aus Kradblatt 4/23 von Konstantin Winkler
Sportlicher Boxer …
Oldtimer kosten Zeit, Geld und manchmal auch Nerven. Trotzdem geraten die Besitzer und auch die Betrachter von Fahrzeugen der Kategorie Ü40 regelmäßig ins Schwelgen. Es ist von Formschönheit und Liebe zum Detail die Rede. Und dank genialer Technik und relativ einfacher Ingenieurskunst lässt sich fast alles selbst warten und reparieren. Ein Paradebeispiel für meine einleitenden Worte ist die BMW R 90 S.
Wir blicken zurück ins Jahr 1973. Der Designer Hans A. Muth bewies Mut und heraus kam eine der inzwischen gefragtesten und auch teuersten Nachkriegs-BMW.
Moderne Optik und Motorleistung überließen die Münchner bis dato den Japanern, die ihre „Big Bikes“ gut verkauften. Egal ob Reihenvierzylinder von Honda oder Dreizylinder-Zweitakter von Suzuki. Nun konnte BMW zu Recht behaupten, die schnellste serienmäßige Zweizylinder-Maschine im Programm zu haben.
Auf der technischen Basis der anderen /6-Modelle mit 600, 750 und 900 ccm sollte das Topmodell neue Standards in puncto Sportlichkeit und optischer Attraktivität setzen. Was überaus gut gelungen ist. Allein schon wegen der Zweifarben-Metallic-Lackierung.
Neben „Daytona Orange“ gab es die R 90 S auch in „Rauchsilber“.
Optisches Erkennungszeichen, neben der für damalige Verhältnisse mutigen Farbgebung, war die lenkerfeste Halbschalen-Verkleidung aus GFK. Bordcomputer anno 1975: Analoginstrumente für Geschwindigkeit, Drehzahl, Zeit und Bordspannung. Dazu bunte Kontrollleuchten für Blinker, Leerlauf, Batterie, Fernlicht, Öldruck und Bremsflüssigkeit. Vervollständigt wird des Bikers Informationsbedürfnis durch zwei Aufkleber, die über Reifendruck und Ventilspiel informieren. Letzteres kann sogar mit dem gut sortierten serienmäßigen Bordwerkzeug korrigiert werden, das nach Hochklappen der Sitzbank zugänglich ist. Und – man staune – sogar eine Luftpumpe kommt zum Vorschein!
Der Motor ist ein alter Bekannter, gebaut nach dem Reinheitsgebot der Bayrischen Motorenwerke. Stolze 67 PS bei 7.000 Umdrehungen pro Minute leistet der Zweiventil-Boxer. Der Grund für die 7 PS Mehrleistung gegenüber der R 90/6 waren die beiden Vergaser, die erstmals nicht von BING kamen. Stattdessen sorgten aus dem Rennsport bestens bekannte Dell’Orto-Schiebervergaser mit Beschleunigerpumpe für die Gemischaufbereitung.
Vor dem Start müssen nach altertümlicher Art beide Benzinhähne geöffnet und der Choke am linken Luftfiltergehäusedeckel gezogen werden. Nach wenigen Umdrehungen springt der Motor an, wenn die 12-Volt Batterie voll ist. Ansonsten heißt es kicken, falls man diese inzwischen ausgestorbene Kunst beherrscht. Das geht allerdings nur, wenn der Erstbesitzer bereit war, 49 Deutsche Mark für dieses Extra auszugeben. Meiner war sparsam, und so musste ich schon ein paarmal schieben bzw. schieben lassen …
Beeindruckend für ein Motorrad aus den 1970er Jahren ist die Beschleunigung von 0 auf 100 in 4,8 Sekunden und die Höchstgeschwindigkeit von 196 km/h. Da der Tacho von Moto Meter kundenorientiert etwas mehr anzeigt, versprach der Verkaufsprospekt „mühelose 200 km/h“.
Weniger beeindruckend ist – wie bei vielen BMWs dieser Epoche – das Getriebe, nun mit fünf Gängen. Im kalten Zustand ertönt ein lautes Krachen beim Gangwechsel. Die Schaltwege sind lang, aber die Gänge rasten präzise ein.
Betätigt man die Kupplung, scheint sich zwischen 1975 und heute gefühlsmäßig wenig getan zu haben. Der Fortschritt offenbart sich jedoch beim Lösen der Hebels und dem darauf folgenden Kraftschluss. Schwer dosierbar schnappt die Kupplung herzhaft zu.
Das Fahren ist Vergnügen pur.
Man hat nicht das Gefühl, auf einer fast 50 Jahre alten Konstruktion unterwegs zu sein. Außer vielleicht beim Gaswegnehmen. Da sackt die R 90 S schon mal in die Federn, was vor allem für ungeübte BMW-Fahrer gewöhnungsbedürftig ist. Ebenso die ausgeprägten Lastwechselreaktionen, für die die Kardanwelle (noch ohne Paralever) und die langen Federwege sorgen.
Der durch den Boxer bedingte tiefe Schwerpunkt und das schmale Vorderrad mit seinem 3,25 H 19 Reifen sowie der zweistufige hydraulische Lenkungsdämpfer sorgen für ein angenehmes Fahrverhalten. Einziger Kritikpunkt: Bei hoher Geschwindigkeit neigt die alte Dame zum Pendeln, da die Lenkerverkleidung für leichten Auftrieb sorgt und das Vorderrad entlastet. Der „breite“ 4.00 H 18 Hinterreifen liegt satt auf der Straße.
Auch die Bremsen machen ihrem Namen alle Ehre. Während das Hinterrad konventionell mittels einer gestängebetätigten Vollnabenbremse verzögert wird, befinden sich vorne zwei gelochte Bremsscheiben.
Kaum zu glauben: sogar längere Überland- und Autobahnetappen lassen sich genießen. Es gibt eben keine freudlosen Kilometer, sondern höchstens freudlose Motorräder, denen man fast alles mitgegeben hat, was die aktuelle Technik bietet. Nur eines fehlt: Das, was unter den Oberbegriff „Emotion“ fällt. Und davon hat die BMW R 90 S sehr viel zu bieten …
Kommentare
2 Kommentare zu “BMW R 90 S – der 2-Ventil-Kult-Oldie”
Habe mit 20 Jahren 1974 (zum Spott meiner Kollegen) eine 90S der ersten Serie mit unzähligen Kinderkrankheiten und Defekten in den 2Jahren meines Besitzes ziemlich überbeansprucht (Kawa und Honda Gegner) Bin seit 3Jahren endlich wieder im Besitz einer schönen originalen Silberrauchen der 2. Serie, die jetzt auf Grund meiner Wechselmöglichkeit geschont wird! Gruß Johann
Unvergessen, die R 90 S! Mein Fahrlehrer fuhr mit ihr voraus, ich mit einer R 45 hinterher. Das war im Sommer 1980. Vier Fahrstunden haben als Moped-Fahrer damals gereicht, um den Einser zu bestehen; zehn, um im Parallelschwung den Dreier einzutüten. Kardan und passabel eingeschenkter Zweizylinder haben mich damals überzeugt. Herausgekommen ist nach langem Träumen und kurzer Liaison mit einer gebrauchten XT 500 (gruseliges 6 Volt-Licht, Selbstmörderbremsen) und einer neuen 550er Katana (im Frühjahr 1983 auf dem Grabbeltisch für 4799 Märker neu zu haben) jedoch eine Langzeitbeziehung mit einer Suzuki VX 800 mit ähnlichen Eckdaten wie die der R 90 S. 1995 neu für unter 10 Mille (DM) gekauft, nach der Erstinspektion dank Japan-Qualität, Garagenhaltung und Handbuchwartung nie in einer Werkstatt gewesen (außer zur Montage von Stahlflex-Bremsleitungen), sehen wir jetzt bei Kilometerstand 72.000 dem H-Kennzeichen entgegen, das ich meinem Schätzchen aber nicht antun werde. Hätte ich damals in eine gebrauchte R 90 S investiert, wäre ich heute nach einem Verkauf reicher, aber über die langen Jahre vermutlich nicht zufriedener. Nichtsdestotrotz: Die betörende R 90 S bleibt unvergessen!