aus bma 12/05

von Karl-Heinz Ossenkopp

Der 18.05.1953 war für Zimmermeister Johann Büsing aus Bremerhaven wohl ein freudiger Tag. An diesem Tag übernahm er ein Motorrad mit Seitenwagen von der Motorrad-Zentrale Bremerhaven/Lehe, Inhaber Joh. Meyer.
Das Motorrad, eine BMW R51/3 mit BMW Schwingachs-Seitenwagen „Spezial” der Firma Royal, verließ am 28.04.1953 das BMW-Werk in München-Milbertshofen in Richtung Bremerhaven/Lehe. 3050 DM für das Motorrad und 895 DM für den Seitenwagen mußte der Zimmermeister dafür berappen.
BMW R 51/3: Sie löste 1951 die R51/2 ab und war vom Motor her gesehen eine Neukonstuktion. Die Nockenwellen wurden jetzt durch Stirnräder angetrieben anstatt durch eine Kette. Sie bekam eine Magnetzündung statt einer Batteriezündung. Die Lichtmaschine verschwand hinter den Motorstirndeckel und war nicht mehr wie ein Geschwür auf dem Motor befestigt. Sie hatte wahnsinnige 24 PS bei 5100 U/min. Das Getriebe und der Kardanantrieb wurden weitesgehend vom Vorgängermodell übernommen. Das Erfolgsmodell von BMW nach dem Krieg. 18.420 Stück wurden davon verkauft. Nur wenige wurden ab Werk mit dem Schwingachs-Seitenwagen „Spezial” ausgeliefert. Eigentlich hatte BMW die R 67/2 dafür im Programm. Der Beiwagen war eine BMW-Konstruktion und wurde von der Firma Steib in Nürnberg gebaut. Kurze Zeit stellte auch die Münchener Firma Royal den Beiwagen her. Ein Royal-Beiwagen, vom Typ 284/2 Baujahr 1952, wurde auch an Meister Büsing’s Maschine montiert. Er hatte Lederpolsterung mit stabilem Federkern, Gepäckträger mit Reserverad und aufklappbaren Windschutz. Einen weiteren Vorteil gab es, wenn seinerzeit ein Gespann ab Werk ausgeliefert wurde: Die Übersetzung im Kardanantrieb wurde dem Mehrgewicht angepasst, nämlich 35:8 anstatt 35:9 bei Solomaschinen.
Vier Jahre später. Onkel Otto freut sich. Mein Großonkel Otto hatte Streß mit seiner Frau Hilde. Vor längerer Zeit war er kurzerhand bei Hildes Schwester eingezogen. Um Otto wieder für sich gewinnen zu können schenkte sie ihm die BMW mit Beiwagen vom Meister Büsing. Der hatte mittlerweile genug Geld um sich einen PKW zu kaufen. Am 26.04.1957 wurde das Gespann auf Ottos Namen angemeldet. Otto war Dreher bei einer Werft in Bremerhaven und besaß nur den Führerschein der Klasse 1. Viele Urlaubsfahrten wurden unternommen. Meistens wurde das Gespann im Winter abgemeldet. Am 6.12.1971, Otto war mittlerweile 67 Jahre alt, meldete er das Krad endgültig ab. Er stellte es in seinen Schuppen, und es wurde von da an nur ab und zu mal angekickt.

 

Irgendwann, es muß Mitte der 70er Jahre gewesen sein, ich war so um die 10 Jahre alt und mit meinem Eltern bei Otto und Hilde zu Besuch, sah ich die BMW das erste Mal. Otto ließ sie extra für uns laufen. 15 Jahre später. Freitag, der 13.04.1990. Ich durfte mich freuen. Onkel Otto schenkte mir die BMW. Ziemlich komplett, aber in sehr schlechtem Zustand. Er stellte aber eine Bedingung, die ich auch leicht erfüllen konnte. Ich mußte ihm versprechen das Gespann nicht zu verkaufen. Das fiel mir nicht schwer. Mein Vater und ich hatten schon Mühe das Gespann aus dem vollgestopften Schuppen zu bekommen. So manches Gewächs mußte dran glauben um das Motorrad vom Grundstück zu schaffen. Nach mehreren Stunden war alles auf dem Anhänger verladen. Kurz vor der Abfahrt übergab Otto mir noch den originalen Brief und das Handbuch. Man merkte schon, daß er, als er das Gepann auf dem Hänger sah, doch recht geknickt war. Ca. 200.000 km hatte er mit dem Krad zurückgelegt. So etwas verbindet.
Keine 500 Meter weiter, an einer Ampel, wurden wir schon angesprochen, ob wir nicht das Gespann verkaufen wollten. Zuhause angekommen wurde erst einmal alles begutachtet. Gerne hätte ich das Motorrad nur technisch überholt, mit einer fetten Schicht Patina. Leider war das nicht möglich. Alle drei Kotflügel waren an den Haltepunkten bzw. an den Kabelkanälen durchgerostet. Die Oberfläche vom Beiwagen hatte große Rostnarben. Sämtliche Chromteile, Speichen, Lenker und Hebel waren mit einer dicken Rostschicht überzogen. Otto hatte das Gespann halt nur in den Schuppen gestellt und nicht richtig eingemottet. Es waren häßliche Auspufftüten aus dem Zubehörhandel mit massiver selbst gebauter Adapterplatte montiert. Dicke runde Blinker und ein LKW-Rücklicht waren ans Motorrad geschraubt. Die Sitzpolster vom Beiwagen waren nicht vorhanden.
Schnell wurde klar, daß eigentlich nur eine komplette Restaurierung Sinn machte. Ich begann mit dem Zerlegen. Beim Ablassen der Öle mußte ich feststellen, daß sich eine Menge Wasser im Getriebe angesammelt hatte. Also mußte das Getriebe auch komplett überholt werden. In den nächsten Wochen und Monaten war ich damit beschäftigt, die demontierten Teile instand zu setzen. Die Speichen kniff ich aus den Felgen raus und ließ nach der Lackierung von Felge und Nabe Speichen aus Edelstahl einbauen. Sämtliche Teile, die mal verchromt waren, wurden erneut verchromt. Einige Teile wurden zur Reparatur auch eingeschickt, wie beispielsweise der Tacho, der Benzinhahn und die Gabelstandrohre. Diese waren durch einen Unfall, den Otto selbst verursacht hatte, ziemlich stark verformt und wurden in einem Fachbetrieb gerichtet. Da ich größten Wert auf Originalität lege, wurde alles, was irgendwie noch brauchbar und original war, auch wiederverwendet.
Die Durchrostungen an den Schutzblechen wurden großflächig beseitigt, neue Bleche eingeschweißt und anschließend verzinnt. Später wurden sie, wie auch Tank und Kleinteile, zum Lackierer gegeben. Dort konnte man auch die Linierung originalgetreu mit der Hand ziehen. Durch einen glücklichen Zufall bekam ich eine originale Reparaturanleitung, die ich mir kopieren konnte. Diese Anleitung hat mir bei der kompletten Restauration einige Male sehr geholfen.
Am Motor erneuerte ich die Kolben. Die Zylinder bekamen eine Übergröße. Die Auspuffgewinde an den beiden Zylinderköpfen, die Ventile und Ventilschaftdichtungen wurden ebenfalls erneuert. Den Motor habe ich bis heute nicht wieder geöffnet. Das Getriebe hingegen zerlegte ich komplett. Alle Lager mußten erneuert werden. Die Zahnräder aber sahen noch sehr gut aus. Die Kupplung erneuerte ich auch. Diese hatte schon tiefe Risse im Reibbelag.
Die Vergaser wurden zerlegt und gereinigt. Auch dort mußten diverse Teile gewechselt werden, wie z.B. Schwimmernadeln und Gegenstücke, die ins Schwimmergehäusedeckel gepreßt sind. Ein Schwimmer hatte ein Loch und eine Deckelverschraubung für den Gasschieber war defekt. Natürlich mußten auch die Gaszüge, wie auch Bremszug und Kupplungszug, getauscht werden. Sämtliche Dichtungen wurden ebenfalls erneuert.
Die Elektrik war komplett marode. Den Kabelbaum konnte ich anhand der Reparaturanleitung selber herstellen. So besonders umfangreich war diese Arbeit ja nicht, da als Verbraucher nur das Licht und die Hupe zu berücksichtigen waren. Zündspule, Kohlen und die Lichtmaschinenwicklungen mußten genauso gewechselt werden wie der Lichtmaschinenanker. Den Regler, ein mechanisches Exemplar, konnte ich mit einem Bekannten wieder neu wickeln. Ein neuer, elektonischer Regler kam für mich wegen meines Originalitäts-Ticks nicht in Frage. An der vorderen Duplexbremse und an der hinteren Simplexbremse wechselte ich die Beläge. Die Trommel sahen noch recht gut aus. Das Motorrad hat noch die sogenannten Halbnaben. Erst 1954 wurde die 51/3 mit den wesentlich größeren Vollnaben ausgestattet. Trotzdem ist die Bremsleistung recht gut.
Ich hatte mich erst einmal auf das Motorrad konzentriert. Der Beiwagen sollte später restauriert werden. So konnte ich am 15.10.1991 mit dem Krad zum Baurat fahren. Ohne Beanstandung bekam ich die Plakette.
Wenige Wochen vor den Besuch beim Baurat sah Otto noch einmal seine Maschine. Sie war zwar noch nicht komplett fertig, aber sie lief. Als er sie mir schenkte, dachte er, man bräuchte am Motorrad nur die Öle zu wechseln und tanken. Er war schon sehr erstaunt, als ich ihm kurz aufzählte, was ich alles am Motorrad instand setzen mußte. Kurze Zeit später starb er. Leider konnte er das Gespann im komplett fahrbereiten Zustand nicht mehr sehen.
In den folgenden Monaten beschäftigte ich mich mit dem Beiwagen. Die fehlenden Polster hatte ich noch von Otto bekommen. Er fand sie, kurz nachdem er mir das Motorrad gab, noch auf seinem Dachboden. Das Boot, den Rahmen und das Schutzblech gab ich zum Lackierer.
Am 22.7.1993 fuhr ich dann das erste Mal mit dem Gespann zum TÜV. Auch diesmal bekam ich sofort die Eintragung. Endlich konnte ich Gespann fahren. Die Ernüchterung kam aber schnell. Bei einer längeren Fahrt brachen mir im Hinterrad in kürzester Zeit fünf Speichen. Es stellte sich heraus, daß die Firma, die mir die Felgen einspeicht, zu dünne Speichen eingebaut hatte. Leider war der Einbau der Speichen schon über zwei Jahre her. So bot man mir zwar an, alles nochmals kostenlos einzuspeichen, allerdings sollte ich die neuen, dickeren Speichen bezahlen. Zähneknirschend willigte ich ein.
Die Räder sind übrigens alle miteinander austauschbar. Alle Naben besitzen eine Verzahnung für den Hinterradantrieb. Die Bremsen haben auch den gleichen Durchmesser. Es gibt auch noch andere Nettigkeiten an dem Krad. So braucht man bei einem Vorderradwechsel nur die Halterung vom Schutzblech herunter zu klappen, und schon hat man eine perfekte Abstützung. Das hintere Ende vom Hinterradschutzblech läßt sich für einen Reifenwechsel hochklappen. Auch das Beiwagenschutzblech läßt sich für den Fall der Fälle durch lösen einer Schraube leicht nach hinten klappen.
Über 12 Jahre fahr ich jetzt schon mit dem Gespann durch die Gegend. Mehrere tausend Kilometer spulte es zuverlässig ab. Auch an einigen Rallyes wurde teilgenommen. Es ist schon ein uriges Gefühl, so ein altes Motorrad zu bewegen. Die Federung ist ziemlich hart, der Schwingsattel ist es eigentlich, der die meisten Stöße abfängt. Außerdem ist das Krad für einen normal gewachsenen Mitteleuropäer recht klein, die Sitzhöhe beträgt gerade mal 72 cm. Selber mit der Hand „blinken” muß man auch. Und dann die 24 PS bei 310 kg Leergewicht, da braucht man keine Angst zu haben, daß man beim Beschleunigen lange Arme bekommt.
Für den täglichen Gebrauch ist es natürlich nicht geeignet. Nie habe ich mir notiert, wie viele Stunden und wie viel Geld die Restauration gekostet hat. Mir ist aber klar, daß die Kosten höher waren als der Marktwert des Gespanns. Trotzdem denke ich, daß sich die Arbeit gelohnt hat. Eins steht aber fest, egal was kommt, mein Versprechen werde ich auf jeden Fall halten.