aus Kradblatt 6/15
Text & Fotos Wini Scheibe
www.winni-scheibe.com
Bimota SB 5 – soziustauglicher Renner
Das Highlight 1985 von Bimota ist die SB5. Normalerweise gab es die Superbikes nur mit Einzelrennsitz. Erstmalig ließ sich mit einer Bimota wahlweise solo Asphaltsurfen oder gemeinsam mit der Liebsten spazieren fahren. Den Speed-Test hat die SB5 allerdings ohne Sozius absolviert. Mit sensationellen 264 Stundenkilometern rauschte die italienische Primaballerina durch die Lichtschranke. Neben anderen unvergessenen Erlebnissen blieb mir auch diese Autobahnfahrt mit der SB 5 in Erinnerung …
Mit randvollem Tank und gut geschmierter Kette starte ich im Hochsommer 1985 an einem Sonntagabend um 20:30 Uhr im hessischen Arolsen nahe Kassel. Nach gut vierzig Kilometern geht’s auf die Autobahn A7 in Richtung Würzburg. Bis Stuttgart sind es nun noch 360 Kilometer, für mich und die Bimota SB5 ein Klacks. Der geringe Verkehr an diesem warmen Abend lässt ein extrem hohes Tempo zu. Richtig kleingemacht hinter der schnittigen Rennverkleidung steht schon nach wenigen Wimpernschlägen die Tachonadel auf 260. Die Autos auf der rechten Fahrbahn erscheinen mir wie Dauerparker. Auch kein Wunder. Mit 260 Sachen fliegt man mit 72 Metern pro Sekunde über den Asphalt. Gleich nach dem Kasseler-Südkreuz auf dem Bergabstück klettert die Tachonadel sogar auf 270! Wenn das so weiter geht, schießt es mir durch den Kopf, brauche ich ja kaum mehr als zwei Stunden bis Stuttgart! Zehn Minuten später in einer Baustelle ist die Geschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt. Im fünften Gang mit rund 3500 Touren rollt die Bimota mit mir durch die „Schikane“. Danach ist wieder freie Fahrt angesagt. Mit gewaltiger Kraft schiebt der 120 PS starke 1135 Kubikzentimeter große Suzuki GSX1100E Motor vorwärts. Der Spruch „Leistung und Hubraum ist durch nichts zu ersetzen“ kommt mir in den Sinn.
Die dreispurige Autobahn nach Bad Hersfeld lässt wieder volle Fahrt zu. Ganz leicht liegen die aus Alu geschmiedeten Stummellenker in meinen Händen. Wie auf Schienen zieht die Bimota ihre Bahn. Der leichte Seitenwind ist kaum zu spüren. Nur die vom vielen LKW-Verkehr ausgefahrenen Spurrillen werden auf das Fahrwerk mit den neuen, nur 16-Zoll großen Rädern, sehr direkt übertragen. Die Pirelli-Gürtelreifen der aktuellen Generation reagieren viel empfindlicher als die gewohnten, viel dünneren 19 und 18 Zoll-Räder mit herkömmlichen Diagonalpneus auf Fahrbahnunebenheiten und Längsrillen.
Doch hier auf der Bimota ist alles auf die hochmoderne Kleinrad-Technik ausgelegt und fein abgestimmt. Deshalb kommt bei mir auch kein Gefühl der Unsicherheit auf. Die SB5 lässt sich ohne Nervosität selbst bei einer Geschwindigkeit von über 240 km/h von einer Autobahnseite auf die andere dirigieren.
Die Strecke zwischen Kassel und Stuttgart, die ich sehr gut kenne und auch im Traum fahren könnte, erscheint mir vollkommen neu. Es kommen Kurven auf mich zu, die ich vorher noch nie bewusst als Kurve wahrgenommen habe. Mit Schaudern denke ich an die Anfang der 1980er Jahre gemachten Erfahrungen mit der Honda CB900F Bol d’Or zurück. In den langgezogenen Autobahnkurven entwickelte das Bol d’Or-Chassis, bei Tempo 200, ein beängstigendes Eigenleben. Nur mit viel Schneid und Ausnutzung der ganzen Straßenbreite ließ sich diese Herausforderung meistern. Um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken, diese Übung hat nichts mit mutigen Heldentaten zu tun. Das Ausloten von Fahrwerksqualitäten gehörte auch damals zum Testalltag.
Mit der SB5 bei 260 km/h sieht die Welt ganz anders aus. Nichts wackelt, kein Schlingern, wie Pattex klebt der Edelrenner auf dem Asphalt. Die einer Rennmaschine ähnliche Sitzposition hält jeglichen Winddruck vom Fahrer fern. Ja, ich empfinde die Sitzhaltung sogar als richtig entspannt. Nur hin und wieder erinnert mich ein Blick auf den Tacho an das tatsächliche Karacho.
Ein paar Mal muss ich wegen ausscherender Autos das Tempo auf 180 km/h herunterbremsen. Im Ansprechverhalten und Wirkung ist die Brembo-Bremsanlage sogar aus dieser hohen Geschwindigkeit heraus tadellos.
Das Hinweisschild „Raststätte Rhön 5 km“ fliegt an mir vorbei. Wird der Sprit bei diesem Speed noch bis zur übernächsten Tankstelle reichen? Seit dem Start liegen knapp 200 Kilometer hinter mir. Um kein unnötiges Risiko einzugehen, steuere ich die Rastanlage an. Ein Blick auf die Uhr zeigt 21:30. Der Tankwart bestätigt mir die Zeit. Auf dem sehr genau anzeigenden Tacho ist die Tages-km-Rolle bei „200“ angelangt. Ich habe also 200 Kilometer in nur einer Stunde zurückgelegt!
Inzwischen sind 15 Liter Super in den Tank geflossen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es im öffentlichen Verkehr möglich ist, einen 200er Schnitt zu fahren – mit nur 7,5 Liter auf 100 km.
Mir schießen allerhand Gedanken durch den Kopf. Die Diskussionen anno 1985 über Motorräder mit mehr als 100 PS. Nachdem 1978 Honda die CBX1000 mit 105 PS und ebenfalls 1978 Kawasaki die Z1300 mit 120 PS auf den Markt gebracht hatten, einigten sich Importeure und Hersteller auf ein „Gentlemen’s Agreement“ keine Maschinen mit mehr als 100 PS in Deutschland zu verkaufen. Die Vorsichtsmaßnahme war berechtigt. Es gab Gerüchte, dass die Bundesregierung beabsichtigte, demnächst aus Sicherheitsgründen nur noch Maschinen mit maximal 75 PS zuzulassen. Auch gab es immer wieder Stimmen, die eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn und mehr Spritsparen forderten. Dazu fragten andere, wer Superbikes für über 35.000 Mark braucht, und, und, und …
Dagegen steht die faszinierende Realität, dass man nur durch einen kleinen Dreh am Gasgriff solch enorme Geschwindigkeiten erreichen kann. Ungewollt vergleiche ich die Bimota SB5 mit der 115 PS starken Kawasaki GPZ900R und der Yamaha FJ1100 mit 125 PS. Beide Motorräder hatte ich in der entdrosselten Version getestet, beide laufen auch um die 240 Sachen. Doch hier handelt es sich um Großserienprodukte. Gebaut für den Alltag, für zwei Personen mit Gepäck. Sie kosten kaum die Hälfte der Bimota. Bei der SB5 zählen einfach andere Werte. Detailverarbeitung, Fahrleistungen, Fahrsicherheit, Optik, das Fahrgefühl und nicht zuletzt das schlecht definierbare „Prestige“ machen eine Bimota zu dem, wofür sie gedacht und gebaut wurde. Zum schnellen Motorrad fahren ohne wenn und aber und ohne Kompromisse.
Sicher, es gehört eine Menge Fahrpraxis dazu, sich die nötige Weitsicht für 260 km/h anzugewöhnen, ein siebter Sinn. Ich muss jede Verkehrssituation in Sekundenbruchteilen richtig einschätzen. Aber auch eine gewisse Kaltschnäuzigkeit braucht der Fahrer, um diese Herausforderung anzunehmen. Das ist eine der Hauptvoraussetzungen für das Fahren mit einer Bimota: Wach muss man sein, voll konzentriert und körperlich topfit. Nur so kommt es zu dem Fahrerlebnis, das man sich erhofft. Inzwischen habe ich Würzburg erreicht und es wird dämmrig.
Mit Tagesausgang bricht auch die technische Unlust über die rotweiße Maschine. Ohne jegliche Vorwarnung fällt die Motordrehzahl abrupt ab. Zum Glück ist die Autobahnraststätte „Ob der Tauber“ nur noch fünf Kilometer entfernt. Es tut mir in der Seele weh, die Bimota mit stotterndem Motor über die Autobahn zu quälen. Im Neonlicht der Raststelle suche ich nach dem Defekt. Recht schnell finden ich heraus, dass die linke Zündspule keinen Strom bekommt. Die Bimota muss hier bleiben, der Tankwart verspricht ein Auge auf die Kostbarkeit zuwerfen. Eine Lappalie war an der Panne schuld. Bereits am nächsten Nachmittag holen wir die Diva wieder vom Importeur Höly in Schriesheim ab. Ein Stromzuleitungskabel in der Zündbox war von der Lötstelle abvibriert. Ein Schaden, der in fünf Minuten behoben werden konnte.
Wer vom Bimotavirus befallen war, konnte seine Fahrerlebnisse damals anderen Personen nur erzählen, aber keinen Sozius mitnehmen. Die SB5 ist soziustauglich. Ihre Erlebnisse als Passagier schildert euch Marina im Kasten rechts. Wer heute eine der alten Bimotas besitzt, verkauft sie kaum. Auf dem Gebrauchtmarkt sind die Renner selten und werden entsprechend hoch gehandelt. So bleibt mir zumindest die Erinnerung.
Sozia-Erfahrung von Marina
Ich bin eine begeisterte Sozia, ohne viel von der Technik zu verstehen. Etwas vollkommen Neues war für mich daher die Ausfahrt mit dem seinerzeit schnellsten Motorrad, der Bimota SB5. Auch habe ich noch nie vorher so extreme Schräglagen selbst erlebt. Winni hatte mich seelisch darauf vorbereitet: „Einfach auf dem Sitz ruhig hocken bleiben“ hat er gesagt, „du darfst keine Angst haben, wenn der Horizont vor deinen Augen mehr als 45 Grad schräg wird.“ Dennoch konnte ich nur ahnen, was auf mich zukommt. Winni nickte mir noch einmal über die Schulter zu und meinte, „gut festhalten jetzt“.
Es ging schneller als ich denken konnte. Ich meinte, wir müssten jeden Moment abheben und fliegen. Und plötzlich wurde alles um mich herum total unwichtig: die Autos, die Straße, die Straßenbegrenzung. Nur weit vorne sah ich Himmel, Wolken und Landschaft. Ich fühlte mich dem allem so verbunden. Trotz des Windschattens hinter dem Rücken meines Fahrers musste ich mich einsstemmen. Ich spürte, wie die Haut unter dem Helm zieht. Obwohl wir nur einige Kilometer mit einer Geschwindigkeit von über 240 km/h fuhren und schon bald wieder an Autos mit „nur“ 160 Sachen vorbeituckerten, schien es doch ’ne kleine Ewigkeit zu sein. Jetzt wurde auch die Umwelt wiedergreifbar und übersichtlich. Ein Blick ins Auto neben uns, ein Sekundenflirt mit dem Fahrer, ein Lächeln – sonst nichts; schon blickte der nächste kurz zu uns rüber.
Weil ich an nichts dachte und alles einfach so kommen ließ, konnte ich die Fahrt richtig genießen. Erst als wir von einem Stau abgebremst wurden, zwischen Autoschlangen nur langsam vorwärts kamen, machten sich mein Rücken und mein wertes Hinterteil bemerkbar. Und als ich nach 280 Kilometern am Ziel absteigen konnte, mich streckte und dehnte, war ich begeistert und freute mich ganz riesig auf die Fotofahrt, die für den nächsten Tag geplant war.
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