aus bma 08/08
von Berthold Reinken
Die Steigerung der Motorleistung der GS 1200 stand sicher nicht ganz oben auf dem Wunschzettel der GS-Fangemeinde, da gibt es Wichtigeres zu verbessern. Trotzdem leistet der Motor der 2008er Version nun 105 PS und wird dadurch in der Versicherung teurer.
Zwar macht dies in der Haftpflicht nicht viel aus, wer aber seine BMW vorsichtshalber Vollkasko versichern möchte, muß nun deutlich mehr berappen. Und das für eine Leistungssteigerung, die rein subjektiv nicht viel gebracht hat. BMW hätte es besser bei der alten Leistung belassen und bei der nächsten Auflage eine Leistung von deutlich über 110 PS anstreben sollen. Nun denn, wer den Preis von 12500 Euro (mit Extras leicht 16000) aufbringen kann, bekommt das mit der Versicherungsprämie auch noch hin.
Auch äußerlich hat sich an der GS einiges verändert. Neu gestylte Gussräder, eine Überarbeitung des Schnabels, Edelstahlblenden am Tank und die magnesiumfarben eloxierten Gleitrohre fallen sofort auf. Das Motorrad wirkt jetzt höherwertiger. Unsere Redaktionsmaschine hat praktisch Vollausstattung. ABS, ASC, Bordcomputer, die in der Breite verstellbaren Koffer, Heizgriffe, das elektronische Fahrwerkseinstellungssystem ESA, Reifendruckkontrolle im Cockpit, und die optisch viel schöner aussehenden Speichenräder haben wir uns auch noch gegönnt. Man kann geteilter Ansicht darüber sein, was sinnvoll ist und was nicht, gewöhnen wird man sich auf jeden Fall schnell an den Komfort. Daß man zur Reifendruckkontrolle nicht mehr an die Box muß oder die Koffer ruck-zuck auf den Gepäckbedarf anpassen kann sind zum Beispiel feine Einrichtungen, die man nicht mehr missen möchte. Auch die Verstellung der Federvorspannung per Knopfdruck am Lenker durch das ESA ist praktisch für den, der oft von Solo- zu Zweipersonenfahrten wechselt. Dabei gibt es auch noch eine Zwischenstellung für Solo mit Gepäck. Aber das ESA bietet noch mehr. So läßt sich die Dämpfungseinstellung des Federbeins auf Normal, Sport oder Comfort einstellen. Wer aber jetzt glaubt, mit der Einstellung Comfort gleitet man sanft über schlechte Straßen, der sieht sich getäuscht. Die GS ist ingesamt eher hart abgestimmt und nix für Softies. Besonders beim Beschleunigen auf schlechten Strecken kommen von der Hinterhand des Motorrades unkomfortable Stöße. Mit einer Suzuki DL 650 ist man hier deutlich sanfter unterwegs.
Zu den Straßeneinstellungsmöglichkeiten bietet das ESA noch Extra-Gelände-Variationen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Deshalb sollte man sich die 680 Euro-Investition in das ESA gut überlegen, denn wohl nur ein kleiner Teil der GS-Fahrer kann das alles wirklich gebrauchen und ist in der Lage tatsächlich Unterschiede festzustellen.
Wer sich einmal an die Lastwechselreaktionen des Kardans gewöhnt hat, ist mit der GS 1200 auf jeden Fall schnell unterwegs. Das Fahrwerk ist über jeder Kritik erhaben. Die Maschine liegt stoisch in der Kurve, und man fühlt sich auf dem Teil sehr sicher im Gewinkel. An die Handlichkeit der kleinen Suzuki V-Strom kommt sie zwar nicht heran, trotzdem lassen sich die fast 250 Kilogramm ohne Kraftanstrengung umlegen.
Laut BMW ist auch das Getriebe zum x-ten mal überarbeitet worden. Trotzdem klappen die Schaltvorgänge immer noch nicht nur lautlos. Dabei scheint das Krachen von einem Zufallsgenerator gesteuert zu werden. Mal läßt sich der erste Gang lautlos einlegen, mal kracht es hörbar. Auch die Hoch- oder Runterschaltvorgänge sind in den unteren Gängen akustisch völlig unterschiedlich. Warum das so ist, bleibt wohl ein Geheimnis. Leicht und exakt sind die Schaltvorgänge aber immer.
Geheimnisvoll ist auch die Verteilung des Motoröls. Zeigt das Schauglas mehrere Fahrkilometer nach einem notwendigen Ölnachfüllen einen Stand von kurz unter Maximum (bei abgekühltem Motor), so kann es sein, daß nach einer weiteren kurzen Fahrstrecke der Ölstand im Schauglas zu hoch ist, um nach weiteren 100 Kilometern wieder unten zu sein. Man ist da leicht verunsichert, wieviel und ob überhaupt Öl nachgefüllt werden sollte. Wir haben uns angewöhnt, erst beim Stand von knapp über Minimum nachzufüllen, und zwar zunächst nicht mehr als einen viertel Liter. Der Ölverbrauch war dabei nur auf den ersten 4000 bis 5000 Kilomtern nennenswert und sank dann ständig.
Im Gegensatz zu früheren Boxermotoren der neuen Generation, die einen Klang wie eine Singer-Vollzickzack hatten, erfreut der Sound der GS 1200 das Ohr. Dabei kommt aus dem Auspuff neben dem Grollen hin und wieder beim Gaswegnehmen ein herrliches Fehlzündungsknallen. Altkradler mögen das.
Ein Drehmomentwunder ist die neueste GS nicht. Wer schaltfaul unterwegs sein möchte, läßt den fünften Gang drin und kann dann von Ortgeschwindigkeit 50 ohne Runterschalten beschleunigen, allerdings rumpelt der Boxer bis zum Erreichen von 70 km/h deutlich. Wen das stört, der muß halt in Ortschaften auf den vierten Gang zurückgreifen.
Zwei unschöne Dinge fielen auf unseren bisherigen 7000 Kilometern auf: Der Spritzschutz ist unzureichend. Das Topcase wird am Heck durch Dreck eingesaut, und der Lichtmaschinendeckel liegt voll im Schmutzwirbel des Vorderrades. Die Firma Wunderlich bietet hier Abhilfe.
Außerdem ist der Anstellwinkel des Seitenständers zu schräg. Besonders eine beladene GS verlangt vom Fahrer manchmal heftige Kraftakte zum Aufrichten. In bergigen Gegenden kann das besonders nerven. Auch dieses Problem entschärft ein Zubehörteil von Wunderlich.
Auf Null stellten wir den zweiten Tripzähler des Tachos vor dem Start zu einer langen Frankreich-Reise, um am Ende die Gesamtkilometer bequem abzulesen. Leider wurden wir enttäuscht: Nach 999 Kilometern gehts bei Null wieder von vorne los. Schade.
Neben Restreichweite (ungenau), durchschnittlichem Benzinverbrauch (zeigt tatsächlich sehr genau an), Reifendruck mit Warnfunktion bei Abfall, Durchschnittsgewindigkeit, Außentemperatur und Öldruckkontrolle zeigt der Bordcomputer auch die Uhrzeit an. In der Praxis zeigt sich aber, daß man bei einem Blick zur Uhr immer wieder gerade eine andere Anzeige im Feld hat, was im ungünstigsten Fall ein fünfmaliges Knopfdrücken erfordert, um zur Zeitanzeige zu gelangen. Das lenkt zu sehr vom Fahren ab und führte bei unserer Maschine zum Montieren einer schönen Lenkeruhr von Gericke.
Als Fliegenfänger erwiesen sich die Kreuzspeichenräder. Fährt man viel durch insektenreiche Gegenden finden sich auf den Felgen jede Menge festgeklebte Fliegen, die man tunlichst regelmäßig entfernen sollte, da sie zu häßlichen Flecken führen können. Im Fahrbetrieb erfreut man sich an der Antischlupfregelung ASC, die ein Durchdrehen des Hinterrades beim Beschleunigen verhindert, besonders auf nasser Straße eine Top-Sache. Tadellos und praktisch perfekt arbeiten die Bremsen sowie das ABS, das als Referenzklasse bezeichnet werden kann. Sehr erfreulich ist auch der geringe Benzinverbrauch der GS. Bei zügiger Fahrweise und mit Gepäck saugte der Boxer im Schnitt 5,6 Liter aus dem Tank. Und wenn mal kein Superbenzin zur Verfügung steht oder unverhältnismässig teuer ist, nimmt der Boxer trotz der gesteigerten Leistung auch klaglos Normalsprit.
Die Sitzbank wurde etwas höher und straffer gepolstert. Trotzdem ist sie für Hardcore-Fahrer noch zu weich. Für diese harten Hunde (oder Hündinnen) gibt es im Wunderlich-Sortiment einen knallharten Hocker. Schön ist auf jeden Fall, daß man die Originalbank auf 850 oder 870 Millimeter Höhe einsetzen kann, unschön, daß die Bank unserer GS schon nach 3000 Kilometern eine Falte warf, die nicht mehr rausgeht. Im Rahmen der Garantie soll das aber erledigt werden, wie uns die Bremer BMW-Niederlassung zusagte.
Weil Multimedia auch beim Motorrad Einzug gehalten hat (Navi, Kamera, Handy, MP3-Player) und heizbare Klamotten auch immer beliebter werden, haben die BMW-Entwickler vorsichtshalber die Leistung der Lichtmaschine auf 720 Watt erhöht. Sehr weitsichtig, dafür gibt es ein besonderes Lob.
Schelte haben wir aber auch noch parat: Daß ein Motorrad dieser Preisklasse mit nur einem vernünftigen Schlüssel ausgeliefert wird, ist traurig. Der Ersatzschlüssel ist aus Plastik und weckt wenig Vertrauen, damit im Urlaub länger klarzukommen, wenn der Hauptschlüssel mal abhanden kommt. Einen weiteren vernünftigen Schlüssel muß man für 30 Euro dazukaufen. Und der Zwang zur jährlichen Inspektion ist unerfreulich. Auch viele GS kommen nur auf eine jährliche Fahrleistung von vielleicht 5000 Kilometern. Diese Maschine wird nicht massenweise von harten Langstreckenfahrern bewegt. Mehr und mehr wird sie zur Image-Enduro. Es ist doch unsinnig, die Inspektionsintervalle auf 10000 Kilometer zu erhöhen und gleichzeitig eine jährliche Inspektion zu verlangen, wenn man weiß, daß der durchschnittliche deutsche Motorradfahrer bei weitem nicht an 10000 Kilometer Jahresleistung rankommt. Ein Neumotorrad, das bei 1000 Kilometern in der Inspektion war, beim Kilometerstand von zum Beispiel 5000 nach einem Jahr wieder in die Werkstatt zu bringen, ist in meinen Augen barer Unsinn. Das sollte BMW flexibler handhaben.
Ein Nagel im Reifen erzwang übrigens beim Kilometerstand von ca. 6000 einen Hinterradreifenwechsel. Schade, denn er hätte sicher noch die 8000 Kilometer erreicht. Damit kann man auch gut leben.
Fazit: Die BMW GS ist wieder mal ein Stück besser geworden. Perfekt ist sie zwar noch nicht, aber so weit davon entfernt ist sie auch wieder nicht. Sie hat keine gravierenden Schwächen, die zu beseitigen besonders schwer sein könnte. Auch die so oft angeprangerte Zuverlässigkeit verbessert sich ständig. An unserer GS 1200 gab es jedenfalls bisher absolut kein Problem. Die Erfolgs-Story der Image-Enduro wird sicher noch lange fortgesetzt.
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