aus bma 12/98

Von Marcus Lacroix

Endlich ist es soweit! BMW hat eine sportliche Variante des beliebten Boxermotors auf die Straße gebracht. Diese Aufgabe blieb bisher immer an den diversen Tunern und Veredlern hängen.
Mit der R 1100 S erfüllt BMW nun den Wunsch vieler Kunden, die treu zu ihrer Marke standen, aber immer mit einem Auge nach Italien oder gar Japan schielten. Als kleines Schmankerl haben die Bayern optisch jenseits der Alpen Maß genommen, und ihr jüngstes Kind wirkt dadurch zierlicher als alle zuvor auf den Markt gebrachten Vierventil-Boxer. Speziell die in Ducati 916-Manier unter der Sitzbank hochgezogene Auspuffanlage läßt den Boxer leicht wirken, ein Effekt, der durch die aufpreispflichtige Soziusplatzabdeckung noch verstärkt wird.
Vorne geht es weniger filigran zu, denn die Verkleidung macht sich im Frontbereich recht breit. Trotzdem integriert sie sich gut in die Gesamtoptik. Direkt von Vorne betrachtet dominiert der gewöhnungsbedürftige Doppelscheinwerfer das Design. Der Ölkühler wird durch die in aller Welt bekannte BMW-Niere belüftet. Doch auch der Boxermotor drängt sich massiv ins Bild. Die Zylinder, die dem Boxer auch den Beinamen Flat-Twin einbrachten, lassen die „S” unten herum optisch in die Breite gehen. Als Boxer-Fan zeigt man aber schließlich gerne wo die Power herkommt, und so ist es gut, daß es für die R 1100 S (noch) keine Vollverkleidung gibt.
Das Datenblatt zur BMW R 1100 S bestätigt, was die Optik verspricht. Der Boxer ist leicht. 229 Kilogramm bringt die neue S-Klasse (ohne Extras) fahrfertig auf die Waage. Ein Wert, von dem Fahrer von neuen BMW’s bisher nur träumen konnten und mit dem der Boxer auch international gut da steht. Im eigenen Haus bleibt sie ungeschlagen (den Einzylinder F 650 mal ausgenommen).

 

Das „S” steht bei der BMW R 1100 S für Sport – möglicherweise wird manch ein Außenstehender bei der Verbindung BMW und Sport das Gesicht ein wenig säuerlich verziehen. Daß der neue Sportboxer aber wirklich das Zeug zum Renner hat, wurde kürzlich von dem engagierten privaten Boxer-Team um Romolo Liebchen bewiesen. Mit einer renntauglich überarbeiteten R 1100 S konnten sie die BOT-Klasse der deutschen Langstrecken-Meisterschaft (DLM) – ausgerichtet vom Moto Aktiv e.V. – klar für sich entscheiden. Von fünf Läufen gewann das Boxer-Team vier, einmal wurden sie zweiter. Beim 24-Stunden-Rennen der German Speedweek in Oschersleben (kein DLM-Lauf) konnte in der Gesamtwertung ein hervorragender achter Platz herausgefahren werden. Neben dem Renn-Boxer setzte das Team auch eine serienmäßige R 1100 S ein, die auf dem Nürburgring einen überraschenden dritten Platz in der BOT-Klasse erreichte.
Daß trotz soviel Sportlichkeit die Alltagstauglichkeit bei einer BMW nicht zu kurz kommt, dürfte klar sein. Außer bei gelegentlichen Renn- bzw. Sicherheitstrainings wird von der R 1100 S wohl kaum eine auf einer Rennstrecke eingesetzt werden. So wundert man sich auch nicht darüber, daß es für die „S” ein Koffersystem, einen Tankrucksack und einen Hauptständer gibt. Diese Accessoires sprechen nicht gerade den Sportfahrer sondern vielmehr den Tourenfahrer an, und so entpuppt sich die R 1100 S letztendlich als gelungener Sporttourer mit einem deutlich größeren Hang Richtung Sportlichkeit als die hauseigene R 1100 RS.
Daß ausgerechnet in der Zeit, als uns die neue BMW zur Verfügung stand, die Welt halbwegs untergehen mußte, konnten wir natürlich nicht ahnen, und so kämpften wir uns mit der neuen S-Klasse durch die vom Hochwasser überflutete Norddeutsche Tiefebene. Schade eigentlich, denn ich wollte die „S” eigentlich über meine Hausstrecke scheuchen, auf der sonst meine private BMW R 850 R zu leiden hat. Der Roadster ist ja ein anerkannt handliches und ausreichend motorisiertes Landstraßenfahrzeug. Kann die R 1100 S hier mehr Spaß bieten? Um das Ergebnis der Fahreindrücke schonmal vorweg zu nehmen: ja, sie kann. Allerdings wird einem das nicht sofort bewußt.
Sitzpositionen sind ja nun – wie so vieles – Geschmackssache. Die auf der R 1100 S paßt mir persönlich (176 cm Körperhöhe) sehr gut. Man sitzt sportlich nach vorne geneigt und die breiten Lenkerstummel liegen optimal gekröpft in der Hand. Dabei lastet nicht – wie bei verschiedenen Supersportlern – zu viel Gewicht auf den Handgelenken. Für all jene jedoch, die es touristischer haben möchten, wird BMW trotzdem einen höheren Lenker anbieten. Die Knie finden einen festen Schluß zum Tank, und die Fußrasten bieten einen guten Kompromiß zwischen Sportlichkeit und Komfort. Schön wäre es allerdings, wenn man sie verstellen könnte, um sie den eigenen Fahrgewohnheiten anzupassen. Die Sitzbank ist gut gepolstert und bietet dem Fahrer die Möglichkeit, das Einlenken in Kurven durch Gewichtsverlagerung zu unterstützen, ein Punkt der allerdings erst bei sehr sportlicher Fahrweise zum Tragen kommt. Auch der Soziusplatz fällt BMW-typisch gut aus.
BMW-Fahrern bekannt, allen anderen etwas ungewohnt, kommen die Schaltereinheiten der „S” daher. Sie wurden fast unverändert von der BMW K 1200 RS übernommen und lassen sich – nicht zu dicke Handschuhe vorrausgesetzt – einwandfrei bedienen. Positiv fällt auf, daß sich die Heizgriffe und die Warnblinkanlage nun bedienen lassen, ohne hierfür eine Hand vom Lenker nehmen zu müssen. Auch die automatische Blinkerrückstellung gefällt und wird höchstens notorische Linksblinker auf der Autobahn stören. Ich frage mich allerdings, warum dieses äußerst praktische und sicherheitsrelevante Detail nicht generell bei allen Motorrädern zum Einsatz kommt.
Die Augen des Fahrers blicken auf eine hübsche Gabelbrücke mit eingelassenem BMW-Emblem. Ein kleines Stückchen weiter beginnt dann das in die Verkleidung eingepaßte Cockpit. Hier sieht man schwarz – nein, nicht symbolisch, sondern rein farblich. Lediglich die gelben Zeiger und Ziffern sowie die verchromten Ringe der Instrumente bringen etwas Farbe ins Spiel. In Schwarz präsentieren sich auch die Verkleidungsverbreiterungen mit den integrierten Blinkern, die gleichzeitig als Windabweiser fungieren. So viel Plastik – bzw. um es netter auszudrücken Kunststoff – paßt für meinen Geschmack nicht zur R 1100 S Hier werden findige BMW-Tuner hoffentlich bald gefälligere Lösungen anbieten.
Gefallen findet der BMW-Fahrer indes an so kleinen Details wie dem Handrad zur Vorspannung des hinteren Federbeins oder dem Knopf zur Regulierung der vorderen Zugstufendämpfung, die beide problemlos erreichbar sind. Auch die einstellbaren Handhebel und die Digitaluhr sind nicht zu verachten.
Das Vorderradschutzblech der BMW R 1100 S besteht aus Kohlefaser, einer der Wege, die BMW zur Gewichtsreduzierung beschritt. Auch die Ventildeckel aus Magnesium, filigrane 17 Zoll-Aluminiumgußräder und der erleichterte Telelever tragen dazu bei. Das verhältnismäßig niedrige Gewicht macht sich schon beim Rangieren der Maschine positiv bemerkbar. Die „S” läßt sich recht einfach schieben und leicht aufbocken. Im Fahrbetrieb ist die Gewichtsreduzierung natürlich nur einer von vielen Faktoren, welche das Fahrverhalten beeinflussen.
Ehrlich gesagt war ich von der BMW R 1100 S zunächst recht enttäuscht, da ich sie anfangs nur auf verschmutzten, regennassen Straßen bewegen konnte. Bei solchen Witterungsverhältnissen habe ich mit meiner R 850 R schon aufgrund der entspannteren Sitzposition mehr „Spaß”. Die sportliche Fahrerhaltung auf der „S” verlangt nach einer zügigeren Gangart und auch der Motor läuft ungewohnt rauh. Die erhöhte Verdichtung, die in Verbindung mit der voluminösen Auspuffanlage und verschiedenen anderen Maßnahmen die Leistung auf 98 PS bei 7.500 U/min anhebt, wird daran die Hauptschuld tragen. Bei wechselnden Drehzahlen im Landstraßenbetrieb stören die Vibrationen allerdings nicht. Als angenehm empfanden wir den Sound, der deutlich besser ist als der der übrigen Vierventilboxer.
Daß der Boxer sich auch auf nassen Straßen sicher bewegen läßt, liegt in erster Linie an den Dunlop Sportmax Reifen. Die Gummis haften nicht nur auf trockener Straße einwandfrei. Bei der Wahl der Reifenbreite hat BMW sich glücklicherweise zurückgehalten. 120/70 vorne und 170/60 hinten sorgen für ein ausgewogenes Fahrverhalten. Motorradfahrer, denen Show vor Praxistauglichkeit geht, können eine 5,5 Zoll-Felge mit 180er Hinterradreifen ordern. Das Fahrverhalten wird die breite Pelle allerdings kaum verbessern, und selbst die eingangs erwähnte Rennstrecken-BMW läuft auf einem 170er. Neben den Reifen sorgt natürlich auch das BMW-ABS (1.995 DM Aufpreis) für einen großes Plus an Sicherheit.
Schließlich war es dann doch soweit: die Straßen trockneten ab und ich konnte der R 1100 S die Sporen geben. Jetzt zeigte der Sportboxer endlich, wozu er gebaut wurde. Der Fahrspaß, den er nun vermittelte, war wirklich hoch. Das Fahrwerk gibt sich auch in engen Kurven handlich und zielgenau. Kein Fahrzeugteil schränkt die Schräglagenfreiheit ein, und erstaunlicherweise kommt trotz der Sportlichkeit nicht einmal der Komfort zu kurz. Noch nie habe ich eine BMW so zügig über meine Hausstrecke bewegen können, wie die „S”. Leider zu schnell, wie sich oft herausstellte.
Die Verkleidung der 1100er ist ausgesprochen wirkungsvoll und entlastet den Oberkörper vollständig vom Winddruck. Dadurch geht einem leicht das Gefühl für die Geschwindigkeit verloren. Der Helm steht fast vollständig im Windstrom, und die Geräuschkulisse hält sich in Grenzen. In Verbindung mit dem gut zu schaltenden Sechsganggetriebe und dem drehmomentstarken, drehfreudigen Motor schießt man schnell über das Ziel – das Landstraßenlimit – hinaus. Immer wieder ertappte ich mich dabei, daß ich in Geschwindigkeitsregionen jenseits des Führerscheinerhalts vordrang. Asche auf mein Haupt, doch ich war der Herausforderung nicht gewachsen. Dies ist sicher der Hauptgrund, warum ich mir die „S” als Naked Bike wünschen würde. Die kurze Gesamtübersetzung (nur der erste Gang ist recht lang) wurde auch auf der Autobahn zu einem Problem für mich. Beim Beschleunigen nach dem Auffahren drehte der Motor immer wieder in den Begrenzer hinein. In diesen Augenblicken wird die Maschine etwas unruhig, da das vorhandene Rückdrehmoment der Kurbelwelle plötzlich aussetzt. Gefährlich ist die Situation indes nicht und bauartbedingt auch kaum zu vermeiden. Ansonsten läuft die „S” bis zur Topspeed (irgendwo jenseits der 220 km/h) sehr stabil.
Einen etwas zwiespältigen Eindruck hinterließ die Bremsanlage der Probefahrtmaschine bei verschärfter Landstraßenbrennerei. Während die Hinterradbremse zuverlässig arbeitete, nervte die Vorderradbremse mit einem unkonstanten Druckpunkt. Griff man kräftig in die Bremse, ließ sich der Hebel weit durchziehen, bevor die Bremswirkung einsetzte. Löste man die Bremse und griff kurz darauf wieder hinein, lag der Druckpunkt weiter vom Lenker entfernt. Eine zweite, vergleichsweise gefahrene R 1100 S wies einen stabileren Druckpunkt auf. Ein BMW-Mechaniker vermutete Luft in der Bremsleitung und versicherte, daß sich das Problem abstellen läßt. Bei meiner R 850 R, ebenfalls mit ABS ausgestattet, tritt das Phänomen nicht auf.
Die eigentliche Erleuchtung, wie gut sich die R 1100 S fahren läßt, kam mir erst, als ich wieder auf meinen Boxer umstieg. Irgendwie kam die arme „R” mir plötzlich unhandlich und lahm vor. In allen Bereichen meiner Hausstrecke, die wirklich üble Abschnitte aufweist, war ich mit der „S” flotter und sicherer unterwegs. Wer eine sportliche Fahrweise bevorzugt und den Boxermotor mag, sollte die R 1100 S unbedingt bei seinem nächsten BMW-Vertragshändler zur Probe fahren. Wer jetzt auch noch die Charakterstärke besitzt, die Maschine halbwegs im Rahmen der Legalität zu fahren, wird ein völlig neues Boxergefühl erleben. Bedenkt man nun noch die gute Ausstattung mit geregeltem Dreiwegekatalysator, Kardanantrieb, brauchbarem Bordwerkzeug, u.s.w. sowie die vorwiegend gute Verarbeitungs- und Materialqualität und den bei BMW-Motorrädern hohen Werterhalt, erscheinen die knapp 21.400 DM als durchaus angemessener Preis für die neue S-Klasse.
Informationen zu Moto Aktiv gibt es unter Telefon 06427/92300. Details über den Rennboxer finden sich in den Zeitschriften MOTORRAD, Ausgabe 23/98 und MO, Ausgabe 10/98.