aus bma 3/13
Text: Vic Mackey
Bilder: Toni Börner, Vic Mackey

BMW R 1200 GS Modell 2013Eigentlich war Vic Mackey nach Andalusien gekommen, um auf der Rennstrecke von Almeria BMWs HP4 zu testen. Doch das Schicksal wollte es anders – nach dem Abbruch der offiziellen Presse-Präsentation in Südafrika wegen des tragischen Unfalls des englischen Journalisten Kevin Ash war es plötzlich an dem bekennenden GS-Gegner die komplett neu konstruierte R 1200 GS mit dem Werkscode „K50″ im spanischen Andalusien als erster deutscher Journalist ausgiebig selbst zu fahren.

Die Menschen lieben Siegertypen. Wo der Erfolg ist, sind Freunde und Verehrer nicht weit und so verwundert es kaum, dass sich jedes Jahr aufs neue immer wieder Motorradfahrer entscheiden, ins Lager der GS-Treiber zu wechseln.
Die GS ist das erfolgreichste Motorrad in der Historie der Bayerischen Motorenwerke. Seit 32 Jahren regiert sie ein Segment, welches eigentlich sie erst geschaffen hat. Rund ein Drittel aller verkauften BMW-Modelle tragen die Initialen für Gelände und Straße, auch wenn es den meisten Käufern wohl vielmehr auf Reise- und Alltagstauglichkeit, als auf ausgeprägte Abenteuererlebnisse fernab befestigter Straßen ankommen dürfte. Die R 1200 GS ist der Inbegriff der Reise-Enduro.

Kein leichtes Unterfangen also, ein völlig neu konstruiertes Motorrad in dieser Ahnenreihe zu platzieren. Vermutlich deswegen hatte BMW seit 2004 nur kleine Entwicklungsschritte dem 1170 Kubik großen Boxer angedeihen lassen. Zu erwähnen wären hier lediglich die Doppelnockenwellen übernommen aus dem High­end-Boxer HP2, welche die Leistung prestigeträchtig auf 110 PS anhoben. Damit war aber dann auch konstruktiv das Limit des luftgekühlten Boxers erreicht, vermutete man, als die Nachricht von einer geplanten Wasserkühlung die Runde machte. Seit dem spricht alle Welt über den „Wasserboxer“ und damit eigentlich über eine konstruktive Nebensächlichkeit, aber dazu später mehr.
Gesunde Skepsis machte sich im Lager der Traditionalisten breit. Würde BMW im Wettrüsten um mehr Leistung den Mitbewerbern, wie Triumph, KTM und Ducati nacheilen, die bislang immer gut daran getan hatte, sich selbst an der GS zu orientieren.

BMW R 1200 GS Modell 2013Eine gewisse Skepsis kennzeichnet auch mein persönliches Verhältnis zur GS. Gelinde ausgedrückt, denn eigentlich mag ich sie nicht. Nicht, weil man sich ihr nicht entziehen kann. Sie auf Alpenpässen ebenso omnipräsent ist, wie auf den Bikertreffs der Region und dabei die Individualität eines VW Golf verströmt. Selbst bei Renntrainings trifft man immer mehr „Schnabeltiere“ an und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass ein entschlossener Kuhtreiber auf kurvigen Straßen kaum zu biegen ist.

Die GS hat ihre Qualitäten, die auch ich nicht leugnen kann. Ihre Vielseitigkeit zum Beispiel, die es ermöglicht die Fahrt zum Bäcker spontan bis ans Kap der guten Hoffnung auszudehnen. Mit kaum einem anderen Motorrad würde ich gerne um die Welt fahren. Allerdings auch ebenso ungern um die nächste Kurve, denn was mir an der GS bislang völlig abging, war das Vorderrad-Feedback. Das Gefühl für alles, was auf der Straße vor einem passiert, vermisse ich schmerzlich und habe es bislang immer der, seit 1994 vorhandenen Telelever-Vorderradführung abgesprochen, die in Verbindung mit den endurotypischen langen Federwegen den Piloten nahezu vollständig vom Untergrund entkoppelt. Auch andere Fahrer, die wie ich als Teilnehmer des BMW Motorrad Testcamp in Almeria auf Landstraßentouren die bisherige R 1200 GS mit dem Werkscode „K25″ pilotieren, bestätigen mir diese Mangelerscheinung. Ebenso wie versierte GS-Fahrer, die zwar auch nicht wissen, was ihr Vorderrad macht, denen es aber gleichwohl egal zu sein scheint. Offensichtlich haben sie es sich abgewöhnt oder noch nie erfahren, was es bedeutet, das Vorderrad zu spüren.
Als ich am Vorabend der ersten K50-Fahrten mit dem verantwortlichen Projektmanager Toine in Ruhe diesen Kritikpunkt bespreche, lächelt er mich voller Zuversicht an und meint „Dann bin ich gespannt, was du morgen sagen wirst!“

BMW-R1200GS 2013 HeckToine hatte sich einiges vorgenommen, als er 2007 den Auftrag übernahm, eine völlig neue GS zu entwickeln. Aber er strahlt Zufriedenheit aus bei allem über was er an diesem Abend referiert. Das es gelungen sei, die „Dreifaltigkeit“ der GS zu bewahren – ein fernreisetaugliches Fahrzeug auch zu zweit, das aber auch im Gelände seine Qualitäten unter Beweis stellt und sich zudem sehr dynamisch auf der Landstraße bewegen lässt.

Dass man sie völlig neu designed, dabei aber die klassische „Flyline“ bewahrt habe. Von der Seite betrachtet, ein liegendes S, welches sich vom Schnabel über den Tank, durch die Sitzbank bis ins Heck zieht. Die Neue wirkt moderner, eleganter. Aber auch irgendwie massiger, versammelter. Speziell im vorderen Bereich, wo Seitenverkleidungsteile geschickt die neuen Wasserkühler kaschieren. Toine betont aber auch, dass die weiterhin sichtbaren Kühlrippen nicht nur optischer Natur sind. Der Wärmehaushalt der Zylinder wird weiterhin maßgeblich über die Kühlleistung des Fahrtwindes bestimmt. Nur thermisch problematische Bereiche wie die Zylinderköpfe werden umspült. „Präzisionskühlung“, nennt sich das.

Der eigentliche Clou am neuen Triebwerk ist die sogenannte „vertikale Durchströmung“; die einströmende Luft wird von oben in die Brennkammer zu- und nach der Zündung Abgase nach unten abführt. Gemeinsam mit einer Überarbeitung der relevanten Oberflächen ergibt sich gegenüber den bislang horizontal durchströmten Zylindern ein Leistungszuwachs von immerhin 15 Pferdestärken auf 125 PS bei 7700 Umdrehungen.
Wie dieses neue Triebwerk zu Werke geht, erfuhren Teilnehmer des Testcamp in Andalusien Anfang Februar exklusiv vor allen Anderen. Selbst vor der versammelten Fachpresse, die sich bis zu einem Nachholtermin in Afrika gedulden muss.

BMW-R1200GS 2013 CockpitDoch vor dem Starten kommt die Sitzprobe. Und was direkt beim Aufsteigen auffällt, ist, dass die Sitzbank in der Taille schmäler ausfällt. Zwar ist das Gewicht von rund 240 Kilogramm je nach Ausstattung unverändert zur Vorgängerin, doch im direkten Vergleich wirkt sie wesentlich besser ausbalanciert. Die Sitzbank ist weiterhin in der Höhe durch einfaches umstecken verstellbar und bietet zudem die Möglichkeit die Neigung zu variieren. So lässt sich z.B. das Fahrersitzkissen vorne abwärts anstellen, was denselben Effekt wie ein orthopädisches Keilkissen hat. „Zielgruppeorientiert für das alternde Publikum“ höre ich mich spötteln, doch als Wirbensäulengeschädigter selbst kenne ich die funktionalen Vorteile. Zumal das Fahrerkissen am Gesäß eine breitere Auflage bietet dürfte der Langstreckenkomfort noch mal zulegen. Die Verstellmöglichkeit macht auch vor der Sozia keinen Halt. Das Passagierkissen lässt sich verschieben und damit rückt die Beifahrerin bei Bedarf näher an den Fahrer.

BMW R 1200 GS Modell 2013Die gesamte Ergonomie – ohnehin ein Vorzug der GS – wurde optimiert. Doch was im Wortsinn auf bzw. in der Hand liegt, sind die neuen Armaturen. Noch ein Rückschlag für Traditionsbewusste: BMW kehrt auch beim Flagschiff der eigensinnigen, beidseitigen Blinkerschaltung den Rücken. Die Rückstellung mit dem rechten Daumen war mir immer lästig, da beispielsweise beim Ausfahren aus Kreisverkehren oder beim sonstigen Einfädeln immer zwangsläufig auch Unruhe in den Gasgriff kam. Und im Gasgriff liegt der nächste Fortschritt. Dieser fällt kurzhubiger aus, was es nun erübrigt, von null auf Vollgas umgreifen zu müssen.

Genug der Trockenübungen, schließlich sind wir zum Fahren hier. Den kernig, markigen Sound des Vorgängeraggregats hat die K50 abgelegt. Die Klangzugabe seit Einführung der Doppelnocken hatte nicht nur Lob eingebracht. Speziell in Verbindung mit montierten Koffern war manchem Fahrer wahrlich zu viel zu Ohren gekommen. Hier hat BMW reagiert, ohne den klassischen Boxersound zu vernachlässigen. Die Gasannahme des nun als Ride-by-Wire ausgelegtem „E-Gas“ genannten Systems ist spontan und orientiert sich an den gewählten Fahrmodi. Derer gibt es nun fünf: Dynamik, Road, Rain sowie Enduro und Enduro Pro – letzteren für den professionellen Offroadbetrieb nur mit einem Stecker freizuschalten.

Wer sich zudem für das optionale ESA oder das ebenfalls erhältliche semi-aktive Fahrwerk Dynamik-ESA entscheidet, koppelt Leistungsentfaltung an Dämpfung. Kurz gesagt, umso dynamischer, desto direkter sprechen Motor und Federelemente an. Zusätzlich lassen sich die vordefinierten Einstellungen manuell verstellen und somit auf die persönlichen Bedürfnisse wie Fahrergewicht, Sozia und Gepäck anpassen.

Wie fühlt sich das an? Ganz anders als bei der Vorgängerin, obwohl bereits auch diese mit ESA erhältlich war. Doch fahrwerksseitig ist die Neue nicht mehr die Alte. Für mich persönlich die Überraschung an sich. Die K50 klappt ab, wie ein schweizer Offiziersmesser, und peilt auf einer klar gezeichneten Linie rund ums Eck.

BMW R 1200 GS Modell 2013 - linke-ArmaturDie Neue zeichnet ein klares Bild dessen, was vor dem Vorderrad abgeht und man entwickelt ein gutes Gefühl für die Arbeit, die der Tourance Next, da vorne unter einem leistet. Der von Metzeler eigens als Erstbereifung der neuen GS entwickelte, vom Tourensportler Z8 abgeleitete, Pneu trägt sicherlich auch seinen Teil zur neu gewonnenen Transparenz bei. Die neue R 1200 GS trägt Reifen in den Dimensionen 120/70 R19 vorne und 170/60 R17 hinten. Noch bei der letzten Generation der R 1200 GS war dieses Gefühl für das Vorderrad Fehlanzeige. Im Zweifel tendierte ich auf der Vorgängerin immer dazu, die Fuhre eher in einem weiten Radius laufen zu lassen, anstatt mangels Grip das Vorderrad zu verlieren. Kein schönes Gefühl. Mit neu gewonnenem Vertrauen in das Vorderrad fällt es mir immer leichter, mich auf forcierten Kurvenspeed einzulassen. Und ist dieser einmal zu optimistisch gewählt, kann die Linie immer noch zur Innenseite korrigiert werden.

Und Kurven jeder Art gibt es im andalusischen Bergland reichlich. Enger werdende Radien, die eine Linienkorrektur erfordern. Schnelle Wechselkurven, bei denen sich konventionelle Fahrwerke gerne aufschaukeln. Alles kein Problem auf der neuen GS. Semi-aktiv reagiert das Fahrwerk auf sich veränderte Fahrzustände. Im dynamischen Modus ist die Fahrwerksabstimmung betont straff und das Einlenken präzise. Zwar entwickelt die BMW dabei nicht ganz die Agilität einer Ducati Multistrada, die ihren Piloten doch deutlich näher am Lenker und damit näher am Vorderrad positioniert, aber dafür geht diese im Umkehrschluss nicht vergleichsweise gut off-road zu Werke.

BMW R 1200 GS 2013 - verstellbares WindschildSicherlich kommen hier nach wie vor die Gene der Ur-G/S zum tragen, die Ende der 70er direkt als zivilisierte Ableger des Dakar-Renners auf unsere Straßen kam. Aus Staub geboren führt der Weg der GS sie auch immer wieder gerne zurück in den Staub. Zweifelsohne sollte man für Geländeausflüge wohl eher den ebenfalls erhältlichen Metzeler-Reifen Karoo3 aufziehen und auch etwas Übung aufweisen, doch leichtere Enduropassagen im leichten bis mittleren Gelände werden von Fahrer und Fahrzeug gut genommen. Endurotypisch im Stehen ergeben die neu gestalteten Tankflanken gute Kontaktflächen zum Balancieren über Stock und Stein. Entsprechende Geländeattribute bringen auch Vorteile im Alltag, denn für ein vergleichsweise schweres und großes Motorrad lässt sich die GS sehr gut manövrieren und bei kleinstem Platzbedarf wenden.

Da die GS als Fernreisegerät auch längere Autobahnetappen bewältigen muss nutzen die Entwickler das E-Gas um nun auch ein Tempomat ins Zubehör aufzunehmen. Mit diesem kann das Reisetempo bequem fixiert werden kann. Gerne auch jenseits der 200. Denn das nun einhändig verstellbare Windschild, welches sich in der Höhe auch näher zum Fahrer bewegt, hält den heranstürmenden Fahrwind effektiv vom Helm fern.
Die R 1200 GS ist im Modelljahr 2013 nicht schneller geworden – bei rund 220 km/h ist Schluss. Da stehen dann auch schon fast 240 km/h auf dem neuen Bordinstrument, das mit analogem Drehzahlmesser und Tacho, sowie digitalem Infoboard an der bisherigen Anordnung fest hält.

BMW R 1200 GS Modell 2013Motorseitig hat die K50 im direkten Vergleich gegenüber der K25 im gesamten Drehzahlbereich kräftig zugelegt. Das Drehmoment ist beeindruckend, bis hin zum Spitzenwert von 125 Newtonmeter bei 6500 Umdrehungen. Äußerst spontan werden Gasbefehle umgesetzt. Ein bisschen mehr Spiel hätte man dem Gasgriff dabei gerne belassen können, denn wird er nicht völlig bis zu Nullstellung zurück gedreht, irritieren ungewollte Gasstöße den Fahrer.

So leicht wie das Gas lässt sich nun auch die Kupplung bedienen. Eine Mehrscheibenkupplung im Ölbad mit Anti-Hopping-Funktion löst die herkömmliche Trockenkupplung ab. So leicht Gangwechsel im neuen, integrierten Getriebe nun vonstatten gehen, verleitet diese Leichtigkeit auch zum schluderigen Schalten. Die Gänge im etwas weit gestuften Sechsganggetriebe rasten jedenfalls mit einem deutlich spür- und hörbaren „Glonk“ ein. Getriebe waren irgendwie noch nie eine Stärke von BMW.
Kritikpunkte muss man nun wirklich suchen an der neuen GS. Den Preis zum Beispiel – der liegt mit 14.100 Euro doch ganze 800 Euro über dem Vormodell. Gut nur, dass das bislang aufpreispflichtige ABS nunmehr Serie ist und somit den Grundpreis egalisiert.

Man kann BMW zu diesem Erfolgsmodell nur gratulieren. Die R 1200 GS lässt im Modelljahr 2013 selbst langjährige Kritiker verstummen. Man braucht kein Prophet zu sein, um die Zulassungsstatistik der kommenden Jahre vorauszusagen. Die GS wird ihre Fahrt auf der Gewinnerstraße fortsetzen und ich habe eine neue Bedeutung für die Initialen gefunden: Gut So!