aus bma 06/97

von Marcus Lacroix

Seit vierzehn Jahren baut BMW nun Motorräder mit mehr als zwei Zylindern, und diese Baureihe wurde langsam aber beständig weiterentwickelt. Technische Neuerungen kamen dabei als erstes immer der Sport- bzw. Tourensportmaschine zugute. Aus der K 100 RS, über die etwas zu futuristische geratene K 1, wurde nach und nach die K 1100 RS entwickelt. Als neues Flaggschiff in der K-Baureihe wird diese jetzt von der K 1200 RS abgelöst, die wie gewohnt alle technischen Highlights, die BMW zu bieten hat, in sich vereinigt. In diesem Jahr kann jedoch nicht mehr von einer modellgepflegten Variante der bisherigen RS gesprochen werden, denn das Motorrad wurde von Grund auf neu konstruiert. Lediglich der Antriebsstrang wurde im Grundprinzip beibehalten. Vier Zylinder in Reihe längs zur Fahrtrichtung liegend, mit je vier Ventilen und einer rechtsseitigen Kurbelwelle, die die Kraft in gerader Linie über das Getriebe an den Kardan weiterleitet. Diese Anordnung, in Verbindung mit dem kantigen Äußeren, hatte seinerzeit zu dem Spitznamen „fliegender Ziegelstein” geführt. Die neue 1200er wird diesen wohl abstreifen, denn kantig ist an ihr nichts mehr. Von ihrem Motor kann der Betrachter kaum einen Blick erhaschen. Eine elegante Vollverkleidung, die in gelungener Linienführung in eine Tank/ Sitzbank-Kombination übergeht, verdeckt ihn weitestgehend. Die große Besonderheit, die das Aggregat in sich birgt, sieht man ihm äußerlich aber sowieso nicht an. Erstmalig hat BMW ein Motorrad auf den Markt gebracht, das in der offenen Version mehr als die 100 PS entwickelt, die uns die freiwillige Selbstbeschränkung der Hersteller in Deutschland beschert. 130 Pferdestärken stehen dem Fahrer maximal zur Verfügung. Offiziell wird die K 1200 RS bei uns natürlich „nur” mit versicherungsgünstigen 98 PS angeboten.

 

Auch unsere Probefahrtmaschine, die uns von der BMW Niederlassung Bremen für mehrere Tage zur Verfügung gestellt wurde, war auf 98 PS gedrosselt. Im Grunde war ich dafür sogar dankbar, denn obwohl eine hohe Spitzenleistung psychologisch eine Herausforderung darstellt, ließ die Drosselversion mehr Fahrspaß erwarten. Die Drehmomentkurve verläuft im unteren Drehzahlbereich fülliger als die des offenen Motors, also dürfte von der begehrten Kraft aus dem Keller sogar mehr vorhanden sein. Das maximale Drehmoment fällt dabei mit 118 Nm bei 5500 U/min gegenüber 117 Nm bei 6800 U/min sogar geringfügig höher aus. Auf dem Papier spricht also zunächst nicht viel für die 130 PS Version. Die Meßwerte, die von anderen Motorradzeitschriften ermittelt wurden, haben daher auch eher theoretische Bedeutung. Die Höchstgeschwindigkeit der 98 PS-K fällt mit 234 km/h etwa 20 km/h geringer aus, als die der Offenen, und sie beschleunigt von Null auf 100 km/h mit 3,5 Sekunden exakt 0,1 Sekunde langsamer als die 130 PS-Variante.
Für unseren Fahrbericht haben wir – wie gewohnt – keine Meßwerte ermittelt, da diese in den meisten Fällen doch nur für die Prahlerei am Stammtisch von Nutzen sind. Wir ließen das Fahrzeug als solches auf uns wirken und kamen schnell zu dem Schluß, daß der 98 PS-Motor ein Traum ist. Bereits knapp über Standgasdrehzahl geht er kraftvoll zu Werke und treibt die immerhin 285 kg schwere Fuhre sehr zügig vorran. Wann man den nächsthöheren Gang im neu konstruierten, leicht und exakt zu schaltenden Sechsganggetriebe wählt, ist dabei eher nebensächlich. Im Alltagsbetrieb dürfte der Schaltpunkt aber meist um 5000 U/min liegen. Bei feuchten Straßen ist frühes Schalten sogar dringend zu empfehlen, denn obwohl die Dunlop Bereifung ein sehr sicheres Fahrgefühl auf trockenen wie nassen Straßen vermittelt, kann sie die gebotene Leistung nicht immer in Vortrieb umsetzen. Konkret sah das bei unserer Probefahrtmaschine so aus, daß beim zügigen Beschleunigen bei 100 km/h das Hinterrad plötzlich seitlich hin- und hertanzte. Zwar ließ sich die BMW schnell wieder unter Kontrolle bringen, mein Adrenalinspiegel erreichte jedoch seinen bisherigen Jahreshöchstwert. Hierbei kam mir dann auch der Verdacht, daß die 130 PS-Version der K 1200 RS nur aus Marketinggründen das Licht der Welt erblickt hat. Schließlich gibt es genug Menschen, die sich durch eine bloße Leistungsangabe blenden lassen.
Mut zur Vernunft zeigte BMW hingegen bei der Wahl der Reifenbreite. So wird die Vorderradfelge von einem Reifen der gängigen Dimension 120/70 – ZR 17 umspannt, die filigran wirkende Hinterradfelge trägt dagegen ein 170/60 – ZR 17 Gummi. Diese vergleichsweise geringe Reifenbreite erzielt zwar nicht den so beeindruckenden Showeffekt eines 190er Schlappens, verbessert das Handling jedoch um Welten. Leider ist diese Weisheit noch nicht bis nach Japan vorgedrungen.
Nun werden Handling und Fahrverhalten ja nicht nur durch die Reifenwahl bestimmt. Da ist zum einen der tiefe Schwerpunkt der Maschine, der einen selbst beim Rangieren fast vergessen läßt, daß es sich bei der K 1200 RS um ein fast sechs Zentner schweres Motorrad handelt. Zum anderen spielt natürlich das Fahrwerk eine große Rolle. Hierbei hat BMW tief in die hauseigene Trickkiste gegriffen. Das Hinterrad mit dem wartungsarmen Kardanantrieb wird von der bekannten – Paralever genannten – Doppelgelenkschwinge geführt. Diese ermöglicht durch ihre einseitig offene Konstruktion einerseits den einfachen Hinterradausbau, desweiteren eliminiert sie wirkungsvoll das entstehende Kardanmoment, welches beim Beschleunigen sonst für den berüchtigten Fahrstuhleffekt sorgt. Hierbei versteift sich die Federung im Fahrzeugheck durch die entstehenden Drehmomente und kommt so der Radführung nur unvollständig nach. Der Paralever, in Verbindung mit dem in Federvorspannung und Zugstufendämpfung einstellbarem Federbein, sorgt für ständigen Bodenkontakt. Einwandfreie Arbeit leistet auch die Telelever genannte Vorderradführung. Auf den ersten Blick sieht sie zunächst fast wie eine Telegabel aus. Schaut man tiefer in die Verkleidung, entdeckt man jedoch ein einzelnes Gasdruckfederbein. Das Konzept wurde bisher erfolgreich bei den Vierventilboxern von BMW angewandt und fand nun endlich Einzug in die K-Baureihe. Über den Telelever wurde schon viel Positives berichtet, und in der K 1200 RS findet die Konstruktion ihren bisherigen Höhepunkt. Ob auf schlechten Wegstrecken oder bei Topspeed auf der Autobahn, die BMW überzeugt durch ein erstaunlich leichtes Handling und einen einwandfreien Geradeauslauf.
Freunde spektakulärer Motorräder werden der BMW K 1200 RS zunächst nicht viel abgewinnen können. Sie ist zwar der Technologieträger der weiß-blauen Marke, ihre wahren Qualitäten eröffnen sich aber erst auf den zweiten Blick. Nach dem Aufsitzen beschleicht den Fahrer schon ein gewisses Gefühl der Vertrautheit. Die Lenkerenden liegen gut in den Händen, beide Füße reichen selbst bei angewinkelten Beinen noch locker bis zum Boden (ich bin 176 cm groß), und die überarbeiteten Armaturen kommen einem auch bekannt vor. Mit diesen werden sich Nicht-BMW-Fahrer anfangs vielleicht etwas schwer tun, insgesamt bevorzuge ich persönlich allerdings inzwischen diese Form der Schalterbetätigung, da sie sich auch mit Winter-/ Regenhandschuhen einwandfrei ertasten lassen. Sollte sich jemand bei der ersten Sitzprobe nicht wohl fühlen, kann mit der Verwandlung der Maschine begonnen werden. Durch einen ganz einfachen Griff kann die Sitzhöhe um drei Zentimeter variiert werden, wobei die Sitzbank dazu nicht einmal mehr abgenommen werden muß. Auch die Verkleidungsscheibe läßt sich ohne Werkzeug in zwei verschieden hohe Positionen bringen. Letzteres kann auch problemlos während der Fahrt erfolgen. Handbrems- und Kupplungshebel lassen sich vierfach der persönlichen Fingerlänge anpassen. Weitere Verstellarbeiten erfordern einen Innensechskantschlüssel, der natürlich im gewohnt guten Bordwerkzeug enthalten ist. Damit lassen sich dann die Lenkerstummel vor- und zurückschieben und die Fußrasten in zwei verschiedenen Höhen fixieren. Mit vertretbarem Aufwand läßt sich das Motorrad so den spezifischen Wünschen des Fahrers anpassen. Zu guter Letzt läßt sich sogar die Länge der Hinterradabdeckung nach den Wünschen des TÜV-Prüfers einstellen.
Auf der Straße überzeugt die BMW K 1200 RS durch ihre unaufdringliche Art. Sie verführt den Fahrer nicht zu einer rasanten Fahrweise, wie das bei sportlichen Motorrädern sonst oft der Fall ist. Trotzdem läßt auch sie sich auf Straßen aller Art ausgesprochen zügig bewegen. Der Motor, der schwingungsentkoppelt durch den neu konstruierten Rahmen seine Vibrationen nicht mehr an den Fahrer weitergibt, begeistert in jeder Fahrsituation. Auch scharfe Beschleunigungsmanöver gehen ohne nervtötenden „Racingsound” vonstatten. Warum die Edelstahlauspuffanlage einen billig wirkenden Aluminiummantel tragen muß, ist mir jedoch ein Rätsel.
Die neue Motronic Einspritzanlage versorgt den Motor bei jeder Betriebs-temperatur mit der richtigen Kraftstoffmenge. Eine Kaltstartautomatik macht den Chokehebel überflüssig. Unsere Probefahrtmaschine konsumierte durchschnittlich 6,35 Liter Super bleifrei je 100 Kilometer. Da in diese Berechnung auch der Autobahnvollgastest mit einging, kann man im Alltag eher mit einem geringeren Verbrauch rechnen. Der 21 Liter fassende Kunststofftank wird demnach Reichweiten um die 300 Kilometer erlauben. Neu in der Motorradwelt ist die Schnittstelle zu einem Computer, der Werkstätten bei einer etwaigen Fehlersuche unterstützt. Ferner sorgt eine Staudruckaufladung für eine bessere Zylinderfüllung bei höherer Geschwindigkeit, und ein bei allen mehrzylindrigen BMW’s serienmäßiger geregelter Dreiwegekatalysator leistet einen kleinen Beitrag zur Eingrenzung der Umweltverschmutzung.
Die Brembo-Bremsanlage wird von dem serienmäßigen Antiblockiersystem dominiert. Interessant war es dabei, wieder einmal festzustellen, wieviel mögliche Bremsleistung man als normaler Motorradfahrer vor allem auf nasser Fahrbahn aus Angst vor dem Überbremsen verschenkt. Die schwere Maschine läßt sich mit Hilfe des ABS jederzeit und ohne ein Gefühl der Unsicherheit zum Stehen bringen. Durch den 90%-igen Bremsnickausgleich des Telelevers taucht die Vorderpartie auch bei scharfen Bremsmanövern praktisch nicht mehr ein. Speziell auf schlechten Straßen ergibt sich daraus ein Sicherheitsplus. Für meinen Geschmack könnten die Betätigungskräfte allerdings ein wenig geringer ausfallen. Überbremsungen sind aufgrund des ABS schließlich nicht möglich.
Wunderbar gering fallen dagegen die Kräfte aus, mit denen sich das Motorrad auf den Hauptständer stellen läßt. Den Seitenständer kann man im Sitzen ausklappen, und im Gegensatz zu den neuen Boxern wird der laufende Motor dabei nicht abgeschaltet. Vor allem Garagenparker werden das sehr zu schätzen wissen.
Andere Ausstattungsdetails wie die Warnblinkanlage, die automatische Blinkerrückstellung, die Ganganzeige, die Zeituhr oder die Bordspannungssteckdose fallen zwar nicht sofort ins Auge, erweisen sich im Alltag jedoch als ausgesprochen sinnvoll. An unserer Probefahrtmaschine waren außerdem die gegen Aufpreis lieferbaren beheizten Handgriffe montiert, die aber scheinbar nicht ganz die Temperatur derer der Boxer erreichen.
Kritik muß sich die neue BMW K 1200 RS nur wenig gefallen lassen. Ins Klo gegriffen haben die Designer auf jeden Fall mit der Wahl der Rückspiegel. Können sie den Praktiker durch ihre Funktionalität noch erfreuen, so fragt sich der Ästhet, warum diese nicht in die Blinker integriert wurden. Die unaufdringlichen Kofferträger, die an unserer Maschine montiert waren, gehen ja noch als optisch genial durch, bei der Gepäckbrücke haben es die Designer dann aber doch zu gut gemeint. Das Teil ist für eine vernünftige Gepäckunterbringung schlicht zu schmal. Stattdessen hätten sie vieleicht das nüchterne Cockpit etwas aufpeppen können. Aber wenigstens kommt dieses seiner Aufgabe – der vollständigen Information des Fahrers – ohne Schwierigkeiten nach. Kleine Fahrer werden durch den hochbauenden Tank Probleme bei der Montage eines Tank-rucksackes bekommen. Außerdem nervte unsere Testmaschine zeitweilig mit Klappergeräuschen der Verkleidung beim Beschleunigen aus niedrigen Drehzahlen. Die Suche nach deren Quelle überließen wir aber der Werkstatt…
27.859 DM kostet die BMW K 1200 RS. Damit ist sie nicht gerade für jedermann erschwinglich. Aber auch wenn sie nicht billig ist, preiswert ist sie im direkten Vergleich mit japanischen Motorrädern doch. Abgesehen von der Tatsache, daß diese kein Motorrad in der beschriebenen Ausstattung liefern, wäre die BMW bei japanermäßiger Ausstattung (die natürlich auch nicht lieferbar ist) eher etwas billiger als diese. Aber wer will schon wenig, wenn er alles haben kann. Es ließe sich noch eine Menge mehr über die neue BMW schreiben, doch würde das den Rahmen sprengen. Schließlich ermöglicht jeder BMW-Händler Probefahrten.
Kommen wir also zum Schlußwort. Die Wachablösung der alten K 1100 RS ist mehr als gelungen, der Fortschritt deutlich spürbar. Motor und Fahrwerk der neuen K 1200 RS lassen schon Vorfreude auf die zu erwartende Luxustourerversion aufkommen. Auf ein Naked Bike, so wie es die K früher schon einmal gab, werden wir aber wohl leider verzichten müssen.