aus bma 5/10

von Klaus Herder und Berthold Reinken

BMW R 1200 RT Modell 2010Schreiben wir nicht lange drum herum: 19285 Euro. Und da sind die günstigeren Paketpreise schon berücksichtigt. also Safety-Paket (Stabilitäts- und Reifendruckkontrolle) und Touring-Paket (elektronische Fahrwerksverstellung, verchromte Auspuffanlage, Heizgriffe, Sitzheizung, Tempomat, Bordcomputer, 2. Steckdose) plus Audio-System und Diebstahlwarnanlage. Wer die Preislisten-Rubriken High Performance Parts, Stauraumprogramm, Designprogramm, Soundkomponenten, Ergonomie- und Komfortprogramm, Navigations- und Kommunikationskomponenten, Sicherheitsprogramm sowie Wartungs- und Zubehörprogramm ausreizt, darf weitere 4665,37 Euro locker machen. Bevor wir es vergessen: Überführung und Zulassung gehen selbstverständlich extra. Man kann es natürlich noch kürzer schreiben: Die neue BMW R 1200 RT ist nicht unbedingt ein Sonderangebot. Das waren aber auch die alten RTs noch nie.

Seit 1978 steht RT nicht etwa für „richtig teuer“, sondern ist das Reise-Tourer-Kürzel des jeweiligen Boxer-Topmodells. Die mit hoch bauenden Vollverkleidungen bestückten Fernweh-Dampfer gerieten immer zu Bestsellern im BMW-Programm. Von der R 1150 RT wurden weltweit rund 57000 Stück unters reiselustige Volk gebracht, die seit 2005 angebotene Erstauflage der R 1200 RT brachte es sogar auf gut 61000 Exemplare und wurde zum Beispiel in Frankreich noch besser verkauft als die R 1200 GS. Eine solch ergiebige Milchkuh sollte man tunlichst gut behandeln, immer schön gesund halten und bei nachlassender Kraft einem Fitnessprogramm unterziehen.

Den letzten Anstoß dazu, genau das zur Saison 2010 zu tun, gaben wohl die im Vorjahr spürbar nachgelassenen Verkaufszahlen: 814 Verkäufe in Deutschland, was Platz 33 der Zulassungs-Hitparade entsprach – für BMW-Verhältnisse ist das unterdurchschnittlich.

BMW R 1200 RT Modell 2010Nach fünf Jahren war vermutlich ohnehin mal wieder eine etwas kräftigere Modellpflege fällig. Und da traf es sich doch gut, dass man die ursprünglich aus dem HP2-Sportboxer stammenden DOHC-Zylinderköpfe gerade zur freien Verfügung im Boxer-Baukasten herumliegen hatte. DOHC steht für „Double Overhead Camshaft”, auf Deutsch: zwei obenliegende Nockenwellen. Diese im japanischen Motorenbau seit etwa den Napoleonischen Kriegen übliche Form der Ventilsteuerung hat den unbestreitbaren Vorteil, dass keine langen und schweren Stoßstangen im Spiel sind, damit nur verringerte Massen in Wallung gebracht werden müssen, was den Konstrukteuren deutlich mehr Freiheiten bei der Steuerzeiten-Wahl gibt und der ganzen Sache eine wesentlich höhere Drehzahlfestigkeit verleiht.

Die unbestreitbaren Vorteile eines DOHC-Zylinderkopfes erlauben zwei Wege der Optimierung. Entweder steigert man die Spitzenleistung – so geschehen bei der HP2 Sport, die immerhin 130 PS bei 8750 U/min leistet. Oder man belässt es bei der bisherigen Leistung, sorgt dafür aber für mehr Drehmoment bei niedrigeren Drehzahlen. Genau so gingen die Entwickler bei der neuen RT vor. Bei unverändert 6000 U/min stemmt der exakt 1170 ccm große Twin jetzt maximal 120 statt 115 Nm auf die Kurbelwelle. Die Spitzenleistung beträgt unverändert 110 PS, die jetzt aber bei 7750 U/min (bisher 7500 U/min) anliegen. Hinzu kommt eine um 500 Umdrehungen auf 8500 U/min gesteigerte Maximaldrehzahl, was für einen Tourer auf den ersten Blick nicht kriegsentscheidend sein mag, aber ganz gut zum grundsätzlichen Entwicklungsziel passt. Und das lautete: mehr Drehmoment und einen homogeneren Drehmomentverlauf über ein breiter nutzbares Drehzahlband.

Damit zumindest der Kenner auf Anhieb sieht, dass da der neue Boxer kämpft, sind die Zylinderkopfhauben nun mit zwei statt vier Befestigungsschrauben bestückt, was der Sache angeblich – zumindest laut BMW-Presse-Info-Prosa – eine „dynamischere Formgebung” beschert.

Die unglaublich wichtige Zylinderkopfhauben-Dynamik mag man erst auf den vierten Blick sehen, doch bereits der zweite Blick genügt, um die Änderungen bei der üppigen Kunststoffverschalung zu erkennen. Im direkten Vergleich mit ihrer Vorgängerin wirkt die neue RT etwas leichter und (hier trifft der Begriff tatsächlich zu) auch dynamischer. Von den Abmessungen hat sich mit Ausnahme der im oberen Bereich jetzt etwas breiteren und noch besser schützenden Scheibe zwar kaum etwas geändert, doch insgesamt kommt die ganze Verschalung nicht mehr ganz so flächig rüber. BMW reduzierte die Farbanteile, verbaute weiße Blinkergläser, sorgte für mehr unterbrochene Flächen und spielte mit Lichtkanten. Der Vorderradkotflügel ist komplett neu, das Cockpit bekam neu gezeichnete Zifferblätter spendiert und trägt jetzt über den Instrumenten eine Blende, die Spiegelungen vermeiden soll.

BMW R 1200 RT Modell 2010Geradezu eine Revolution gab’s am Lenker. Ja, sie haben es tatsächlich gemacht: Auch die RT ist jetzt mit einem zentralen Blinkerschalter bestückt. Wahnsinn! Wo doch Generationen von BMW-Fahrern Stein und Bein geschworen haben, dass zur korrekten Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers drei Schalter zwingend erforderlich sind. Mindestens. Menschen ohne weiß-blaue Brille werden die Änderung trotzdem als Fortschritt werten. Ob es allerdings ein Fortschritt ist, die vormals integrierten Hydraulikflüssigkeits-Behälter jetzt hoch überm Lenker in Gummi gelagert unterzubringen, ist eine Frage, die sich nicht ganz so eindeutig beantworten lässt. Auf Holperstrecken bieten die munter schwingenden Pötte jedenfalls ein interessantes Schauspiel.

Eine ganz klare Verbesserung ist jedenfalls der „Multi-Controller“. So nennt BMW ein am linken Lenkerteil zwischen Griffgummi und Armatur platziertes Bedienrad, mit dem durch Drehen oder Drücken Radiosender und Musiktitel ausgewählt sowie die Lautstärke des (aufpreispflichtigen) Audio-Systems geregelt werden können. Beim Vorgängermodell übernahm noch ein eher hässlicher Bediensatellit diesen Job. Die Leuchtweite der sehr guten Scheinwerfer (2x H7-Abblendlicht plus ein zentrales Fernlicht) lässt sich nun per Handrad vom Cockpit aus verstellen – noch ein klarer Fortschritt.

Ansonsten ist der RT-Arbeitsplatz genau das, was er immer schon war: saubequem. Okay, die recht tief montierten Rückspiegel sind nicht ganz optimal, aber ansonsten gibt’s einfach nichts zu meckern, Fahrer und Sozius sind perfekt untergebracht. Die elektrisch über maximal 14 cm stufenlos verstellbare Windschutzscheibe verzerrt jetzt noch weniger, ist stabiler befestigt und sorgt für deutlich weniger Turbulenzen am Oberkörper und etwas leiser ist’s hinter der Scheibe ebenfalls geworden. Wer auf großem Fuß lebt, wird sich über den mittels Exzenter verstellbaren Schalthebel freuen. So lässt sich der Abstand zwischen Fußraste und Hebel perfekt anpassen. Verstellbare Handhebel gibt’s natürlich ebenfalls.

Doch vor lauter Ergonomie-Lobhudelei sollten wir vielleicht zur wesentlichen Veränderung zurückkehren, dem Motor: Der klingt schon mal etwas kerniger als der bisher verbaute Twin. Eine elektronisch gesteuerte Abgasklappe zwischen Kat und Schalldämpfer macht’s möglich. Ein elektrischer Stellmotor mit Öffnungs- und Schließerzügen regelt die Angelegenheit. So konnte der äußerlich nahezu unveränderte Endtopf in seinem Inneren deutlich luftiger gestaltet werden. Der sonor blubbernde Boxer gibt in der RT den Alleskönner. Wer gemütlich cruisen möchte, kann den mit einem Ölkühler bestückten Motor untertourig und ruckelfrei trödeln lassen, dass es eine wahre Freude ist. Kein Verschlucken, kein Hacken, einfach nur wohliges, drehmomentstarkes Grummeln aus den Tiefen des Boxerkellers. Da kommt keine Hektik auf, da lässt man es einfach laufen, das ist pure Erholung, da werden 100 km/h Landstraßenlimit als gar nicht so schlimm empfunden. Im Gegenteil.

BMW R 1200 RT Modell 2010Die völlig andere Seite ist eine Agilität, die man in dieser Form von der RT noch nicht kannte. Ganz direkt, ziemlich kernig und spürbar munterer als beim Vorgängermodell reagiert der Motor auf Gasgriffbefehle. Die Fahrleistungen mögen sich auf dem Papier kaum unterscheiden – die Höchstgeschwindigkeit blieb mit 223 km/h praktisch gleich und die Beschleunigungswerte verbesserten sich nur marginal – doch der DOHC-Motor wirkt einfach spritziger. So, als ob ein begnadeter Tuner Hand an den Motor gelegt und ihm jedes überflüssige Gramm Schwungmasse abgenommen hätte. Wer will, kann es mit der RT mächtig fliegen lassen. Womit wir bei dem wesentlichen Punkt wären, der die Boxer-RT eigentlich schon immer von den anderen Dampfern der Tourer-Fraktion, auch von denen im eigenen Hause, unterschieden hat: der erstaunlichen Sportlichkeit.

Mit 25 Litern Superplus vollgetankt bringt die RT 282 Kilo auf die Waage. Nicht gerade wenig, aber im direkten Vergleich mit anderen Fulldressern moderat und vor allem so gut ausbalanciert und so tief liegend, dass munteres Kurvenschwenken zur Lust und nicht zur Last wird. Die RT kann einfach beides sehr gut: stundenlanges Kilometerfressen auf der Autobahn, aber auch hunderte noch so enger Landstraßenkurven locker-flockig abreiten. Mit einem Landstraßenverbrauch von unter fünf Litern und meist nicht mehr als sechs Litern auf der Autobahn ist die RT immer für mindestens 400 unterhaltsame Nonstop-Kilometer gut.

Das goldrichtig abgestufte, präzise und meist auch leise zu schaltende Sechsganggetriebe ist für alle Aktionen ein perfekter Partner. Und das gilt auch fürs Fahrwerk, das vermutlich von den meisten RT-Käufern in seiner elektronisch einstellbaren Ausführung geordert wird. Dessen jüngste Ausbaustufe heißt ESA II. Auf Knopfdruck lassen sich die Zugstufendämpfung des vorderen und hinteren Federbeins sowie die Federbasis („Federvorspannung“) des hinteren Federbeins und nun auch dessen Federrate und damit die „Härte“ einstellen. Die Federrate, die ja eigentlich durch die Bauart der verwendeten Feder festgelegt ist, verändert BMW durch zwei in Reihe geschaltete Federn, von denen eine ein Elastomer-Element ist, das elektrohydraulisch beeinflusst wird.

BMW R 1200 RT Modell 2010Klingt kompliziert, geht aber ganz einfach: Im Stand wählt der Fahrer den Beladungszustand (solo; solo mit Gepäck; mit Sozius und Gepäck). Das System regelt dann automatisch die Federbasis bzw. die Federrate. Zusätzlich wählt der Fahrer zwischen den Punkten Comfort, Normal oder Sport – das System kümmert sich entsprechend um die Dämpfung. Während die Beladungsverstellung ausschließlich im Stand funktioniert, kann die Dämpfung jederzeit auch während der Fahrt verändert werden. Wer mitgerechnet hat, kommt auf neun verschiedene Abstimmungsvarianten – da ist für wirklich jeden Einsatzzweck etwas Passendes dabei.

ESA II kostet als Einzelposten 740 Euro extra und ist wirklich sehr empfehlenswert, aber nicht zwingend erforderlich – das serienmäßige Fahrwerk macht auch schon einen sehr guten Job. Das gilt auch für das (aufpreisfreie!) Teilintegral-ABS. Die Telelever-Gabel verhindert, dass die Maschine bei starker Verzögerung vorn wegtaucht; und das Hinterrad behält selbst bei brutalsten Vollbremsungen immer Bodenkontakt. Damit sind selbst von ungeübten Fahrern sehr kurze Bremswege zu realisieren. Die Dosierung dürfte zwar noch etwas feinfühliger sein, doch entscheidend ist, dass die fast zehn Zentner zulässiges Gesamtgewicht (exakt 495 kg) möglichst sicher und schnell verzögert werden – und das schaffen die RT-Stopper hervorragend. RT-Fahren beginnt bei 16200 Euro. Wer die RT im vollen Ornat ordert, ist locker mit 20 Mille dabei. Ist es die Sache wert? Ganz klar: ja! Für den Gegenwert eines strunzlangweiligen Wagens der unteren Mittelklasse gibt’s bei BMW den vielleicht besten Alleskönner-Tourer, den der Motorradmarkt momentan zu bieten hat. Die Verpackung der RT war immer schon Geschmackssache, daran hat auch die aktuelle Modellpflege nichts geändert, doch über die fahrdynamischen Qualitäten dürfte es keine zwei Meinungen geben. Erst recht nicht, seit der famose DOHC-Motor Dienst tut.