aus bma 03/01

von Klaus Herder

Was haben die Tagesschau, ein Audi A4 und eine Honda CBR 600 F gemeinsam? Richtig, man kann über ihre Qualitäten kaum in Streit geraten. Seriös, unauffällig, ausgereift und zuverlässig lauten die passenden Eigenschaften. Und wie heißen die drei absoluten Gegensätze? Ganz einfach: Big Brother, Smart und BMW R 1200 C. Container-Show, Kleinstwagen und Bayern-Cruiser – es gibt wohl kaum andere Dinge, die mehr polarisieren. Man liebt oder hasst sie. Dazwischen gibt’s nichts. Das Vergnügen, sich extrem neugierige „Ich-hatte-auch-mal-eine BMW”-Gespräche anzutun oder sich an anderer Stelle extrem lächerlich zu machen, gönnten sich gleich nach der Präsentation der R 1200 C im September 1997 ziemlich viele Mutige. Im ersten Jahr griffen weltweit rund 10.000 Käufer zu – nicht schlecht für ein Marktsegment, das BMW bislang völlig brach liegen gelassen hatte.
Doch dann stellte sich sehr schnell Ernüchterung ein. Massive Qualitätsprobleme, insbesondere bei der Oberflächenbehandlung der unzähligen Chromteile und mangelnde Touren- und Soziustauglichkeit kratzten schwer am Glanz des Bayern-Cruisers. Was anfangs wie geschnitten Brot wegging, wurde mancherorts zum Ladenhüter. BMW steckte gnadenlos Geld in großzügige Garantieleistungen, klopfte einigen Zulieferern kräftig auf die Finger oder wechselte sie sogar aus und beseitigte damit die Kinder- krankheiten. Die Beschwerden in Sachen Touren- und Soziustaug- lichkeit ließen sich dagegen nicht ganz abstellen und hatten ihre Ursache wohl in der etwas verwöhnten BMW-Stammkundschaft. Ein Cruiser war für die in butterweichen Strich-Fünf-Erinnerungen schwelgenden Langstreckenfüchse nun mal ein völlig ungewohntes Konzept. Das Problem war nicht das Motorrad sondern die falsche Erwartungshaltung beim Kauf. BMW bemühte sich trotzdem um mehr Bequemlichkeit, montierte ab November 1998 ein komfortableres Federbein am Heck und nahm bequemere Sitzgelegenheiten für Fahrer und/oder Sozius ins Zubehörprogramm.

 

Seit dem Frühjahr 1999 buhlt nun die kleine Cruiser-Schwester R 850 C um Käufer, die nicht unbedingt 1200 Kubik und 61 PS zum Bummeln brauchen und ein paar Mark bei Anschaffung, Kfz-Steuer und Versicherung sparen wollen. Der exakt 848 ccm große Vierventil-Boxer stammt natürlich aus dem BMW-Baukasten und machte schon die R 850 R zur besten Wahl unter den BMW-Nacktboxern. Drehfreudig, kultiviert und mit 70 PS nicht gerade untermotorisiert war die 850er eine gute Alternative zur R 1100 R. Bei der Mo- tor-Transplantation in die R 850 C blieben 20 PS auf der Strecke, die Höchstleistung des Cruisers liegt dafür bereits bei 5250 U/min an, die R 850 R benötigt 7000 Umdrehungen. Vom Motor abgesehen sind R 850 C und R 1200 C völlig identisch. Die Preisliste für den kleinen Cruiser beginnt bei 23.800 Mark plus Überführung (480 Mark), die große Schwester kostet 1300 Mark mehr. Der geregelte Katalysator ist serienmäßig, das beliebte ABS kostet 1995 Mark extra. Seit Herbst 1999 gibt’s als Alternative zur bekannten Classic-Version auch ein Avantgarde-Modell. Die kostet auch nicht mehr, glänzt dafür aber deutlich weniger. Teile, die bei der Classic verchromt sind oder in Alusilber funkeln, sind bei der Avantgarde dezent in der neuen Farbe „Graphitan” (u.a. Gleitrohre der Vorderradgabel, Längslenker, Rahmen-Vorderteil und Rahmenheck) oder in Schwarz (Motorblock, Antriebsstrang) lackiert. Bei der Avantgarde ist zudem der Tourenlenker serienmäßig, ein Mittelding zwischen dem hohen Lenker der Classic und der flachen Stange aus dem wie immer gut und teuer sortierten Zubehörprogramm.
Am anfangs etwas ungewohnten Lenkgefühl ändert auch das neue Rohr nichts. BMW-Cruiser-Fahren ist für Neulinge eine Mischung aus Schubkarre-Schieben und Wünschelruten-Laufen. Einen Chokehebel sucht man am Lenker vergeblich. Gibt’s nicht, erledigt alles eine automatische Kaltstartanhebung. Und zwar perfekt, das Startverhalten ist kalt wie warm tadellos. Brems- und Kupplungshebel lassen sich je vierfach einstellen, die Fahrerfußrasten sind nicht zu weit vorn montiert, und die Sitzhöhe fällt mit 740 Millimetern angenehm niedrig aus. Passt alles. Sitzkissen und Lenkergriffe sind mit echtem Leder bezogen. Das sieht toll aus, wird von Jahr zu Jahr auch immer schöner, lässt Textilbekleidungs-Fans aber ins Rutschen kommen. Beim kräftig ausgeformten Sitzkissen stört das nicht großartig, bei den etwas wurstigen Griffen schon eher. Doch Abhilfe ist nah: Im BMW-Zubehörprogramm sind tolle Cruiser-Handschuhe aus Leder zu finden.
Die Instrumentierung des Cruisers ist – vorsichtig formuliert – übersichtlich. Einen Drehzahlmesser gibt’s nicht. Braucht man nicht. Sagt zumindest BMW. Braucht man doch. Sagt der bma -Redakteur; denn die Kurbelwelle muss kräftig rotieren, damit es flott voran geht. Doch dazu später mehr. Zurück zum Cockpit: Das Tachoblatt im Stil der 50er Jahre ist wunderschön, die integrierten Kontrolllampen für Öl und Sprit sind schön unauffällig. Doch was irgendwelche Hilfs-Designer rechts davon verbrochen haben, ist im wahrsten Sinne des Wortes voll daneben. Sieben willenlos hingeklatschte Kontrolllampen, die in einer plumpen Konsole stecken. Die Jawa TS 350 des Autors bot bereits anno 1985 etwas Vergleichbares. Naja, seien wir gnädig und weisen darauf hin, dass die Lampen auch tagsüber gut zu erkennen sind, dass Fern- und Abblendlicht sehr gut leuchten und dass seit dem Modelljahr 2000 eine automatische Blinkerrückstellung serienmäßig ist. Die Spiegel machen das, was sie sollen, Kupplungs- und Gasgriff benötigen nur geringe Bedienkräfte.
In Sachen Getriebe gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Wer zuletzt vor 20 Jahren BMW gefahren ist, wird sich über die relativ leichte Schaltbarkeit und nur selten auftretende Geräusche freuen. Die schlechte Nachricht: Wer moderne japanische oder britische Getriebe kennt, fragt sich, was die BMW-Ingenieure eigentlich die ganzen Jahre über gemacht haben. Der erste von fünf Gängen ist zudem viel zu lang übersetzt, Gangstufe vier und fünf dienen als Overdrive. Mit 17 Litern Superbenzin betankt wiegt die R 850 C 265 Kilogramm. Das hört sich viel an, ist in der Praxis aber kaum zu spüren; denn nun kommt die ganz große Stärke des Cruisers: die Handlichkeit. Die Fuhre mag aussehen wie Neuschwanstein auf Rädern, doch der Barockengel ist fahrwerkstechnisch ein Überflieger. Dank Telelever-Fahrwerk, bei dem Radführung und Radfederung getrennt voneinander arbeiten, sackt die Frontpartie auch beim schärfsten Bremsen nicht ein. 1650 Millimeter Radstand sind extrem lang – gut für netten Geradeauslauf. Dafür sind 86 Millimeter Nachlauf sehr kurz – gut für eine noch nettere Handlichkeit. Die R 850 C hat fahrwerksmäßig nichts Cruiserhaftes. Und das ist gut so, sie fährt sich wie ein völlig normales Motorrad.
Die aufrechte Herrenreiter-Sitzposition mag anfangs noch irritieren, übermäßig unbequem ist sie nicht. Für mehr oder weniger gesunde Härte sorgt allenfalls das hintere Zentralfederbein. Es soll ja schon die besagte Komfortversion sein, doch der Bursche ist immer noch ein ziemlich harter Hund. Egal: Soziusbrötchen als Rückenlehne hochgeklappt, Zähne zusammengebissen – und ab dafür. Auf die aufwendige Doppelgelenk-Einarmschwinge (Paralever) verzichtet BMW beim Cruiser übrigens. Da zwei Schalldämpfer verbaut werden, ist dafür kein Platz. Zum Einsatz kommt das einfachere Monolever. Doch der lange Arm ist 90 Millimeter länger als bei anderen BMW-Monolever-Konstruktionen üblich, und so hat auch bei dieser Bauweise das lästige Fahrstuhlfahren beim Beschleunigen und Gaswegnehmen keine Chance. Bleibt unterm Strich: Handlich, zielgenau, gut berechenbar, mit ABS über jeden Bremszweifel erhaben, vorn top, hinten etwas hart.
Und was ist mit dem Motor? Tja, sagen wir es mal so: Wenn Sie gemütlich über Landstraßen gondeln möchten, wenn Sie die innere Ruhe haben, sich nicht zu allzu zügigen Überholmanövern hinreißen zu lassen, wenn Sie nur selten mit großem Gepäck und fast nie zu zweit unterwegs sind – dann ist der 50-PS-Boxer keine schlechte Wahl. Wer vor 30 oder 40 Jahren von einer BMW träumte, kann sich mit der R 850 C den Traum endlich erfüllen und wird mit ihr wahrscheinlich auch auf Dauer glücklich. Rund 170 km/h rennt die R 850 C und beschleunigt in gut sechs Sekunden auf 100. Das könnte reichen.
Wer allerdings Fahrwerk, Bremsen und Schräglagenfreiheit etwas fordern möchte, wer Cruisen nicht mit Trödeln verwechselt, wer ein Motorrad grundsätzlich als Sportgerät begreift, der wird mit der zähen Leistungsabgabe und der unglücklichen Übersetzung auf Dauer nicht klar kommen. Die Gasannahme ist nicht besonders prall, im Schiebebetrieb ruckelt’s und zuckelt’s, und knapp sechs Liter Verbrauch bei moderater Fahrweise sind für einen Einspritzmotor auch keine Offenbarung. Der 850er-Motor hat bei der Drosselung arg an Temperament verloren.
Beim Kauf des kleinen Cruisers lassen sich 1300 Mark gegenüber der R 1200 C sparen. Das ist zu wenig Schmerzensgeld. Die 1200er ist die deutlich bessere BMW. Interessant wird es möglicherweise aber dann, wenn es die R 850 C im Angebot gibt. Die BMW-Händler lassen da möglicherweise mit sich reden.