aus bma 09/06

von Jens Möller

Vollmundig kommt der Hochglanzprospekt zur neuen BMW R 1200 S gleich auf der ersten Seite zur Sache: Auf mich wartet der bisher sportlichste Zweizylinder von BMW. Und ich war diese Woche wieder nur zwei Mal joggen. Ob das reicht, um im Zweikampf mit dieser Sportskanone, die uns von BMW Stüdemann aus Hamburg zur Verfügung gestellt wurde, zu bestehen? Betreten wir den Ring. Leichte Angstschweißtropfen wische ich mir von der Stirn und rufe mir ins Gedächtnis, daß BMW um die alte R 1100 S auch ähnliches Aufheben gemacht hat. Und die wurde spielend leicht bezwungen mit ihren 250 kg, ihren unter Sportlerkollegen spärlichen 98 PS und dem Walfischgesicht. Also schickt die Nummerngirls aus dem Ring, gebt Runde eins frei, laßt den Gong ertönen.
Auch wenn die neue R 1200 S zum seligen Vorgänger einiges abgespeckt hat, optimistisch ausgedrückt wiegt sie leer jetzt nur noch 213 kg, die sich aber mitsamt dem montierten hinteren Breitreifen, den Heizgriffen und dem ABS schnell zu guten 220 kg relativieren, gehört sie unter den Sportlern immer noch zu den Schwergewichten. Und auf diese zielt BMW mit der R 1200 S doch wohl?
Die erste Runde ist geprägt vom vorsichtigen Abtasten. Locker nimmt der noch kalte Motor das Gas an, schüttelt sich für Boxer-ungewohnte Zeitgenossen aber merklich im Stand. Wer im Leerlauf einfach mal das Gas aufdreht, wird mit Seitenkippmoment und Vibrationen überrascht. Also vor solchen Sperenzchen lieber die Beine von der 830 mm hohen Sitzbank fest auf den Boden stellen. Die Magnesiummotordeckel verkratzen sonst so schnell.

 

Steigern wir uns ein bißchen, bisher war es nur ein leichtes Tänzeln im Stand. Feuer in die mit 12,5 zu 1 hoch verdichteten und Super Plus erfordernde Brennräume. Findet der erste Gang zwar deutlich hörbar, aber überaus leicht seinen Platz im Getriebe, rückt die linke Hand die Kupplung leicht aus. Und dank des von BMW verbauten ASCS (Acoustic Shifting Control System – bevor jetzt einige aufhorchen: Vorsicht Satire!) bekommt der Fahrer den Kraftschluß und die weiteren Getriebebetätigungen auch deutlich hörbar mitgeteilt. Auf die eigentliche Funktion der an der Kraftübertragung beteiligten Komponenten hat das aber keinen Einfluß und ist auch kein Grund, das Handtuch zu werfen.
Genug getänzelt, jetzt wird das Tempo gesteigert, kommt Bewegung in die Auseinandersetzung. Schnell sind die sechs Gänge der Schaltbox durchgesteppt, verdeutlicht auch durch die Ganganzeige im Cockpit. Und wieder hat uns das Rütteln wieder. Im sechsten Gang dreht der 1170 ccm große Boxer gerade mal um die 3000 U/min. Wer das Tempo steigert und den Gasgriff auf Durchzug stellt, erntet harsche Vibrationen, die man zwar als Charakter abstempeln könnte, die das geschmeidige Fahren aber vereiteln. Viel wohler fühlt sich der luft/öl-gekühlte Motor, wenn er im Drehzahlbereich ab 4500 U/min gehalten wird, weshalb man bei gesetzeskonformer Fortbewegung und etwas mehr überland die vierte Fahrstufe wählen sollte. Ab hier drückt die BMW R 1200 S mehr als 100 Nm auf die Rolle, strebt ihrem Drehmomenthoch von 112 Nm bei 6800 U/min auf einem sanft geschwungenen Bogen entgegen. Wer jetzt einwirft, daß dieses Drehzahltreiben deutlich zu Lasten der Kondition des bajuwarischen Herausforderers wegen eines erhöhten Verbrauchs und häufigen Tankstops gehe, der irrt an dieser Stelle. Trotz engagiertem Einsatz des Testers, auch unter verschärften Bedingungen auf dem ADAC Trainingsgelände in Lüneburg, war der Verbrauch im Schnitt nicht über 5,5 Liter auf 100 km zu bekommen.
Der Kurs in Lüneburg eröffnet dann auch die nächste Runde. Kurven bis die Kondition versagt, dem Boxer mal richtig auf den Zahl fühlen. Denn im normalen Alltagsbetrieb ist das Fahrwerk mit seiner dreiteiligen Rahmenkonstruktion mitsamt dem mittragenden Motor nicht an seine Grenzen zu bringen. Auch weil die getestete Version der R 1200 S bereits über ein Öhlins-Fahrwerk verfügte, welches die Grenzbereiche von Telelever und Paralever noch ein gutes Stück nach oben verschiebt. Beim kräftigen Bolzen zeigt dann auch nur das hintere Federbein trotz geschlossener Druckstufe noch leichte Schwächen, sackt beim scharfen Umlegen der Kuh und gasfreiem Durchrollen durch Kurven etwas zu weit zusammen. Wobei auch dieser Boxer gerne nach Altväter Sitte bewegt werden möchte. Sprich vor der Kurve bremsen, die Gänge sortieren und mit leichtem Zug durch die Kurven gleiten. Schuld daran hat der zwar leichte, aber im Verhältnis zu Kettenantrieben immer noch schwere Kardan und dessen Versteifung unter Last. Auch wenn der Fahrstuhleffekt des Antriebes dank der Paralever-Schwinge abgemildert wird, vorhanden ist er dennoch. Die R 1200 S hebt sich beim Gasaufreißen spürbar aus der Federung und versteift diese. Wer diesen Effekt nutzt, fliegt stabil und sicher durch alle Radien. Geht es dagegen enger ums Eck, und das Gas fehlt, hängt die R 1200 S merkbar tiefer in der Feder, kann dann mit dem Angstnippeln schon mal hart aufsetzen. Bis zum Zylinderkopf ist aber noch Platz. Wobei man behutsam ans Anschleifen der Deckel gehen sollte, denn BMW verspricht 52 Grad Schräglagenfreiheit, die formidabel funktionierenden Michelin Pilot Power auf dem Boxer dürften auch nicht mehr hergeben.
Das Einzige, was beim Fegen über den Parcours ein wenig stört, ist die Sitzposition. Im Überlandverkehr können der hohe Lenker und der gute Knieschluß mit großzügigem Kniewinkel gefallen, auch fällt hier der recht große Abstand zwischen Lenker und Sitzbank nicht weiter ins Gewicht. Sportlich bewegt sitzt man aber etwas zu passiv, zu weit vom Lenker weg. Aufgrund der Bequemlichkeit kann man es dafür aber deutlich länger schräg treiben als mit aktueller Zweiradkunst aus Nippon. Zudem bietet das großzügige Platzangebot die Möglichkeit, auch jenseits von 220 km/h noch entspannt zu rasen. Bis über 240 km/h laut Tacho, schließlich wollen die 122 PS bei 8.800 U/min auch genutzt werden, rennt der Sportboxer satt geradeaus und pendelt bei Anregungen nur ganz leicht. Das alles jedoch mit einer Verbindlichkeit vom Fahrwerk, die den Fahrer ähnlich einem ICE auf Schienen nach vorne treibt. Wobei hier nochmals ein Satz zum Getriebe gesagt werden muß: Wer mit mehr als 7500 U/min unterwegs ist, sollte sich das Schalten möglichst verkneifen, da dann die Gangwechsel nur sehr ruppig gelingen und Lastwechsel nicht ausbleiben.
Wo gerade ein wenig Kritik fällt, die vorangegangenen Runden haben die BMW R 1200 S wohl etwas ermüdet, also wollen wir ein wenig in vergangenen Wunden bohren. Da fiel bei fast allen Boxer eigentlich immer das Konstantfahrruckeln auf. Und nun? Man kann es nicht wegdiskutieren, es stört aber nicht. Nur bei ganz sensiblem Umgang mit dem Gasgriff und wirklich konstant gleichen Drehzahlen kann man eher hören denn fühlen, daß der Motor unter einem vielleicht ein wenig unrund läuft. Auf das Fahren hat das aber keinen merklichen Einfluß.
Letzte Runde, Zeit die Hitzigkeit ein bißchen zu bremsen. Wobei die Bremsen ja bei einigen BMW-Modellen für Unmut gesorgt haben, zumindest was deren Dosierbarkeit mit Bremskraftverstärker betrifft. Bei der R 1200 S ist alles neu: Die 4-Kolben-Bremsen mit ihren 320er Scheiben arbeiten wieder konventionell, ohne Verstärkung und ohne Verbindung zur hinteren Doppelkolben-Anlage mit 265 mm messender Scheibe. Optional gibt es das Ganze natürlich mit ABS und jetzt nur noch 1,5 kg schwer. Stahlflexleitungen sorgen für einen ausgesprochen knackigen Druckpunkt der insgesamt sportlich ausgelegten Bremsanlage. Schon leichter Druck am einstellbaren Bremshebel langt für eine ordentliche Verzögerung, die sich linear bis zum Stoppie steigern läßt. Allerdings nur, wenn man das ABS ausgeschaltet hat, oder es per manueller Verzögerung überlistet. Sonst macht die Bremse bei hoher Verzögerung schon mal auf, wo eigentlich noch voll weiter verzögert werden könnte. Bei großen Reibwertsprüngen bleibt das ABS aber ein außerordentlicher Sicherheitsgewinn, der im Extremfall brachiale Verzögerung ermöglicht, und das besser als jede Fahrerhand. Erfreulich auch die Stabilität der Front bei solchen Manövern, da der Telelever für einen guten Bremsnickausgleich sorgt, und nur in einzelnen Fällen die gewohnte Transparenz vom Vorderrad vermissen läßt.
Und was bleibt am Ende? Eine sportive, fordernde, aber handhabbare Auseinandersetzung mit dem sportlichsten Boxer, den BMW je gebaut hat (Oder sagte ich das etwa schon?) Ein Motorrad wie ein fester Händedruck, charakterstark, emotional, mit guten Fahrleistungen, einem geringen Verbrauch, ausgewogen und perfekt für’s Landstraßensurfen. Das können auch die beschriebenen Kritikpunkte nicht trüben, die nur richtig ins Gewicht fallen, wenn man ein satt von unten, lochfrei und vibrationsarm hochdrehendes Motorrad erwartet. Allen, die manchmal noch das Messer zwischen den Zähnen haben, die auch den umgehemmten Umgang mit dem Gasgriff noch für eine sinnvolle Freizeitgestaltung halten, wird die R 1200 S gefallen.
Zur ganz großen Sportlichkeit hat es zwar nicht gelangt, und auch wenn es im BMW-Zubehörprogramm kein Kofferpaket gibt, kann man sich abschließend schon die Frage stellen, ob die eingangs aufgeworfene Prämisse von BMW wirklich gewollt war. Den mit ihrer Auslegung von Motorkraft und Fahrwerk funktioniert die BMW abseits gesperrter Strecken besser als vieles aus Japan; ohne Leidensfähigkeit einzufordern, aber trotzdem mit dem Potential für große persönliche Motorradmomente.
Daß es dabei immer schon etwas teurer war, ein Modell mit dem Propeller zu fahren, soll nicht verschwiegen werden. Auf 12500 Euro plus 350 Euro Fracht beläuft sich der Anschaffungspreis für den Flattwin. In der getesteten Ausführung addiert sich zu den bereits erwähnt Zusatzausstattungen noch die Mehrfarblackierung für 460 Euro. So muß man am Ende über 15000 Euro beim freundlichen BMW-Händler lassen, um sich diese Zweiradversuchung zu gönnen. Überzeugungsarbeit kann nur eine Probefahrt leisten. Aber Vorsicht, die nun deutlich schnittigere Verpackung der BMW R 1200 S, man beachte nur den vielleicht filigransten Seitenständer des zeitgenössischen Motorradbaus, und der Vorwärtsdrang ab 3500 U/min sorgen für spontane Glücksgefühle in der Magengegend. Und dann ist der Weg zum Bankberater nicht mehr weit.