aus bma 05/08

von Klaus Herder

BMW F 800 GS (Mod. 2008)Zwei Jahre können eine verdammt lange Zeit sein. Besonders dann, wenn man als Reiseenduro-Fan auf ein passendes Mittelklasse-Spielzeug aus dem Hause BMW warten muß. Dabei war doch alles eigentlich ganz einfach: Vor gut zwei Jahren präsentierte BMW den ersten flüssigkeitsgekühlten Reihen-Twin der Firmengeschichte in einer Sportler- und in einer Sporttourer-Verpackung. Die F 800 S und ihre ST-Schwester überzeugten von Anfang an mit munterer Leistungsabgabe, ordentlicher Handlichkeit und hoher Zuverlässigkeit. Leichten Getriebe- und Lastwechselmacken machte man mit dem gezielten Einsatz von Gummipuffern am Sekundärtrieb dauerhaft und (für BMW-Verhältnisse) auch erstaunlich schnell den Garaus. Das 800er-Konzept schrie geradezu nach einer stollenbereiften Ergänzung. Es konnte doch eigentlich kein großer Akt sein, die 800er Schotterpisten-tauglich zu machen.
Konnte es doch, denn selbst bei einem nicht ganz kleinen Hersteller wie BMW sind die Entwicklungskapazitäten begrenzt, und es war eben nicht damit getan, ein paar Kunststoffteile zu ändern, einen breiteren Lenker und stollenbereifte Räder zu montieren und für etwas längere Federwege zu sorgen. Die F 800 GS sollte ein ernst zu nehmender Geländewühler werden, kein übergewichtiger Pseudo-Abenteurer vom Schlage einer Honda Varadero oder Suzuki V-Strom. Dem standen bei der F 800-Erstauflage unter anderem der Alu-Rahmen, die Einarmschwinge, der Zahnriemenantrieb und die konventionelle Telegabel im Weg. Okay, das verlangte komplett neue Rahmen-Bedingungen, aber wenigstens der Motor konnte unverändert übernommen werden, oder? Leider nicht, denn was beim Sportler/Sporttourer eine in Sachen Schwerpunktlage sehr sinnvolle Sache ist – die um 30 Grad nach vorn geneigte Einbaulage der Zylinder – stand dem GS-Konzept im wahrsten Sinne des Wortes im Weg. Um nämlich lange Federwege bei gleichzeitig moderatem Radstand zu ermöglichen, war es erforderlich, die Zylinder deutlich mehr in die Senkrechte zu rücken. Übrig blieb eine Neigung von nur noch 8,3 Grad. Dafür mußte die untere Gehäusehälfte komplett neu konstruiert werden. Bei der Gelegenheit bekam das Aluteil gleich noch ein paar Aufnahmepunkte für eine Motorschutzplatte spendiert. Im Oberhaus sorgen nun ein verstärkter Zylinderkopf für eine noch stabilere Rahmenanbindung; ein modifizierter Kupplungsdeckel, ein neuer Ölmeßstab sowie eine geänderte Kupplungsausrückwelle sind weitere Unterschiede zum S/ST-Motor. Daß das Wasserpumpengehäuse und die Kühlschlauch-Anschlüsse der neuen Motor-Einbaulage angepaßt werden mußten, versteht sich vermutlich von selbst. Netter Nebeneffekt der ganzen Motor-Ummodelei: Der GS-Twin wiegt ein Kilo weniger als der S/ST-Motor. Die Nennleistung beträgt unverändert 85 PS, die jetzt allerdings schon bei 7500 U/min (und damit 500 U/min früher als bei der S/ST) anliegen. Leicht modifizierte Nockenwellen machen es möglich.

Der geneigte Leser ahnt mittlerweile vielleicht, warum zwei Jahre Zeit ins Land gingen, damit die F 800 GS das Licht der Enduro-Welt erblicken konnte. War in diesem Zusammenhang schon vom komplett neuen Gitterrohrrahmen aus Stahl die Rede? Zumindest bei den Federelementen konnten sich die BMW-Techniker aber aus den Zulieferer-Regalen bedienen: Die 45er-Upside-down-Gabel (230 mm Federweg, keine Verstellmöglichkeit) stammt von Marzocchi, die neue Zweiarm-Aluschwinge hält über ein direkt angelenktes Sachs-Federbein (215 mm Federweg, Federbasis und Zugstufendämpfung verstellbar) Kontakt zum Rahmen. Die Verbindung zwischen Getriebeausgang und Hinterrad besorgt eine O-Ring-Kette. Ein Zahnriemenantrieb wäre für verschärftes Dreckwühlen doch etwas zu empfindlich gewesen.

BMW F 800 GS (Mod. 2008) Der Motor ist zwar etwas leichter geworden, doch unterm Strich wiegt die GS sogar noch etwas mehr als ihre Straßenschwester F 800 S. Fahrfertig und vollgetankt bringt die GS satte 207 Kilo auf die Waage, die S wiegt drei Kilo weniger. Kleiner Einschub für die Vertreter der Früher-war-alles-besser-Fraktion: Die selige R 80 G/S, also die Mutter aller Reiseenduros, bot 1980 ein Kampfgewicht von knapp 190 Kilogramm – soweit zum Thema „28 Jahre Fortschritt im Motorradbau”. Okay, zur Ehrenrettung der F sei gesagt, daß wir es damals auch noch nicht mit Wasserkühlung, Doppelscheibenbremse und ähnlichen Dingen zu tun hatten.
Die stämmigen Hüften haben auch etwas Gutes: Während der Straßenflitzer F 800 S eher unscheinbar auf dem Seitenständer lehnt, ist die parkende GS ein ziemlich eindrucksvolles Gerät. Das mächtig hohe Eisen hat rein gar nichts von Mittelklasse, die in Gelb/Schwarz oder Magnesium-Metallic lieferbare Maschine sieht sehr, sehr erwachsen aus. Die üppige Sitzhöhe von 880 mm paßt dazu. Kurzbeiner bekommen auf Wunsch (und sogar ohne Aufpreis) ab Werk aber auch ein etwas flacheres Sitzmöbel geliefert, das den Hintern in nur 850 mm Höhe bettet. Hohe oder flache Sitzbank – beiden Kissen gemein ist die angenehme Tatsache, daß sie im vorderen Bereich eher schlank geschnitten sind. Die reine Sitzhöhenangabe ist daher weniger dramatisch zu sehen, denn die viel wichtigere „Schrittbogenlänge” (eine wunderbare BMW-Wortschöpfung) fällt sehr moderat aus, was halbwegs normalwüchsigen Fahrern beiderlei Geschlechts sicheren Stand beim Ampel- oder Sonstwo-Stop ermöglicht.
Bereits die ersten Kilometer mit der GS machen eins deutlich: Sie ist ein Romika-Bike: Draufsetzen und sich wohl fühlen, die BMW paßt auf Anhieb wie der Lieblingsschuh. So eindrucksvoll die GS im Stand auch wirkt, so vertraut fühlt man sich auf ihr bereits nach kürzester Zeit. Die Handhebel am breiten, in goldrichtiger Höhe montierten Alu-Lenker sind verstellbar, der Blick in die Spiegel und auf die beiden analog anzeigenden Rundinstrumente ist ungetrübt. Hinter dem serienmäßigen und eher unscheinbaren Windschild geht es zumindest für den Oberkörper erstaunlich windgeschützt zur Sache, ohne daß der Helm von Verwirbelungen gebeutelt wird.
BMW F 800 GS (Mod. 2008) Auf die Ohren gib e’s allenfalls vom durchaus kernig brabbelnden Zweizylinder. Dessen Kolben laufen wie gehabt parallel auf und ab, gezündet wird wechselweise. Da dadurch bei jeder Kurbelwellenumdrehung ein Arbeitstakt erfolgt, klingt der Parallel-Twin verdächtig stark nach Boxer – durchaus angenehm. Für den bei dieser Bauart dringend angeratenen Massenausgleich sorgen nicht schnöde Ausgleichswellen, sondern eine clever gemachte Konstruktion, die sich bereits bei der S und ST bewährt hat. Der Twin ist nämlich mit einem dritten Pleuel bestückt, das an eine annähernd waagerecht angeordnete, unterhalb des Getriebes untergebrachte Ausgleichsschwinge angelenkt ist. Ausgleichs-Pleuel und -Schwinge bewegen sich gegenläufig zu den beiden Motorpleueln. Das sorgt für fast vibrationsfreien Lauf im unteren und mittleren Drehzahlbereich, erst zwischen 5000 und 6000 U/min wird spürbar, daß hier kein schüttelfreier Vierzylinder am Werke ist. Ein Twin darf leben, und genau das macht er in der F 800 GS auf eine recht angenehme Art.
Zum sympathischen Wesen des Vierventilers gehört auch, daß er bereits ab knapp unter 2000 U/min und damit fast schon aus dem Drehzahlkeller ungemein gleichmäßig anschiebt. In Serpentinen, auf losem Untergrund oder im Dschungel fremder Großstädte benötigt der Fernreisende kein sensibles Feuerzeug mit einem nutzbaren Drehzahlband von 500 Touren, da ist er mit einem verläßlichen, sehr gut berechenbaren Antrieb deutlich besser bedient. Genau diese Qualitäten hat der 83 Nm bei 5750 U/min stemmende GS-Twin. Unten herum und in der Drehzahlmitte bietet der Zweizylinder großes Kino. Oberhalb von 5000 U/min, also dort, wo seine Straßenschwestern den Nachbrenner zünden, macht der GS-Antrieb so weiter, wie zuvor: Kräftig, aber eher unspektakulär, für den geplanten Einsatzzweck aber genau passend. Mit dem Erreichen der Nennleistungsdrehzahl von 7500 U/min ist dann aber abrupt Schicht im Schacht. Bis dahin hat der Fahrer aber auch schon das leise, leicht und exakt zu schaltende Sechsganggetriebe bis in den letzten Gang durchgesteppt und einen Tacho im Blick, der etwas über 200 km/h vermeldet.
Bei diesem Tempo liegt die F 800 GS immer noch wie das sprichwörtliche Brett. Alles, was ihr bis dahin auf asphaltierten Straßen unter die Räder kommt, bügelt die GS mit unglaublicher Souveränität weg. Dabei läßt sie sich langsam wie schnell äußerst zielgenau dirigieren. Die über vier Zentner Kampfgewicht merkt man ihr in keiner Situation an, so handlich und leichtfüßig wuselt sie um noch so enge Ecken. Der extrem weite Lenkeinschlag und die gelungene Gewichtsverteilung, zu der der unter der Sitzbank untergebrachte 16-Liter-Tank maßgeblich beiträgt, machen auch langsame Passagen im Berufsverkehr oder natürlich im Gelände zum Vergnügen.
BMW F 800 GS (Mod. 2008)Stichwort Gelände: Das im klassischen Enduro-Format gehaltene 21-Zoll-Vorderrad deutet schon darauf hin, daß es auch mal etwas gröberer Untergrund sein darf. Ab Werk sind eher straßenorientierte Bridgestone-Reifen montiert, doch homologiert ist auch gröberes Schuhwerk. Und das völlig zu Recht, denn das straff, aber nicht unkomfortabel abgestimmte Fahrwerk verträgt auch locker eine etwas derbere Behandlung. Das große Vorderrad rollt souverän über Schlaglöcher, die langen Federwege stecken auch fiese Schläge weg, und erst größere Sprünge oder richtig große Absätze bringen die Dämpfung an ihre Grenzen.
Enduro-typisch arbeiten auch die Bremsen: Die Doppelscheibe im Vorderrad verzögert sehr wirkungsvoll, ohne aggressiv bissig zu sein. Die hintere Scheibe bietet sehr gut dosierbare Unterstützung. Für 710 Euro extra gibt es ein fein regelndes, abschaltbares ABS. Für weiter 145 Euro liefert BMW den Bordcomputer mit Verbrauchs-, Rest- reichweiten- und Ganganzeige sowie Stopuhr. Womit wir auch schon beim BMW-Lieblingsthema wären: Der Aufpreispolitik. Die Basis-GS kostet 9640 Euro, mit Nebenkosten sind es knapp zehn Mille. Dafür gibt es keinen serienmäßigen Hauptständer (110 Euro extra), und wer einen Motorschutz aus Alu statt aus Plastik haben möchte, zahlt weitere 180 Euro drauf. Einziger Trost: Die Aufpreispolitik für die 2860 Euro teurere R 1200 GS – und genau der kann die F 800 GS hausintern Kunden abspenstig machen – sieht ähnlich aus (Ausnahme: Hauptständer serienmäßig…).
Unterm Strich gibt es fürs viele Geld aber eine wertig gemachte, für ihren Einsatzzweck punktgenau konstruierte Maschine, auf die sich das Warten absolut gelohnt hat. Die BMW F 800 GS ist nicht ein weiterer Softie, mit dem es bestenfalls theoretisch auf ganz große Tour gehen könnte. Sie ist eine echte Bereicherung für den Markt und ein kerniger Alleskönner, der das GS in der Modellbezeichnung völlig zu Recht trägt. GS für „Großer Spaß“ oder auch „Geiles Spielzeug”.