aus bma 2/00
von Günter Pfeifer
Ein Motorradgespann muss weder eine Familienkutsche noch ein Lastenesel sein. Das beweist der Gespannbauer Peter Sauer aus Brodersby mit seiner neuesten Kreation wieder einmal recht deutlich. Sein BMW R 1100 S-Sonnenwind scheint nur für den reinen Fahrspaß geschaffen worden zu sein. Es ist schön, schnell und verfügt über hervorragende Fahreigenschaften.
Der technisch hochmoderne Bayern-Boxer, ob nun als R, RS, RT oder jetzt als S, ist in der Gespannbauerszene ausgesprochen beliebt. Deutlich wird dies an der Vielzahl der unterschiedlichen Gespanne, die diese Zugmaschinen benutzen. Doch eine reinrassige Sportmaschine und ein Seitenwagen – ist das nicht so wie ein Porsche mit Anhängerkupplung? Weit gefehlt, denn hier kommen das konstruktive Können und die Designerfähigkeiten des Gespannbauers ins Spiel und dem Sauer-Team ist es gelungen, aus der R 1100 S und dem Sonnenwind eine Einheit mit sportlichen Ansprüchen zu schaffen.
Den Sonnenwind in die Kategorie der herkömmlichen Seitenwagen einzuordnen fällt schwer, passt er doch so gar nicht in diese Schublade. Peter Sauer hat schlichtweg etwas Neues erdacht und in Zusammenarbeit mit Designer Thomas Breen entstand der Sonnenwind. Selbstverständlich nicht ohne erheblichen technischen Aufwand und mannigfaltige Probleme. So sind allein für den teilweise doppelwandigen Bootsaufbau mehr als zehn Polyesterformteile nötig. Bei einfachen Booten reichen oft schon bis zu fünf verschiedene Formen. Doch der ganze Aufwand hat sich gelohnt, denn es ist ein Seitenwagen mit hohem Qualitätsstandard entstanden. Perfekte handwerkliche Arbeit erkennt man an Passgenauigkeit, Spaltmaßen, Oberflächen und in der Detailverarbeitung; und hier stimmt alles. Alle Schrauben, Muttern usw. haben V4A-Qualität. Der Seitenwagen ist ausgesprochen solide und sauber hergestellt.
Beim Sonnenwind sitzen die beiden Passagiere – bei der von uns gefahrenen Sportversion ist der hintere Sitz durch ein passendes Formteil abgedeckt – auf einer Art Mitteltunnel in großen und bequemen, vom Hersteller Corbin gefertigten Sitzen und sind durch Gurte gesichert. Viel Platz, viel Bein- und Bewegungsfreiheit und das freie Sitzen direkt im Fahrtwind machen das besondere Fahrerlebnis aus. Auch ein eventuelles Andenken von der Lieblingsbrauerei in Form von ausgeprägter Leibesfülle ist in/auf diesem Seitenwagen kein Problem. Die Sicherheitsgurte sind lang genug. Notwendig sind die Gurte sicher nicht, denn durch mehrere Festhaltemöglichkeiten, wie z.B. Niro-Haltebügel, ist die Gefahr für die Passagiere, das Boot ungewollt zu verlassen, sehr gering. Doch eine beruhigende Wirkung haben sie allemal.
Das Heck des Seitenwagens ist als verschließbarer Kofferraum ausgebildet und zwischen den Beinen des vorderen Mitfahrers befindet sich eine weitere Ablage zur Unterbringung von Kleinteilen wie Handschuhe, Handy usw.
Als zu Beginn der Motorradsaison 1998 der Boxer von BMW mit dem Sportabzeichen S durch den einschlägigen Blätterwald rauschte, war schon klar, dass es die sportlichste BMW war, die es bisher gab. Schluss mit Gummikuh! Gesamteindruck: geduckt, kompakt, aggressiv und schnell. Der luft-/ölgekühlte Zweizylinder-Viertakt-Motor hat jetzt eine Leistung von 98 PS. Diese Leistungserhöhung wurde im Wesentlichen durch ein optimiertes Ansaugsystem nach dem Ram-Air-Prinzip, Reduzierung des Gegendruckes beim Abgasaustritt, von 10,7 auf 11,3 erhöhte Verdichtung und Feinabstimmung der Motorelektronik erreicht. Im Gehäuse des neuen Sechsganggetriebes kann die Hinterradschwinge nicht mehr gelagert werden. Dadurch wurden erhebliche Rahmenänderungen erforderlich. Die Paralever-Hinterradaufhängung hat ihre Drehgelenk- aufnahme nunmehr im neuen Rahmen aus geschweißten Alu-Profilen. Dafür arbeitet das Getriebe jetzt mit deutlich verbessertem Schaltkomfort und geringerer Geräuschentwicklung.
In den Zylinderköpfen geht es nach wie vor technisch recht aufwendig zu. Je eine hochliegende, von einer Kette angetriebene Nockenwelle betätigt über Tassenstößel, Stoßstangen und Kipphebel vier Ventile pro Zylinder. Das Motormanagement übernimmt die Bosch-Motronik über Saugrohreinspritzung. Der Kraftschluss im Antrieb erfolgt von der längsliegenden Kurbelwelle über die hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, Getriebe und wartungsarmen Kardan zum Hinterrad. Also insgesamt gute technische Voraussetzungen für den Gespannbetrieb.
Hinzu kommt die nahezu perfekt verlaufende Kurve im Leistungsdiagramm des Motors (max. Drehmoment 97 Nm bei 5750 U/min). Ein geregelter Katalysator kümmert sich um die Abgasreinigung.
Am Fahrwerk nahm Peter Sauer einige Änderungen vor. Die Telelevereinheit wurde mit einer verstellbaren Stahlstrebe gegen den Steuerkopf blockiert und die Radführung vorn übernimmt nun eine geschobene und einstellbare Vorderradschwinge aus eigener Fertigung. Zwei Bilstein-Federbeine sorgen in diesem Bereich für Dämpfung und Federungskomfort. Die Verbindung zwischen Motorrad und dem Fahrgestell des Seitenwagens, einer von Sauer entwickelten und hergestellten Schräglenker-Langschwingenkonstruktion, geschieht über vier direkte Verbindungsstreben. Im Hinterradbereich wurde ein verkürztes Federbein mit verstärkter Feder eingebaut. Die drei bildschönen und polierten PLS-Leichtmetallräder tragen folgende Reifen: vorn 165/65 14, hinten 195/50 15 und am Seitenwagen 165/55 15.
Großes Lob verdient das eingebaute Integralbremssystem. Damit hat man das Gespann in jeder Fahrsituation voll im Griff. Mit dem Fußpedal werden alle drei Räder abgebremst. Am Vorderrad arbeitet eine Bremsscheibe mit zwei separat angesteuerten Vierkolbenzangen. Bei Benutzung der Handbremse werden Vorderrad und Seitenwagenrad verzögert. Mit diesem Bremssystem setzt Peter Sauer Maßstäbe in Bezug auf Bremswirkung und Dosierbarkeit.
Mit großem Aufwand an Zeit und finanziellen Mitteln hat Sauer für seine Integralbremsanlage und die in anderen Gespannen von ihm verwendete Doppelkombibremse die Normen der EU-Richtlinie 78 erfüllt und vom TÜV-Nord bestätigen lassen. Hierzu wurden entsprechende Testfahrten auf der WABCO Test- und Prüfstrecke in der Lüneburger Heide durchgeführt. Dieser zwei Kilometer lange Rundkurs verfügt über zwei Steilwandkurven, Berieselungsanlage zur Simulation von Nässe, Bodenwellen sowie Gefälle- und Steigungstrecken. Ausgerüstet mit den erforderlichen Instrumenten und Meßgeräten werden die Testfahrten durchgeführt. Bei nasser und trockener Fahrbahn, Gespann beladen und unbeladen, Heiß- und Maximalbremsungen konnten die Bremsen alle vom TÜV vorgegebenen Parameter erfüllen. Sowohl für einige EU-Länder wie auch Japan ist diese Prüfung seit Mitte 1999 vorgeschrieben.
Die wahren Qualitäten des schönen Motorradgespannes zeigen sich natürlich erst im Fahrbetrieb. Eine kurze Einweisung in die Besonderheiten des Gespannes durch den Chef selbst, dann Choke rein, Druck aufs Knöpfchen und der Motor brabbelt sauber los. Kurzer Licht- und Funktionscheck und schon geht es in Brodersby vom Hofplatz. Das Fahr- verhalten des Gespannes ist außerordentlich handlich und gibt keinen Anlass zu Beanstandungen. Spurtreu und zielgenau folgt es den Lenkeingaben des Fahrers und schon nach wenigen Kilometern stellt sich bei diesem ein Gefühl der Sicherheit ein. Leider stellt er aber immer wieder fest: „Verdammt, ich bin zu schnell.” Selbstdisziplin ist angesagt.
Das Lenken, selbst in engeren Kurven, ist wie eine Spielerei und fast ohne jeden Kraftaufwand möglich. Es macht einen Riesenspaß um die Kurven zu „räubern”, und Kurven gibt es im Verlauf der Nordstraße zwischen Kappeln und Flensburg genug. Das Wetter ist gut, 2°C, bedeckt, kein Regen und keine Touris unterwegs. Mit dem drehmomentstarken Boxer ist im Drehzahlbereich zwischen 2500 und 7000 U/min eine kraftvolle Beschleunigung möglich und Überholmanöver sind kein Problem. Man benötigt nur eine gefühlvolle Gashand und das Gespannfahrerwissen, etwas mehr Gas am Beginn der Rechtskurve zu geben, damit die Maschine schneller als der Seitenwagen und somit nach rechts läuft. Entgegengesetzt gilt für Linkskurven: etwas Gas weg und schon drängt der schnellere Seitenwagen die Fuhre nach links. Hört sich kompliziert an, geht aber beim Gespannfahren wie von selbst. Bei diesen Spielchen kommt echte Fahr- freude auf. Die Bremsen arbeiten perfekt und einwandfrei. Auch wenn mal ein festerer Zugriff erforderlich wird, bleibt das Gespann sauber in der Spur. Der bei vielen Motorradgespannen oft spürbare Rechtsruck beim Einsetzen der Seitenwagenbremse fehlt hier völlig. In keiner Fahrsituation wurde ein Ausbrechen des Gespannes festgestellt.
Da hinter R 1100 ein S steht, ist die Sitzposition für den Fahrer sportlich nach vorn gebeugt. Das ist zwar nicht gerade bequem und man spürt nach einiger Zeit, dass man noch ein Rückgrat hat, aber erstaunlicher Weise gewöhnt man sich recht schnell daran und auch längere Touren sind kein Problem.
Im dichten Stadtverkehr Flensburgs mitschwimmend erreiche ich die A7. Leider lässt auch hier der starke Verkehr keine Drehzahlorgien zu. Doch die linke Spur kann ich recht oft benutzen. Bei 5500 U/min zieht das Gespann mit über 150 km/h ruhig dahin und wenn man weiß, dass erst bei 8000 U/min der rote Bereich anfängt, dann weiß man, dass die Höchstgeschwindigkeit recht hoch sein muß. Auch bei höherer Geschwindigkeit führt der Vorderreifen präzise und lässt sich auch von Spurrillen nicht beeindrucken. Ein Lenkungsdämpfer, der an der vorderen oberen Seitenwagenstrebe und an der Vorderradschwinge angelenkt ist, würde ohne- hin ein Lenkungsflattern verhindern. Obwohl das Gespann sportlich abgestimmt ist, bleibt, durch die verwendeten Bilstein-Gasdruckfederbeine für Vorderrad und Seitenwagen ein hohes Maß an Fahrkomfort erhalten. Trotzdem sagt das Fahrwerk schon recht deutlich, wie die Straße unter den Rädern beschaffen ist.
Wegen des starken Verkehrs verlasse ich an der Abfahrt Tarp die A7, nehme einen Bekannten als Mitfahrer ins Boot und fahre über Landstraßen durch das landschaftlich auch im Winter sehr schöne Angeln. Schon nach kurzer Zeit stelle ich fest, dass es meinem Passagier einen Riesenspaß macht, soweit der Gurt es zu-lässt, auf seinem Sitz herumzuturnen und jede Kurve durch Gewichtsverlagerung zu genießen. Fahrtechnisch ist dies völlig unnötig, aber es zeigt das genussvolle Fahrerlebnis und wie sehr man sich im Beiwagen als Copilot fühlt.
In schnell gefahrenen Rechtskurven behält der Sonnenwind sein Rad sicher am Boden und wer es trotzdem mal mit „hoch das Bein” probieren möchte, der muss schon kräftig am Lenker ziehen. Doch dann ist es kein Fahrwerksfehler, sondern physikalische Gesetzmäßigkeit. Auch in Linkskurven das gleiche sichere Fahrverhalten: keine Kippneigung über die Querachse und sehr spät einsetzendes Driften, das jederzeit gut zu kontrollieren ist.
Als geradezu ideal erweist sich auch die Führung der Auspuffgase über das Heck der Maschine. Dadurch hält sich der Geräuschpegel in vertretbaren Grenzen und der Passagier im Boot bleibt von unangenehmen Gasen verschont.
Trotz sportlicher Ambitionen macht das Sonnenwind-Gespann einen sehr tourentauglichen Eindruck. Es wurde konsequent zur Freude am Fahren entwickelt und gebaut. Und wer jung oder jung genug geblieben ist, der wird auch seine Freude daran haben.
Der Preis liegt bei ca. 50.000 DM, ist aber sehr stark von der jeweiligen Ausstattung abhängig. Hier empfiehlt sich ein Gespräch mit dem Hersteller Peter Sauer, Ellerüher Weg 2-4, 24398 Brodersby (Telefon 04644/ 893), denn er baut seine Gespanne ganz individuell nach den Wünschen seiner Kunden und im Rahmen der technischen Möglichkeiten.
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