aus Kradblatt 3/22, von Torsten Thimm
Das B steht für Bägger
Bagger (gesprochen „Bägger“) leitet sich vom englischen Wort „Bag” (Tasche bzw. Koffer) ab. Im Grunde sind Bagger Tourenmaschinen mit einem gekürzten Windschild und ins Design fließend integrierte Koffer. Der Style kommt aus den USA. BMW kombiniert das Ganze mit seinem Sechszylinder und modernster Technik. In Malaga wurden Anfang Februar die 2022er K 1600 B und ihre Schwestern GT, GTL und Grand America vorgestellt.
Bereits in der Hotellobby empfängt uns eines der Exemplare. Respekt, denke ich so bei mir, welch ein großes Motorrad und was für ein großer Motor, der da im Rahmen hängt. Zwei Bauteile, die BMW gegenüber dem ersten Modell, das 2011 herauskam, nicht geändert, sondern einfach modifiziert und unter anderem der Euro5-Regelung angepasst hat. Rund 70.000 Exemplare dieser exklusiven Bikegattung hat BMW verkauft, man hat damit also offensichtlich nichts falsch gemacht.
K 1600 B: Diese Meinung verstärkt sich am folgenden Morgen bei der Rundfahrt durch Andalusiens Hinterland. Doch bevor wir den Starterknopf drücken, gibt es erst einmal eine Einweisung, denn der bequem erreichbare Lenker hat einige Überraschungen an seinen Enden parat.
Die mittlerweile schier unglaubliche Menge an Schaltern und Knöpfen braucht Übung, wird aber schnell übersichtlich und klar. Genauso verhält es sich mit den Funktionen, die zu einem großen Teil auf dem neuen 10,25 Zoll HD-TFT-Display wiedergegeben werden. Maßgeblich an dessen Funktion beteiligt sind die BMW-Motorrad Connected-App sowie das jeweilige Smartphone des Fahrers. Das Display wird praktisch zur Schnittstelle zwischen Motorrad und Mensch und bildet die Grundlage für Kommunikation, Navigation (über Google) und weiteren Annehmlichkeiten der modernen Welt. Aufgeteilt in bunte Kacheln „Mein Fahrzeug“, „Navigation“, „Radio“, „Media“, „Telefon“ und „Einstellungen“ kann man über das Stellrad am linken Lenkerende logisch schalten und walten. So logisch, dass man auf Apple Car Play bzw. Android Auto gerne verzichtet.
Um nicht irgendwo im nirgendwo mit leerem Handyakku liegen zu bleiben, findet sich unter der elektrisch verstellbaren Scheibe ein wasserdichtes und gleichzeitig elektrisch belüftetes Fach mit USB-Ladeanschluss, in dem das Mobilfon während der Tour ein sicheres Zuhause findet. Einem schnellen Schnappschuss mit der Handykamera steht das allerdings im Weg.
Auf der Straße: Doch nun Schluss mit der grauen Theorie! Mit einem weiteren Druck auf den Starterknopf erwacht der Riese zum Leben und unsere Fahrt beginnt.
Schon auf den ersten Metern fällt mir dabei auf, wie sanft das Triebwerk läuft. Die Kraft lässt sich spielerisch über das elektronische Gas regeln und treibt die K 1600 B eindrucksvoll voran. Die hydraulische Kupplung ist leichtgängig und gerade im Stop-and-go-Verkehr der Innenstadt könnte man auf den montierten bidirektionalen Quickshifter gut verzichten. Allerdings funktioniert das Teil so ausgezeichnet, dass ich selbst hier eher die Kupplungshand schone und einfach die Gänge nach oben und unten drücke. Das hat etwas Souveränes an sich, auch wenn der Bagger im Wirrwarr der Gassen sein Gewicht von über 300 Kilogramm nicht leugnen kann. Das ändert sich erst mit steigender Geschwindigkeit im freien Gelände.
Taste ich mich in den ersten Kurven noch etwas an das Fahrverhalten der Maschine ran, baut sie mit jedem Kilometer mehr Vertrauen auf. Die vorher noch deutlich gefühlten Pfunde sind auf einmal weggezaubert, der Quickshifter flutscht durch die Gänge und es ist tatsächlich die reine Freude am Fahren. Auch der Windzug am Helm ist mittlerweile verschwunden, denn ich habe die richtige Höheneinstellung des Windschilds schnell gefunden. Trotz der mächtigen Verkleidung spürt man erfreulicherweise aber, dass man Motorrad und nicht Auto fährt. Soll heißen: so windschnittig die Verkleidung auch konstruiert ist, ein wenig Zugluft ist immer vorhanden.
Bei Bedarf, wir fuhren auch ein Stück Autobahn mit den Maschinen, kann man es mit 160 PS Leistung bei 6750 Umdrehungen und 180 Newtonmeter Drehmoment bei 5250 Umdrehungen richtig krachen lassen. Laut Werksangabe ist der Bagger in 3,4 Sekunden von Null auf 100 km/h! Den Normverbrauch gibt BMW mit 5,9 l/100 km an.
Auf den Straßen im Hinterland bedeutet das, fahren im dritten maximal vierten Gang, denn mehr Gänge braucht es dort gar nicht. Die ausgeglichene Drehmomentwelle, verbunden mit dem sensibel arbeitenden Dynamic-ESA-Fahrwerk, lässt keinerlei Wünsche offen. So ziehen alle K 1600 Modelle sauber durch die Kurven und überzeugen mit einem fast schon erschreckend neutralen Einlenkverhalten. Die Duo- und Paralever-Radführungen ergänzen die Elektronik aus meiner Sicht dabei sensationell gut und runden das Fahrwerk ab.
Bremsen: Während der eine oder andere Kollege noch extreme Bremsmanöver mit der GT, GTL und GA vollführte, würde ich aus dem normalen Gebrauch heraus (und der reicht für 95% der Fälle) behaupten, die Bremse ist über jeden Zweifel erhaben. Gut dosierbar mit teilintegralem Kurven-ABS macht sie einen ausgezeichneten Job. Und selbst auf Dauer bergab mit den vielen Wechselkurven merkte ich keine Veränderung im Druckpunkt und hatte so immer ein sicheres Gefühl.
Elektronik: Stand ich, was das Thema fahren und dosieren angeht, als Fahrer bisher im Mittelpunkt des Geschehens, so gibt es Bereiche, in denen die BMW selbst sehr gut und unbemerkt im Hintergrund regelt. Mit dem neuen Motormanagement kommt 2022 erstmalig eine Motor-Schleppmoment-Regelung (MSR) zur Ausstattung hinzu. Sie „denkt“ mit und senkt das Bremsmoment des Motors auf das Hinterrad beim Herunterschalten im Schiebebetrieb. Dabei kommuniziert sie mit der ebenfalls neuen IMU (Inertial Measurement Unit). Diese wiederum berechnet und regelt über die Beschleunigungswerte der Maschine, die Schräglage, das ABS, die Traktionskontrolle und das besagte MSR. Ein weiterer Baustein des Systems ist das, schon erwähnte, semiaktive Fahrwerk Dynamic ESA „Next Generation“ mit aktivem Niveauausgleich hinten, das anhand der Fahrdaten der IMU die Vorspannung, sowie Druck- und Zugstufendämpfung des Fahrwerks automatisch der jeweiligen Fahrsituation anpasst. Zu guter Letzt kann der Fahrer über die Fahrmodi Rain (Cruise bei der GA und der B), sowie Road und Dynamic zusätzlich das Ansprechverhalten der Maschine den eigenen Wünschen anpassen.
Licht und Dunkelheit: An der Frontpartie ist eine mächtige Scheinwerfereinheit verbaut. Hier wird, wie auch am Heck, modernste LED-Technik eingesetzt. Die Einheit bietet ein adaptives Kurvenlicht, welches sich zudem mit dem Motorrad neigt und beim Bremsen bzw. Beschleunigen in vertikaler Richtung mitbewegt. Fahrbahnausleuchtung auf eine beim Motorrad bisher nicht gekannte Art. Wie gut das funktioniert, konnten wir leider nur im Pressevideo und bei den Tunneldurchfahrten erleben, aber schon hier war wirklich extrem gut zu sehen was an der Front passiert. Abgerundet wird das Ganze optional mit Zusatz-Scheinwerfern und einer Bodenbeleuchtung (für sicheres Parken und Rangieren im Dunkeln).
Ergonomie: Nach der Mittagspause sitze ich erneut im bequemen Sattel des Baggers. Wenn man einmal unterwegs ist, möchte man da so schnell nicht wieder runter.
Auch wenn das Wetter mal nicht wie gewünscht mitspielt, profitieren Fahrer und Beifahrer von den Annehmlichkeiten der Maschine. Mehr noch als beim Bagger natürlich auf den Schwestermodellen mit ihren großen Windschildern. Sinnvoll ist es, die vier Schnellbedienungsknöpfe in der linken Verkleidungshälfte zu programmieren, da man sonst erst einmal nach der Griff- und Sitzheizung im Menü suchen muss. Die vier Knöpfe schaffen Abhilfe, denn man kann die Griffheizung bzw. insgesamt 18 verschiedene Funktionen des Fahrzeugs direkt darauf legen.
Wir befinden uns derweil auf dem Rückweg zum Hotel und fahren durch das Hinterland über kleine Straßen, um das Fahrverhalten in engen Kurven zu testen. Ähnlich wie im Stadtverkehr kommt mit sinkender Geschwindigkeit auch das Gewicht wieder mehr zur Geltung. Macht man sich aber einmal klar, mit welcher Motorradklasse wir hier am Start sind, liegt all das immer noch in einer sehr guten Relation. Nicht zuletzt kommt auch hier die gute Balance der Maschine zum Tragen und nimmt so dem Fahrer eine ganze Menge (Fahr-)Arbeit ab.
Platzprobleme konnte ich mit meinen 172 cm auf keinem der Modelle feststellen. Mein Bagger hatte zudem die optional lieferbaren vorverlegten Trittbretter über den Sturzbügeln verbaut und schafft so noch mehr Beinfreiheit und eine entspanntere Haltung auf langen Streckenabschnitten. Für alle Modelle gibt es unterschiedliche Sitzbänke, bzw. bei der GT eine Sitzhöhenverstellung, um mehr Körpergrößen bedienen zu können.
Fazit: BMW ist es mit der neuen K 1600 in all ihren Varianten erneut gelungen, einen Maßstab zu setzen. Wer dachte, das sei nicht möglich, der täuscht sich, denn sowohl die neue Motorsteuerung, wie auch das neue ESA-Fahrwerk, sind erhebliche Verbesserungen. Eine andere Dimension nehmen außerdem das TFT-Display mit seiner mobilen Verknüpfung und die neue LED-Lichttechnik der K 1600 ein. Sie tragen zur Bedienerfreundlichkeit der gesamten Maschine und zur aktiven wie passiven Sicherheit bei. So gibt es für jeden das richtige Modell der K 1600. Mit der GT macht keiner etwas falsch, der gerne alleine oder zu zweit verreist und Komfort zu schätzen weiß. Wer mehr möchte hat mit der GA und der GTL die richtigen Begleiter an seiner Seite und wer gerne nach Feierabend baggert und trotzdem verreisen möchte dem bietet die B alles was man braucht.
Das Active-Cruise-Control-System fehlte aufgrund von designtechnischen, optischen und platztechnischen Punkten an den Modellen, doch habe ich es beim Fahren in keinster Weise vermisst. Das Getriebe ist immer noch hörbar und mich störte bei den Pausen die Suche nach dem Seitenständer. Durch die Fußrasten ist der etwas schwer zu erreichen, da der Ausleger recht kurz ist. Das Fach fürs Smartphone ist klasse, mich würde es allerdings einschränken, da ich unterwegs gerne mal schnell das Handy heraushole, um Bilder damit zu schießen.
Preise? Die GT-Basisversion beginnt bei 25.950 Euro, die B-Variante bei 26.000 Euro, die GTL-Variante kommt auf 27.950 Euro und die GA liegt bei 29.385 Euro. Über den BMW-Konfigurator lassen sich alle Modelle mit zusätzlichen Extras problemlos über die 30.000 Euro Marke hieven.
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