aus Kradblatt 5/14
von Berthold Reinken

 

BMW R 1200 RT Vergleich 2014-2011Wie machen die das nur? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt, wenn ich wieder mal das Nachfolge-Modell eines sehr guten Motorrades gefahren habe. Immer wieder glaube ich, dass das „Rad nun erfunden ist“ und dann bremst das neue Modell doch noch einen Tick besser, ist spürbar handlicher und doch noch stabiler im Gewinkel als das Vorgängermodell.

So ist es auch mit der neuen RT. Schon die 110 PS-RT ist trotz ihrer rund 280 kg erstaunlich handlich und lässt sich gut auch in engen Kurven bewegen. Besser kann man das eigentlich nicht machen, dachte ich bisher. Voll daneben: Auf einer meiner Lieblingsteststrecken stelle ich schnell fest, dass das Fahrwerk der neuen, nun flüssigkeitsgekühlten und 125 PS leistenden RT noch spürbar verbessert wurde. Besonders die Stabilität in engen Kurven ist erstaunlich. Man fühlt sich sicherer und benötigt weniger Konzentration beim Durcheilen der Kurven. Bremsen in Schräglage ist kein Problem. Alles geht viel spielerischer als beim Vorgängermodell. Das Bessere ist halt der Feind des Guten. Das allein könnte viele RT-Fahrer zum Umsteigen auf die Neue bewegen. Aber gibt es noch andere Gründe? Für fünf ganze Tage stellte mir die Firma Stüdemann aus Hamburg die 2014er RT zur Verfügung, so dass ich dieser Frage ausgiebig nachgehen konnte.

BMW R 1200 RT FrontNeben dem Vorgänger-Modell sieht sie moderner und frischer aus, was besonders für das Cockpit gilt und die Frontansicht signalisiert jetzt sogar Sportlichkeit. Am Gewicht hat sich nix geändert. Es wird nun natürlich der neueste flüssigkeitsgekühlte Boxermotor verbaut, der auch in der aktuellsten GS Dienst tut. Er hat aber eine größere Schwungmasse der Kurbelwelle und das Getriebe ist länger übersetzt. Das Cockpit ähnelt dem des 6-Zylinder und hat ein vierfarbiges scharf anzeigendes TFT-Display, das man mit dem Controller-Rad am linken Lenkerende steuern kann. Viel Übung ist sicher dafür nötig, denn auch die Bedienung der Sitz- und Griffheizung, Trip-Master und weiteres werden jetzt damit gesteuert.

Die Sitzposition passt ausgezeichnet für mich. Nach dem Starten des Motors lege ich den ersten Gang mit einem lauten Krachen der akustischen Ganganzeige wie damals bei meiner R 60/5 ein und rolle vom Hof. Die weiteren Gangwechsel gehen zwar leicht, aber auch meistens nicht lautlos. Lediglich das Runterschalten kann niemand hören. Da ich mit der alten RT (Baujahr 2011) angereist bin, habe ich den direkten Vergleich nach dem Umsteigen und merke sofort, dass sich die Neue deutlich leichtfüßiger bewegen lässt. Serienmäßig ist die Fahrmodi-Auswahl „Road“ und „Rain“. Im Fahrmodi „Road“ nimmt der Motor spontaner Gas an als der alte Motor. Im aufpreispflichtigen Dynamic-Modus wird die RT sogar zum sportlich-aggressiven Krad. Nachdem ich noch die „Rain“-Einstellung probiert und festgestellt habe, dass die RT auch dann nicht zur Schlappwurst wird, schalte ich wieder auf „Road“ und belasse es dabei. Gut zu wissen, dass es bei Regenwetter die Sicherheitseinstellung gibt, die Gasannahme und ASC-Eingreifschwelle (Stabilitätskontrolle gegen Ausbrechen des Hinterrades) dem Straßenzustand anpasst.

BMW R 1200 RT HeckMeine Test-Maschine hat den als Einzel-Extra für 390 Euro orderbaren „Schalt­assistenten Pro“. Damit kann man ohne Kuppeln und Gaswegnahme hochschalten und auch beim Runterschalten auf die Kupplung verzichten. Mit einem Automatikgetriebe ist das allerdings nicht zu verwechseln, auch nicht mit einem Doppelkupplungsgetriebe mit Automatikmodus, wie Honda es für manche Modelle im Programm hat. Losfahren, Anhalten, Schalten in den niedrigen Gängen bei Geschwindigkeiten des Stadtverkehrs klappt nicht oder nur schwer ohne Kupplung. Schnelles Hochschalten beim Beschleunigen mit stehendem Gas fast ohne Zugkraftunterbrechung funktioniert aber gut, obwohl man doch meistens einen Ruck spürt. Am brauchbarsten ist der Pro allerdings in die andere Richtung. Zumindest in den oberen Gängen kann man bei geschlossenem Gasgriff völlig lautlos und leicht ohne Kupplung runterschalten. Noch besser wäre es aber gewesen, wenn der Schaltassistent beim Einlegen des 1. Ganges das Krachen vermeiden würde. Das Getriebe der alten RT ist auf jeden Fall besser. Nachdem ich den nervigen Großraum Hamburg endlich hinter mir gelassen habe, kann die RT in den Kurven durch die Lüneburger Heide zeigen, wie sie im Gewinkel klar kommt. Und sie kommt bestens, siehe ganz oben.

BMW R 1200 RT CockpitEins fällt mir aber immer mehr auf: Bummelei in Kolonnen oder Stop-and- go durch Ortschaften zerrt mehr am Gemüt als mit der alten RT, die mit ihrem „pröttelnden“ Auspuffklang irgendwie einen entspannenden Einfluss auf mich hat. Die Neue hingegen wirkt unruhiger und unzufrieden mit derartigen Verkehrssituationen.

Also zum Entspannen rauf auf die A27. Zwischen Walsrode und Bremen kann ich die Pferde mal galoppieren lassen. Die RT stürmt mächtig los und zieht unbeirrt bis 200 km/h ohne Unruhe im Fahrwerk voran. Auch die voll hochgefahrene Scheibe ändert daran nichts. Und hinter derselben bleibe ich vom Winddruck verschont und stelle keine Sogwirkung fest. Zumindest bis 160 km/h ist der Lärm unter meinem Schuberth J1 außerdem erträglich.

BMW R 1200 RT Armatur linksDer Motor hat deutlich weniger Vibrationen als der alte. Man könnte glauben, einen Vierzylinder unter sich zu haben. Nach etwa 200 Kilometern rolle ich zu Hause in die Garage und schalte den Motor aus. Die Windschutzscheibe senkt sich zu meiner Überraschung automatisch in die tiefste Stellung. Wie ich am nächsten Tag feststelle, hebt sie sich nach dem Anfahren brav wieder hoch in die letzte Einstellung. Diese Prozedur ist schon von der Yamaha FJR 1300 bekannt. Der Sinn ist mir allerdings nicht aufgegangen.

Einen Griff zum Aufbocken auf den Mittelständer suche ich vergeblich. Zumindest mit leeren Koffern und ohne Topcase vermisse ich ihn auch nicht, denn das durchgestreckte Bein hebt die 280 kg leicht auf den Bock.

BMW R 1200 RT Modell 2014Für 675 Euro kann man den BMW-Navigator V ordern, bei dem es sich praktisch um ein BMW angepasstes Garmin-Gerät handelt. Im empfehlenswerten Touring-Paket (1270 Euro) ist neben ESA, Tempomat und Sitzheizung auch die technische Vorbereitung zum einfachen Anklicken des Navis enthalten. Es lässt sich so leicht per Entriegelungsknopf entnehmen und in die Tasche stecken. Im Navi-Betrieb laufen die Ansagen über die Bordlautsprecher der Audio-Anlage. Während der Ansagen wird das Radio ausgeblendet und alles ist auch bei relativ hohem Tempo und sogar mit geschlossenem Visier noch gut verständlich. Dummerweise funktioniert das nur bei gleichzeitiger Zwangsberieselung durch die Audio-Anlage. Schaltet man diese ab, kommen auch keine Fahranweisungen mehr. Was sich die Entwickler dabei gedacht haben, muss noch erforscht werden. Einige Bedienungsfunktionen des Navis können ferner noch über das Con­troller-Rad am linken Lenkerende gesteuert werden. Dadurch wird natürlich alles noch komplizierter und man braucht wirklich sehr viel Übung, um nicht zu sehr vom Fahren abgelenkt zu werden.

BMW R 1200 RT Eine merkwürdige Kombination bietet BMW im Dynamic-Paket (320 Euro) an. Im „Dynamic“-Fahrmodus dürften eigentlich nur versierte sportliche Fahrer unterwegs sein. Diese sollten auch mit dem Anfahren am Berg keine Probleme haben. Trotzdem ist in diesem Paket eine Berganfahrhilfe, Pardon, „Hill Start Control“ enthalten. Durch einmaligen kräftigen Zug am Bremshebel wird die hintere Bremse dauerhaft ausgelöst. Sie löst wieder durch kräftiges Gas geben im ersten Gang. Dynamic“-Fahrmodus oder „Hill Start Control“ können nicht einzeln, sondern nur im Paket geordert werden.

Eine feine Sache ist die Zentralverriegelung (enthalten im Comfort-Paket für 770 Euro). Per Knopf am rechten Lenker­ende oder mit dem externen separaten Funksender lassen sich die Koffer, beide Staufächer in der Verkleidung und das Topcase ver- und entriegeln. Warum das allerdings nur mit dem 49-Liter-Topcase (860 Euro) funktioniert bleibt rätselhaft. BMW verkauft wohl lieber dieses Case als das kleinere für 293 Euro. Auch die Autohersteller wissen nur zu gut, wie man durch geschickte Paket-Zusammenstellungen die Kunden zu Mehrausgaben bringt. Dabei ist es sicher nicht unbedingt eine Geldsache, wenn man lieber ein kleines Topcase statt einer mittleren Kommode am Heck haben möchte.

Auf meinen Testfahrten verbrauchte die neue RT bei sehr zügiger Fahrweise durchschnittlich 6,0 Liter. Mit dem 25-Liter-Tank sind also Reichweiten von 400 Kilometer kein Problem.
17380 Euro ist der Grund-Endpreis der neuen RT als „Kassengestell“, in dem aber schon ABS, Heizgriffe und elektrisches Windschild enthalten sind. Da die meisten Käufer aber kaum auf die vielen weiteren feinen Extras verzichten werden, dürfte auf den meisten Rechnungen wohl eine 2 an der ersten Stelle stehen.

Fazit: Die neue RT ist zweifellos ein sehr gutes Motorrad. Im Vergleich zum Vorgängermodell ist sie aber auch ein ganz anderes Motorrad. Das verhält sich genau so wie beim neuen GS-Modell, das auch nix mehr mit der luftgekühlten zu tun hat. Sie ist deutlich sportlicher ausgelegt, vermittelt ein ganz anderes, weniger „gelassenes“ Fahrerlebnis und erschließt damit, genau wie die neue GS, andere Käuferkreise. Umsteiger von alt auf neu wird es sicher geben. Ich schätze aber, dass auch einige Fahrer der „Luft-RT“ mit der Neuen nix anfangen können. Das wird für den Werterhalt der Alten sorgen, die jetzt für immer der Vergangenheit angehört.