aus bma 6/00

von Konstantin Winkler

BMW – das steht nicht nur für den blau-weißen Propeller am Tank und erzkonservative Boxermotoren. Das steht auch für revolutionäre Fahrwerkstechnik. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg waren es die Münchner, die vom Rohrrahmen zum U-Profil-Pressstahlrahmen übergingen. 1935 hatte dann die Blattfedergabel ausgedient. BMW baute als erster Motorradhersteller serienmäßig eine Teleskopgabel mit hydraulischen Stoßdämpfern in seine Fahrzeuge ein. Auch noch vor dem Krieg gab es die Teleskopfederung fürs Hinterrad, die bis Mitte der 50er Jahre beibehalten wurde. Danach waren die Schwingen modern und blieben es auch bis Ende der 60er Jahre.
Die nächste fahrwerkstechnische Sensation folgte im Jahr 1980 mit der R 80 G/S. Erstmals wurde bei einem geländegängigen Motorrad serienmäßig eine Einarmschwinge verwendet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Neben einer Gewichtsersparnis von zwei Kilo im Vergleich zur Doppelarmausführung ist sie auch um 30 % steifer. Und da der linke Schwingenarm fehlt, ist der Hinterradausbau eine Sache von Sekunden. Lediglich die drei Konusschrauben, mit denen das Rad am Kardanantrieb befestigt ist, müssen losgeschraubt werden.
Wenig revolutionär kommt der Motor daher. Sein Markenzeichen: die beiden Zylinder des Boxers, die voll im kühlenden Fahrtwind liegen. Und das schon seit 1923, als BMW die R 32 zu einem sportlichen und vor allem zuverlässigen Reisemotorrad machte. Aber was sich jahrzehntelang bewährt hat, ist noch lange nicht reif fürs Museum. So stößeln sie weiter, die antiquierten, langen Stangen im Motor der BMW R 80 G/S. Gegenüber der /7-Serie ist der 800 ccm große Boxermotor überarbeitet worden und verlor auch ordentlich an Masse. Fast drei Kilo weniger Gewicht allein bei den Zylindern. Die 84,4 mm breiten und 70,6 mm hohen Kolben laufen in Aluminium-Zylindern mit sogenannter Galnical-Beschichtung (Nickelschicht mit Siliciumkarbid-Teilchen). Neben der Gewichtsersparnis sollen auch Verschleiss und Ölverbrauch geringer sein als beim alten R 80/7-Motor.

 

Aufgrund der immer strengeren Abgas- und Geräuschvorschriften wurde auch der Luftfilter geändert. Ein Plattenluftfilter sowie zwei Rüssel verringern die Ansauggeräusche. Gleichzeitig wanderte der Chokehebel auf die linke Lenkerarmatur. Akrobatische Übungen während der Fahrt entfallen nunmehr. Man muss nicht mehr mit dem Kinn auf dem Tank unter dem linken Oberschenkel den Choke am Luftfiltergehäuse suchen.
Der Boxer dreht fröhlich hoch, und ehe sich Fahrer und Drehzahlmesser versehen, fangen die Ventile zu schnattern an, weil deren Federn nicht mehr mitkommen. Dann sind fast 7000 Umdrehungen erreicht; viel zu viel für den Motor. Man schaltet höchstens bei der halben Drehzahl in den nächsthöheren Gang und erfreut sich am satten Durchzug. Dabei lacht der BMW-Enthusiast über die Drehzahlorgien moderner fernöstlicher Triebwerke.
Nicht nur der Motor ist agiler als der der alten /7-Serie, auch das Fünfganggetriebe – fast japanisch leicht lässt es sich schalten. Vorbei sind die Zeiten, in denen vor dem Zurückschalten eine Gedenkminute an den Getriebehersteller eingelegt werden musste.
Auch für den Stillstand wartet die R 80 G/S mit einer Komplettausstattung auf: Haupt- und Seitenständer sind vorbildlich. Leider ist Letzterer aufpreispflichtig und nur zusammen mit den unbedingt erforderlichen Sturzbügeln erhältlich. Die Aufpreisliste erinnert an Mercedes. Accessoires, die bei anderen Herstellern serienmäßig sind, müssen extra geordert und natürlich bezahlt werden. Kickstarter, abschließbarer Tankdeckel, Handprotektoren, Gabelstabilisator, Gepäckträger, Koffer, Zusatzinstrumente sowie die bereits erwähnten Sturzbügel in Verbindung mit dem Seitenständer ließen den damaligen Einstandspreis von 8350 DM rasch um bis zu 20 % ansteigen.
Die Scheinwerfer-Instrumenten-Einheit ist zwar einfach und sinnvoll gestaltet, wenn auch nicht gerade schön oder originell. Das eigenwillige Design ließ bald die Spötter von der „Rohrpost” sprechen. Lediglich Tacho und fünf Kontrollleuchten sind Serie. Mit H4-Licht strahlt der 140-Millimeter-Scheinwerfer auch des Nachts ohne Vollmond mit ausreichender Lichtausbeute. Neu ist auch die Transistor-Zündanlage. Störungs- und wartungsfrei verrichtet sie stets ihren Dienst.
Das Fahren ist ein stressfreies Vergnügen. Wer auf einer BMW unterwegs ist, will nicht rasen, sondern bequem reisen. Die Sitzposition ist optimal und lässig zugleich. Die Füße stehen sicher auf den mit kleinen Zähnen bewehrten Stahl-Fußrasten. Da sie etwas nach hinten versetzt sind und geringfügig höher liegen, bleiben schmerzhafte Kontakte der Schienbeine mit den Vergasern aus.
Apropos Vergaser: Eine ab und zu auftretende Unregelmäßigkeit, das Lecken der Schwimmerkammer bei geöffnetem Benzinhahn, lässt sich ebenso einfach wie unkonventionell beheben: Ein Tritt mit dem Stiefel gegen den Bing-Vergaser genügt.
Ein Zentralfederbein stützt die Schwinge zum Rahmen hin ab und beschert dem Fahrer 170 mm Federweg, die hydraulisch gedämpfte Telegabel deren 200 mm. Das reicht fürs Gelände, wäre da nicht das Leergewicht von 196 Kilogramm (inkl. 20 Liter Normalbenzin). Deshalb beschränkt sich der Offroad-Einsatz auf mittlere Feldwege und Schotterstraßen. Exzellentes Handling und große Bodenfreiheit machten diese Enduro zum „besten Straßenmotorrad, das BMW jemals baute”, wie die Fachpresse 1980 urteilte.
Die R 80 G/S sieht langsamer aus, als sie tatsächlich ist. Knapp 170 km/h gibt das Werk für den 50 PS-starken Boxer an. Und die Praxis zeigt, dass das nicht nur graue Theorie ist.
Ein Sondermodell gab es auch. 600 Exemplare der R 80 G/S Paris-Dakar sind gebaut worden, anlässlich Gaston Rahiers Sieg bei der gleichnamigen Wüstenrallye. Besondere Merkmale der damals 10.600 DM teuren BMW: 32 Liter-Tank mit dem (auflackierten) Autogramm des zweimaligen Paris-Dakar-Siegers, roter Einzelsitz mit großer Gepäckbrücke, verchromter Schalldämpfer, Gabelstabilisator, Seitenständer, Sturzbügel sowie grobstollige Michelin T 61-Reifen. Das alles ließ das fahrfertige Gewicht des Wüstenschiffes auf 202 Kilo ansteigen. Zum Nachrüsten einer serienmäßigen G/S waren die Anbauteile als Kit zum Preis von 1181,50 DM erhältlich.
Völlig unproblematisch ist die R 80 G/S sowohl im Alltagsbetrieb als auch während längerer Urlaubstouren; beschlagene Instrumente und korrosionsfreudiger Auspufftopf – mehr Negatives fällt mir nicht ein.
Der Motor ist zwar nicht der allerspritzigste, kann dafür aber als „unkaputtbar” gelten. Ob auf der Autobahn zwischen Hamburg und München oder auf einer Wellblechpiste zwischen Algier und Tamanrasset, der Boxer macht so gut wie alles mit. Und der Fahrer sowieso. Doch wehe, wenn der Weg ans Ende der Welt doch mal zu holprig wird. Dann wird klar, dass die R 80 G/S nichts anderes ist als ein Tourer im Enduro-Kostüm, und das einzig geländetaugliche die Handprotektoren sind.
Wenn man regelmäßig Öl samt Filter wechselt (alle 7500 km), mindestens doppelt so oft wie vom Werk vorgeschrieben das Ventilspiel kontrolliert (d.h. alle 3500 km) und den Motor sachte warm fährt, sind Laufleistungen von 100.000 Kilometern und mehr ohne ernsthafte Probleme drin.
Noch fernreisetauglicher sind die Paralever-Boxer R 80 GS und R 100 GS (ohne Schrägstrich!). Nicht umsonst ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es sich um eine geländetaugliche BMW handelt, wenn einem im Vorderen Orient oder hintersten Afrika ein Motorrad entgegenkommt.