aus Kradblatt 1/22, von Konstantin Winkler
Zum Reisen gebaut …
Aus Freude am Fahren – BMW. Das war vor vielen Jahrzehnten ein Slogan der Bayerischen Motorenwerke, der für mich bis zum heutigen Tage nichts an Aktualität verloren hat.
Mein erstes Motorrad war eine BMW R 26 (250er Einzylinder von 1956), meine erste (damals) moderne Reisemaschine eine BMW R 100 RS, mit der ich 175.000 störungsfreie Kilometer gefahren bin. Es folgte eine BMW K 100 RS, die mich bis heute über 130.000 pannenfreie Kilometer von Norwegen bis Nordafrika begleitete.
Die RS-Modelle haben mich immer weitaus mehr begeistert als die RTs. Bis zum Jahre 2014. Da stand sie vor mir. Aus dem Kradblatt! Eine sehr gepflegte und vollausgestattete R 1100 RT aus erster Hand mit 84.000 Kilometern auf dem Tacho. Die Optik schockte mich. Sooo viel Plastik! Vom Motor ist nichts zu sehen außer den Ventildeckeln. Aber die Probefahrt begeisterte. Selten so komfortabel Motorrad gefahren. Außer mit meiner Harley-Davidson Utra Classic Electra Glide. Aber das ist eine andere Geschichte …
Für nicht verhandelbare 2.500 Euro wechselte sie den Besitzer. Das war ok, verlangte BMW doch weit über 25.000 Deutsche Mark im Jahre 1996. Zum Preis eines VW Golf hatte die RT auch alles an Bord, was das Tourenfahrerherz begehrt: Koffer mit Innentaschen, Topcase, Tankrucksack, ABS, Heizgriffe, elektrisch verstellbare Scheibe, Fahrerinformationsdisplay und Ladegerät.
Die im Jahr 1995 neu vorgestellte R 1100 RT ist technisch gesehen kein neues Motorrad. Die Technik unter der wuchtigen Verkleidung stammt aus dem BMW-Teileregal: den Rahmen steuerte die GS bei –allerdings mit größerem Nachlauf und flacherem Lenkkopfwinkel. Das Heck kommt von der RS, die Telelever-Gabel von der Roadster.
Von der RS ist auch das Herzstück, der bewährte Vierventil-Boxermotor. 90 PS und ein sattes Drehmoment (95 Nm bei 5.500 U/min) reichen fast für sportliche Fahrleistungen, wäre da nicht das Leergewicht von 285 Kilo. Addiert man noch 205 Kilo Zuladung, ist ein Kampfgewicht von fast einer halben Tonne erreicht. Das hört sich schlimmer an als es in der Praxis ist. Selbst das Rangieren fällt leicht. Um so mehr Spaß macht das Fahren und Reisen. Auch bei schlechtem Wetter, dank der im Windkanal ausgefeilten Verkleidung mit integrierten Spiegeln. Der Wind- und Wetterschutz ist optimal.
Die Lenkerarmaturen sind mir wohlbekannt von der K 75 und K 100. Ebenso (problemlos) der Kaltstart. Choke (beim Einspritzer eigentlich eine Leerlaufanhebung) am Lenker links betätigen und nach wenigen Motorumdrehungen läuft selbiger. Und wenn man Glück hat, leuchten im Cockpit beide ABS-Lampen. Was leider nur bei richtig voller Batterie der Fall ist. Also eher selten. Dann leuchtet nur eine der beiden Lampen. Immer abwechselnd und man fährt so lange ohne ABS, bis man nach einem Neustart mit mehr Saft auf der Batterie mehr Glück hat.
Trockenkupplung, Fünfganggetriebe und Kardan, alles perfekt! Wartungsarbeiten wie Ölwechsel oder Ventile einstellen sind schrauberfreundlich. Zum Supergau dagegen mutiert der Wechsel des Kraftstoff-Filters. Während bei den alten K-Modellen nur der Tankdeckel ausgebaut wird, muss beim Vierventilboxer fast das halbe Motorrad auseinander genommen werden, da der Tank abgenommen werden muss. Die gleiche Prozedur ist bem Austausch der Batterie fällig. Also wechselt man beides immer zusammen. Schon nach der ersten Urlaubsreise, die 2014 mit Sozia und Gepäck bis Frankreich ging, konnte ich feststellen, noch nie eine so komfortable Maschine gehabt zu haben. Und sparsam ist sie auch dank Benzineinspritzung. Rund 5 Liter/100 km nötigen erst nach 400 Kilometern zu einem Boxenstopp.
Ein Jahr später wiederholte ich das, was ich in den 1980er Jahren mit einer Yamaha XS 650 gemacht habe: mit der nun fast 20 Jahre alten BMW ging es auf dem Landweg nach Asien. Der April war jahreszeitlich zu früh gewählt, und bei einigen Wintereinbrüchen in den Alpen und auf dem Balkan konnten wir den optimalen Wetterschutz der wuchtigen Verkleidung genießen.
Die bislang letzte Fernreise ging 2018 nach Marokko. 7.250 Kilometer in drei Wochen. Meine zweitlängste Motorradtour.
Mittlerweile stehen 133.000 km auf dem Tacho. Die Bilanz nach fast 50.000 Kilometern durch 30 Länder in 3 Kontinenten: Außer Spesen nichts gewesen! Keine Pannen und – Verschleißteile nicht mitgerechnet – nur ein Ersatzteil: Das Kabel am Kupplungshebel für die Leerlaufanzeige.
So stehen die Chancen nicht schlecht, dass wir noch einige Jahre oder im Idealfall Jahrzehnte auf den Straßen dieser Welt unterwegs sein werden.
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