aus Kradblatt 11/21, von Jochen Vorfelder
B wie Bagger: BMW R 18 B – BMW baggert die Amis an
Den Luxustourer-Markt in den USA machen bisher Harley-Davidson und Indian unter sich aus. Jetzt kann BMW Motorrad bei den Dickschiffen mitmischen.
Um die R 18 B und die Transcontinental vorzustellen, hat BMW nach Frankfurt in ein Messehotel geladen. Und es ist ein imposanter, dramatisch inszenierter Auftritt, dort im Foyer: eine ganze Armada schriller, herausgeputzter Customize-Versionen der BMW R 18, die seit letztem Jahr auf dem Markt ist. Und in der Mitte, als Star, als neue Diva, als Erste unter Gleichen, die brandneue BMW R 18 B in „Manhattan metallic matt“. Das Motorrad schimmert im gedämpften Licht, lacht mich an.
Die Maschine ist ein lautes Statement, am Lenker ist in den Chrom graviert: BERLIN BUILT. Größer, schwerer und selbstbewusster war noch kein BMW-Boxer zuvor. Und einfach nur schön. „Prächtig, präsent, perfekt den Formvorgaben dieser Motorradgattung entsprechend“, formuliert ein Kollege spontan.
Ein Teil vom Kuchen. Vom ersten Eindruck im Foyer geht es nach dem obligatorischen Corona-Test – Danke, BMW, für das hervorragende Hygienekonzept! – gleich rein in die Vorstellung. Die Geschäfte gehen gut im Jahr 2021, sagt Markus Schramm, der Chef von BMW Motorrad, und hat die Zahlen aus der Buchhaltung gleich parat: Im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr stehen alle wichtigen Märkte in Europa, in der Rangfolge Deutschland, Frankreich und Italien, nach den ersten beiden Quartalen 2021 trotz Corona gut im Plus.
Und weltweit geht es bergauf. China explodiert in den letzten zwei Jahren und auch in den USA, betont Schramm, spüre man den deutlichen Aufwind: Nach einigen Jahren der Stagnation kann man zwischen New York und LA gut 30 Prozent Wachstum gegenüber den ersten sechs Monaten 2020 vermelden; bis Ende Juli 2021 habe man in den Staaten schon über 10.000 Motorräder und Scooter ausgeliefert.
Aber Schramm, der der Motorradsparte seit Mai 2018 vorsteht, will mehr. Er ist fest überzeugt, dass über dem Teich noch einiges geht, wenn man einen langen Atem hat: „Gerade bei den großen Tourenmaschinen und Cruisern haben wir noch lange nicht den Marktanteil erreicht, den wir uns vorstellen können.“ Tatsächlich kaufen Amerikaner bei den Dickschiffen, die in den USA wegen der unvermeidlichen Satteltaschen oder Heckkoffern „Bägger“ (engl. bag = Tasche) genannt werden, fast ausschließlich amerikanisch: Harley-Davidson und Indian sind unangefochten Marktführer in diesem prestigeträchtigen und lukrativen Segment der rollenden Drei-Zimmer-Wohnungen.
Das sollen die neuen BMW-Modelle R 18 B (wie Bagger) und R 18 Transcontinental jetzt ändern. Beide sind schwere Kaliber, 110 kg wiegt alleine der Big Boxer-Motor mit 1802 Kubik. Fahrbereit bringt die R 18 Bagger satte 398 kg, die Transcontinental mit mehr Verkleidung, Windabweisern, Trittbrettern, höherer Scheibe und Topcase mit integriertem Stereo-Booster gar 427 kg auf die Waage. BMW buhlt quasi um den Titel „schwerster Brocken auf der Straße“.
Das mag man in den USA, das ist dort die Norm: Mitbewerberinnen wie die Harley Street Glide oder die Indian Roadmaster fahren in der gleichen Superschwergewichtsklasse, sind gebaut für die Highways, die schnurstracks in die trockenen Wüsten des Westens und in die feuchten Träume von der Freiheit auf zwei Rädern führen.
Waffe zum Anbaggern. Wahrlich: Beim Bagger, mit dem uns BMW einen Tag später auf eine 180 Kilometer lange Teststrecke im Taunus schickt, haben die bajuwarischen Designer die klassische Optik perfekt getroffen.
Die Idee, nicht nur Autos sondern auch Motorräder stromlinienförmig zu bauen, hat in den USA ihre Wurzeln. Das hat starken Einfluss auf das Erscheinungsbild eines Bagger. Die Fluchtlinie von der fest am Lenker verbauten Verkleidungskuppel fällt bei der R 18 B verspielt ab bis zu den Koffern tief am Heck. Sehr traditionell also, und aus einem Guss, wobei sich schon im Cockpit andeutet, dass auch viel Moderne im Spiel ist: Zu den vier klassischen Rundinstrumenten gesellt sich ein 10,25 (!) Zoll-Bildschirm.
Abfahrt, keyless natürlich. Der Schlüssel wird nur noch benötigt, um den Tankdeckel abzuschließen. Aufsitzen zum Abflug: Der Sitz ist gut konturiert, genügend hart, und liegt ziemlich tief. 720 mm, da kommen die Füße auch von kleineren Fahrern sicher auf den Boden – was man bitter nötig hat, um die schiere Baggermasse vom Seitenständer in die Balance zu hieven.
Füße hoch, go! Die Sitzposition hinter dem breiten Lenker ist angenehm aufrecht, für einen Cruiser amerikanischer Machart allerdings ungewohnt: Die in den Staaten geliebten ausgestreckten Haxen, die suchen die sogenannten Highway Pegs beim BMW-Bagger nicht. Die beiden Zylinder sind im Weg, weit vorne liegende Fußrasten sind auch nicht nachrüstbar. Der konservativen amerikanischen Kundschaft wird es fehlen; BMW bietet in der Not verchromte Auflageflächen über den Zylindern als Zubehör an.
BMW hat der Bagger die drei Standard-Fahrmodi des 2020 aufgelegten Big Boxer-Motors mit auf den Weg gegeben. „Rain“ macht das Aggregat seltsam stumpf – 1802 Kubikzentimeter Hubraum reagieren bei dieser elektronischen Fesselung wie auf Valium. Selbst bei Starkregen kann man das nur bedingt hilfreich finden. „Roll“ weckt die Kräfte schon eher. Der Schongang ist ideal abgestimmt, um schaltfaul zu reisen und sich auf langen Strecken in eine Meditation über den Luxus auf rollenden Kreuzfahrern zu verabschieden.
Richtig Leben haucht dem Kraftprotz erst der „Rock“-Modus ein: Da liefern sich rechts und links vom Motorblock aus Aluminium gegossene Kolben mit dem massiven Durchmesser von 10,7 Zentimetern einen wilden Kampf. Da stampft und stöhnt und knurrt der schwarze Koloss und produziert bei 3.000 Umdrehungen bullige 158 Newtonmeter Drehmoment. Als „Rocker“ wird der Motor vogelwild, haut seine Power ungefiltert raus und schluckt dafür zwischen 5 und 6 Liter/100 km.
Welche Kräfte in diesem Zustand am Werke sind, zeigt ein kleines Experiment mit der rechten Hand: Kurze Gasstöße bei gezogener Kupplung quittiert der große Boxer mit dem Versuch, den eben noch linientreuen Reisenden mit Macht aus der Bahn zu schütteln. Das fühlt sich anachronistisch und grandios zugleich an. Diese rohen Momente machen den Charakter des bayrischen Baggers aus, hier fühlt man noch Puls und Herzschlag.
Gegenüber der R 18 vom vergangenen Jahr hat BMW am Fahrwerk gearbeitet und fein justiert: Die Gabel steht minimal steiler, der Radstand ist kürzer, dafür der Nachlauf etwas länger. Das passt: Grenzen zeigen dem fast zu sportlicher Gangart fähigen Schwergerät weder Fahrwerk noch die Bremsen auf, sondern nur die Schräglagenfreiheit: Die Fußrasten machen bedingt durch Bauart und tiefe Sitzposition früh und laut schnarrend Bekanntschaft mit dem Asphalt. Super, wie die Funken sprühen.
Die Elektronik und Ausstattung, die BMW dem Bagger spendiert hat, sind beeindruckend: Vollintegral ABS, das Vorder- und Hinterrad gleichzeitig anspricht, automatische Stabilitätskontrolle ASC, Motorschleppmoment-Regelung MSR am Hinterrad, Tempomat mit radargesteuerter Abstandsregelung Active Cruise Control ACC, adaptives LED-Kurvenlicht mit Schwenkmodul, elektrischer Rückwärtsgang, Berganfahrhilfe und automatischer Beladungsausgleich am hinteren Federbein. Das ist in der Summe von der amerikanischen Konkurrenz nicht zu toppen, da liegt man in München weit vorne. Gekoppelt ist der Vorsprung durch Hightech mit bulliger Kraft und historischen Reminiszenzen: Wenn das R 18-Aggregat satt und zufrieden bollert, tut es das auf einem Drehmoment-Plateau, das sich bis zu einem ganz weiten Horizont erstreckt. 150 Nm findet der Fahrer überall zwischen 2000 bis 4000 Umdrehungen; es ist eine pure Freude, die Kraft zu spüren und ihrer sonoren Überzeugungskraft (Standgeräusch tiroltaugliche 95 db(A)) zu lauschen.
Der Schmackes, den die Maschine liefert, wird – das ist halt BMW – über den Kardan zum Hinterrad geleitet, bei allen R 18-Derivaten historisch korrekt mit offener glanzvernickelten Gelenkwelle. Allein dieses Bauteil ist ein Schmuckstück für sich.
Laut und etwas daneben. Top ist auch das Soundsystem, ohne das ein Luxuscruiser gerade mit Blick auf den amerikanischen Markt nicht vollständig wäre: BMW hat sich für den Bagger und die Transcontinental mit den britischen Klang-Experten von Marshall zusammen getan; bereits serienmäßig sind in der Frontverkleidung zwei Lautsprecher mit je 25 Watt Leistung verbaut. Mit weiteren Boxen und Subwoofer kann man die rollende Disko bis auf 280 Watt aufbohren. Das gibt dem Thema Lärmbelästigung durch Motorräder eine ganz neue Facette.
Begeistern kann die R 18 B auch Menschen, die sich am so genannten „Packaging“ erfreuen: Das saubere, möglichst unsichtbare Verlegen von Kabeln, Druckleitungen und Sensoren bis hin zum klinisch reinen Bike ist inzwischen in der Branche ein eigener Wettbewerb. Zu amerikanischen Herstellern, die dabei gerne mal schludern, haben europäische und japanische Hersteller hier einen weiten Vorsprung – und BMW liegt im Rennen ziemlich gut.
Doch so überlegt und professionell die Konstrukteure in München und die Mädels und Jungs an der Fertigungsstraße in Spandau gearbeitet haben mögen, gerade bei einfachen Bauteilen haben die Produktentwickler einige schwer nachvollziehbare Entscheidungen getroffen.
Beispiel Soziusfußrasten; sie sind bei der Bagger unerklärlich grobschlächtig geraten und bei der Transcontionental verdecken sie hochgeklappt gar den Namensschriftzug. Oder die Heizgriffe. Die sind hoch effizient und mehrstufig schaltbar. Doch um die Winterhilfe zu starten, muss sich der Baggerfahrer mit dicken Handschuhen über das frickelige Rädelrad tief ins Einstellungsmenü graben. Die simple Heizgriff-Drucktaste an der rechten Lenkerarmatur, die bei der R 18 Classic Baujahr 2020 noch der Heizung diente, ist beim 2021er Bagger statt dessen an die Zentralverriegelung der Koffer vergeben. Das muss man nicht verstehen, kann es aber gut für nicht so wichtig erklären. Denn im Grunde sind es Kleinigkeiten, die man kritisieren kann.
Trotz hochglänzendem Lack und jeder Menge Chrom kein Overkill; der Bagger ist rundum gelungen, überzeugend stylisch, aber edel dezent. Nur an einer Stelle ist die Lust am Bling-Bling aus dem Ruder gelaufen. Die Abdeckung des Tankdeckels ist vollflächig verchromt. Während der Fahrt spiegeln sich darin Alleebäume, Häuser und Wolken und huschen permanent am Rande des Blickfeldes entlang. Die Lichtreflexe irritieren ungemein.
Plündert das Konto! Die R 18 B und die R 18 Transcontinental (die bei der Vorstellung nur im Hotel begutachtet, aber im Taunus nicht gefahren werden konnte) werden als exklusive First Edition und in verschiedenen Farben angeboten.
Die First Edition hat ein besonderes Chrompaket und den schwarzen Lack mit der klassischen Doppellinie am Tank. Beide Modelle sind aber auch in den drei Farben Blackstorm metallic, Galaxy Dust metallic (schimmert je nach Licht violett bis türkis; ein Effekt, den man nur unter dem Einfluss gewisser psychedelischer Drogen zu erkennen glaubt) und Manhattan metallic matt erhältlich.
Die Preise lassen im ersten Moment zusammenzucken. Die Standardausführung des Baggers beginnt bei 26.600 Euro; mit allen Optionen aus dem Zubehörkatalog schnellt der Preis für das Schwergerät bis auf 38.000 Euro hoch. Bei der Transcontinental beginnt die Preisspirale beim Basispreis von 27.650 Euro; wer das All-in-Paket ordert, kann schon mal 40.000 Euro locker machen. Damit liegen die beiden BMW-Modelle aber gut zehn Prozent unter den vergleichbaren Modellen von Harley-Davidson und Indian – und bieten mit Sicherheit nicht weniger. Im Gegenteil: Wer Bagger oder Luxus-Cruisen nicht zwangsläufig mit V-Twin übersetzt, kann sich ab sofort auch bei BMW zu Hause fühlen. Der Bagger BERLIN BUILT gibt Made in Germany einen neuen Sinn.
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