aus Kradblatt 9/20 von Anna-Larissa Redinger und Annika Gramlich
Frauenpower Down Under
In Neuseeland Motorrad zu fahren – was für ein tolles Erlebnis. Wenn mir jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, dass mich ein Abenteuer auf zwei Rädern einmal bis ans andere Ende der Welt führen würde, hätte ich das wohl niemals für möglich gehalten. Doch im Februar 2020 durfte ich das „International Female Team #1“ bei der BMW GS Trophy 2020 begleiten.
Mein Team hatte sich bereits 2019 bei den Female Qualifiers in Spanien gefunden. Mit dabei waren:
- Isabela Londono Rivas, 26 Jahre alt, aus Manizales/Kolumbien, Architektin
- Nikki van der Spek, 31 Jahre, aus Hoek van Holland/Niederlande, Motorradfahrlehrerin
- Claire Bichard, 32 Jahre, aus L’Isle Adam/Frankreich, Büroleiterin.
Gemeinsam bildeten wir ein Team aus vier Motorrad-Fahrerinnen. Vier Mädels quer durch Neuseeland – das Abenteuer war vorprogrammiert.
Tag 1 – Spektakuläre Überraschungen von Anfang an
Der erste Tag bei der GS Trophy in Neuseeland war bereits spektakulär. Alle Teams brachen von den Thermalquellen und der Heimat der Maori in Rotorua zu einer Fahrt auf, die uns durch einen Naturwald hinauf zu einem idyllischen Hochland und anschließend hinunter zur Hawke’s Bay führte, wo wir unser erstes Nachtlager aufschlugen. Nach einer anstrengenden ersten Etappe den Blick über den Pazifischen Ozean gleiten zu lassen ist jede Mühe wert.
Bereits am ersten Tag musste das Team einige Prüfungen bestehen. Bei der „Sena-Challenge“ am Lake Waikaremoana wurden uns die Augen verbunden und ein anderes Teammitglied dirigierte uns durch den Slalomkurs. Blindes Vertrauen in dein Team ist hier buchstäblich notwendig. Mit verbundenen Augen einen Parcours zu meistern bedeutet den eigenen Puls zu kontrollieren, die Nervosität in Schach zu halten und dich voll und ganz auf deine Kollegin zu verlassen.
Es war faszinierend zu sehen, wie wir unsere Gemeinsamkeiten, den starken Zusammenhalt und das Gefühl von Familie in diese Challenge einbringen konnten. Die GS Trophy brachte in uns allen die größten Kräfte hervor. Menschen aus der ganzen Welt, aus verschiedensten Kulturen und Ländern teilen für zwei Wochen das gleiche Zuhause. Die wenigsten hatten sich vor diesem Abenteuer schon einmal gesehen und dennoch war es von der ersten Minute an so, als würde man sich schon ewig kennen. Wenn ich jetzt, einige Wochen später, darüber nachdenke, fasziniert mich die fast familiäre Verbundenheit noch immer.
Nikki van der Spek: „Wir hatten heute sehr viel Spaß. Das Land ist fantastisch, es ist wunderschön und unglaublich abwechslungsreich.“
Tag 2 – Nicht den Kopf in den Sand stecken
Kein Tag bei der GS Trophy ist wie der andere. Den zweiten Tag starteten wir mit dem Gravel Push
(= „Kies schieben“).
Die so beliebte wie anstrenge Herausforderung ist, dass das ganze Team das Motorrad durch den Kies schieben muss. Mit schlauen Sprüchen wie: „Wer sein Bike liebt, der schiebt“, machte man sich bei uns allerdings nicht beliebt.
Mit dieser Challenge war der Tag jedoch lange nicht abgeschlossen. Motto des Tages war eindeutig: „Nicht den Kopf in den Sand stecken“.
Die Herausforderungen gingen weiter mit dem Beach Sprint (= „Strandsprint“), einem Wettlauf gegen die Zeit und durch den Sand. Hier war voller Körpereinsatz nötig. Nur wer in der prallen Sonne mit vollem Körpereinsatz und höchster Konzentration, mit bester Technik auf hohe Geschwindigkeiten kam, hatte die Chance bei der Wende oder im Ziel nicht im Sturzflug im Sand zu landen.
Nach der dritten und letzten Etappe des Tages, einer kurvenreichen 200 km langen Strecke mitten durch Wairarapa, mit ständigem Wechsel von Asphalt und Schotter, fällt am Ende die stärkste Frau erschöpft ins Bett.
Tag 3 – Für einen Moment unsterblich fühlen
Die Sand-Pisten am Vortag hatten immens an unseren Kräften gezehrt. Doch Ausschlafen gibt es bei der GS Trophy nicht. Um 5.30 Uhr hieß es an Tag 3: „auf zum Frühstück“, noch vor der Morgendämmerung. Doch ein erneut grandioser Sonnenaufgang am Pazifik entschädigte uns für vieles.
Die erste Challenge des Tages war der Beach Drift. Dabei trat ein Teilnehmer aus jedem Team zu einem Zeitfahren auf tiefem Sand an. Anschließend hatte er einen aus flacherem Sand bestehenden Abschnitt hin und zurück zu durchqueren, bevor er in einem vorgegebenen Bereich präzise zum Stehen kommen musste.
Dem tiefen Sand mussten viele Teilnehmer Tribut zollen: Sie kippten entweder um oder blieben im Sand stecken. Für mich gehörten die Sandstrecken jedoch mit zu den besten Tracks der GS Trophy. Der tiefe Sand raubt einem schon nach der ersten Kurve die Kräfte und wer fällt, strengt sich doppelt an, denn das Bike aus dem Sand aufzuheben, ist einfach richtig anstrengend. Doch es sind die Herausforderungen wegen derer wir alle nach Neuseeland wollten und so nahe am Meer, die frische Luft inhalieren und in einer Reihe mit den Mädels den Strand entlang fetzen, das sind Erinnerungen für ein ganzes Leben. Ich glaube, wir fühlten uns alle kurz ein wenig unsterblich.
Tag 4 – Wissen ist Trumpf
Am vierten Tag stand ein Ortswechsel an, von der Nordinsel auf die Südinsel Neuseelands, was wir zunächst als Ruhetag interpretiert hatten. Da wir aber schon ab 3:30 Uhr frühstücken mussten – um die frühe Inter Island Ferry zu bekommen – realisierten wir schnell, dass es auch heute keine Zeit zum Batterie aufladen geben würde. Und nachdem wir uns am Tag zuvor im Sand an den Rand der Muskelkraft gekämpft hatten, hieß es am vierten Tag Köpfen beweisen.
Ein Quiz zur GS, eine GPS-Challenge zu Fuß und einmal Reifenwechseln waren die Prüfungen des Tages, die es bestmöglich zu meistern galt.
Ein absolutes Highlight war jedoch ein ganz anderer Moment. Nämlich der Moment der Ankunft in Picton, als 140 BMW F 850 GS Motorräder die Fähre fast gleichzeitig verließen. Gefolgt von dem großen Tross von Support-Autos und Trucks hatten wir die volle Aufmerksamkeit des Hafenstädtchens. Das sieht man nicht alle Tage.
Tag 5 – Das Biker Glück in den Rockys
Die Nordinsel ist durchgängig hügelig und stellte uns vor völlig neue Herausforderungen. Auf der Südinsel mussten wir jedoch zwei richtige Berge überwinden, und das auf echten Bergpfaden und nicht auf Schotterpisten. Man hatte uns ja versprochen, dass wir heute ein völlig neues Niveau der Fahrintensität erreichen würden – und das hat man gehalten! Das Ziel war Punakaiki Beach, dieser ist berühmt für seine hohen Kalksteinfelsen, die wegen ihrer verschiedenen Schichten auch Pancake Rocks genannt werden.
„Als wir zur ersten Sonderetappe in die Berge hinauffuhren, konnten wir auf die Wolken hinunterschauen. Später fuhren wir an dieser großartigen Küste entlang. Die Wellen brandeten auf den Strand. Und in dieser herrlichen Umgebung sind wir Motorrad gefahren und hatten eine unglaublich schöne Zeit.“ – Lisa Taylor, Int. Frauenteam II
Gar nicht so einfach wie es klingt, war die „Rab Challenge“. Wir mussten vom Strand zu unseren Zelten laufen, die Stiefel ausziehen, unseren Schlafsack auspacken, in ihn hineinkriechen, dann rückwärts wieder hinaus, den Schlafsack zusammenrollen, die Stiefel wieder anziehen und zu unseren Teamkolleginnen am Strand zurücklaufen. Dann war die nächste dran. Eine Challenge, die schon allein deshalb so anstrengend ist, weil das Gelächter groß ist. Es hat einfach zum Schießen ausgesehen.
Tag 6 – 11 Stunden und 4 Jahreszeiten
Am sechsten Tag der BMW Motorrad International GS Trophy wurde es noch deutlich härter als an den Vortagen.
Als erstes durchquerten wir die Südinsel von Westen nach Osten, nahmen 440 km über Gebirgspässe und an den Canterbury Plains entlang unter die Räder, bis wir am frühen Abend im Vorland der Neuseeländischen Alpen Lake Tekapo erreichten.
Man nennt es die „Kiwi-Erfahrung“, wenn man an einem Tag alle vier Jahreszeiten durchlebt. Man muss schon hart im Nehmen sein, wenn man so heftige Wetterwechsel, gepaart mit Bergpfaden und mehreren Flussüberquerungen, meistern will. Und selbstverständlich begann auch dieser Tag noch vor der Morgendämmerung und der einzige Test des Tages: „Rent-a-Ride“, fand nahezu unter Wasser statt. Wir mussten zweimal einen Trial-Parcours absolvieren, der völlig überflutet war. Da stehen einem die Schweißperlen im Gesicht. Geduscht wurde beim Fahren.
Erst nach 18 Uhr hatten wir den Tag geschafft und trafen im Camp ein. 11 anstrengende Stunden nach dem Frühstück fielen wir trotzdem einfach nur glücklich ins Bett.
„Der heutige Tag war unglaublich. Eine spektakuläre Route mit Schotter, Felsen, Bergen, vielen Flussüberquerungen – und die ganze Zeit fantastische Ausblicke“ – Isabela Londomo Rivas, Int. Frauenteam II.
Für mich war dieser Tag der absolut Beste. Um ganz offen zu sein, wir waren uns nicht sicher ob wir überhaupt ins Ziel kommen würden. Nochmal 100 km mehr als bei den Etappen zuvor und zugleich einer der technisch anspruchsvollsten Tracks – wie sollte das gehen? Doch wir Mädels haben diese Etappe gerockt!
Wir durften als Erste um 7.00 Uhr starten. Die Startreihenfolge ist Zufall und jeden Tag neu. Die Gruppen starteten dann immer in Fünf-Minuten-Abständen.
Wir spürten bereits, dass viele andere Teams davon überzeugt waren, uns irgendwann im Laufe des Tages einzuholen. Die meisten Gruppen fuhren einfach eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit. Soweit die Theorie – DEREN Theorie.
Wir Mädels gaben von der ersten Minute an einfach alles. Wir machten fast keine Pausen, versuchten so zügig wie möglich, ohne Stürze oder Trödeleien, zu fahren und unterstützen einander bei den schwierigen Stellen. Flussdurchfahrten oder die steilen Uphills auf lockerem, steinigem Untergrund, waren ohnehin nur im Team zu bezwingen.
An diesem Tag waren wir nicht einfach nur ein Team, wir waren das beste Team! Den Blick des BMW-Teams werde ich nie vergessen. Ich denke, alle haben zweimal hingesehen um zu glauben, dass wirklich wir über die Ziellinie fuhren. Obwohl die Trophy kein Rennen ist, fühlte sich diese Etappe wie ein Sieg an. Wir hatten es allen gezeigt! Dieser Tag bleibt vermutlich für immer ein Gänsehaut-Moment.
Tag 7 – Einfach is’ nich’
auf der GS Trophy 2020
Am vorletzten Tag führte uns der Plan der GS Trophy weiter nach Süden. Über das Hochland des Mackenzie-Beckens erreichten wir die ersten Ausläufer von Upper Otago – was wahrhaftig keine einfache Fahrt war, denn auf der Südinsel verhindern viele Berge ein schnelles Vorankommen. Gewöhnlich sind neue Gebiete einzig und allein über Pässe und Schluchten zugänglich.
Bevor wir an unserem Camp am Lake Wanaka ankamen, der am frühen Abend im Schatten des imposanten Mount Aspiring (der ein Weltnaturerbe ist) lag, mussten wir auf der Route der GS Trophy vier Bergpässe und mehrere Gewässer überwinden.
Es gab noch keinen Tag bei dieser Abenteuer-Reise, der nicht anstrengend gewesen wäre und mit jedem neuen Tag spürten wir die Spuren der letzten Etappen stärker. Aber wir bissen uns durch, denn kein Erfolg kommt ohne Blut, Schweiß und manchmal auch Tränen.
Tag 8 – Finale der GS Trophy 2020
Nach acht Tagen und rund 2500 km erreichte die BMW Motorrad International GS Trophy 2020 ihren Abschluss im Skigebiet Coronet Peak, unweit von Queenstown.
Es ist Tradition, dass das Beste bis zum Schluss aufgehoben wird. Am achten Tag wurden besonders hohe Ansprüche an unser technisches Können gestellt. Denn die Fahrt über die berühmte Nevis Road – Neuseelands höchste öffentliche „Straße“ – stellte eine große Herausforderung dar. Diese Strecke war mit 24 Flussüberquerungen und unzähligen steinigen Passagen auf einer Länge von knapp 70 km ein wahrer Offroad-Kraftakt.
Sich die Energie einzuteilen, über acht anstrengende Tage, war für uns alle eine Herausforderung – eine die wir gemeinsam gemeistert haben. Darauf sind wir alle stolz.
Acht lange Tage unter Wettkampfbedingungen, das ist eine ganz andere Nummer als jeder uns bekannte Wettkampf bisher. Jeden Tag hatten wir beim Fahren das weise Einteilen der Kraftreserven im Hinterkopf. Wir sind kein unnötiges Risiko eingegangen, das zu eventuellen Stürzen hätte führen können. Mit gegenseitiger Unterstützung konnten wir Kräfte sparen und sind dennoch nach dem Abendessen sofort in unseren Schlafsack gekrabbelt, auch wenn viele andere schon mal in Feierlaune waren. Dieses Kräftemanagement haben wir diszipliniert bis zum Schluss erfolgreich durchgezogen.
Das Team aus Südafrika gewinnt am Ende das dritte mal in Folge die Trophy und setzt sich gegen die Verfolger Frankreich und Italien durch. Die Teams haben jedoch alle Unglaubliches geleistet. Allein die Tatsache es bis zur GS Trophy zu schaffen, spricht für das Können aller Fahrer. Für uns war jeder einzelne Tag ein Sieg und wir haben unter 22 internationalen Teams in diesen acht Tagen so viele Freundschaften geschlossen, dass der Sieg am Ende in der Familie bleibt. Das ist der beste Beweis dafür, dass eine gemeinsame Motorrad-Leidenschaft Frauen und Männer aus der ganzen Welt unter einem Emblem vereinen kann – hier dem der GS!
Die GS Trophy 2020 in Neuseeland bekommt einen Ehrenplatz unter all meinen gesammelten Momenten!
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Über die Autorinnen:
Larissa ist ein echter Naturmensch. Die Österreicherin verbringt ihre Zeit am liebsten auf ihrer Enduro und erkundet die Welt auf zwei Rädern. Als Embedded Journalist begleitete sie das Ladies Team #1 der GS Trophy 2020 durch Neuseeland. In Zusammenarbeit mit Annika, Chefredakteurin von „SHE is a RIDER“, dem Online-Motorradmagazin für Frauen, entstand dieser Erlebnisbericht einer aufregenden Tour am anderen Ende der Welt. Mehr Motorradgeschichten von Frau zu Frau (natürlich sind auch Männer als Leser willkommen) findest du auf www.SHEisaRIDER.de.
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