aus bma 1/11 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Benelli TnT R 160 Modell 2010Herzlichen Glückwunsch zum runden Firmenjubiläum! Möglicherweise gehört der bma zu den ersten Motorradmagazinen, die Benelli zum 100. Geburtstag gratulieren, denn der kleine italienische Hersteller aus der italienischen Adria-Hafenstadt Pesaro wird gern vergessen, wenn es um italienische Zweirad-Lebensart geht. Ducati, MV Agusta, Moto Guzzi – die kennt jeder Motorrad-Enthusiast. Aber ausgerechnet eine der ältesten Manufakturen hat man kaum auf der Pfanne, wenn es um Italo-Bikes geht.

Das mag damit zusammenhängen, dass das 1911 von den sechs Benelli-Brüdern als Auto- und Motorradwerkstatt gegründete Unternehmen, das 1921 sein erstes eigenes Motorrad baute und im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde, noch ein paar mehr Krisen als die übrige, an Firmenpleiten ohnehin nicht gerade arme italienische Motorradindustrie durchmachen musste. Und vielleicht auch daran, dass Benelli in Sachen internationaler Motorsport und in Sachen Motorrad-Meilensteine nie wirklich etwas beschicken konnte. Mit zwei Ausnahmen: 1969 gewann der Australier Kelvin „Kel“ Carruthers auf Benelli den Titel in der 250er-Straßen-Weltmeisterschaft. Und 1974 präsentierte Benelli mit der 750 Sei das erste in Serie produzierte Sechszylinder-Motorrad der Welt. Davor und danach war es immer eher ruhig um Benelli. Das Unternehmen gehörte nur bis Ende der 60er Jahre der Gründerfamilie, wurde 1971 vom argentinischen Unternehmer Alejandro de Tomaso übernommen, einem Glücksritter, der in Italien weitere namhafte Unternehmen wie die Design- und Karosseriebauunternehmen Vignale und Ghia sowie die Fahrzeughersteller Moto Guzzi, Maserati und Innocenti aufgekauft hatte – und sich von allen aus finanziellen Gründen wieder trennen musste. Die japanische Konkurrenz sorgte dafür, dass sich Benelli Anfang der 80er Jahre schrittweise vom Bau hubraumstarker Motorräder verabschiedete und sich auf die kleinen Klassen konzentrierte, später sogar Motorroller ins Programm nahm.

Benelli TnT R 160 Modell 20101999 tauchten dann die ersten Bilder der von einem eigenen Dreizylinder befeuerten Tornado 900 auf, die die Superbike-WM aufmischen sollte. Das Sport-Engagement ab 2001 endete mehr oder weniger als Pleite, der Start des Serienmodells wurde immer wieder verschoben, und von den ursprünglich versprochenen 144 PS blieben auf dem Papier 136 PS, in der Praxis eher noch weniger übrig. Mit immer neuen Mappings versuchte Benelli die Abstimmungsprobleme in den Griff zu bekommen, doch bei allen Anlaufschwierigkeiten gab es an drei Stellen von Beginn an keinen Handlungsbedarf: beim sexy Sound, beim stabilen Fahrwerk und bei den knackigen Bremsen. Trotzdem blieb der Tornado nur ein Mauerblümchen-Dasein, ihre Verkäufe blieben noch deutlich unter den ohnehin nicht allzu hohen Erwartungen zurück. Für das Modelljahr 2011 hatte man endlich ein Einsehen und schmiss den vollverschalten Sportler aus dem Programm. Bereits 2004 gönnte Benelli dem famosen Dreizylindermotor 12,8 mm mehr Hub, was für exakt 1131 cm³ sorgte und fortan die nackte und mächtig böse ausschauende TnT 1130 befeuerte. TnT steht übrigens für „Tornado naked Tre“.

Benelli TnT R 160 Modell 2010Gut ein Jahr später, exakt am 1. Oktober 2005 übernahm der chinesische Mischkonzern Qianjiang die Firma Benelli. Qianjiang gehört mit rund 14000 Mitarbeitern (davon 2000 Ingenieure) und einer Jahresproduktion von 1,2 Millionen (!) kleinvolumigen Motorrädern und Rollern (die hierzulande unter dem Markennamen „Keeway“ angeboten werden) sowie rund zwei Millionen Motoren zu den ganz Großen der Branche. Zum Vergleich: Benelli baut zur Zeit laut Internet-Auftritt 14 Fahrzeuge pro Tag – macht sehr großzügig hochgerechnet knapp 5000 Stück pro Jahr.

Einen großen Teil dieser überschaubaren Produktion soll zukünftig das neue Benelli-Topmodell TnT R 160 ausmachen. Die 160er basiert auf der TnT 130, deren Motor eine kräftige Leistungsspritze verpasst bekam. Statt 129 PS bei 8500/min (die gibt’s wegen der Euro-3-Homologation seit 2009; zuvor waren es 137 PS) in der normalen TnT, leistet die R 160 bei unverändertem Hubraum 155 PS bei 10300 U/min. Das maximale Drehmoment legte von 110 Nm bei 5250/min auf 120 Nm bei 8000 U/min zu. Nockenwellen mit geänderten Steuerzeiten, eine höhere Verdichtung und ein neues Einspritz-Mapping machen’s möglich. Zumindest theoretisch. Wie viel (Mehr-)Leistung in der Praxis übrig bleibt, ist eine ganz andere Frage. Die übers Internet von jedermann unter www.benelli.com herunterladbare Bedienungsanleitung verrät, dass man über den „Power Control System“-Knopf im Cockpit die Leistung von 137 PS im Standard-Modus auf 112 PS im Economy-Modus reduzieren kann. An anderer Stelle gibt’s in der deutschen (!) Anleitung aber auch italienische Überschriften oder Tabellen-Angaben, und 250 kPA sind mal 2,5, aber auch mal 2,2 bar Reifenfülldruck. Alles Kleinkram: Die Leistungsangabe wurde vermutlich stumpf von der normalen TnT übernommen; und der Rest kam im Übersetzungs-Dschungel etwas durcheinander. Aber diese Kleinigkeiten sind typisch für ein grundsätzliches Benelli-Problem, das vermutlich auch in Zukunft dafür sorgen wird, dass eine TnT und ihre Schwestern auf deutschen Straßen absolute Exoten bleiben werden. Das „Problem“ lautet: Die Benelli ist extrem italienisch. Zumindest auf eine Art italienisch, wie sich der deutsche Otto Normalmotorradfahrer eine typische Italienerin vorstellt.

Benelli TnT R 160 Modell 2010 CockpitDas hat aber auch große Vorteile, denn während man, wie ich finde, beim Anblick einer BMW K 1300 R fest davon ausgehen kann, dass die komplette Designarbeit an urdeutsche Maschinenbau-Ingenieure ausgelagert wurde, oder man gar den Eindruck gewinnt, dass man besagte Designarbeit gleich ganz eingespart hat, ist die Benelli in allen Belangen etwas fürs Auge und fürs Herz. Räder, Gitterrohr-Schwinge mit Exzenter, Krümmerführung, Verkleidungsteile – nichts davon ist einfach nur auf Funktion getrimmt, überall waren kunstvoll formende Hände zugange. Als Topmodell trägt sie zudem ein nettes Make-up in Form von edlen Kohlefaserteilen vom Auspufftopf bis zum Verkleidungskiel. Hinter dem gelochten Karbon-Kupplungsdeckel rasselt leise eine Anti-Hopping-Trockenkupplung vor sich hin, was aber leicht zu überhören ist, denn das akustische Gesamtkunstwerk Benelli TnT R 160 gibt bereits im Leerlauf mächtig Laut. Es röchelt, scharrt, schabt und mahlt aus den Tiefen des Reihendreizylinders, dass es eine wahre Freude ist. Im Fahrbetrieb wird dazu noch mächtig geröhrt und gefaucht. Der TnT-Gasgriff hat nicht nur die schnöde Funktion, sich um den Gasdurchsatz zu kümmern. Das Teil ist ein perfekt funktionierender Soundregler!

Benelli TnT R 160 Modell 2010 BremseDoch bevor kräftig geregelt wird, ist eine Sitzprobe angesagt. Der hohe Lenker sorgt für eine aufrechte Sitzposition, ist aber etwas zu sehr in Richtung Fahrer gekröpft. Die dem längeren Soziusbetrieb eher abgeneigte Sitzbank ist ein spartanisch-straff gepolstertes Luder – hatten Sie etwas anderes erwartet? Na also! Mit sportlicher Härte sollte auch der Benelli-Pilot gesegnet sein, zumindest mit kräftigen Unterarmmuskeln, denn der Griff zum Kupplungshebel fordert den ganzen Mann. Die grobe Fahrtrichtung sollte möglichst frühzeitig geklärt sein, denn der Lenkeinschlag ist ein Witz und macht Rangiermanöver zu langwierigen, ein gewisses Strauchel-Risiko bergenden Aktionen.

Doch dann geht’s endlich los. Und zwar sehr, sehr heftig. Von den versprochenen 155 Pferden galoppieren womöglich nicht alle, aber ein paar mehr als bei der Standard-TnT sind es mit Sicherheit. Gehen wir mal realistisch von 140 bis 150 PS aus, die da auf vollgetankt 225 kg plus Fahrer treffen und das Gesamtpaket in ziemlich genau drei Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 katapultieren. Nach knapp unter zehn Sekunden sind 200 km/h erreicht, und wer möchte (und die passende Nackenmuskulatur mitbringt) kann das Spielchen bis 260 km/h fortsetzen. Auf einem unverkleideten Motorrad wohlgemerkt. Die Fahrleistungen in dieser Hubraum- und Leistungsklasse liegen grundsätzlich weit über dem, was die Straßenverkehrsordnung im öffentlichen Raum zulasst. Eine BMW K 1300 R beschleunigt noch einen Tick besser; eine Ducati Streetfighter S zieht noch ein wenig besser durch, aber egal, die Benelli klingt einfach viel, viel geiler und ist nun wahrlich auch nicht langsam.

Benelli TnT R 160 Modell 2010Und außerdem steckt dieser wunderbare Ghettoblaster (man kann über den Benelli-Sound gar nicht oft genug schreiben!) in einem nahezu perfekten Fahrwerk. Absolut verläßlich, zielgenau und mit viel Rückmeldung tobt die Italo-Braut ums Eck. Wer sich ein wenig in das voll einstellbare Fahrwerk hineinexperimentiert hat, ist sogar erstaunlich komfortabel unterwegs. Für italienische Verhältnisse, versteht sich. Mit der Benelli kann man es mächtig krachen lassen, einen gehörigen Anteil daran hat die mit modischen Wave-Scheiben sowie Radialpumpe und -Zangen aufgemöbelte Bremsanlage. Die Brembo-Stopper machen einen tadellosen Job, sie sind bissig, standfest und dabei auch noch gut zu dosieren. An anderer Stelle gab es ebenfalls spür- und sichtbare Verbesserungen. Zum Beispiel bei der Rahmenlackierung und der Verlegung der Elektrik. Und sogar beim Verbrauch tat sich etwas. Ausgerechnet die stärkste TnT schluckt am wenigsten: mit 5,6 Litern auf 100 Kilometer einen guten halben Liter weniger als ihre versoffenen Schwestern.

Die Standard-TnT, also die 1130 Café Racer kostet 13490 Euro, die R 160 ist mit 14490 Euro genau 1000 Euro teurer. Ist sie den Mehrpreis wert? Ein klares Ja! Das rote Feuerzeug ist nicht nur besser ausgestattet, ihre ganze Machart ist spürbar moderner und professioneller. Das, was an der 1130er bisher schon gelungen war, blieb beibehalten. Einiges – nicht alles – was bislang etwas zu italienisch-lässig ausfiel, wurde verbessert. Obendrauf gibt’s noch mehr Leistung. Dafür ist ein Tausender ein fairer Aufschlag. Insgesamt ist Benelli aber immer noch ein sehr, sehr italienisches Motorrad. Das verhagelt ihr womöglich den ganz großen Erfolg, beschert Italophilen aber auch weiterhin viel Italo. Auf die nächsten 100 Jahre!