bereits auf Waage und Prüfstand als Lüge enttarnt wurde. Mit 193 PS Nennleistung übten sich die Bayern hingegen in vornehmer Zurückhaltung und so verwundert es kaum, dass auch die komplett überarbeitete 2015er RR mit nominal 199 Pferden in Wirklichkeit die magische 200 PS-Grenze locker überspringt. Eine Grenze, welche die japanischen Hersteller irgendwann angeblich vereinbart und jetzt offiziell aufgehoben hätten.

BMW S1000 RR FrontNeben den ungleich gestalteten Scheinwerfern – die in diesem Jahrgang übrigens die Seiten wechselten – ist Spitzenleistung sicherlich das eigentliche Alleinstellungsmerkmal der RR: das „Machtstellungsmerkmal“, wenn man so will. Denn wer im Hobbyrennsport Sekunden und Plätze gutmachen will hat eigentlich nur zwei Möglichkeiten: trainieren, trainieren, trainieren oder sich eine BMW kaufen.

Dabei scheiterte die S 1000 RR im professionellen Rennsport auf der Weltbühne bislang kläglich. Mit großem Budget und dennoch bescheidenem Erfolg zog man sich werksseitig wenig ruhmreich aus der Superbikeweltmeisterschaft zurück. Sportliche Erfolge erzielte man hingegen ehrenhalber in bodenständigeren Klassen, wie der Internationalen Deutschen Meisterschaft (IDM) beispielsweise. Trotz der mäßigen Glorie im Rennsport ist die Bayerin dennoch ein Verkaufsschlager geworden und straft damit die alte Mär vom „Win on Sunday, sell on Monday“ Lügen. In Verbindung mit absatzfreundlichen Derivaten, wie dem Nacktsportler S 1000 R oder dem neuen Tourensportbike XR wird sich der Entwicklungsaufwand sicherlich bald amortisiert und die anfangs zweifelnden Aktionäre glücklich gemacht haben. Und das nicht, weil man sich die Maschinen teuer bezahlen lässt. Nein, die S 1000 RR war bei Einführung im Basispaket auf Augenhöhe mit den Japanern vom Schlage einer Fireblade & Co. und ist es noch, zumindest wenn man die durchaus vergleichbare neue Yamaha R1 zum Vergleich nimmt.

Kameraausleger - natürlich nur auf abgesperrter Strecke...BMW verdient da sein Geld, wo den anderen Herstellern die Prospektseiten ausgehen – beim aufpreispflichtigen Zubehör. Hier machen die Bayern den Unterschied, der sich letztlich auch im Preis niederschlägt. Die Weiß-blauen schnüren Zubehörpakete namens „Dynamik“ und „Race“ so geschickt, dass man zwangsläufig beide nehmen wird, wenn man beispielsweise die dynamische Traktionskontrolle und das dynamische Fahrwerk haben möchte. Heizgriffe bekommt man dann quasi dazu, ob man sie will oder nicht. Und ganz egal, ob man vor Jahren noch über ein solches Feature gespöttelt hätte – wieso sollte man auf sowas verzichten, wenn man es haben kann?! Wer jemals mit klammen Fingern in dünnen rennledernen Handschuhen seine Trainings-Runden in der morgendlichen Eifel gedreht hat, wird die Griffwärmer nicht mehr missen wollen.

Wheelies auch...Und so ist die Liste lang der „Nice to have“, die eigentlich schon zwangsläufig zum „Must have“ mutiert sind. Eine BMW, welche nicht in Vollausstattung gekauft wird, hat es später auf dem Gebrauchtmarkt schwer. Natürlich ist eine Antischlupfregelung als Sicherheitsfeature in Serie vorhanden, aber eben nur eine echte (und damit aufpreispflichtige) Traktionskontrolle ist für einen Racer das Wahre. Das war schon in den letzten Modelljahren so. Neu und neuerdings unverzichtbar ist ein Schaltassistent „Pro“, welcher nun auch das kupplungslose Herunterschalten ermöglicht. Man nennt ihn „Blipper“ – „Blipper, Freund aller (Spiel)Kinder …“ pfeife ich im Geiste und lese schon im jedem Testbericht der Zeitschriften Testredakteure öffentlich wehklagen, dass weder die neue Yamaha, noch die perfektionierte Aprilia dieses Feature bieten. Einzig Ducati bietet an der Panigale die Blipper-Funktion.

So ein kleines, aber feines Detail kann bei der Kaufentscheidung dann durchaus das Zünglein an der Waage spielen. Darum sei fairerweise auch im Gegenzug erwähnt, dass die BMW im Gegenzug zur Ducati kein Kurven-ABS bietet. Den meisten Testlesern wird das entgangen sein, aber während in der HP4 das „ABS pro“ noch als solches verfügbar war, ist es dies in der Nachfolgerin nicht. BMW hat beim Steuerungssystem von Zulieferer Bosch auf Continental gewechselt. Zwar bietet Conti auch ein Kurven-ABS, welches z. B. in der neuen S 1000 XR zum Einsatz kommt, die Anpassung an das Superbike war jedoch zur Markteinführung wohl noch nicht abgeschlossen. Man kann aber damit rechnen, dass diese Funktion nachgeschoben werden wird – wie es auch bei der HP4 damals der Fall war.

BMW S1000 RR CockpitSchon eher skurril wird es bei Ausstattungsmerkmalen wie einem „Pitlane-Limiter“, welcher auf Knopfdruck im ersten Gang die Durchfahrtsgeschwindigkeit in der Boxengasse begrenzt. Tatsächlich sind viele RR-Fahrer ja mittlerweile bei Sportfahrertrainings und so mancher in Hobbyrennserien unterwegs. In die Verlegenheit mit Strafen überwachter Boxengassen-Durchfahrten dürften aber die wenigsten jemals geraten. „Das braucht kein Mensch“, sagen die einen. „Das hat nur die BMW“, sagt Entwickler Rudi Schneider. Wohl wissend, dass die Käufer auf solche Spielereien stehen und es nur eine Frage der Zeit ist, bis die ersten Spielkinder im ersten Gang bei 6.000 Umdrehungen im Begrenzer johlend durch geschlossene Ortschaften proleten. Die im neuen Jahrgang etwas groß geratene Himmelstrompete wird es mit Stolz hinausposaunen: Hier kommt das Neueste vom Neuen, lobet die Bayern!

BMW gibt nicht nur die richtigen Antworten, vielmehr stellen sie die richtigen Fragen. Nicht „Wer braucht sowas?“, sondern „Wer kauft sowas?“. Und da Fea­tures aus dem Elektronikbaukasten, die in der Entwicklung quasi als Datenmüll so nebenbei entstehen, wie die SMS im Mobilfunk, machen sich im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt. Das nennt sich dann im Jahresbericht „Gewinn“. Und sowas bringt Aktionäre zum Strahlen; viel mehr, wie es so mancher Rennsport-Pokal im BMW-Museum jemals könnte.

BMW S1000 RRWenn also der aktuelle, sowie der maximale Schräglagenwinkel im Display erscheint oder aber das, in Anbetracht der Flut an Informationen wirklich übersichtliche Cockpit die Effizienz der ABS-Bremse oder Traktionskontrolle grafisch darstellt, dann kostet das den Entwickler maximal ein müdes Lächeln, den zufriedenen Käufer aber Extra-Scheine. Und er wird sie gerne dem freundlichen BMW-Händler geben, denn die Anderen geben ihm ja sowas nicht. Weder für Geld noch für gute Worte.

Bei den meisten japanischen Herstellern bleibt nur der Weg in den Zubehörmarkt und selbst den hat BMW annektiert, denn selbst den passenden Akrapovič-Endschalldämpfer kann man direkt im Haus mitkaufen. Oder LED-Blinker und andere Kennzeichenträger; Dinge, die ohnehin niemand unverändert lässt. Warum also nicht direkt aus einer Hand mitverdienen?

Man muss die Bayern nicht mögen, aber man muss aufrichtigerweise anerkennen, dass sie aus den Fehlern ihrer Mitbewerber lernen. Noch ein Beispiel? Honda hat die erfolgreichen Fireblade­-Kundentestevents eingestellt und BMW dieses Konzept quasi nahtlos mit großem Tamtam übernommen. Beim „BMW Testcamp“ mit Veranstalter Bike Promotion unter spanischer Sonne kann man so im Winter schon testen, was spätestens im Frühjahr dann in der Garage stehen soll. Wer bis dahin noch kein Beratungsgespräch im Fachhandel hat, wird spätestens nach seiner Rückkehr direkt dahin laufen. Wie selbstverständlich kauft sich dann der GS-Fahrer noch eine Doppel-R zum Heizen oder umgekehrt der RR-Fahrer eine NineT für die genüssliche Feierabendrunde zum BMW-Stammtisch. Der Trend geht mittlerweile ja bereits zum Drittmotorrad.

BMW S1000 RR Stand rechts

Alle die, so wie ich, nicht unbedingt Fans der weiß-blauen Marke sind, müssen jetzt ganz stark sein. Auch 2015 führt wohl kein Weg an diversen Testsiegen der BMW vorbei. Zweifellos werden RSV4 und Panigale Weltmeisterschaftsrennen und Herzen gewinnen, kühle Köpfe kaufen indes die BMW S 1000 RR .

Ob es uns gefällt oder nicht. Die Ergonomie der Bayerin ist auch auf Landstraßen, wo sie zweifelsohne die meiste Zeit gefahren werden wird, besser gelungen und ihre Performance an der Rennstrecke macht es auch ungeübten Fahrern wesentlich einfacher, mit den sicherlich anspruchsvolleren Superbikes und ihren Fahrern mitzuhalten. Und letztlich kommt es doch genau darauf an. BMW befriedigt Kundenwünsche.

Wir können also lange darüber lamentieren, dass die Fachpresse bestechlich erscheint und uns darüber echauffieren, dass kein Mensch das ganze Elektronikspielzeug braucht. Auch ich liebe eine Andere, aber ich muss gestehen, dass es mir die „rote Racie“ RR in unserer 14-tägigen Testaffäre ordentlich besorgt hat.

Letztendlich ist doch die Frage, warum man sich eine BMW S 1000 RR mit dem ganzen Klimbim für über 20.000 Euro kaufen sollte eher eine rhetorische. Warum leckt sich ein Hund an den Eiern?! – weil er es kann!“ (Zitat Maria Adorf aus „Der Schattenmann“).