aus bma 05/03

von Klaus Herder

Als zweites Spielzeug neben dem geliebten Motorrad gönne ich mir seit einigen Jahren einen Mazda MX-5. Typ NA: altes Modell, Klappscheinwerfer – die Experten wissen, wovon ich schreibe. Und jedes Mal, wenn ich Fahr- und Testberichte über das kleine Cabrio lese, kann ich mich tierisch aufregen; denn gebetsmühlengleich nölen die schreibenden Kollegen über den „zu kleinen Kofferraum” und gern auch über die „fummelig zu montierende Persening”. In solchen Momenten möchte ich den jeweiligen Schreiberling am Kragen packen und ihm in größtmöglicher Lautstärke entgegenbrüllen: „Das interessiert niemanden! Dieses Auto fährt niemand, aber auch wirklich gar niemand, um damit beim Lidl oder Penny Getränkekisten zu bunkern. Und ob man eine oder drei Minuten zum Montieren der Persenning braucht, will auch niemand wissen! Dieses Auto macht einfach nur Spaß und ist auch einfach nur als Spaßgerät konzipiert!” Aber der typisch deutsche Betroffenheitsschreiber testet ja auch gern, ob man für den Visierwechsel am Integralhelm 30 oder 45 Sekunden und womöglich sogar ein so kompliziertes Werkzeug wie einen Schraubendreher benötigt. Weil man ja schließlich täglich oder zumindest wöchentlich sein Helmvisier wechselt. Worauf ich hinaus will: Bevor man wild drauflosurteilt, sollte man sich den jeweiligen Einsatzweck vergegenwärtigen. Und plötzlich sind für Motorräder vermeintlich wichtige Kriterien wie Höchtgeschwindigkeit und Schräglagenfreiheit eher zweitrangig.

 

Womit wir auch schon bei der auf der INTERMOT 2002 präsentierten BMW R 1200 CL wären. Man mag den barocken Dampfer ob seines etwas schwülstigen Outfits belächeln, sollte aber bedenken, dass der verantwortliche BMW-Designchef David Robb aus den USA stammt und vermutlich ziemlich genau weiß, was seine Landsleute lieben. Cruiser mögen hierzulande nur eine untergeordnete Rolle spielen, in den Staaten machen sie deutlich mehr als die Hälfte des Gesamtmarktes aus. Und weil eine Harley E-Glide in den USA auch zu den Cruisern gerechnet wird und sich prächtig verkauft, bot es sich für BMW förmlich an, im hauseigenen Cruiser-Baukasten zu kramen und etwas Passendes zusammenzustecken.
Laut Anschreiben zur BMW-Presse-Info ist die R 1200 CL „ein völlig eigenständiger Entwurf”. Die eigentliche Presse-Info relativiert die Sache dann ein paar Seiten später und nennt den „Luxus-Cruiser” (ebenfalls O-Ton) eher zutreffend „ein weitgehend eigenständiges Modell”. Der komplette Motor ist jedenfalls ein alter Bekannter. Die Bayern griffen einfach zum 1170 ccm großen und 61 PS starken Vierventil-Boxer, der auch schon den seit 1997/98 immerhin über 31.000 mal gebauten Original-Cruiser R 1200 C befeuert. Die Motorenwahl ist dann aber auch schon die einzige Aktion, bei der es sich die BMW-Techniker recht einfach machten. Ansonsten trieben sie durchaus richtigen Aufwand. Zum Beispiel beim Fahrwerk: Die komplette Heckpartie ist eine Neukonstruktion, denn der alte Cruiserrahmen war für den Anbau von Trittbrettern, Kofferhaltern und einer großen Gepäckbrücke und vor allem der damit verbundenen Mehrbelastung nicht gemacht. Zwei neue Sitzgelegenheiten und eine modifizierte Seitenstütze verlangten ebenfalls nach einer Neukonstruktion. Und wo man schon mal dabei war, verstärkten die Ingenieure auch gleich noch die Hinterradschwinge (bei BMW Monolever genannt) im Bereich der Federbeinaufnahme, montierten sie ein neues Showa-Federbein mit wegabhängiger Dämpfung (wie bei der R 1150 GS Adventure) und mehr Federweg (120 statt 100 Millimeter beim alten Cruiser) und verbauten auch gleich noch die größere Hinterradbremse aus der K 1200 LT. Der Vorderrahmen aus Aluguss bekam nur zusätzliche Bohrungen für die Befestigung der knie- und beinschützenden Verkleidungsteile spendiert. Der Vorderradführung (Telelever) ging’s dafür kräftig ans Alu- und Stahlrohr. Die Gabelholme stehen weiter auseinander, damit das neue 16-Zoll-Vorderrad mit dem fetten 150er-Gummi (hinten unverändert 170/80-15) samt neuem Riesen-Schutzblech Platz hat. Das ebenfalls von Showa stammende Federbein bekam eine neue, der erhöhten Belastung angemessene Abstimmung spendiert. 144 Millimeter Federweg gab’s auch schon beim alten Cruiser. Lenkkopfwinkel und Nachlauf sind dagegen komplett anders und gnadenlos auf stabilen Geradeauslauf getrimmt (R 1200 CL: 56,5 Grad, 184 Millimeter; R 1200 C: 60,5 Grad/86 Millimeter). Um die CL von den vollverschalten BMW-Tourern abzugrenzen, montierten die BMW-Verpackungskünstler keine rahmenfeste Vollverschalung, sondern eine lenkerfeste Verkleidung – die im Prinzip identisch bestückte E-Glide ist nun mal der schärfste CL-Konkurrent. Und da der Ami bekanntlich viele Scheinwerfer liebt, stecken nun gleich vier davon im BMW-Windschild. Die beiden großen links und rechts sorgen fürs hervorragende Abblendlicht, die beiden kleinen, in der Mitte übereinander montierten Lampen sind fürs gleißend helle Fernlicht verantwortlich.
Serienmäßig ist die R 1200 CL mit zwei nicht demontierbaren Koffern und einem abschraubbaren Topcase unterwegs – macht zusammen rund 100 Liter Stauraum. Die Windschutzscheibe gibt’s ab Werk in zwei Größen für Menschen unter und über 1,70 Meter Länge. Mittig ausgeschnitten ist sie in jedem Fall. Das sorgt für freien Blick bei verdreckter Scheibe, lässt aber auch mehr Fahrtwind durch, als man es von klassischen Tourenscheiben gewöhnt ist. Böse Verwirbelungen oder fiesen Sog gibt’s für die Besatzung aber gottlob nicht. Übermäßig leise geht’s allerdings auch nicht zu.
Was vom luft-/ölgekühlten Boxer zum Fahrerohr duchdringt, klingt im serienmäßigen Zustand dabei gar nicht mal so richtig gut. Eher recht metallisch und etwas nach Küchenmaschine, halt überhaupt nicht kernig. Doch das war auch schon beim normalen Cruiser so und ist eigentlich kein größeres Problem: Geschätzte 70 Prozent aller C-Modelle bollern mittlerweile nämlich doch recht ordentlich. Das (nicht ganz legale) Geheimnis lautet „Hülsen ziehen” – der BMW-Dealer des Vertrauens weiß, was zu tun ist.
Der Umgang mit dem Flat-Twin ist völlig problemlos. Einspritzanlage und Startautomatik sind bei BMW selbstverständlich, das Anlassen ist entsprechend kinderleicht. Die Gasannahme ist von Beginn an anstandslos, die spürbar durchkommenden Vibrationen nerven nicht wirklich, nur mit der Dynamik ist es im auch im direkten Vergleich mit dem Cruiser nicht so prall bestellt. Die CL wiegt mit 17,5 Litern Super vollgetankt und mit gängigen Extras bestückt um die 320 Kilogramm. Das sind rund 60 Kilogramm mehr als bei der nackten C. Für die eher cruiseruntypische, aus Vergleichsgründen aber durchaus interessante Übung „von 0 auf 100” benötigt die CL 6,2 Sekunden. Das ist zwar flotter als ein Mittelklassewagen, eine nicht gerade üppig motorisierte Kawasaki ER-5 schafft es aber in einer Sekunde weniger. Das Ende der Fahnenstange ist für die R 1200 CL bereits bei 165 km/h erreicht.
Nun soll an dieser Stelle wirklich nicht die eingangs erwähnte Nölerei durchbrechen, doch auch mit sehr viel Wohlwollen können die CL-Fahrleistungen bestenfalls als „gerade noch ausreichend” durchgehen. Und dabei ist nicht nur die Rede von Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit. Auch der im Cruiser- und Tourerleben nicht ganz unwichtige Durchzug ist bei der CL nur im Ansatz spürbar. Selbst fürs US-amerikanische Speedlimit und den ellenlangen Highway sind die 61 PS die absolute Untergrenze. Wenn vor jedem Überholmanöver lange überlegt werden muss, ob’s auch reichen wird, macht das auf Dauer nur bedingt Spaß. Der CL-Motor wirkt oft sehr angestrengt und das passt doch eigentlich gar nicht zur angestrebten Cruiser-Lässigkeit.
Zum Trost hält sich der Benzinverbrauch in Grenzen. Auf der Landstraße sind nur selten über fünf Liter auf 100 Kilometern fällig. Und ebenfalls zum Trost macht die Arbeit im neuen Sechsganggetriebe (letzter Gang als Overdrive) durchaus Spaß. Das Gängewechseln per Schaltwippe klappt zwar nicht wirklich besser als mit einem konventionellen Schalthebel, doch die Arbeit auf den Trittbrettern hat etwas von kerniger Maschinistenarbeit und schont nebenbei auch noch das Schuhwerk. Unterm Strich bleibt in Sachen Antrieb zu hoffen, dass die Wunderlichs und Wüdos dieser Welt auch für die CL entsprechende Leistungskuren im Programm haben werden oder dass sich BMW selbst noch zu einer Potenzsteigerung durchringen kann. So 15 bis 20 Extra-Pferdestärken wären schon wünschenswert.
So sehr der Katalysator-bestückte Motor oft genug am Limit arbeitet, so viel Reserven bietet die hervorragende Bremsanlage. Als erster Cruiser ist die CL mit der in anderen BMW-Modellen bestens bewährten EVO-Anlage bestückt. Und ebenfalls als Cruiser-Premiere ist für die CL das Integral-ABS als Extra lieferbar (1040 Euro).
Stichwort Extras: Die in Silber-, Braun- und Blaumetallic lieferbare R 1200 CL kostet ab Werk 15.100 Euro, doch dieser Wert ist ein eher theoretischer. In der Praxis werden beim BMW-Händler wohl meist deutlich mehr Euros gelegt, denn die bestens bestückte Aufpreisliste bietet viele tolle Extras, die für den typischen BMW-Kunden einfach dazu gehören. Als da wären: heizbare Griffe (180 Euro), Sitzheizung (250 Euro), Tempomat (300 Euro), Radio/CD (komplett mit Soundsystem, Bedienteil und Fernbedienung 1170 Euro), Chrompaket (525 Euro), Getränkedosenhalter (92 Euro) und noch diverse andere schicke und eigentlich unverzichtbare Sachen. Die 20.000-Euro-Grenze rückt jedenfalls in greifbare Nähe.
Dafür gibt’s dann aber auch eine hervorragende Verarbeitung, viele praxisgerechte und woanders längst nicht selbstverständliche Ausstattungsdetails (z.B. alle Schlösser mit Gleichschließung, zwei Bordsteckdosen und eine wartungsarme Gel-Batterie), einen wie immer guten Werterhalt und eine ziemlich individuelle Maschine, die bei allem BMW-Erfolg in deutschen Landen wohl trotzdem nicht an jeder Ecke zu sehen sein wird.
Eine nicht repräsentative Umfrage bei einem Vertragshändler ergab jedenfalls, dass der typische CL-Kunde ein gestandener Motorradfahrer ist, der auf die alten Tage vom vollverschalten Tourer einen Schritt zurück zum etwas leichteren und weniger üppig motorisierten Luxus-Cruiser macht. Und für diesen Kunden spielt es vielleicht wirklich keine Rolle, ob sein neues Genussmittel 61 oder 81 PS hat.