aus bma 03/04

Text: www.Winni-Scheibe.de
Fotos: BMW, Scheibe

Mit einer brandneuen Reise-Enduro ein fremdes Land zu erkunden ist ein reizvolles Abenteuer. Anfang des Jahres stellte BMW in George an der berühmten „Garden Route” in Südafrika die R 1200 GS vor. Beide, das neue Offroad-Bike und das wunderschöne Land, hinterließen unvergessliche Eindrücke.
An meine erste Pressevorstellung erinnere ich mich noch wie heute. Als Redakteurs-Novize beim Motorradmagazin MO in Stuttgart durfte ich im September 1980 mit nach Avignon/Südfrankreich. BMW präsentierte dort die neue R 80 G/S. Für mich war es ein außergewöhnliches Ereignis. Wir räuberten über die französischen Landstraßen als gäbe es keinen anderen Morgen. Unbedingt wollten wir wissen, was das neue Fahrwerk mit der sensationellen Einarmschwinge taugte. Damals, wir erinnern uns, gab es schließlich noch genügend Bikes mit Chassis, die, so nannten wir es, „wie Lämmerschwänze wackelten”.
Bei der BMW war davon nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. „Die Kuh” überraschte mit tadellosem Fahrverhalten. Aber noch mehr. Die aufrechte Sitzposition und die breite Lenkstange in den Händen gab einem das Gefühl die Maschine in jeder Situation voll im Griff zu haben. Bodenwellen wurden vom Fahrwerk anstandslos glatt gebügelt, die Bremsanlage überzeugte. Für die Gelände-Fotos fuhren wir über einen Feldweg, ließen dabei das Hinterrad durchdrehen, bis es ordentlich staubte. Das sah nach echtem Abenteuer aus, auch wenn es Hollywood viel besser konnte. Das eigentliche Vergnügen hatten wir aber auf der Straße. Für den Offroad-Spaß sprang der Funke (noch) nicht über. Dafür war uns die Geländemaschine zu groß, zu schwer und zu zweizylindrig.

 

Alles, was danach kam, ist Geschichte. Mit der Zeit lernten nicht nur wir Motorradjournalisten die Stärken dieses Offroad-Bikes richtig zu schätzen. Und Kritiker, die noch eben behaupteten, die G/S sei weder „Fisch noch Fleisch”, mussten sehr bald ihre Meinung kräftig revidieren. Dass sich mit der „G/S” nämlich ganz gut im Gelände herumtoben ließ, bewies bereits 1981 Hubert Auriol. Er gewann mit dem Offroad-Boxer die prestigeträchtige Wüsten-Rallye „Paris-Dakar”. Zwei Jahre später, 1983, wiederholte er das Kunststück. Für BMW war es kein Zufall. 1984 und 1985 gewann die härteste Lang-strecken-Rallye der Welt der belgische Haudegen Gaston Rahier mit dem bayerischen Gelände-Boxer. Im Laufe der Jahre folgten nach der Ur-G/S 1987 die R 100 GS, 1993 kam die R 1100 GS und 1999 die R 1150 GS. Insgesamt ließen sich seit 1980 rund 170.000 (!) BMW-GS-Modelle weltweit absetzen.

Fast 25 Jahre später sitze ich auf der neuen R 1200 GS. Gut ein Vierteljahrhundert nach der G/S-Vorstellung in Avignon wurde die brandneue R 1200 GS Anfang Januar in George/ Südafrika präsentiert. Eigentlich hätte sich BMW ja die Mühe sparen können. Die landauf, landab beliebte R 1150 GS ist nicht nur der Topseller im BMW-Programm, die große Reise-Enduro geht weg wie warme Semmeln, und schon seit Jahren ist sie das meist verkaufte Motorrad in Deutschland überhaupt. Auf anderen Märkten erzielt sie ebenfalls Traumerfolge, eigentlich kein Grund etwas zu ändern.
Und trotzdem, nichts sollte so bleiben, wie es war. Vom Motor über Fahrwerk bis hin zur Ausstattung ist die R 1200 GS eine eigenständige Neuentwicklung. Das Ziel war klar definiert: konsequente Weiterentwicklung jedes einzelnen Bauteils sowie Verringerung des Fahrzeuggewichtes. Die verordnete 30-kg-Diät war allerdings kein Pappenstiel. Jedes Bauteil wurde auf die Waage gelegt, neu berechnet und konstruiert. Nichts ändern wollte man dagegen am Outfit. Das gewohnte Erscheinungsbild der „GS” sollte unverändert bleiben, nur Feinschliff war erlaubt.
Was die BMW-Ingenieure bei der GS-Renovierung aus dem Hut gezaubert haben, verdient Respekt und Anerkennung. Frei nach dem Motto „Innovation statt Revolution” hat man sich jedes einzelnen Fahrzeugelementes angenommen. Beim Motor ging’s um Leistungssteigerung, Optimierung der Laufcharakteristik sowie um Gewichtsreduzierung. Das Ergebnis der Kur sind exakt 1170 ccm, 100 PS bei 7000 U/min in der offenen Version und 115 Nm Drehmoment bei 5500 U/min. Das eigentliche Highlight ist allerdings die Ausgleichswelle, die den Motor nun fast vibrationsfrei, ohne jedoch die typische BMW-Boxer-Charakteristik zu verwässern, laufen lässt. Auch die Diät kann sich sehen lassen, der Kraftmeier ist gut drei Kilo leichter als der R 1150 GS-Motor. Konsequenter Leichtbau bei Anlasser, Lichtmaschine und Batterie sparen nochmals zwei Kilo.
Ebenfalls eine Neuentwicklung ist das nur 13 Kilo schwere Sechsganggetriebe. Die Zahnräder sind schrägverzahnt und der Gangwechsel erfolgt nicht über das Verschieben der Zahnräder, sondern durch Schiebemuffen. Der Gangwechsel erfolgt nun in einer Präzision, wie man es sich von einem BMW-Getriebe schon immer gewünscht hat.
Auch dem Chassis widmete man sich mit großer Aufmerksamkeit. Die Telelever-Vorderradführung ist oben am Motor verschraubt, das Rahmenheck besteht aus einer filigranen Stahl-Gitterrohr-Konstruktion. Bei diesem Bauprinzip dient das Triebwerk als mittragendes Teil. Dieses System bietet sich zur Leichtbauweise geradezu an. Komplett neu ist die Frontpartie. Der Telelever-Auslegearm ist aus hochfestem Aluminium geschmiedet, zur Erhöhung der Stabilität vergrößerte man die Standrohrdurchmesser von 35 mm auf 41 mm. Weiterhin treu geblieben ist BMW der Paralever-Einarmschwinge, die nun im Rahmen gelagert ist. Die in sich sehr kompakt wirkende Hinterradführung ist so konzipiert, dass beim Lastwechsel die Kardanreaktionen kaum noch zu spüren sind.
Auffällige Neuerung sind die Gussfelgen. Mit ihnen ließen sich noch einmal vorne 0,1 kg und hinten 1,6 kg einsparen. Weltenbummler, die nur gelegentlich über Naturwege und Schotterpisten fahren, sind mit den neuen, pflegeleichten Alurädern bestens bedient. Hartgesottene Offroad-Freaks, die es im Gelände jedoch richtig krachen lassen, sollten ihre GS allerdings mit den Kreuzspeichenrädern ordern. Diese Felgen sind weitaus belastbarer, und auf sie lassen sich ebenfalls schlauchlose Pneus montieren.
Aber längst nicht genug. Wer verreist braucht Stauraum, mal mehr, mal weniger. Für die kleinen Ausflüge fasst der linke Koffer 28,5 Liter, der rechte 37 Liter. Soll es auf große Tour gehen, wird mit einem Handgriff das Volumen der Koffer vergrößert. Jetzt bietet der linke Koffer 37,5 Liter und der rechte 46 Liter Fassungsvermögen. Darüber hinaus gibt es noch ein Topcase sowie einen Tankrucksack und wem in der kalten Jahreszeit die Hände klamm werden, kann die Griffheizung einschalten. Da aber nicht alle GS-Treiber lange Lulatsche sind, lässt sich die Sitzhöhe von 810 mm bis 890 mm durch eine spezielle Arretierung und durch unterschiedliche Zubehör-Sitzbänke variieren. Verfahren auf fremden Straßen braucht sich der GS-Pilot nun auch nicht mehr, als Zubehör gibt es ein GPS-Gerät.
Trotz hochmoderner Bord-Elektronik mit Computer-Checkanalyse, ausgeklügelter Einspritzanlage mit zwei Lambdasonden, Doppelzündanlage, geregeltem Dreiwegekatalysator und zeitgemäßem ABS-Bremssystem ist die R 1200 GS alles andere als eine weichgespülte Möchtegern-Enduro. Dank der sensationellen Gewichtsreduzierung von 30 Kilo und der neuen Motor-Power reicht die Geländetauglichkeit vom gemütlichen Trialfahren durch die Natur bis hin zum ambitionierten Endurobolzen. Für diese Fähigkeiten steht und bürgt das „G”. Das „S” steht für Straße und auch hier setzt das „Schnabeltier” Maßstäbe. Die Sitzposition ist tadellos, aufrecht sitzend, „mit der Nase im Wind”, behält man einen kommoden Rundumblick über die Straßensituation und in die Landschaft. Das Windschild lässt sich je nach Bedarf fünffach verstellen und bietet guten Windschutz.
Im Fahrbetrieb, ganz gleich ob auf den kurvigen Straßen oder Offroad über Schotterpisten, überzeugte die neue Reise-Enduro. Auf der abwechslungsreichen Strecke im Landesinneren von Südafrika konnte der Boxer seine Stärke voll ausspielen. Im Vergleich zum R 1150 GS-Triebwerk ist der neue Flat-Twin kaum wieder zu erkennen. Der Motor hängt gierig am Gas, hat Schmackes über das gesamte Drehzahlband und dreht sauber und kraftvoll bis 7000 U/min hoch. Aber auch (oder besonders) schaltfaules Fahren ist beim genussvollen Wandern über die gut ausgebauten Landstraßen kein Thema. Der Bums aus dem Keller ist beachtlich. Wird nach einer Kurve das Gas aufgezogen, schiebt die GS verhement vorwärts.
Enduroparadies vom Feinsten, und das auch noch ganz legal, bot die Strecke hinter Oudtshoorn über den Swartberg-Pass in Richtung Prince Albert. Die geschotterte Passstraße kann für leidenschaftliche Enduroisten zur echten Herausforderung werden. Der Pass ist zwar im brauchbaren Zustand, aber in vielen Abschnitten extrem eng, verwinkelt und unübersichtlich. An manchen Stellen ist man im Schritttempo fast schon zu schnell. Diese Vorsicht ist allerdings auch geboten, mal sind es freche Affen die mitten auf der Straße hocken, ein anderes Mal kommt ein Einheimischer mit seinem japanischen Pickup „volle Lotte” um die Ecke gebrettert. Keinen Stress macht die GS. Das Handling ist auf solchen verzwickten Streckenabschnitten tadellos, der Motor glänzt durch geschmeidige Laufruhe im untertourigen Drehzahlbereich. Selbst eingefleischte Puristen werden in diesen Situationen auf die Doppelzündung und Ausgleichswelle nicht mehr verzichten wollen, der Motor hat damit eine echt klasse Laufkultur.
Keine Frage, die neue R 1200 GS ist nicht nur eine würdige Nachfolgerin der erfolgreichen R 1150 GS, sie ist auch eindeutig das bessere Motorrad. Noch nie gab es eine Maschine, in der die Errungenschaften moderner Technik so komprimiert eingesetzt wurden. Die Mitbewerber können sich davon eine Scheibe abschneiden.

Technische Daten BMW R 1200 GS Modelljahr 2004

Motor:
Luft/-ölgekülter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, vier Ventile pro Zylinder, HC (high camshaft), eine Ausgleichswelle, Leistung 72 kW (100 PS) bei 7000 U/min (lieferbar auch in versicherungsgünstiger 98 PS-Ausführung), max. Drehmoment 115 Nm bei 5500 U/min, Bohrung x Hub 101 x 73 mm, Hubraum 1170 ccm, Verdichtung 11:1, digitales Motormanagement BMS-K, sequenzielle elektronische Saugrohreinspritzung, zwei Lambdasonden, G-Kat, Batterie 12V/14Ah, E-Starter, Sechsganggetriebe, Endantrieb über Kardanwelle

Fahrwerk:
Stahl-Gitterrohrrahmen, Triebwerk mittragendes Teil, vorne BMW-Telelever
mit Ø 43 mm Standrohren, Federweg 190 mm, hinten BMW-Paralever-Einarmschwinge mit Zentralfederbein, Federweg 200 mm. Bereifung vorn 110/80H19TL, hinten 150/70H17TL. Doppelbremsscheibe vorn Ø 305 mm, Scheibenbremse hinten Ø 265 mm. Nachlauf 110 mm, Lenkkopfwinkel 62,9 Grad, Radstand 1519 mm, Sitzhöhe 810 – 890 mm. Tankinhalt 20 Liter. Gewicht vollgetankt 225 kg, zulässiges Gesamtgewicht 425 kg

Höchstgeschwindigkeit: 205 km/h
Preis: 11.500 Euro (zuzüglich Liefernebenkosten)