aus bma 12/11 – Fahrbericht

von Klaus Herder

BMW G 650 GS Es war nicht alles schlecht in Griechenland, Spanien und den USA. Okay, diese Staaten schlittern seit Jahren von einer (Finanz-)Krise in die nächste, doch zumindest von Ende 2008 bis zum Ende des vergangenen Jahres hatten die drei Nationen uns etwas voraus: die gute, alte BMW F 650, die als BMW G 650 GS drei Jahre lang exklusiv in diesen Ländern angeboten wurde. Hierzulande hatte man ab 2007 gefälligst andere G-Modelle zu kaufen, wenn es denn partout ein BMW-Einzylinder sein sollte. Die waschechte Enduro G 650 Xchallege, ihre Supermoto-Schwester Xmoto und die als Wandermotorrad, neudeutsch „Scrambler“ konzipierte Xcountry sollten die deutschen BMW-Single-Fans beglücken. Taten sie aber nicht wirklich: zu speziell, zu teuer, zu wenig reisetauglich – die drei neuen G-Modelle brachten es ab 2007 auf insgesamt nur 13053 gebaute Exemplare. Zum Vergleich: Von der seligen F wurden bis 2010 über 170000 Stück weltweit unters Volk gebracht. Für die deutsche Kundschaft verschwand die F 650 aber 2008 als Neumaschine aus dem Programm und wohl auch aus dem Bewusstsein. Dass sie für die eingangs genannten Märkte noch weitergebaut wurde und dass 2009 in Manaus/Brasilien sogar ein zweites BMW-Werk mit der Produktion des Oldies betraut wurde, bekam hierzulande kaum jemand mit. Der nicht jedermann verständliche Mar­ke­ting-Schach­zug, dem zweizylindrigen 800er-Einsteigermodell 2008 ausgerechnet die alte Single-Modellbezeichnung F 650 GS zu verpassen, tat ein Übriges dazu, dass heimische Einzylinder-Freunde bei der Frage nach einem halbwegs bezahlbaren Familienbenutzer in den letzten Jahren verstärkt in Richtung Yamaha XT 660 schielten oder sich der Not gehorchend auf dem BMW-Gebrauchtmarkt bedienten. Ein bezahlbarer Eintopf aus Berlin Spandau – das war drei Jahre lang nahezu undenkbar, vor lauter Sportler-Euphorie und Hubraum-Versessenheit hatten die Weiß-Blauen offensichtlich die Single-Freunde aus den Augen verloren.

BMW G 650 GS FrontHatten sie dann aber doch nicht, und seit Ende 2010 ist wieder alles gut: Die einzylindrige F 650 GS ist wieder da, obwohl sie jetzt G 650 GS heißt und etwas anders aussieht. Alle Kunststoffteile wurden neu gestaltet, der asymmetrische Scheinwerfer ist ebenfalls neu. Der Brückenrahmen aus Stahl, die ebenfalls stählerne Kastenschwinge und der seit September 2007 von Loncin in China gebaute 650er-Motor sind alte Bekannte. Vollgetankt wiegt die neue Alte 198 Kilogramm und damit vier Kilo weniger als ihre Vorgängerin. Dafür bedurfte es keiner besonderen Technik-Tricks. BMW reduzierte schlicht und einfach das Tankvolumen von 16,5 auf 14 Liter und sparte Masse bei ein paar Anbauteilen, u. a. bei den Gussrädern, die nun anstelle der zwar schöneren, aber eben auch schwereren und pflegebedürftigeren Drahtspeichenräder montiert sind. Der Spritbehälter ist wie bei der alten F unter der Sitzbank untergebracht und wird rechtsseitig befüllt. Der etwas kleinere Tank bescherte der Maschine eine zierlichere Taille, die ganze Fuhre wirkt deutlich schlanker und sieht viel moderner und gefälliger aus. Nette Nebeneffekte der Verschlankungs-Aktion: Kurzbeiner be­kommen beim Ampelstopp noch leichter Bodenkontakt; das Fahren im Stehen (Stichwort „Geländeeinlagen“) wird erleichtert; und der Sozius hat ebenfalls mehr Platz für seine Haxen. Wo konventionell aufgebaute Motorräder den Benzintank haben, sind bei der GS 650 G Ansaugtrakt, Öltank und Batterie untergebracht.

BMW G 650 GS CockpitDas Cockpit geriet ebenfalls komplett neu. Der Analog-Tacho ist relativ groß und übersichtlich, die Balkenanzeige des LCD-Drehzahlmessers lässt sich aber nur schwer ablesen. Geschenkt, der 2001 komplett erneuerte und damals noch von Rotax in Österreich gebaute Vierventil-dohc-Single ist elas­tisch und durchzugstark genug, um einen Drehzahlmesser absolut entbehrlich erscheinen zu lassen – dazu später noch mehr.

Erst einmal haben wir noch mit dem neu gestalteten Arbeitsplatz zu tun. Der sehr leichtgängige Kupplungshebel lässt sich dreifach verstellen, beim Handbremshebel sparte sich BMW diese Option. Was etwas unverständlich ist, oder haben kleine und zierliche Menschen nur linksseitig filigrane Klavierspielerhände? Ab Werk beträgt die Sitzhöhe sehr moderate 780 mm, wer noch mehr in Asphaltnähe sitzen möchte, kann für 180 Euro eine Tieferlegung ordern. Damit reduziert sich die Sitzhöhe auf 760 mm, und die Federwege vorne/hinten betragen dann statt 170/165 mm nur noch 140/130 mm, was dem Komfort und der Alltagstauglichkeit kaum Abbruch tut. Menschen über 1,80 m Gesamtlänge sollten die Anschaffung einer als Extra lieferbaren höheren Sitzbank ins Auge fassen, denn für lange Kerls ist der Abstand Fußras­ten-Seriensitzbank eher knapp bemessen, was für einen relativ spitzen Kniewinkel sorgt und auf längeren Strecken zwickt und zwackt. Also 155 Euro inves­tiert, und gut ist es mit 830 mm Sitzhöhe. Schön viel Platz für den Mitfahrer und ausladende, sehr stabile Sozius-Haltegriffe gibt’s in jedem Fall. Da sieht im Vergleich manch doppelt so große und teure Maschine deutlich schlechter aus – die G 650 GS mag ausdrücklich die flotte Doppelnummer. Das war auch schon bei der seligen F 650 GS der Fall. Für den Fahrer wurde alles sogar noch besser, denn während er auf der F sehr nah, recht tief, passiv und fast schon devot hinterm gekröpften Lenker hockte – man erinnere sich an die typischen Hohlkreuz-Muttis, die dem GS-Vati hinterher schlurften – sitzt der Fahrer nun hinterm neuen, 89 cm breiten und geraden Lenker viel gestreckter und aktiver.

BMW G 650 GS DraufsichtBeim Kaltstart scheppert es für ein paar Sekunden in bekannter Art und Weise. Kein Grund zur Besorgnis, der Steuerkettenspanner benötigt etwas Öldruck, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Kurzfristig liegen 2000/min an, die sich rasch auf 1200/min Leerlaufdrehzahl einpendeln, der Single tönt recht verhalten aus der komplett aus Edelstahl gefertigten Auspuffanlage – es kann losgehen. Sofort fällt auf, wie unglaublich leicht das Kuppeln von der Hand geht, damit kommen sogar militante Weichgreifer auf Anhieb sehr gut klar. Der Einspritzmotor hängt sehr direkt am Gas, keine Spur vom Einzylinder-Hacken im Drehzahlkeller, das bei anderen Marken gern als „uriger Dampfhammer-Charakter“ verkauft wird. Die G 650 GS legt bereits ab 2000 Touren ruckfrei los. Laut Papierform reduzierte BMW die Spitzenleistung von 50 auf 48 PS bei unverändert 6500/min. Was eine rein politische Maßnahme gewesen sein dürfte, denn bis spätestens 2013 wird in allen EU-Staaten das Limit für den Stufenführerschein von 34 auf 48 PS angehoben, in Spanien ist es jetzt schon soweit. In der Praxis hat der Single kei­nerlei Leistung eingebüßt. Ganz im Ge­genteil, der auch früher schon eher etwas mehr als 50 PS leistende Eintopf kommt sehr munter aus dem Quark und zieht sauber durch. Beim maximalen Drehmoment tat sich nichts, BMW verspricht unverändert 60 Nm bei 5000/min. Das sich die Neue deutlich frischer als ihre Vorgängerin anfühlt, hat auch etwas mit der etwas kürzeren Sekündärübersetzung zu tun. Beim Landstraßenlimit von 100 km/h dreht der Single im fünften und letzten Gang exakt 4000/min; die Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h liegt ziemlich genau beim Drehzahllimit von 7500/min an – das passt alles perfekt.

BMW G 650 GS Bereits viele Kurbelwellenumdrehungen zuvor schickt die G 650 GS deutliche Lebenszeichen in Richtung Hände und Fußsohlen: Trotz Ausgleichswelle gibt’s ab 5000/min deutlich spürbare Vibrationen, die Lenkergriffe, Tankattrappe und Fußrasten in Wallung bringen. Alles kein Drama, aber erwähnenswert, denn der wasserge­kühlte 650er-Single gehört zwar ganz sicher zu den kultiviertesten Einzylindermotoren, die auf dem Markt sind, aber er ist und bleibt nun mal ein hubraumstarker Eintopf. Wer nicht so auf Kribbelei steht, möge dann vielleicht doch lieber die zweizylindrige F 650 GS (die eine 800er ist…) ins Auge fassen. Vor der endgültigen Kaufentscheidung sollte dann aber doch eine Probefahrt über möglichst kurvige Landstraßen stehen, gern auch mit eher miesem Belag.

Auf solchem Geläuf spielt die G 650 GS ihre ganz große Stärke aus: eine unglaubliche Handlichkeit. Absolute Lockerheit in noch so engen Wechselkurven, beste Stabilität unter allen Fahrbahnbedingungen, hervorragende Rückmeldung und Zielgenauigkeit – man kann gar nicht genug voll des Lobes sein, wenn man mit der 650er durchs Winkelwerk wuselt. Das im Vergleich zur Vorgängerin größere Hinterrad (140/80 R 17) macht sich in allen Bereichen absolut positiv bemerkbar. Die gut abgestimmten Federelemente sind um Welten besser, als alles, was an der immer etwas schwammigen F 650 GS jemals verbaut wurde. In Sachen Fahrwerk gibt es eigentlich nur einen Wermutstropfen: Der Ausleger des Seitenständers setzt relativ zeitig auf, was die Schräglagenfreiheit auf der linken Seite unnötig früh begrenzt und zumindest bei den ersten Malen für kurzfristig ansteigenden Blutdruck sorgt. Talentierte Heimwerker sollten das Thema aber in den Griff bekommen können.

BMW G 650 GS KomplettausstattungDie Bremsen der G 650 GS sind sehr deutlich auf die Haupt-Zielgruppe abgestimmt. Der Begriff „anfänger- und wiedereinsteigerfreundlich“ trifft es wohl am besten, was konkret bedeutet, dass recht heftig zugelangt werden sollte, um ordentliche Verzögerung geliefert zu bekommen. Die Gefahr des Überbremsens ist gering, auch Grobmotoriker werden die Fuhre abfangen können, ohne überhaupt in den Regelbereich des ABS zu gelangen. Der 1,5 Kilo wiegende Blockierverhinderer von Bosch ist natürlich aufpreispflichtig, mit 400 Euro (inklusive Warnblinkanlage) aber fair kalkuliert und für zum Beispiel Geländeeinsätze erfreulicherweise abschaltbar. Zum Vergleich: Beim zweizylindrigen Schwestermodell F 650 GS kostet das ABS 710 Euro. Eine G 650 GS in Orangerot oder Weiß gibt es für 6900 Euro. Ein sehr attraktiver Preis, der sich aber natürlich noch kräftig aufblasen lässt. Hauptständer? 120 Euro. Steckdose? 20 Euro. Heizgriffe? 195 Euro. Und es gibt noch viel, viel mehr…

Serienmäßig sind immerhin so feine Dinge wie Stahlflex-Bremsleitungen, eine sehr bequem über Handrad zu verstellende Federvorspannung des Federbeins, das sich zusätzlich auch in der Zugstufendämpfung verstellen lässt, eine Gepäckbrücke mit einem integrierten, abschließbarem Staufach und genial platzierte, nämlich quer montierte Reifenventile. Etwas einfach wirken dagegen Details wie der unförmige Hauptständer, der unterm Hupenknopf versteckte Blinkerschalter und das aerodynamisch unbefriedigende Windschild. Doch die kleinen Macken der GS treten völlig in den Hintergrund, wenn man mit ihr dort unterwegs ist, wo sie hingehört: auf den besagten, möglichst kurvigen Landstraßen. Dort muss man sich schon mächtig anstrengen, um über vier Liter Sprit auf 100 Kilometern abzufackeln. Unter 3,5 Liter Verbrauch sind eher die Regel – noch eine Sache, die die neue Alte etwas besser als ihre Vorgängerin kann. Die G 650 GS bietet alle Qualitäten der alten F 650 GS und kann darüber hinaus vieles noch besser. Dabei ist sie nicht wirklich teurer geworden und sieht auch noch deutlich besser aus. Schön, dass sie wieder da ist!