aus Kradblatt 10/17
Text Jens Riedel, Fotos: Riedel, BMW
Klein – Fein – Mein: BMW G 310 R
Mit der 390 Duke hat KTM vor vier Jahren mächtig Staub aufgewirbelt. Dessen ungeachtet hat sich mittlerweile unabhängig davon eine kleine, aber feine 300er-Szene etabliert. Das reicht von der Yamaha YFZ-R 3 über Hondas CBR 300 und die Benelli BN 302 bis zur neuen Versys 300 von Kawasaki. Mit der G 310 R mischen seit diesem Jahr sogar die Bayern mit, denen Motorräder unter 650 Kubik lange Zeit absolut egal waren. Doch wer wachsen will, muss sein Heil in den Schwellenländern Asiens und Südamerika suchen. Was nicht heißt, dass die kleinste BMW nicht auch hierzulande angeboten (und gekauft) wird.
Die Rückkehr in kleinere Hubraumklassen ist BMW allerdings nur mit einigen Zündaussetzern gelungen. Um den Preis konkurrenzfähig zu halten, folgten die Weiß-Blauen dem Beispiel der Österreicher und suchten sich einen Kooperationspartner in Indien. Die Zusammenarbeit mit TVS, laut Wikipedia der drittgrößte Zweiradproduzent des Landes, klappte zunächst offensichtlich nicht ganz so gut wie gewünscht. Die ursprünglich für Herbst 2016 vorgesehene Markteinführung der kleinen Roadster wurde zunächst fallengelassen, hatten Kollegen bei ersten Pressefahrten doch immer wieder von einem recht störrischen Getriebe geschrieben, bei dem vor allem der Leerlauf schwer zu finden war und auch wir manchmal nur statt eines „N“ einen Strich („–“) angezeigt bekamen. Glück im Unglück: Die G 310 R verfügt immerhin über eine Ganganzeige, die Schlimmeres verhinderte.
Im Frühjahr kam dann die erste Schiffsladung in Deutschland an. Nur wenige Wochen später ereilte die ersten Kunden ein erster ungeplanter Werkstattaufenthalt. Die offenbar etwas zu schwachen Schrauben des Lenkerhalters wurden ausgetauscht und auch an der Vorderradbremse wurde eine Schraube aus nicht näher bekannten Gründen noch einmal überprüft. Zumindest beim Getriebe herrscht nun größtenteils Ruhe, mit zunehmender Laufleistung lässt es sich immer weicher und präziser schalten.
Dass die Startschwierigkeiten offensichtlich immer noch nicht ganz behoben sind, zeigt auch die bereits auf der EICMA im vergangenen Jahr vorgestellte G 310 GS. Sie sollte eigentlich im Sommer verfügbar sein. Neuer Termin ist jetzt Anfang Oktober und viele Fans warten sicher schon darauf.
Doch zurück zur R. Die Anlaufschwierigkeiten sind umso bedauerlicher, da sich nicht nur in der Fachpresse, sondern auch in der Anhängerschaft kleinerer Motorräder rasch herumgesprochen hat, dass die G 310 R alles andere als eine Spaßbremse ist. Im Gegenteil: Selbst Fahrer größerer Maschinen, die den indisch-bajuwarischen Einzylinder als Zweitfahrzeug nutzen, schwärmen von den Qualitäten der Kleinen. Und trotz zehn PS weniger, hat so mancher Käufer die alternativ in Frage kommende 390er von KTM links liegen gelassen.
Zehn PS weniger? Man muss kein Rechengenie sein, um festzustellen, dass von lediglich 34 PS die Rede ist. Damit liegt die BMW am unteren Ende der Leistungsskala ihrer Klasse, und selbst Benellis halbierte 600er, die BN 302, schöpft vier PS mehr aus ihren beiden Zylindern. Doch Biker wissen auch, Fahrspaß hat nicht zwangsläufig etwas mit viel PS zu tun. Und genau dafür ist die BMW G 310 R einer der besten Beweise. Außerdem gehört sie mit unter 5.000 Euro zu den günstigsten Offerten im Segment. Der Wille zu offensiver Preisgestaltung lässt sich zum Beispiel auch gut an der Lackierung in Pearlwhite metallic ablesen. Sie kostet trotz der Akzente in bajuwarischen Motorsportfarben nur 50 Euro mehr als Stratoblue metallic oder Cosmicblack uni – die Graphics sind statt lackiert eben aufgeklebt. Damit kein Missverständnis aufkommt: Am Finish der kleinen Roadster gibt es insgesamt nichts groß auszusetzen.
BMWs kleiner Motor ist (natürlich) eine komplette Eigenentwicklung und wird nicht bei TVS dazugekauft. Trotz der nur 313 Kubikzentimeter Hubraum sind die Ingenieure stolz auf ihr Aggregat und haben auch nicht mit technischen Raffinessen gespart. Der Zylinderkopf wurde um 180 Grad gedreht, so dass der Einlass vorne und der Auslass hinten liegen. Zudem wurde der flüssigkeitsgekühlte Vierventiler folgerichtig nach hinten geneigt und weiter nach vorne gerückt. Das erlaubt eine für ein Motorrad dieser Größe relativ lange Schwinge. So glänzt die, sich vorne mit einer golden eloxierten Upside-down-Gabel und hinten mit einem Mono-Federbein abstützende BMW, mit einem superben Fahrverhalten, das zum besten in dieser Klasse gehört. Neutrales Verhalten auch bei Höchstgeschwindigkeit selbst auf Spurrillen gehört ebenso dazu wie das blitzschnelle Wiedereinfangen, falls das Hinterrad doch einmal beim Beschleunigen auf haftungsunwilligem Untergrund leicht wegrutschen sollte. Hier hat BMW mit dem Griff zu Pneus aus europäischer Produktion – Michelin Pilot Street – dankenswerterweise nicht gespart.
Zunächst einmal macht die Drei-Zehner eine gute Figur. Der (Stahl-)Tank wirkt dank großzügiger Plastikverschalung größer als elf Liter. Die Knie rutschen leicht unter ihn, so dass der Fahrer sich gut aufgehoben und wie auf einem „erwachsenen“ Motorrad fühlt. Der Kniewinkel ist ebenso entspannt wie die aufrechte Sitzposition mit nur minimal nach vorne gebeugtem Oberkörper. Der Lenker liegt passig in der Hand, lediglich die etwas schmucklosen Hebel deuten sowohl auf die tatsächliche Größe des Bikes als auch auf dessen Herkunft hin.
Optisch will BMW die F 800 R als Anleihe bemüht haben. Das möge jeder selbst beurteilen. Fakt ist, dass sich die G 310 R vorne mächtig groß macht, um hinten herum so gut wie nackt dazustehen. Zwei Rahmenstreben strecken die Sitzbank gen Heck, der sich ein ellenlanger schmaler Kennzeichenträger anschließt. Lediglich der schnöde Batteriekasten lugt noch etwas vorwitzig und wenig ansehnlich im Rahmendreieck hervor. Und rechts reckt sich natürlich noch das recht üppige Endrohr dem Himmel entgegen. Die (leider) schwarze Beschichtung, täuscht darüber hinweg, dass hier tatsächlich Edelstahl verbaut wurde.
Natürlich muss man Einzylinder mögen, um die kleine G zu mögen. Mehr muss es aber nicht sein, um mit der R glücklich zu werden – vielleicht allenfalls noch die höhere (oder niedrigere) Sitzbank aus dem Originalzubehörprogramm. By the way: Warum ein simpler Tausch über 200 Euro kosten soll, erschließt sich nicht, denn die alte Sitzbank ist man bei der Bestellung der Neumaschine dann ja gleich los. Da kann der Gang zum Polsterer einige Euro ersparen, die zum Beispiel für die optionalen LED-Blinker gut angelegt sind.
Aus einer kleinen Kehle darf man natürlich keinen Bariton erwarten, aber der Klang der kleinen BMW geht angesichts ihres nicht einmal Cola-Dosen großen Brennraums in Ordnung. Der Einzylinder geht knurrig zur Sache und entwickelt ab 3.000 Touren erste Anzeichen von Temperament. Darunter kann es schon einmal im Schiebebetrieb ordentlich an der Kette zerren. Ab 4.500 Umdrehungen in der Minute wird der kleine Motor munter, legt bei 6.000 Touren noch einmal leicht nach, um bei 7.500 U/min weitere ein, zwei Kohlen ins Feuer zu werfen. In höheren Drehzahlregionen verfällt der Sound dann beinahe schon ein wenig ins sportlich Bissige, bei 10.000 Touren meldet sich der eher an einen Frostwarner erinnernde Schaltblitz, bevor 1.000 U/min weiter der Begrenzer das letzte Wort hat.
Für die Topspeed benötigt die Drei-Zehner zwar einen längeren Anlauf – aber mal ehrlich, mehr als 130, 135 km/h müssen es auf der Landstraße ja nun wirklich nicht sein. Und über 95 Prozent der Autos, denen du dabei begegnest, schaffen den Standardsprint sicher nicht in unter sieben Sekunden. Wer sich etwas Zeit lässt, der erreicht aufrecht auf der Autobahn auch schon mal 155 auf dem Tacho und kratzt liegend dann an der magischen 100-mph-Grenze.
Der quirlige Motor überzeugt dabei durch seine Elastizität und gibt sich auch im sechsten Gang selbst an Steigungen nicht so leicht geschlagen. Es ist immer wieder eine Freude mit der kleinsten BMW aus dem Scheitelpunkt der Kurve heraus zu beschleunigen. Keine Freude bereiten allerdings die Bremsen. Vor allem die hintere spricht sehr spät und sehr defensiv an. Möglicherweise müssen hier europäische ABS-Kunden ihren Tribut an asiatische Nicht-ABS-Kunden zahlen. Kritik müssen sich auch die Rückspiegel gefallen lassen, die im oberen Drehzahl-Viertel das große Zittern anfangen. Hebel (nicht einstellbar) und Cockpit gehen ansonsten aber in Ordnung.
Das recht gut ablesbare Mäusekino bietet zwei Tripmaster, eine Ganganzeige, Meldung des Durchschnittsverbrauchs und der Motortemperatur sowie (vermutlich für die Serviceintervalle) eine Datumsanzeige. Statt letzterer hätte man sich aber eher eine Außentemperaturanzeige gewünscht, die leider fehlt. Ärgerlich ist auch der Tankdeckel. Er fällt an der Zapfsäule wegen des leicht nach vorne abfallenden Kraftstoffbehälters immer wieder nach unten. Es wäre sinnvoller gewesen, ihn um 180 Grad gedreht einzubauen. Für die erste Modellpflegemaßnahme darf sich BMW übrigens gerne auch noch eine Warnblinkanlage und einen Helmhaken ins Lastenheft schreiben.
Zeit hat sich BMW bedauerlicherweise auch mit dem Werkszubehör gelassen. Als City Bike für den Großstadtdschungel gepriesen fehlte auch ein halbes Jahr nach der Markteinführung immer noch die ausnehmend hübsche Gepäckbrücke für das Topcase. Und ob 310-Besitzer mit Heizgriffen durch den Herbst fegen dürfen, steht ebenso noch in den Sternen wie das Schicksal des Hauptständers, von dem mancher munkelt, dass er inzwischen gestrichen worden sei.
Ob BMW mit seiner auf Young Urban Riders ausgelegte Werbestrategie richtig liegt, ist fraglich. Dem Autor sind etliche ältere Semester bekannt, die mit der G 310 vom Roller aufs Motorrad umgestiegen sind , nach Jahren der Abstinenz wieder ins Hobby einsteigen oder einfach nur auf der Suche nach einem recht günstigen, aber neuen Zweit- oder Dritt-Moped waren. Trotz aller Startschwierigkeiten – begeistert sind sie alle. So wie der Autor (Führerscheinklasse A), der mit seiner kleinen Roadster einfach nur abends nach Feierabend zum Abschalten eine kleine quirlige Runde ums Eck dreht oder zur vergnüglichen Sonntagsausfahrt aufbricht.
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