aus bma 10/99

von Konstantin Winkler

Es war schon eine Sensation, als sich im Jahre 1983 BMW selbst Konkurrenz machte. Mit viel Mut und einem Entwicklungsaufwand von 40 Millionen Mark entstand in drei Jahren Arbeit unter der Typenbezeichnung K 100 das erste, noch unverkleidete, wassergekühlte Vierzy- lindermodell. Die eigentliche Sensation war, dass der Reihenvierzylinder nicht – wie allgemein üblich – quer, sondern längs eingebaut war. Diese eigenwillige Bauart rief die Spötter auf den Plan, die bald vom „fliegenden Ziegelstein” sprachen.

 

Auch meine Begeisterung hielt sich damals in Grenzen, obwohl die Fahrleistungen überzeugten. 90 PS bei 8000 U/min, endlich konnte man mit japanischen Big Bikes mithalten. Trotzdem: „kaufe ich mir nie”, höre ich mich noch heute sagen. Und ein paar Jahre später stand eine vollverkleidete K 100 RS in meiner Garage. Selbstverständlich als weißes Sondermodell im M-Design, passend zu meiner R 100 RS, die mir jahrelang treue Dienste geleistet und mich nie im Stich gelassen hat.
Der Grund für das K-Sondermodell war die Wahl der RS zum Motorrad des Jahres 1986 und 1987. Die weiße Speziallackierung war auf 1000 Exemplare limitiert. Eine straffere Fahrwerksabstimmung mit gekürzten Federwegen vorne und hinten sowie die Pirelli-Radialreifen der Größe 100/90 V 18 vorne und 130/90 V 17 hinten sollten dem bajuwarischen Paradepferd nicht nur auf die Sprünge, sondern auch zu exakterem Fahrverhalten verhelfen. 1814 Kilometer in knapp drei Jahren hatte meine neue Errungenschaft beim Kauf erst gelaufen; noch nicht einmal die erste Inspektion war gemacht. Milchige Ablagerungen im Motoröl, das wie Erdöl aussah und auch so roch, sowie zwei viel zu knapp eingestellte Ventile ließen Schlimmes erahnen. Unbegründet, wie sich in den nächsten Jahren herausstellen sollte. Im ersten „Testjahr” gab es lediglich die mangelhafte Haltbarkeit der erstausgerüsteten Pirelli-Reifen zu kritisieren. Nach nur 8500 Kilometern war der erste Reifenwechsel angesagt. Die Pneus aus dem Hause Metzeler halten tatsächlich fast doppelt so lange. Der Motor wurde nun nochmal sorgsam eingefahren. Doch vor das Fahrvergnügen haben die Götter den morgendlichen Kaltstart gesetzt. Benzinhahn auf und Schwimmerkammer fluten. So begann vor 30 Jahren die Startprozedur bei einer BMW. Inzwischen hat sich aber die maximal mögliche Anzahl der Zylinder auf vier verdoppelt. Und auch der Startvorgang bestätigt den Fortschritt der Motorradentwicklung. Dank elektronischem Motormanagement ist er so unspektakulär wie die dritte Wiederholung der Lindenstraße. Zündschlüssel drehen, Choke am Lenker betätigen, auf den Startknopf drücken, und schon nimmt der fliegende Ziegelstein mit einer bescheidenen Geräuschkulisse seine viertaktende Arbeit auf. Der viereckige Auspuff müht sich vergebens, das Heulen des Primärantriebes und das Sirren der Benzinpumpe zu übertönen.
Doch nicht nur Zylinderzahl und Startprozedur haben sich gegenüber dem Boxer grundlegend geändert, auch die Art und Weise, wie der Kraftstoff für die Verbrennung aufgearbeitet wird, hat sich nachhaltig geändert. Statt der Unterbrecherkontakte und Bing-Vergaser ist die LE- Jetronic von Bosch am Werk. Zündung und Einspritzanlage operieren mit zwei getrennten Computern. Die Information darüber, ob der Motor im Teil-, Volllast- oder Schiebebetrieb arbeitet, erfolgt mittels eines Luftmengenmessers in Form einer Stauklappe. Vor- und Nachteil zugleich ist, dass es nur zwei klar definierte Zustände gibt: Der Motor läuft oder er läuft nicht. Falls letzterer Fall eintritt, hat man zwei Möglichkeiten: 1. die Sicherung für die Kraftstoffpumpe kontrollieren oder 2. die Service-Nummer der Schutzbriefgesellschaft anrufen und auf Hilfe warten.
Beim Durchfahren einer mit Schlaglöchern übersäten Strecke in den neuen Bundesländern, die noch nicht dem „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit” zum Opfer gefallen war, fing der Motor zu stottern an. Tatsächlich hatte sich nur besagte Sicherung etwas gelockert. Kleine Ursache, große Wirkung.
Nach dem Einfahren wurde die Höchstgeschwindigkeit ermittelt, Ergebnis, Anschlag Tachonadel: fast 240 km/h. Es war ein einmaliges Erlebnis, im doppelten Sinne, denn Reisen statt Rasen sollte fortan die Devise sein. Die 10.000-Kilometer-Marke wurde bei der ersten Alpenrundfahrt im schweizerischen St. Moritz übersprungen. Durchschnittlich 5,5 Liter Benzin flossen durch die Einspritzanlage.
Auch der nächste 10.000er-Sprung kam in luftiger Höhe auf dem Ziffernblatt des eckigen Tachos zum Vorschein. Diesmal war es in den französischen Seealpen, nach einem Abstecher an die Costa Brava, Barcelona und den in den Pyrenäen gelegenen Zwergstaat Andorra – ohne Probleme selbstverständlich.
Das recht frühe Aufleuchten der Tankanzeige kann man getrost ignorieren, wenn man die aufpreispflichtigen Zusatzinstrumente in der Verkleidung hat: Tankuhr und Kühlwasserthermometer. Letzteres touchiert den roten Bereich allenfalls beim sommerlichen Stop-and-Go einer mediterranen Großstadt. Rechtzeitig springt der Lüfter an, um für zusätzliche Kühlung zu sorgen. Sonst ist immer alles im grünen (bzw. blauen) (Kühlwasser-)Bereich.
Ein Jahr später wurden wieder die vollbeladenen Krauser-Koffer angebaut. Die bislang weiteste Urlaubstour stand auf dem Terminkalender. Bei Kilometer 25.000 parkte die RS vor dem Kollosseum in Rom. Aber da war erst die Hälfte geschafft. Zwei-tausend Kilometer weiter südlich konnte sie ihre Geländetauglichkeit in der tunesischen Sahara unter Beweis stellen. Erwartungsgemäß war es damit jedoch nicht weit her. Auch diese Reise verlief ohne technische Probleme. Nicht mal das niederoktanige afrikanische Klingelwasser zeigte unerwünschte Nebenwirkungen. Lediglich das Starten des Motors nach dem Abstellen der Maschine auf dem Seitenständer zeigt manchmal eine unschöne, aber ganz harmlose Nebenwirkung – und das nicht nur in Afrika: eine Qualmwolke wie beim Zweitakter. Trotz der Sahara(tor)tour hielt das mittlerweile dritte Reifenpaar 16.000 Kilometer.
Doch nicht nur Reifen und Motor überzeugten auf der Mammut-Tour. Auch das Fahrwerk der „K” macht den Fortschritt gegenüber den /7-Boxermodellen deutlich. Der Brücken-Gitterrohrrahmen bezieht den Motor als tragendes Teil mit ein. Neu war 1983 auch die Art der Hinterradführung: eine einarmige, gegossene Leichtmetallschwinge mit einem Federbein, dessen Basis verstellbar ist. Die konventionelle Telegabel arbeitet ohne Verstellmöglichkeit. Auf kurze Bodenwellen spricht sie ebenso fein an wie sie schwere Schläge bestens wegsteckt. Handlichkeit und Spurhaltung sind erstklassig, ebenso die drei Scheibenbremsen.
Mittlerweile hatte die BMW ihre erste Erdumrundung absolviert. Und außer Wartungsarbeiten war kein ausserplanmäßiger Griff in die Werkzeugkiste vonnöten. Nicht einmal das Ventilspiel musste korrigiert werden. Bei Kilometer 42.000 durften Fahrer und Maschine mal wieder salzhaltige Luft inhalieren. Nein, nicht im Winter in die Berge, sondern im Frühjahr ans Mittelmeer in zwei Länder, die es ein paar Jahre vorher noch gar nicht gab: Slowenien und Kroatien. Die 50.000er-Marke erreichten wir dann in einem der vielen Autobahntunnel an der Riviera.
Das fünfte und bislang letzte Mal ging es bei Kilometer 58.000 ans Mittelmeer. Diesmal wieder nach Kroatien. Zwischendurch, damit es nicht langweilig wurde, standen noch zwei verlängerte Wochenend-Alpentouren auf dem Programm, deren Höhepunkte bei Kilometer 46.000 das Matterhorn und bei Kilometer 55.555 (Prost!) das Timmelsjoch und Meran waren.
Fazit nach anderthalb Erdumrundungen: Außer vier Paar Reifen, einem Satz Bremsbeläge, einem Luftfilter und diversen Zündkerzen sowie Kraftstoff- und Ölfiltern gab es nichts auszutauschen. Nicht mal die Kupplung musste nachgestellt werden. Auch das Ventilspiel hat sich seit 60.000 Kilometern nicht verändert.
Mittlerweile ist die BMW K 100 nicht mehr ganz „up to date”. Ein Liter Hubraum und zwei Ventile pro Zylinder gehören bei BMW nun der Vergangenheit an. 1200 Kubik und insgesamt 16 Ventile verteilt auf die vier Zylinder sind jetzt das Maß der Dinge. Trotzdem – die K 1200 RS kaufe ich mir nie. Oder vielleicht doch in ein paar Jahren?