aus bma 11/96

Von Klaus Herder

Wann wird ein Spielzeug für Kinder ganz besonders interessant? Genau – wenn man es ihm wegnimmt. Auto- und Motorradfahrer reagieren genauso wie Kinder. Das beste Beispiel aus dem Vierradbereich ist der Porsche 911: x-mal totgesagt, immer wieder auferstanden und heute das Modell im Programm der Stuttgarter Sportwagenbauer, mit dem richtig Geld verdient wird. Bei den Zweirädern schafft es BMW in schöner Regelmäßigkeit, bei der Kundschaft Torschlußpanik zu verursachen und sie in Kaufrausch zu versetzen. So feiert in diesem Jahr der klassische Zweiventil-Boxer mal wieder seinen Abschied. Hießen die „definitiv letzten” Modelle in den vergangenen Jahren noch „Mystik” und „Classic”, so ist es diesmal die „Basic”, die den Job des Rausschmeißers übernommen hat. BMW spricht von einer „letzten Zugabe”, und vielleicht haben die Bayern diesmal ja tatsächlich Recht und es wird nach der Basic nie wieder einen fabrikneuen Boxer-Oldie geben. Im Gegensatz zum 911er braucht der BMW-Senior nämlich nicht mehr unbedingt das große Geld verdienen. Das erledigt seit geraumer Zeit der Vierventil-Boxer zur vollsten Zufriedenheit der weiß-blauen Motorradbauer.
Die Wahrscheinlichkeit, daß nach der Basic nichts altes mehr kommen wird, ist hoch. Lästermäuler behaupten, daß man das der Basic auch ansieht. Die alpinweiß lackierte Enduro wirkt nämlich ein wenig wie ein Resteverwerter. Sie ist ein wilder Mix von Baugruppen aus den unterschiedlichsten Boxer-Baujahren. Ob der Grund dafür eine Ausmistaktion im Ersatzteilelager oder doch eher der wohlüberlegte Griff in den Boxer-Baukasten war, ist eigentlich egal. Tatsache ist, daß die Bayern mit der R 80 GS Basic ein Modell gestrickt haben, das wunderbar die Lücke zwischen der F 650 und der R 1100 GS schließt.

 

Technisch entspricht sie im wesentlichen der bis 1994 gebauten R 80 GS. Ihr 798 ccm-Motor leistet also immer noch 50 PS bei 6500 U/min. Das Fahrwerk ist ebenfalls auf dem letzten Stand der Zweiventilboxer-Technik: an der Hinterhand wird das seit 1988 bekannte Paralever-System verbaut, umgangssprachlich „Knickknack-Schwinge” genannt. Vorn kommt eine konventionelle Marzocchi-Telegabel mit 40 Millimetern Standrohrdurchmesser zum Einsatz. Die bewährten Kreuzspeichenräder machen den Speichenwechsel ohne Demontage des Reifens möglich und sind für schlauchlose Radialreifen geeignet. Als Erstausstattung montiert BMW allerdings die Bridgestone TW 47/48 mit Schlauch.
Ganz weit hinten im Lager entdeckten die Basic-Macher einige Anbauteile. So stammt zum Beispiel der 19,5 Liter fassende Stahlblechtank vom Uralt-Gerät ST 80. Diese Maschine war von 1982 bis 1984 im BMW-Programm zu finden. Noch etwas älter ist das kleine Instrumenten-Scheinwerfer-Cockpit der Basic. Der Fachmann tippt sofort auf den Urahn aller Boxer-Enduros, die R 80 G/S, Baujahr 1980, und liegt damit goldrichtig. Darf es vielleicht noch etwas älteres sein? Es darf, und zwar in Form der wunderbar runden Ventildeckel. Die passende Boxer-Baureihe führte den Zusatz „Strich-Fünf”, das Jahr der Erstveröffentlichung war 1969.
Zur Ehrenrettung der BMW-Techniker sei aber verraten, daß sie sich nicht nur aufs Zusammenstecken bekannter Teile beschränkten. So wurde die schwarze Sitzbank und das Heckteil des satorinblauen Rahmens kräftig überarbeitet und als Federbein kommt erstmalig in der BMW-Geschichte ein voll einstellbares Teil von White Power zum Einsatz. Für das ruhige Umweltgewissen sorgt das serienmäßige Sekundärluftsystem (SLS). Das Anlassen funktioniert in alter Boxer-Tradition: nie beim ersten, aber immer beim zweiten Druck aufs Knöpfchen. Die Armaturen entsprechen denen der K-Baureihe und der Vierventil-Boxer, der Chokehebel sitzt also lenkerfest links. BMW-Unkundige lassen sich vielleicht noch durch die ungewöhnliche Blinkerbetätigung verwirren – linker Blinker mit linkem Knopf, rechter Blinker mit rechtem Knopf, Rückstellung für beide rechts unten – werden ansonsten aber nicht überfordert. Die Informationsflut bschränkt sich nämlich auf die Angabe der Geschwindigkeit. Fünf Kontrolleuchten und ein Tageskilometerzähler vervollständigen das Cockpit. Wer sich für die Drehzahl oder die Uhrzeit interessiert, bekommt passende Zubehörinstrumente für 253 bzw. 190 Mark.
Der mittlerweile warmgewordene Boxer rüttelt und schüttelt sich nach Herzenslust. Aus der Edelstahl-Auspuffanlage entweicht kerniges Grummeln. Mit steigender Drehzahl läuft der Zweizylinder immer ruhiger, doch allzu schnell muß die Kurbelwelle gar nicht rotieren, um fahrfertige 209 Kilogramm in Schwung zu bringen. Punkte auf der Tachoskala geben zwar vor, bis zu welcher Geschwindigkeit jeder Gang ausgedreht werden darf, doch die Werte sind eher theoretischer Natur. In der Praxis wird bereits der Stadtverkehr im fünften und letzten Gang locker bewältigt, ohne daß zu sehr mit der Trockenkupplung gezaubert werden muß. Die Basic ist extrem schaltfaul zu fahren und gibt sich wunderbar durchzugsstark. Dabei ist ihr maximales Drehmoment von 61 Nm gar nicht mal rekordverdächtig, viel eindrucksvoller ist, daß es bereits bei 3750 U/min anliegt.
Das Getriebe ist goldrichtig gestuft, Japaner-Verwöhnte werden sich allerdings über die langen Schaltwege mokieren. Daß sich die Schaltbox nur geräuschvoll betätigen läßt, ist ein Ammenmärchen. Wer mit etwas Feingefühl und Geduld zu Werke geht, schaltet ohne Krachen.
Es gibt aber auch Vorurteile über Boxer-Enduros, die stimmen. So zum Beispiel das über die mäßige Bremsleistung am Vorderrad. „Mäßig” ist allerdings noch untertrieben. „Lausig” trifft die Wirkung der von Brembo stammenden Anlage schon eher. Der Zweikolbensattel nimmt die 285-Millimeter-Scheibe erst dann in die Zange, wenn der Handhebel gnadenlos gewürgt wird. Erlaubt sich der Basic-Fahrer die Dreistigkeit und verzögert mehrmals heftig hintereinander, geht der Druckpunkt auf Wanderschaft und die Bremswirkung flöten. Diese Bremse war schon vor zehn Jahren nicht so sehr prall, heute ist sie eine Frechheit. Besonders, wenn man sieht, welch gute Anlagen BMW an anderen Modellen verbaut. Hier wurde am falschen Ende gespart.
Stichwort Sparen: Ein weiterer erheblicher Klopfer ist, daß an diesem 15.959 Mark teuren Motorrad noch nicht einmal ein Seitenständer serienmäßig ist. Erschwerend kommt dann auch noch hinzu, daß der Hauptständer so bescheiden übersetzt ist, daß jedes Aufbocken zum Kraftakt wird.
Die dringend zu empfehlende Seitenstütze gibt es zusammen mit Zylinderschutzbügeln gegen 285,- Mark Aufpreis.
Genug geärgert, wenden wir uns erfreulicheren Dingen zu – zum Beispiel dem Landstraßenbetrieb. Das Motto lautet: je Kurve, desto Spaß. Die Basic läßt sich mit einer solchen Leichtigkeit um Biegungen aller Art schwenken, daß es die reine Lust ist. Der tiefe Schwerpunkt, die schmale Bereifung (90/90-21 vorn, 130/80-17 hinten), der durchzugsstarke Motor und die aufrechte und entspannte Sitzposition sorgen dafür, daß mächtig viel Fahrspaß aufkommt. Dabei ist nicht unbedingt Kurvenräubern angesagt (siehe Kapitel „Bremse vorn”), sondern ein fließender, schwingender Fahrstil. Ob dabei ein Sozius mit an Bord ist oder nicht, spielt keine Rolle. Platz ist genug vorhanden und die Unterbringung mindestens so komfortabel wie die des Fahrers. Das zusätzliche Gewicht ist kaum zu spüren.
Da der norddeutsche aber meistens einige Kilometer Anfahrtstrecke hat, um in kurvenreichere Regionen zu kommen, ist es auch durchaus von Bedeutung, wie sich die Basic auf der Autobahn verhält. Um es kurz zu machen: korrekt. Bei Tacho 180 ist Schicht und der Wind- und Wetterschutz ist mangels großflächiger Verschalung so gut wie nicht vorhanden. Das hat aber auch durchaus sein Gutes, denn der Geradeauslauf ist auch bei Höchstgeschwingdigkeit noch akzeptabel und Pendeln nur im Ansatz vorhanden.
Und was ist im Gelände? Nichts neues, die Basic ist in alter GS-Tradition für Schotterpisten sehr gut, für leichtes Gelände bedingt und für schweres Terrain überhaupt nicht geeignet.
Die GS-Baureihe bot immer schon passende Beförderungsmittel für Fernreisende. Daran ändert auch die BMW R 80 GS Basic nichts. Doch vielleicht erschließt sich der Oldie noch eine weitere Zielgruppe: die der Sammler und Jäger. Es könnte ja schließlich die letzte sein.