aus Kradblatt 12/20 von Thorsten Thimm, tt-motorbikeblog.com
Mächtig dickes Ding …
Intro: München Mitte September 2020, die Coronapandemie ist noch immer voll im Gange und lähmt viele Aktivitäten. Um so schöner also, dass BMW es trotz all der Hürden geschafft hat, die Präsentation der R 18 stattfinden zu lassen. Für einige von uns auch schön, dass es in Deutschland stattfindet, da die Anreise für viele kürzer und einfacher ist als der lange Flug nach Amerika, wo der Haupt-Zielmarkt dieses Motorrades wohlweislich zu finden sein wird.
Die R 18 – Ein zur Realität gewordenes Monument aus schwarz lackiertem Metall, Chrom und ein wenig Kunststoff. Genau so steht die First Edition dieses mächtigen Cruisers hier vor mir am Eingang der BMW Classic Group. Rechts und links ragen ihre fast eine bayrische Maß fassenden und weiterhin luft-/ölgekühlten Zylinder aus dem Motorblock heraus. Gemeinsam bilden sie den bisher hubraumgrößten BMW-Boxermotor überhaupt mit sage und schreibe 110 Kilogramm Gesamtgewicht! Der Dicke verspricht 91 PS Leistung bei 4750 Umdrehungen sowie über 150 Nm Drehmoment ab 2000 bis 4000 Umdrehungen und erfüllt natürlich die neuste, ab 2021 geltende Abgasnorm Euro5.
Technische Daten also, die diesem Bike gerecht werden und die rund 345 kg schwere Maschine samt Fahrer stilecht in den bildlichen Sonnenuntergang rollen lassen können. Das zumindest verspricht der sanft ansprechende Fahrmodus ROLL und ist gleichzeitig die genüsslichste Art mit der R 18 unterwegs zu sein.
Die beiden anderen Fahrmodi sind dagegen etwas spezieller und umfassen unter anderem die Einstellung RAIN und ROCK. Bei Rain hat man das Gefühl der Hersteller hat der Maschine nur noch die Hälfte der angegeben 91 Pferde zur Verfügung gestellt, was anhand des Gewichtes bei der Beschleunigung „spannend“ ist. Ganz anders dagegen ist der Modus Rock, der das gesamte Fahrgefühl erheblich, ja nennen wir es ruhig rockiger und direkter, aber auch mit mehr Lastwechseln im Antriebsstrang gestaltet. Hierzu allerdings später mehr, denn nach der abendlichen Präsentation und vielen kleinen technischen Details rund um die Entwicklung der R 18 steht erst einmal die Nachtruhe an, bevor es am nächsten Morgen los geht.
Die Testrunde – Der folgende Morgen erwartet uns sehr früh um 6.30 Uhr und vorerst ein wenig bedeckt. Zum Mittag hin reißt die Wolkendecke aber auf und bietet damit perfekte Testbedingungen. Nach einer kurzen Einweisung durch unseren Tourguide an der Maschine, geht es dann auch schon zügig los und schon auf den ersten Metern fallen die Besonderheiten der R 18 auf.
Durch die gewaltigen Zylinder und die Cruiser-typische Bauart ist zwar Bewegungsspielraum vorhanden allerdings nur in Maßen, was die Sitzposition kompakt und gefühlt etwas statisch werden lässt. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, denn das ist mit meinen 172 cm keinesfalls unbequem, aber doch erst einmal ungewohnt, wenn man wie üblich bei so einem Motorrad die Füße eigentlich vorne hat und eine inaktive Sitzposition erwartet. Dass dieses aktive Gefühl bei größeren Menschen genauso ankommt wie bei mir liegt dann unter anderem an einer Vielzahl diverser Sitzpolster mit verschiedenen Höhen, sowie möglichen Anbauteilen wie Schaltwippen und Trittbrettern, anstatt der serienmäßig montierten Fußrasten, die für Bequemlichkeit auf dem Bike sorgen. Die Spanne der menschlichen Größen sieht man an der versammelten Testmannschaft und keiner davon hat am Ende wirklich etwas an der Sitzposition zu mäkeln gehabt.
Außerdem ist die Position der Zylinder gleichzeitig einer der großen Vorteile des Motorrades, denn durch ihre Anordnung hat die R 18 einen noch niedrigeren Schwerpunkt als so mancher V2-Cruiser, was sie trotz des Gewichtes und langen Radstandes unheimlich handlich macht. Vergleichbar mit amerikanischen Eisen ist die Maschine aber nicht nur wegen der aktiveren Sitzposition nicht, alles in allem ist sie einfach kultivierter und mehr Gentleman anstatt knallharter Rocker.
Endlich raus aus der Stadt – Ein wenig Stadt muss leider zu Beginn der Tour sein, wobei die Standgasdrehzahl ihr Mittel irgendwo zwischen 850 und 950 Umdrehungen findet und das Motorrad gewollt dem Kolbenschlag nach links und rechts folgt. Im Stadtverkehr ist die R 18 im ROLL-Modus aber sonst komplett unauffällig und einfach zu fahren. Der breite Lenker, wie auch die niedrige Sitzhöhe tragen dazu bei, dass alles leicht zu handlen ist.
Und während die Stadt, untermalt vom sonoren Boxersound aus den extravaganten Endtöpfen, endlich im Rückspiegel verschwindet, spürt man es in den ersten echten Kurven immer mehr. BMW hat das Maximum und die Freude am Fahren aus diesem Konzept herausgeholt. War eine R 1200 C im Jahr 1997 noch eher ein halbherziger Cruiser, der sicherlich gut fuhr, ist hier etwas spürbar anderes, ja etwas wirklich Greifbares für das Segment entstanden – auch wenn die dem Motorradgenre entsprechenden Grenzen selbst bei der R 18 nicht auszutricksen sind. Was das bedeutet hört man deutlich beim Schrappen der Fußrasten, die funkensprühend den Metallabrieb am Sudelfeld verteilen. Und trotzdem, Kurve um Kurve stellt sich der Flow auf dem großen Bike ein, umrahmt von der fantastischen Bergwelt um uns herum.
Aus dem ROLL-Modus wurde mittlerweile per Knopfdruck der ROCK-Modus, welcher das Ansprechverhalten der R 18 noch einmal völlig auf den Kopf stellt. Spontan am Gashahn, ohne Verzögerung und Mitleid, marschiert sie in diesem Mode voran. Aber eben auch mit den oben schon erwähnten Lastwechseln im Antriebsstrang. Vielleicht hat man hier sogar etwas zu viel Antritt für den einen oder anderen Fahrer eingebaut. Doch im Grunde genommen ist es genau das, was die Liebhaber dieser Motorradklasse sich wünschen. Schaltfaul auf der satten Drehmomentwelle cruisen und genießen. Und selbst wenn man einmal schalten muss, ist das kein Problem, denn das ebenfalls in Berlin gefertigte 6-Gang Getriebe arbeitet wunderbar sauber und direkt.
Die verbaute Antihopping Kupplung rundet das System ab und sorgt für keinerlei Überraschungen, wenn beim Schalten doch einmal unerwartet etwas schief gehen sollte. Zusätzlich wird der Fahrer natürlich durch das BMW-typische, teilintegrale ABS mit zwei Bremsscheiben vorne und einer hinten unterstützt, die ausgezeichnet greifen, sowie durch die altbekannte Antischlupfreglung ASC.
Mittag und der Blick aufs Bike – Wer viel fährt braucht auch mal eine Pause und die gibt einem immer die Möglichkeit noch einmal genauer hinzuschauen. Ja im Fall der R 18 sogar zuzuhören, was die Maschine einem erzählen möchte, denn das Knistern der abkühlenden Auspuffanlage klingt mit etwas Fantasie wie ein eigenes Lied. Viel Chrom blitzt dem Betrachter in der Sonne entgegen, Chrom z. B. am offen laufenden Kardan, der Auspuffanlage und den Motordeckeln. Im Übrigen ist klassischerweise sehr viel echtes Metall verbaut worden und nur wenig Kunststoff, sodass das Motorrad wie aus einem Guss wirkt.
Als Kontrast dazu gibt es modernste LED-Technik dort, wo an der Maschine etwas leuchtet oder blinkt und ein modernes Keyless Go System. Allerdings wird der Schlüssel am Ende des Tages doch noch benötigt, um die Maschine ganz klassisch am Lenkradschloss abzuschließen und den Tankdeckel zu bedienen. Ebenso klassisch wirkt das einzelne Kombiinstrument vor dem Fahrer, das neben der analogen Geschwindigkeit auch alle notwendigen Funktionen wie z. B. den Drehzahlmesser, Tageskilometer, Gang und Uhrzeit digital anzeigt. Es bleiben also im Grunde keine Wünsche offen, womit wir zurück auf die Straße kommen, denn der Ritt nach Hause beginnt.
Der untergehenden Sonne entgegen – Noch einmal setzt sich die Tester-Gemeinschaft in Bewegung. Ja, in der Gruppe, ganz im Stil der amerikanischen Mitbewerber am Markt in Richtung Sonnenuntergang. Doch ist das hier keine Harley und auch keine Indian und das möchte sie auch gar nicht sein. BMW geht mit der R 18 seinen ganz eigenen Weg, und dass der zu funktionieren scheint, zeigen die vollen Auftragsbücher. Die R 18 ist bereits für dieses Jahr in Deutschland komplett ausverkauft. Und wie bei BMW fast üblich, wird wohl keine der Maschinen zum Grundpreis von 22.225 Euro die Hallen in Berlin verlassen.
BMW selbst hat sich dazu richtig ins Zeug gelegt und eine Vielzahl von Individualisierungsmöglichkeiten erschaffen. Das fängt bei Assistenzsystemen wie Berganfahrhilfe und Rückfahrhilfe an, geht über Motordeckel und diverse Designfelgen weiter, bis hin zu den üblichen Anbauteilen wie Handhebel, Spiegel, Trittbretter usw. Auf diese Art wird man seiner Klientel mehr als gerecht, ohne dabei noch zu berücksichtigen, was der Zubehörmarkt außerdem anbieten wird.
Wir kommen indes auf den Highway back nach München und erleben damit auch diesen Teil des Fahrens live. Im sechsten Gang auf der Bahn liegt die Drehzahl bei runden 2100/min, wenn 100 km/h auf dem Tacho stehen. In diesem Bereich ist der Boxer durch seinen seidenweichen Lauf kaum bis gar nicht präsent. Auch weiter oben zwischen 120 und 140 km/h passiert nicht viel bis auf leichte Vibrationen im breiten Lenker. Oberhalb dessen allerdings und ab 3200 bis 3800/min verteilen sich die Vibrationen auch auf die Rasten und den Sattel, bevor bei 180 km/h, die von BMW technisch festgesetzte Grenze der Beschleunigung erreicht wird. Für Drehzahlorgien ist sie nicht gemacht und da hat die BMW-Modellpalette sicherlich Besseres zu bieten. Für das entspannte Cruisen allerdings ist die R 18 auf jeden Fall ein ganz neues Erlebnis und bereichert den Markt.
Fazit – Mit der R 18 hat BMW nicht nur den größten bisher gebauten Boxermotor in der Werksgeschichte in einen Motorradrahmen gehängt und zum Leben erweckt. Nein, man hat mit dem System R 18 eine Grundlage geschaffen mit diversen Modellvarianten endlich in diesem Segment Fuß zu fassen. Einem Segment, das noch immer 25% des Marktes ausmacht. Und die Möglichkeiten der Individualisierung sind hier, wie bei den Mitbewerbern einfach mannigfaltig, was natürlich weiter Geld in die Kassen spült.
Mir persönlich würde die First Edition, so wie ich sie beim Test gefahren bin, völlig ausreichen. Warum? Weil ich sie toll finde und einfach einmal anders neben den ganzen klassisch gebauten V2 Modellen, die es sonst so am Markt gibt. Wirkliche Schwächen leistet sie sich zudem keine, wodurch die Chancen sehr gut stehen, dass sie einen erfolgreichen Weg in den Sonnenaufgang des Marktes finden wird.
In diesem Sinne Rock & Roll und wenig Rain!
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