aus Kradblatt 8/18
von Jochen Vorfelder
BMW F 750 / 850 GS – Ein wenig mehr von allem …
BMW hat seine erfolgreiche Mittelklasse-Enduro runderneuert.
Technisch hat das auch bestens geklappt …Â
Ohne Frage: Die Mittelklasse-Enduros von BMW sind eine echte Erfolgsgeschichte. Seit der MarkteinfĂĽhrung 2008 haben rund 165.000 Bikes vom Typ F 800 und 700 GS begeisterte Käufer gefunden. Man fragt sich aber ja doch, warum.Â
Nehmen wir als Stimmungsbarometer die BMW Days in Garmisch, wo immer Anfang Juli Gläubige aus aller Herren Länder das Hochamt auf ihre Blau-WeiĂźe Marke singen. Hinter vorgehaltener Hand war schon seit Jahren immer ĂĽber die zwei Pensionäre in der Familie gemurmelt worden: „Ja, stimmt schon, bei den beiden Enduros sei eindeutig Zeit fĂĽr eine Renovierung.“ Besonders nach EinfĂĽhrung der modernen kleinen 310er-Enduro wurde das Grummeln in der Fangemeinde dann lauter: zu wenig Power und Drehmoment. Ăśberhaupt zu altbacken, nicht mehr auf der Höhe der Zeit. So lauteten die Kritikpunkte.Â
Neues aus MĂĽnchen, gebaut in China
„Wir haben konservativ gerechnet etwa 160 Mannjahre und 1,2 Millionen Testkilometer investiert“, sagt Florian Schmid, der bei BMW Motorrad in den letzten vier Jahren das F 750 und 850 GS-Projekt geleitet hat. Schmid betont, dass man völlig neue Fahrzeuge auf die Beine gestellt habe: ein anderers Fahrwerk mit tiefgezogenem StahlbrĂĽckenrahmen und dem Antriebsaggregat als mittragendem Element. Eine Elektronik, die jetzt State of the Art sei, aber vor allen ein komplett neuer Motor.Â
Entwickelt hat das Triebwerk BMW in MĂĽnchen; gebaut wird es beim chinesischen Kooperationspartner Loncin (Info: Loncin gehört zu den größten Motor- und Zweiradherstellern in China und produzierte 2008 bereits den BMW G 650 X Motor und ab 2018 den kompletten BMW C 400 X).Â
Der Reihenzweizylinder der F 850 GS hat jetzt 853 statt vorher 798 Kubik Hubraum, zwei Ausgleichswellen und 90 Grad Hubzapfenversatz; er feuert bei 270 und 450 Grad. Das ergibt auf dem Papier eine deutliche Leistungs- und Drehmomentsteigerung im Vergleich zum alten Motor. Projektleiter Schmid schwärmt: „Der Motor ist super. Der Sound ist spitze. Das Fahrzeug hat jetzt genauso viel Charakter wie die groĂźe Boxer-GS.“Â
Verbaut haben die MĂĽnchener den Motor in beide neue Modelle. Die F 750 GS bleibt auch im Modelljahr 2018 das Einsteigermodell: ein StraĂźen-Allrounder mit Gussrädern, der nicht hochbeinig daherkommt, sondern den Einstieg ins Motorrad im wahren Sinne des Wortes einfach macht. Das geht auf Kosten der Geländegängigkeit, aber auf der StraĂźe ist die 750er sehr ausgewogen und leicht zu fahren: sportlich Cruisen fĂĽr Beginner, das ist die Kurzformel, Fahren mit genĂĽgend Wumms, aber ohne Stress. Dieses Konzept reguliert BMW clever ĂĽber die elektronische FuĂźfessel, die man der 750er angelegt hat: Das China-Triebwerk bringt in der „kleineren“ Enduro 750 GS, die es in einer Basis- und einer „Exclusive“-Version und ausschlieĂźlich mit GussÂrädern gibt, „nur“ 77 PS mit.Â
Die PräsentationÂ
Wir sind bei der Fahrzeugvorstellung in Andalusien bevorzugt die „groĂźe“ F 850 GS gefahren: Dort leistet der baugleiche Motor (ja, die 750er hat tatsächlich 853 ccm) bei voller Kraftentfaltung gleich satte 95 PS. Der 850er nimmt man die Enduro auch optisch sofort ab: Die Federwege sind 50 Millimeter länger und erhöhen die Bodenfreiheit. Â
Beide Versionen – von der F 850 GS gibt es Basis- und „Rally“-Ausführung – laufen mit Kreuzspeichenrädern. Die weiß-blau-rote „Rallye“ mit ihren goldenen Felgen mag im ersten Eindruck schon sehr an die Konkurrenz aus Japan erinnern, aber die BMW-Offiziellen vor Ort insistieren, dass dies auch die offiziellen bayrischen Sportfarben seien.
Mehr Dampf, weniger GemĂĽt
Bevor der Startknopf gedrĂĽckt wird – SchlĂĽssel sind in Zeiten von Keyless Ride (als Extra lieferbar) doch irgendwie altmodisch – ein erster optischer Eindruck: Ja, sehr wuchtig, aber es passt jetzt alles in eine Reihe. Die Formensprache mit dem typischen Entenschnabel, den eckigen Seitenverkleidungen und dem Tankhöcker, kennt man schon von der kleinen 310 GS und den beiden 1200er Modellen; der Wunsch, die blau-weiĂźe Enduro-Linie einheitlich zu gestalten, ist unverkennbar.Â
Die Frischzellenkur hat der F 850 GS sehr gut getan, der Motor brabbelt schon im Leerlauf sehr ansprechend und stilvoll. Der Hubzapfenversatz und 270/450 Grad ZĂĽndabstand wecken bei dem Reihenzweizylinder Assoziationen mit einem charakterstarken V-Twin.Â
Auch das Fahren lässt sich gut an: Die Ergonomie hinter dem breiten Lenker stimmt. Mir persönlich ist die Sitzbank zwar zu weich, aber das ist Geschmackssache.Â
Auf der LandstraĂźe zieht der Motor bei mittleren Drehzahlen um 5000 Umdrehungen souverän durch; in den oberen Drehzahlregionen wird die Luft wieder dĂĽnner, obwohl das Triebwerk tapfer bis auf 9.500 Umdrehungen hochquirlt. Dann sind allerdings, trotz der zwei Ausgleichswellen, ziemliche Vibrationen spĂĽrbar.Â
Die F 850 GS lässt sich sehr stramm und agil bewegen; wer 21 Zoll-Vorderräder auf der Straße mag, ist sogar sehr schnell unterwegs. Unterstützung geben die guten Bremsen, das präzise Getriebe und der Quickshifter, der sowohl nach oben als auch nach unten selten hakelt. Dämpfung und Ansprechverhalten wirkten in der Grundeinstellung etwas weich und träge; das lässt sich allerdings über Federvorspannung und Zugstufendämpfung präzise individualisieren.
Im Gelände flößt die 850 GS auf Anhieb viel Vertrauen ein. Der neue Tank – der beim Vorläufermodell keiner war, weil der Treibstoffbehälter und der Tankdeckel ja im Heck verortet wurden – baut schmaler; der Knieschluss lädt zum entspannten, leicht nach vorne gebeugten Stehen ein. Diese Haltung lässt viel Rückmeldung vom Offroad-orientierten 21 Zoll-Vorderrad zu. Das Heck, bei dem die Auspuffanlage jetzt rechts liegt, wird bei abgeschaltetem ABS vom Enduro oder Enduro Pro-Modus (Extra) gut unter Kontrolle gehalten. Schöne Drifts sind möglich; das komplette Ausbrechen des Hinterteils wird immer zuverlässig verhindert. Man möchte sofort Enduro-Wandern gehen.
Gleichwohl kommt auf Schotter und abseits befestigter Pfade einer der größten Mankos der 850er GS zum Tragen: Sie wirkt etwas behäbig, denn sie ist ĂĽbergewichtig. Mit 229 Kilo bringt sie fahrbereit nur 15 Kilogramm weniger auf die Waage als die groĂźe Schwester 1200 GS. Die wiederum ist immerhin mit gewichtigem Kardan und einem schweren Boxer-Aggregat ausgestattet.Â
Richtig punkten kann die 850 GS dagegen durch die Elektronikausstattung zur Fahrsicherheit. In der Grundausstattung gibt BMW die Fahrmodi Road und Rain sowie die Stabilitätskontrolle ASC mit; als kostenpflichtige Sonderausstattung kann man die Fahrmodi Dynamic Enduro und Enduro Pro, die dynamische Traktionskontrolle DCT und das elektronische Fahrwerk Dynamic ESA zurüsten. Auch ein intelligenter Notruf für Notsituationen wird gegen Wunsch und Aufpreis verbaut.
Weit ab von den Mitbewerbern setzt sich BMW bei der 850 GS durch das optionale, 600 Euro teure 6,5 Zoll groĂźe Farb-TFT-Display. Sowohl Darstellung, Programme als auch die App-Verbindung mit Smartphones und deren Navis waren bisher unerreicht auf dem Markt und sind ganz groĂźes Multiplex-Kino. Manch einer hat Netflix schon auf schlechteren Bildschirmen geschaut.
So gut Display und Connectivity allerdings sind, sie manifestieren auch das grundsätzliche Problem dieser BMW-Baureihe: Nachzuvollziehen ist die Elektronik für den Durchschnittsfahrer nicht mehr. Das digitale Wunderwerk wirkt, wie das Fahrzeug selbst, in meinen Augen irgendwie entrückt. Technisch und in der Elektro-Blackbox funktioniert alles bestens, aber Emotionen weckt die F 850 GS bei mir fast keine. Die neue Mittelklasse-Enduro von BMW hat auf dem Weg zur mechanischen und elektronischen Perfektion etwas von ihrer Seele verloren. Sexy ging anders – oder ich bin schon zu alt dafür …
Die Flugbuchung
BMW bietet die F 850 GS zum Basispreis von 12.120 Euro an, lockt den Käufer aber mit einem Kessel Buntes an Zubehör-Optionen: Den Style Exclusive (Farbe Pollux Metallic Matt), den Style Rallye (Farbe Lightwhite, Lupinblau, Racingred) kann der Käufer kombinieren mit Komfort-, Touring-, Dynamic- und Licht-Paketen sowie dem bereits genannten Farb-TFT-Display. Hinzu kommen Touren-Ausrüstung und HP-Powerparts wie Sportschalldämpfer und bei Bedarf natürlich auch eine passende Fahrerausstattung.
Am Ende kann man fĂĽr eine neue, voll gerĂĽstete BMW F 850 GS durchaus 15.000 Euro ausgeben, wenn man denn will. Ă„hnliches gilt fĂĽr die F 750 GS, die ebenfalls in verschiedenen Ausbaustufen angeboten wird, und deren Basispreis bei 9.350 Euro liegt. Es ist wie beim Fliegen: man kann billig, schöner ist es aber ja doch mit etwas Luxus.Â
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