aus bma 10/03
von Dirk Klatt
Vorab erstmal eine Warnung: Wer an dieser Stelle einen halbwegs objektiven Bericht erwartet, der möge doch gleich weiterblättern. Hier schreibt einer, der vom Boxervirus infiziert ist und gegenüber allen rationalen Argumenten für alternative Antriebsformen mittlerweile fast immun ist. Auch für Sportsfreunde vom Schlage des verehrten Kollegen Herder, dem Features wie Heizgriffe, Bordsteckdosen oder Antiblockiersysteme nur ein süffisantes Grinsen ins Gesicht zaubern und die den Treibern solch ausgestatteter „Fahrzeuge” am liebsten die Zugehörigkeit zur edlen Kaste der Motorradfahrer entziehen würden, sind die nachfolgenden Ausführungen eher weniger geeignet.
Aber zunächst eimal zu meiner Biker-Vorgeschichte.: Angefangen hat alles mit dem seinerzeit nach überstandener Konfirmation und den damit verbundenen monetären Zuwendungen bei Jungens obligatorischen Mofa (heute favorisiert man ja Bausparverträge: Wie uncool! Ich wohne dennoch nicht mehr bei Mutti unterm Dach wie unser Manni aus der LBS-Werbung). Es war eine Peugeot 103. Dat Dingen ging mit ausgeräumten Sammler ab wie Dunsemanns Kater. Die Älteren unter den geneigten Lesern werden sich erinnern.
Es folgte das unvermeidliche Kleinkraftrad. Eine Zündapp KS 50. Ein wunderbares Maschinchen. Damit hatte man bei den Mädels damals noch einen Platz in der ersten Reihe. Mit tiefem Mitleid betrachte ich die heutige Generation, die sich mit pummeligen Scootern zufrieden geben muss. Nach kurzer Unterbrechung als reiner Büchsenfahrer (Käfer Export) legte ich mir dann eine uralt Honda CB 250 T zu. Gegen das Teil ging selbst die KS 50 wie die Feuerwehr. Unsere kurze, eher lieblose Liason, zerbrach schließlich an einem kapitalen Elektrikschaden, der uns mitten in der schleswig-holsteinischen Pampa ereilte. Um dann trotz notorischer Finanznot in den Genuss von etwas mehr Power zu kommen, folgte ein Zweitakter, eine Suzi 250 GT, die mich fast mein doch noch so junges Leben gekostet hätte. Das ganze fand so ungefähr vor zwanzig Jahren statt.
Es folgte eine lange, lange Pause. Eher zufällig fand ich über eine Vespa 200 GS (GS stand für Grand Sport, 2 PS mehr als in der Standardversion und den Verzicht auf einen E-Starter. Man musste „sportlich” ankicken!) zurück in den Kreis der Zweiradfahrer. Ihre schmächtigen 12 PS reichten aus, um den latent vorhandenen Virus „Motorrad” wieder ungehemmt ausbrechen zu lassen.
Nach langem Studium der einschlägigen Literatur entschied ich mich schließlich für den Kauf einer Honda NTV 650. Eine unscheinbare Maschine, die wohl allgemein unterschätzt wurde. Meine Importversion verfügte noch über die originären 60 PS und den Stummelauspuff. Mir hat sie bei der Landstraßenhatz jedenfalls ungeheuer viel Spaß gemacht.
Aber wie das bei Männern so ist. Irgendwann legt man sich in Erwartung aufregender Erlebnisse, eine neue Freundin zu und verlässt die treue Seele, die einen bis dato sorgenfrei durch den Alltag trug. Mir hatte es in einem Anfall barocker Formenliebe die Triumph Thunderbird angetan. Typisch männlich gab ich der Optik den Vorzug vor den inneren Werten. Fazit: Die T-Bird hatte zu wenig Feuer und einen Zylinder zuviel. Kurz und gut, es musste wieder ein Zweizylinder ins Haus. Die NTV wurde mittlerweile nicht mehr produziert, eine Ducati schien mir für mich zu kapriziös und auch zu exotisch. Eine Harley kam wegen des Preises und der von mir unterstellten Qualitätsmängel nicht in Frage. Außerdem wollte ich nur Motorrad fahren und nicht einer Religionsgemeinschaft beitreten.
Blieben noch die Marken Moto Guzzi und BMW, die sich beide durch ein einzigartiges Motorenkonzept auszeichneten. Guzzis, insbesondere mit ihrem unverwechselbaren Sound und die fantastische Optik, finde ich riesig. Doch da ich kein begnadeter Schrauber bin und auch keine Guzzi-Werkstatt in meiner Nähe ist, nahm ich von diesem Produkt italienischer Ingenieurskunst doch lieber Abstand.
Blieb noch BMW. Schon als Junge hatte mich in einem Urlaub mit den Eltern in Bayern eine uns auf einer Passstraße entgegenkommende Horde einheimischer Q-Treiber in original Krachledernen, offensichtlich auf dem Weg zum nächsten Trachtenfest, zutiefst beeindruckt (damals hatten BMW-Maschinen noch einen, zumindest für meine Ohren, fasszinierenden Klang). Also lag es nahe, sich näher mit dem BMW-Programm zu beschäftigen. Klar war, dass es ein Boxer sein musste. Die plastikverschalten S- und RS-Modelle kamen für mich als konservativen Biker nicht in Frage. Die RT ist für mich ein Wohnmobil und kein Motorrad (ich steh’ halt auf dicke Nackte). Blieben noch die GS und der Roadster. Da bei mir das Auge mitfährt, schied auch die GS aus. Insbesondere die „Adventure” wirkt auf mich wie ein forstwirtschaftliches Nutzfahrzeug (ich höre die GS-Gemeinde schon „Blasphemie” schreien).
Blieb der nach meinem Geschmack wunderschöne Roadster. Das Studium einschlägiger Testberichte ließ keinerlei Ungemach erwarten, der Fahrspaß sollte demnach beträchtlich sein. Eine Probefahrt mit dem neuen Objekt meiner Begierde überzeugte mich dann endgültig. Der Roadster musste es sein. Also stellte ich bei meiner liebevollen, meinen vielfältigen Hobbies gegenüber toleranten, besseren Hälfte einen Kreditantrag und durfte nach Vereinbarung eher harter Rückzahlungsmodalitäten der gemeinsamen Rücklage für schlechte Tage den notwendigen Betrag zur Finanzierung des Unternehmens entnehmen.
Auch meine Nachbarn, allesamt Suzuki GSX-R- oder Banditentreiber, mit denen ich die geplante Neuanschaffung diskutierte, konnten mich mit ihren Hinweisen, dass ich bei der Bestellung die Order der Fahrradklingel nicht vergessen möge und mich dann zukünftig vor Fußstreifen (also Polizisten zu Fuß!) in acht nehmen müsse, in meiner Euphorie nicht stoppen. Mit solchen Sprüchen und Vorurteilen müssen angehende BMW-Fahrer wohl zu leben lernen (schönen Gruß auch an Sportfreund Herder, der letzten Instanz in unseren Kreisen).
Im Februar 2002 war es dann soweit. Meine Neue stand abholbereit beim freundlichen BMW-Händler um die Ecke. Petrus hatte ein Einsehen und spendierte mir an diesem meinem Feiertag strahlenden Sonnenschein, der dennoch nicht verhinderte, die mitgeorderten Heizgriffe gleich bei der Jungfernfahrt ausgiebig testen zu können (es war ja Februar). Nachdem die unschöne Prozedur der Bezahlung mit nagelneuen bunten Euro-Scheinen (mit DM-Scheinen wäre es mir damals noch sehr viel schwerer gefallen) erledigt war, bestieg ich mit weichen Knien und feuchten Händen den Boliden. Doch was war das? Unmittelbar nach dem ersten Start verfärbten sich die Krümmer tiefblau um nach kürzester Zeit den Chrom in lustige Blasen zu werfen.
Wie uncool! Offensichtlich war eine Charge Krümmer mit mieser Chromqualität ausgeliefert worden. Dieses kleine Ärgernis behob mein wirklich freundlicher BMW-Dealer selbstverständlich auf Garantie bei der ersten Inspektion. Die neuen Krümmer hielten sich prächtig. Bis heute blieben die Krümmer neben einem bei hoher Luftfeuchtigkeit beschlagenden Drehzahlmesser die einzigen Ärgernisse.
Das Krad ist für mich wie maßgefertigt und vermittelt insbesondere auf kurvenreichen Landstraßen aufgrund des maximalen Drehmomentes von fast 100 Nm bei gerade einmal 5.250 U/min maximalen Fahrspaß. Sozusagen eine „NTV Brutale”. Der Motor hat Charakter. Die Höchstgeschwindigkeit, die rund 200 km/h betragen soll, bleibt ein eher akademischer Wert. Wenngleich das trotz seiner Handlichkeit auch bei hohem Tempo enorm stabile Fahrwerk jede Geschwindigkeit problemlos erlaubt, macht das Bolzen auf der Autobahn ohne Windschutz nicht wirklich Spaß. Wenn hier etwas ins pendeln kommt ist es der Pilot, das Fahrwerk bleibt völlig unbeeindruckt. Auch die kleine Speedsterscheibe aus der Zubehörboutique bringt hier kaum spürbare Entlastung, sieht aber flott aus und schützt die Instrumente vor Fliegendreck. Aber für die Autobahnhatz schafft man sich dieses Krad nicht an. Außerdem, schnell geradeaus kann doch jeder, oder?
Die Sitzposition ist trotz des etwas spitzen Kniewinkels, für den man durch eine vorzügliche Schräglagenfreiheit entschädigt wird, für normalwüchsige Mitteleuropäer gut. Der Soziusplatz ist nach dem Urteil meiner Gattin sogar hervorragend. Die von den Hardcore-Testern häufig kritisierte, zu hart einsetzende, bremskraftverstärkte Integralbremse ist nach kürzester Gewöhnung kein Problem sondern bei entsprechend sensiblen Zeigefinger der reine Genuss. Bei sportlicher Fahrweise kann das Hinterrad allein gebremst werden, der Handbremshebel wirkt „integral” auf die vorderen und hinteren Stopper. Über den Sinn des ABS für Motorräder soll an dieser Stelle nicht weiter philosophiert werden. Ich kann nur sagen, dass es mir in einer kritischen Situation (Wildwechsel) mit Sicherheit einen Sturz erspart hat.
Das Gepäcksystem von BMW ist wohl mustergültig. Keine nach Rohrbiegerbastelarbeit aussehende Kofferträger, sondern eine unauffällige Gepäckträger-/Halterkombination die sich harmonisch in das Gesamtbild einfügt und die Systemkoffer ohne jede Fummelei sicher an der Maschine hält. Sehr empfehlenswert ist die Bordsteckdose. Nicht so sehr, um in der Einöde den Tauchsieder anzuschließen und Kaffee zu kochen. Vielmehr lässt sich über dieses praktische Feature die Batterie laden. Der Ausbau der Energiequelle ist nämlich mit erheblichem Aufwand verbunden. Nach Demontage derselben, die sich schwer erreichbar unter dem Tank befindet, bietet die Maschine nahezu ein Bild wie nach der Zerlegung im 50.000 Kilometer Dauertest. Dies kann man besser machen, liebe Kollegen in Berlin.
Der Verbrauch pendelt ziemlich unbeeindruckt von der jeweils gewählten Gangart so um die 6,0 Liter. Nach anfänglichen Verlusten tendiert der Ölverbrauch mittlerweile gegen Null (der Trick ist, nur bis zur halben Höhe des Schauglases Öl einzufüllen). Das Fahrwerk lässt sich den jeweiligen Anforderungen an Tele- und Paralever sehr gut anpassen. Der Telelever hat zudem die schöne Eigenschaft, die Gabel auch bei schärfster Bremsung nicht eintauchen zu lassen und die Maschine so sicher in der Spur zu halten. „Auf Block gehen” bleibt für den Q-Treiber ein unbekanntes Gefühl. Der Telelever ist eine echte Innovation und es wert kopiert zu werden. Den fast lastwechselfreien, wartungsarmen Kardanantrieb lernte ich schon an meiner NTV schätzen.
Mein Reifentipp ist der Metzeler Z4. Er gibt guten Gripp in allen Lagen und zeichnet sich durch sehr guten Abrollkomfort aus. Die werkseitig montierten Bridgestone BT56-Pneus waren bei – wie ich meine – eher moderater Fahrweise nach 5.500 Kilometern fertig. Vorne Sägezahnbildung und hinten kaum noch Profil. Der alternativ montierte Michelin Maccadam soll nach vorherrschender Meinung zufolge eher noch schlechter sein.
Das häufig bei den BMW-Vierventilern monierte „Konstantfahrruckeln” (KFR) ist bei meinem Exemplar noch nicht in unangenehmer Weise aufgefallen. Die neue Doppelzündung des Modelljahres 2003 sollte diesem Phänomen wohl endgültig den Garaus machen.
Fazit: Die R 1150 R ist genau die richtige Partnerin, um auf der Drehmomentwelle kraftvoll über kurvige Landstraßen zu surfen. Auf ihrem Geläuf muss sie mit einem geübten Piloten keine Konkurrenz fürchten. Der Fahrspaß ist enorm. Auch für die große Tour ist man mit ihr, dank des großen Fahrkomforts und des ausgeklügelten Gepäcksystems, bestens gerüstet. Für den Tempobolzer ist sie wegen des fehlenden Windschutzes und der limitierten Höchstgeschwindigkeit nicht gedacht. Für Kollegen aber, die dem Täterprofil „Landstraßenräuber” entsprechen und die einer BMW aus Imagegründen bisher keine Chance einräumten, lohnt sich ein prüfender, vorurteilsfreier Blick in jedem Fall. Das Aha-Erlebnis ist vorprogrammiert.
Was zu verbessern wäre? Ein paar Dinge gäbe es da schon. In einigen billigen Details spürt man leider deutlich, dass mittlerweile auch bei BMW die Kaufleute über die Ingenieure regieren. So sind die windigen Kabelbinder am neuen Rohrlenker, der den schönen zweiteiligen Alulenker der Vorgängerin ersetzt hat, nicht wirklich schön. Und auch die jämmerlich trötende Hupe zeugt vom bajuwarischen Sparwillen. Eine Qualität wie sie meine unscheinbare NTV aufwies, wäre wünschenswert. Oxydierende Schrauben nach nur einer Saison sollte BMW sich verkneifen. Dennoch, die R 1150 R ist die erste Maschine, mit der ich alt werden könnte und nach meinem Geschmack die BMW mit dem stärksten Charakter. Endlich angekommen!
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