aus bma 5/00

von Konstantin Winkler

Es war mal wieder so weit. Steigende Temperaturen signalisierten, dass nicht nur der Frühling, sondern auch die nächste Motorradsaison vor der Tür stand. Da musste mal wieder eine neue, treue Begleiterin her. Und zwar nicht nur für die tagtägliche Fahrt zur Arbeit, sondern auch für Wochenendtrips und Urlaubstouren mit Gepäck. Exklusiv sollte sie natürlich auch sein, anders als die anderen und nicht an jeder Straßenecke zu sehen sein. Die Wahl fiel auf eine BMW R 50, Baujahr 1955.
Mit diesem Motorrad führte BMW damals eine neue Fahrwerkstechnologie ein. Das Vorderrad wurde von einer geschobenen Langarmschwinge mit zwei Federbeinen geführt, während hinten die bis dahin eingesetzte Geradewegfederung durch eine Schwinge ersetzt wurde. Die beiden Federbeine sind nicht nur ölgedämpft, sondern auch in zwei Stufen verstellbar. Damit war die R 50 die erste zweirädrige Bajuwarin mit dem sogenannten Vollschwingenfahrwerk. Sie löste 1955 die teleskopgefederte R 51/3 nach über 18.000 gebauten Exemplaren ab. Der Motor holt 26 PS bei 5800 U/min aus einem halben Liter Hubraum. Das war Mitte der 50er Jahre eine stolze Leistung – der Käfer hatte ein PS weniger. Trotzdem, das Triebwerk war nichts anderes als ein leicht modifizierter und um zwei Pferdestärken erstarkter R 51/3-Motor. Warum sollte man auch etwas verändern, was sich jahrelang bewährt hatte? Dreifach gelagerte Kurbelwelle, über Stirnräder ange- triebene Ölpumpe und Nockenwelle sowie ellenlange Stoßstangen zu den Kipphebeln – alles altbekannt. Vibrationen? Fehlanzeige! Ein gegenläufiger Zweizylinder-Boxermotor (beide Kolben erreichen gleichzeitig den oberen Totpunkt) hat den günstigsten Massenausgleich.

 

Die R 50 wurde nach persönlichem Geschmack mit sportlichen, zeitgenössischen Extras aufgewertet. Das Ergebnis war ein Café-Racer, der Stilelemente der 50er, 60er und auch 70er Jahre in sich vereint. Als erstes wichen die Schwingsättel einer üppig dimensionierten und ebenso gepolsterten „Schorsch Meier-Sitzbank” und der 17 Liter-Originaltank wurde gegen einen der Marke „Hoske” ausgetauscht, mit 23 Litern Inhalt, schwarz lackiert mit weißen Zierlinien und mit oben im Tank eingelassenem Werkzeugkasten.
Um noch mehr Sportlichkeit zu demonstrieren, wurden eine MBV-Vollverkleidung sowie Stummellenker montiert. Damit sah die alte BMW mindestens doppelt so schnell aus, wie sie tatsächlich war. Besonders von vorne. Zwei riesige Aussparungen, die die Zylinder und Zylinderköpfe mit kühlendem Fahrtwind versorgen, wecken Assoziationen an ein Düsentriebwerk. Während die R 50 im Originalzustand Tempo 140 schaffte, waren es jetzt – Aerodynamik sei Dank – 15 km/h mehr. Spektakulär – damals wie heute – das ausladende Kunststoffkleid. Zudem erfreut eine Lackierung in silber-cristallic Fahrer und Betrachter. Das Cockpit Marke „Wurlitzer Wahn” – der Begriff Armaturenbrett wäre sicherlich zutreffender – glänzt nicht nur durch Chrom, sondern auch durch Funktionalität. Neben Rundinstrumenten für Drehzahl, Öltemperatur und Ampere gibt es auch Kontrollleuchten für Leerlauf, Batterie, Blinker und Fernlicht. Das Zündschloss ist ebenso integriert wie der Tacho. Letzterer ist das einzige hier verbaute original R 50-Teil.
Durch die Verkleidung und die Vorderradschwinge ist die BMW recht kopflastig geworden. Aufgebockt bekommt man das Vorderrad kaum hoch. Auch beim Fahren macht sich das zeitweise unangenehm bemerkbar. Auf langen Wellen schaukelt es spürbar nach – ein Fahrgefühl wie bei „Sumosänften” Marke Gold Wing. Gefährlich werden dagegen Kurven, wenn die Lenkung in Pendelbewegung gerät. Dann hilft nur noch Lenker festhalten, beten und bremsen. Optisch sieht die BMW aus, als sei sie für Kurven gebaut; besser fährt sie sich jedoch auf den Geraden dazwischen.
Die R 50 ist nicht nur moderner und komfortabler als die R 51/3, sie wirkt auch optisch viel schwerfälliger, selbst im Originalzustand. Mit 195 Kilo Leergewicht ist sie aber nur fünf Kilo schwerer als ihre Vorgängerin. Im hier beschriebenen „Café-Racer-Zustand” summieren sich die Kilogramm jedoch auf 225.
Zu jenen Zeiten, in denen die O-Ring-Kette noch unbekannt war, liebten Motorradfahrer den wartungs- armen Kardanantrieb. Und diese bayerische Liebe besteht nun schon seit 1923, als die R 32 das Licht der Motorradwelt erblickte. Via Kardan gelangen bei der R 50 die 26 PS ans Hinterrad, das, wie schon erwähnt, von einer Zweiarmschwinge geführt wird. In selbiger laufen rechts die Kardanwelle und das Kreuzgelenk, schön gekapselt im Ölbad. Damit ist auch die Hardyscheibe überflüssig geworden, die bei der R 51/3 noch zwischen Getriebeausgang und Kar-danwelle saß.
Das Vierganggetriebe ist eine Neukonstruktion. Der Hilfsschalthebel, der bei der Vorgängerin die rechte Gehäuseseite zierte und ein Relikt aus der Vorkriegszeit war, wurde ersatzlos gestrichen. Verbessert hat sich auch die Schaltbarkeit. Trotzdem – lautloses Runterschalten in den dritten und vor allem in den zweiten und ersten Gang setzt zartes Einfühlungsvermögen in die altertümliche Mechanik voraus. Besonders beim BMW-Neuling heißt es dann des öfteren: „Lass‘ krachen, Amigo”. Aber die Zahnräder und Schaltklauen sind äußerst robust und scheinen für die Ewigkeit gebaut zu sein.
Die Bremsen liefern für ein über vierzig Jahre altes Motorrad hervorragende Verzögerungswerte. Die vordere Duplex-Trommelbremse, die eine penible Einstellung verlangt, und die hintere Simplex-Trommelbremse machen selbst nach längeren Pass-Abfahrten nicht schlapp. Auch der Boxermotor mit seiner gewaltigen Schwungmasse bremst ordentlich mit.
Bei einer Urlaubstour durch die Alpen sowie Wochenendtrips nach Skandinavien und in die Benelux-Länder hat die BMW ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt. Und ihre Wirtschaftlichkeit: Der Ölverbrauch lag unter einem viertel Liter pro 1000 Kilometer. Ebenso sparsam der Konsum an Normalbenzin: nur 4,5 Liter flossen im Durchschnitt durch die beiden Bing-Vergaser. In Verbindung mit dem großen Tank ergab das eine stolze Reichweite von 500 Kilometern.
Ein paar Unzulänglichkeiten gibt es natürlich auch. So ist die Mitnehmerverzahnung im Hinterrad eine typische Schwachstelle. Forsche Fahrweise, trockener Zusammenbau (immer einfetten, aber nicht zuviel, sonst läuft auch die Trommelbremse „wie geschmiert”) und materialmordenden Gespannbetrieb „dankt” die Keilverzahnung dann bald mit Kapitulation und Zahnausfall. Ein anderes Manko ist die Lichtausbeute der 6 V-Biluxbirne: sie ist eher dürftig und vor allem in längeren unbeleuchteten Tunneln nicht unproblematisch. Bei überwiegendem Kurzstreckenbetrieb sind die beiden zigarrenförmigen Schalldämpfer nicht von allzu langer Lebensdauer: sie rosten durch – und zwar von innen nach außen; preiswerten Ersatz gibt es als Nachbau. Oder, nicht ganz legal aber soundmäßig hochinteressant, 2 in 2- oder 2 in 4-Hoske-Rohre.
Als nahezu „unkaputtbar” darf der niedrig belastete Zweiventil-Boxer gelten. Bei ordentlicher Behandlung hält er ewig. Zudem ist er recht pflegeleicht. Alle 1500 Kilometer Motoröl wechseln und Ventilspiel kontrollieren, das war’s.
44.000 Kilometer haben wir in sieben Jahren pannenfrei zurückgelegt. Die einzige größere Reparatur war der Wechsel der Einscheiben-Trockenkupplung, der sich als sehr umständlich erwies. Hinterrad, Schutzblech, Sitzbank, Schwinge und Getriebe mussten dazu ausgebaut werden. Außerdem war zum Ausbau der Schwinge und der Kupplung noch Spezialwerkzeug nötig.
Schließlich trennten sich unsere Wege. Die erste Amtshandlung des neuen Besitzers war es, die Verkleidung abzubauen und das Motorrad wieder in seinen Originalzustand zu versetzen. Eigentlich schade drum, dass jetzt ein Unikat weniger auf unseren Straßen unterwegs ist. Aber das nächste Projekt steht schon in der Garage und wartet sehnsüchtig auf seine Wiederbelebung.