aus bma 06/02

von Konstantin Winkler

In der heutigen Zeit ist es gar nicht so einfach, anders zu sein als andere und bloß nicht das Langweilige und Alltägliche zu verkörpern. Bunte Joghurtbecher, verchromte Harleys und sogar vergoldete Gold Wings sieht man inzwischen an fast jeder Eisdiele. Diese BMW jedoch nicht, sie ist einmalig, allein schon wegen der nicht orginalen Lackierung (Rot statt Schwarz).
Das Motorrad ist zwar formschön und faszinierend, aber nicht überdurchschnittlich und auch kein Geniestreich. Zu viele Elemente der Vorkriegszeit finden wir hier noch vor, teilweise unverändert, teilweise modifiziert. Dafür ist die R 25/2 aber anspruchslos, wirtschaftlich – und vor allem zuverlässig. Sie präsentiert sich nicht makellos, sondern mit jener charmanten Patina, die nur aus jahrelangem, schonenden Gebrauch erwachsen kann. Ein Oldtimer für den Alltag.
Es ist egal wie oft der Kilometerzähler schon seine Runden gedreht hat, dieses Motorrad fährt immer. Zwar nicht allzu schnell, dafür lehrt es seinen Besitzer jeden Tag aufs neue die alte elementare Erkenntnis: Und es bewegt sich doch. Ob die Reise zur nächsten Eisdiele oder an die Ostsee führt, die BMW trägt solche Aufgaben mit der Gelassenheit eines genügsamen Wüstenschiffs. Allerdings sind Komfort und Tempo auch mit selbigem vergleichbar.

 

1950 enstand aus der R 24 die R 25 und ein Jahr später die fast identische R 25/2. Der entscheidende Fortschritt war das Fahrwerk. Der Doppel-Stahlrohr-Rahmen war nun verschweißt, während er bei der R 24 noch verschraubt war. Ein Sattelstützrohr und eine Blechtraverse zwischen den Oberrohren sorgten für vorbildliche Verwindungsteifheit, so dass auch ohne weitere Fahrwerksänderungen ein Seitenwagen angebaut werden konnte. Zwei Kugelköpfe waren serienmäßig bereits vorhanden, ein dritter konnte mit drei Schrauben unter dem Sattel befestigt werden.
Die BMW R 25/2 besitzt vorne eine Telegabel und hinten eine Geradewegfederung, die auch nach dem Teleskopprinzip gebaut ist. Für das Durchschlagen der Feder nach unten, was auf schlechten Straßen häufig geschieht, befindet sich unter der Führungsbuchse ein Gummi-Pufferring. Auch die Vorderradgabel bietet nur bescheidenen Komfort und ebensolche Federwege, trotz 170 ccm Ölfüllung je Holm. Dafür arbeiten die Federungen fast wartungsfrei. Während vorne nur alle 10.000 Kilometer ein Ölwechsel fällig wird, muss hinten alle 1500 Kilometer zur Fettpresse gegriffen werden. Doch nicht nur die Hirafe (wie man damals zur Hinterradfederung sagte) hat Schmiernippel, sondern auch noch viele andere Teile, die man zweckmäßigerweise dann gleich mit abschmiert: Kreuzgelenk der Kardanwelle, Fußbremshebel, Sattellager und Kupplungsausrückhebel.
Durch den Schwingsattel von Pagusa fällt die Sitzhöhe für den Fahrer ausgesprochen niedrig aus: Nur 70 Zentimeter trennen den R 25/2 -Piloten vom Boden der Tatsachen und gewährleisten auch kleingewachsenen Bikern stets einen sicheren Stand. 15 Zentimeter höher thront die Sozia, die ihre Füße auf rahmenfeste Rasten stellen darf. So blieben ihr ständige Kniebeugen während der Fahrt erspart.
Der Motor ist im Prinzip eine Vorkriegskonstruktion: dreifach gelagerte Kurbelwelle und eine von einer Kette angetriebene unten liegende Nockenwelle, die über Stößel und lange Stoßstangen die beiden im Leichmetall-Zylinderkopf sitzenden V-förmigen Ventile betätigt. Wie bei der R 24 sitzt der Kolben mit quadratischem Bohrungs-/ Hubverhältnis (jeweils 68 Millimeter) in einem Graugusszylinder. Der Motor wurde von den bayerischen Ingenieuren gegenüber der alten R 24 verbessert und ausgefeilt: das Einlassventil wuchs um zwei auf 34 Millimeter Durchmesser und der Einlasskanal bei gleichbleibenden Vergaserquerschnitt von 22 auf 24 Millimeter an.
Die große Schwungmasse sorgt für einen kultivierten Motorlauf. Damit die einzylindertypischen Vibrationen etwas geringer ausfallen – an Ausgleichswellen dachte noch niemand in den 50er Jahren – , ließ sich BMW etwas einfallen: Der Hubzapfen wurde verstärkt, um die Kurbelwelle etwas schwingungsfreier zu gestalten. Außerdem wurde sie genau ausgewuchtet.
Damit der Motor ruhig im Rahmen bleibt bekam er kleine Gummiblöcke an den beiden Steckachsen. Auch die Lenkerhalter sind in Gummi gelagert und die Fußrasten mit Schwammgummi überzogen (schon damals dachte man an Komfort für den Fahrer).
Wie es sich für einen „Alltags-Oldtimer” gehört, ist die Startfreudigkeit vorbildlich. Schon beim bloßen Anblick des Zünschlüssels, der oben in die Lampe eingesteckt wird, saugt und verdichtet der kleine Einzylinder. Die Startprozedur ist eine Zeremonie in mehreren Akten:
1. Benzinhahn öffnen.
2. Schwimmerkammer fluten.
3. Luftfilter schließen.
4. Bei ausgeschalteter Zündung durch zweimalige Betätigung des Kickstarters den Motor durchdrehen.
5. Zündschlüssel einstecken.
6. Durch einen beherzten Tritt auf den Kickstarter und gefühlvoller Gashand den Motor zum Leben erwecken.
Ein dumpfes „Putt-Putt-Putt” ertönt dann aus dem verchromten Fischschwanzauspufftopf. Synchron dazu hört man noch ein „Ft-Ft-Ft” aus dem Luftfilter, nachdem selbiger wieder geöffnet wurde. Der Eintopf braucht reichlich Luft, sowohl zum Atmen als auch zum Kühlen, denn der Ölvorrat ist mehr als bescheiden. 1,25 Liter des schwarzen Goldes haben in der Ölwanne Platz. Seltsamerweise hatte die letzte Vorkriegs-Zwofuffziger-BMW, die R 23, einen viertel Liter mehr Motoröl. Und das trotz zwei PS weniger Leistung.
Der Motor geht nicht so kräftig zur Sache wie die Papierform (12 PS bei 5600 U/min) vermuten lässt. Schuld daran ist auch das klauengeschaltete Vierganggetriebe. Der erste Gang ist so kurz übersetzt, dass er nur zum Anfahren taugt. Schon für Schrittgeschwindigkeit empfiehlt sich die zweite Fahrstufe. Deshalb ist es auch mit der Beschleunigung von 0 auf 100 km/h nicht weit her. Mit mehr als einer halben Minute entwickelt der Einzylinder beinahe die Dynamik einer Wanderdüne. Der Vollständigkeit halber sei noch die Höchstgeschwindigkeit erwähnt: 105 km/h mit liegendem Fahrer, 95 km/h aufrecht sitzend gab das Werk an. Sie auszufahren macht jedoch wenig Sinn. Nicht dass dem Fahrwerk dieses Tempo zu schaffen macht, doch wer fährt schon so schnell mit einem Oldtimer?
Als Neuerung erhielt die R 25/2-Schaltbox die bei den Boxern damals bereits übliche Leerlaufanzeige mit einer grünen Lampe im Scheinwerfer. Was blieb, war der antike Hilfsschalthebel auf der rechten Seite, der die Bewegungen des Fußschalthebels mitmacht. Der Zweck dieses Reliktes aus der Vorkriegszeit: Ein schnelles Durchschalten in den Leerlauf ist aus jedem Gang heraus möglich. Selbstverständlich muss langsam und gefühlvoll, am besten mit Zwischengas, geschaltet werden. Nur dann finden die gewünschten Zahnradpaarungen lautlos zueinander.
Wie bei BMW schon seit 1923 üblich, führt eine Kardanwelle, welche natürlich verchromt ist, vom Getriebe zum Hinterrad. Als Kupplungsglied zwischen den Stoßdämpferflanschen des Getriebes und der Kardanwelle fungiert ein elastischer Gummimitnehmer, die so genannte Hardy-Scheibe. Sie mildert auch die Antriebsstöße der Kraftübertragung und gleicht die Längenänderung beim Federn der Kardanwelle aus. Das Kreuzgelenk sitzt staubdicht in einer leicht abnehmbaren Schutzglocke. Das Antriebsritzel und das Tellerrad sind spiralverzahnte Kegelräder, die im Ölbad laufen. Nur alle 10.000 Kilometer ist ein Ölwechsel fällig, genau wie beim Getriebe.
Klassische Elemente der 50er Jahre sind die austauschbaren Speichenräder. Vorne und hinten ist die Bereifung gleich: 3,25-19. Die beiden Halbnaben-Trommelbremsen werden mit den 142 Kilo Leergewicht der R 25/2 mühelos fertig, solange der Fahrer oder die Fahrerin nicht allzu schwer ist. Mit angebautem Beiwagen beträgt das zulässige Gesamtgewicht immerhin stolze 375 Kilogramm, und dann sollte man eine besonders vorausschauende Fahrweise wählen.
Ebenso klassisch wie die Räder kommen auch die Schutzbleche und der Tank daher. Der geschwungene und weit ausladende Vorderradkotflügel schützt nicht nur Fahrer und Maschine vor Schmutz und Spritzwasser, sondern wertet das Motorrad auch optisch auf. Besonders „pannenfreundlich” ist das hintere Schutzblech: Es lässt sich nach oben klappen. Da wird der Plattfuß fast zur Freude. Um selbigen unterwegs zu beheben, ist rechts unter dem Sattel am Rahmen (serienmäßig) eine Luftpumpe befestigt. Das gut sortierte Bordwerkzeug befindet sich in einem oben im Tank eingelassenen Werkzeugkasten.
Fünf Dinge machen den Kraftstofftank zu einer optischen Augenweide: Die rundliche Form, der mit einer Innenvierkantschraube aus Messing verschlossene Werkzeugkastendeckel, der verchromte Tankdeckel, die Emailleembleme und schließlich die Kniekissen. 12 Liter Normalbenzin können gebunkert werden. Bei einem Verbrauch von drei bis dreieinhalb Litern pro 100 Kilometer ergibt das eine äußerst tourentaugliche Reichweite von beinahe 400 Kilometern.
Zwar nicht orginal, aber zeitgenössisch: das Rücklicht. Erst die BMW R 27 hatte, ab 1960 serienmäßig, das große, im Dunkeln wesentlich besser zu sehende Rücklicht.
Mehr Schein als Sein: Aus dem verchromten Scheinwerfer tritt nur mäßiges Sechsvolt-Licht aus. Selbiges ist nur stadttauglich, auf der Landstraße oder gar der Autobahn steht bzw. fährt man nachts im Dunkeln, sofern nicht der Mond scheint.
Wer Oldtimer mag, weiß es: Diese antiken Motorräder sind nicht einfach nur altes Metall. Sie haben Ausstrahlung und Charakter, eine Seele. Es sind Zweiräder, an denen Erinnerungen kleben wie der Schmutz unter den Schrauber-Fingernägeln. Dennoch sollte man sie nicht erfurchtsvoll anbeten, sondern mit ihnen fahren. Im Zuge der relativen Langsamkeit entdecken Fahrer und Sozia, dass eine ungerahmte Landschaft nicht allein das Privileg der Wanderer sein muss.