aus Kradblatt 11/23 von Oliver Erdmann
Einmal Balkan und zurück
Sretan put … gute Reise! Durch halb Europa bis runter nach Sarajevo in Bosnien-Herzegowina: 3.875 Kilometer, acht Länder und zwei Motorräder.
Als mein Kumpel Timon aus Berlin mich fragte, ob ich nicht mal Lust hätte, mit ihm eine Motorradtour auf den Balkan zu machen, war ich sofort Feuer und Flamme. So manche Geschichte hatte ich ihm schon über diese spannende Region erzählt, in der ich mehrere Jahre leben und arbeiten durfte – losgelassen hat sie mich nie. Im Juni 2023 ist es dann soweit.
Der Beginn unserer gemeinsamen Reise führt uns quer durch Brandenburg, den Spreewald und die Lausitz. Nach einem Zwischenstopp in Görlitz geht’s immer weiter süd-ostwärts, wir streifen kurz den westlichsten Zipfel Polens. Entspannte Tour bei Kaiserwetter durch die Oberlausitz.
Auf dunklem Asphaltband fahren wir dann durch grüne Landschaften, der Geruch der vorbeifliegenden Kiefernwäldern hängt in der Luft, längst haben wir Tschechien erreicht. Dann holt mich urplötzlich ein verdrängtes Problem ein: Die hydraulische Kupplung meiner BMW, die vor einigen Wochen schon mal aufgemuckt hatte, gibt jetzt jeglichen Widerstand auf, lässt sich leichter ziehen, als ein scharfes Messer durch weiche Butter. Wie auf einem bockenden Känguru geht’s noch 150 km weiter bis nach Brünn (Brno). Zurückfahren ist aber keine Option. Ein hartes Stück Arbeit: Navigieren, Maschine ohne Kupplung im Griff behalten und auch noch auf den dichten Straßenverkehr achten. Irgendwie kommen wir schließlich an. Soll es das schon gewesen sein mit unserem Motorradtrip auf den Balkan?
Bei Nieselregen steige ich am nächsten Morgen auf die Maschine und quäle mich im Frühverkehr quer durch Brünn. Stress pur. Erst die Kupplung ein paar Mal kräftig ziehen, so dass sich doch noch etwas Druck aufbauen kann, blitzschnell den ersten Gang einlegen, losfahren, dann krachend den zweiten und vielleicht sogar noch in den dritten schalten. Immer auf dem Sprung sein, eventuell anhalten zu müssen. Dafür muss der Schalthebel unsanft auf N hoch bzw. runter getreten werden.
Die abendliche Internetrecherche hatte eine auf BMW Motorräder spezialisierte Werkstatt am anderen Ende der Stadt ergeben. Nach einigem Suchen schiebe ich mein Moped in die kleine, aber gut ausgestattete Garage von David. Sofort hat er die Ursache des Übels ausgemacht: Der Hydraulikzylinder der Kupplung ist im Eimer. Das Ersatzteil muss allerdings erst mal bei BMW in Prag bestellt werden, vor Morgen wird es also nichts. Dafür hat David dann aber auch ganze Arbeit geleistet: Nicht nur die Kupplung funktioniert wieder einwandfrei, sondern die Maschine läuft besser als je zuvor, alle Verschleißteile sind gecheckt oder erneuert. Danke, David! Es kann also weitergehen.
Wir wollen den verlorenen Tag wieder aufholen und so steht uns die längste Etappe der Tour bevor: fast 700 km von Brünn/Tschechien bis nach Banja Luka/Bosnien-Herzegowina. Kilometer machen ist angesagt, keine Zeit zum Bummeln – kurvenreiche, schmale Landstraßen mit schöner Aussicht wird es für uns heute wohl nicht geben.
Deswegen kaufen wir für Ungarn schon mal vorsorglich online die E-Vignette und verlassen Brünn über die Autobahn Richtung Süden. Unspektakulär geht es erst mal weiter über gut ausgebaute Schnellstraßen. Irgendwann schickt uns das Navi aber doch noch quer durch dichte Wälder und später über die weiten Graslandschaften der ungarischen Puszta. Die winzigen idyllischen Dörfer gefallen mir besonders gut, die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Das Fahren beschwingt mich und ich lasse meinen Gedanken freien Lauf.
Auf einmal kommen wir jedoch unvermutet an die slowenische Grenze. Damit haben wir jetzt nicht gerechnet, ich war fest davon überzeugt gewesen, von Ungarn direkt nach Kroatien einzureisen. Ein genauer Blick auf die Karte zeigt, dass es nur wenige Kilometer sind, die wir durch Slowenien fahren würden. Und deswegen extra für eine ganze Woche wieder eine Vignette kaufen? Kommt gar nicht in die Tüte. Direkt hinter der Grenze drehen wir wieder um, nehmen einen kleinen Umweg innerhalb Ungarns in Kauf und vermeiden so unnötige Kosten. Überhaupt nimmt das Thema Mautgebühren heute viel Raum ein, jedes Land regelt es in dieser Region für Motorradfahrer anders. Während Tschechien und die Slowakei uns komplett ohne Gebühren fahren lassen, verlangen Ungarn und Slowenien eine Vignette; Kroatien und Bosnien-Herzegowina betreiben sogar noch Mautstationen.
Nach mehr als zehn Stunden im Sattel, 675 km auf dem Buckel und insgesamt schon fünf bereisten Ländern ist das Etappenziel fast erreicht: Banja Luka, Regierungssitz der Republika Srpska im Norden Bosnien-Herzegowinas, einem faktisch noch immer geteilten Land. Als wir in Gradiška den Grenzfluss Save, der hier von Kroatien trennt, überqueren, drohen tiefschwarze Wolken mit Ungemach, schon bald beginnt es, wie aus Eimern zu regnen. Durch das ganze Wasser auf den schlechten Straßen sind die tiefen Schlaglöcher jetzt gar nicht mehr zu erkennen und die Autofahrer verhalten sich noch unkalkulierbarer, als ohnehin schon. Mühsam zittern wir uns patschnass bis zu unserem Apartment im Zentrum der Stadt. Zum Glück ist unten in dem Wohnhaus eine ansprechende Pizzeria. Eine große Margherita und ein kühler Weißwein versöhnen mich am Ende wieder mit dem Tag.
Der Morgen startet dort, wo der gestrige Abend geendet hat: in unserer Pizzeria, diesmal allerdings mit frischem Kaffee und einem leckeren Omelette. Die Maschinen stehen zum Glück noch genauso unversehrt auf dem Gehweg hinter unserer Unterkunft, wie wir sie gestern Abend abgestellt haben.
Unsere heutige Etappe ist von der reinen Entfernung tatsächlich eine der kürzesten dieser Reise: knapp 200 Kilometer durch den Nordwesten Bosniens bis zur Hauptstadt Sarajevo. Doch die tückischen Straßen und ihre oftmals ziemlich achtlosen Autofahrer verlangen wieder Einiges von uns ab. Zum Glück ist der Wettergott milde gestimmt, lässt die Sonne auf unsere Helme scheinen und die sattgrünen Hügel, Wälder und Wiesen dieses wunderschönen Landes gleiten an uns vorbei. Allerdings kommen wir auf den schmalen, kurvigen Landstraßen nur langsam voran, und der Sommer 2023 scheint für die dringend notwendigen Asphaltierungsarbeiten auserkoren zu sein.
Nach über vier Stunden erreichen wir schließlich Sarajevo, diese ganz besondere Stadt, die mir so ans Herz gewachsen ist. Unser Apartment liegt in der Nähe der pittoresken Altstadt, der Baščaršija, die einen mit ihren geduckten, orientalisch anmutenden Häuschen gefühlt nach Istanbul versetzt.
Am nächsten Tag bleiben die Motorräder im Stall. Sarajevo ist das eigentliche Ziel und irgendwie auch Scheitelpunkt unserer Reise, da gebührt ihr auch die entsprechende Aufmerksamkeit.
Da der Bosnienkrieg und auch die Belagerung Sarajevos von 1992–1996 durch die serbische Armee zu dieser Stadt gehören wie ihr berühmter Taubenbrunnen, entschließen wir uns, die wirklich empfehlenswerte Ausstellung über den Srebrenica Genozid in der „Galerija 11/07/95“ zu besuchen. Eine äußerst wichtige und sehr eindringliche Dokumentation des größten Massakers seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Den Nachmittag und Abend lassen wir dann wieder in der Altstadt und auf dem Taubenplatz mit seinem bekannten Brunnen, dem Sebilj, ausklingen. Schönheit und Leid liegen in Sarajevo eng beieinander.
Wir sind wieder auf Achse. Die Reise führt uns raus aus Sarajevo auf der M 17 Richtung Südwesten.
Nach einer Weile beginnt sich die Landschaft zu verändern, wird flacher, karger und felsiger. Ein intensiv blau-grün schimmernder Fluss, die Neretva, wird zu unserem Begleiter. Irgendwann sind die grünen Wälder um uns herum komplett verschwunden und die ersten Zypressen tauchen auf, hier und da sogar ein paar Palmen. Die Herzegowina, wie dieser Landesteil Bosniens heißt, empfängt uns mit mediterranen Bedingungen. Wir wollen der Stari Most, der namensgebenden alten Brücke ihrer regionalen Hauptstadt Mostar, einen Besuch abstatten. Sie verbindet den muslimisch geprägten Ostteil der Stadt mit dem eher katholischen westlichen Teil, gilt seit Jahrhunderten als symbolischer Brückenschlag zwischen Ost und West. 1993 wurde sie während des Bosnienkrieges in der stark umkämpften Stadt zerstört und 2004 mit internationaler Unterstützung wieder vollständig aufgebaut. Heute ist sie ein absoluter Touristenmagnet. Wir stellen unsere Motorräder in einer Seitenstraße ab und stapfen in unseren schweren Klamotten vorbei an unzähligen Souvenirständen durch die drängelnden Menschen, schnell rinnt uns der Schweiß den Rücken runter. Also, fix wieder auf die Bikes geschwungen und weiter geht’s.
Kurz hinter Mostar befahren wir bereits kroatischen Boden und in Ploče erblicken wir dann endlich das tiefe Blau der Adria – der südlichste Zipfel unserer Balkanreise ist erreicht.
Die Küstenstraße rauf nach Makarska, unserem heutigen Etappenziel, ist einfach der Hammer. Links glitzert das Meer, rechts die hellen Felsen, die man noch aus alten Winnetou Filmen kennt, und vor uns perfekt geschwungene Kurven. Die BMW surrt fröhlich vor sich hin, ich genieße einfach dieses Lebensgefühl, das nur Biker kennen, und könnte ewig so weiterfahren.
In der Pension angekommen, ist aber leider für heute erst mal Schluss. Unser Wirt, selbst Motorradfahrer, klärt uns noch über eine seltsame Besonderheit auf, die mir in Bosnien aufgefallen war. Dort haben wir einige Motorräder mit überklebten Kennzeichen gesehen. Ich hatte irgendwelche verwaltungstechnischen Gründe in dieser politisch schwierigen Region vermutet, aber der wahre Grund scheint einerseits ziemlich banal und anderseits in Deutschland kaum vorstellbar zu sein. Einige Motorradfahrer kleben einfach ihre Nummernschilder ab, oder entfernen sie zeitweise gleich ganz, wenn sie in Bosnien auf die Tube drücken wollen. So können sie nicht so leicht von der Polizei erwischt werden und der Führerschein ist nicht in Gefahr. Die fehlenden Kennzeichen oder das Überkleben kostet sie dagegen nur eine geringe Geldbuße.
Vidimo se, Dalmacija … wir sehen uns wieder, traumhafte dalmatinische Küste. Nach einem Faulenzertag am Strand von Makarska wird es Zeit, wieder die Mopeds zu satteln und langsam die Heimreise gen Norden anzutreten. Wieder verzichten wir bewusst auf Autobahn und Mautgebühren, der Weg ist schließlich das Ziel, oder?
Eine Weile tuckern wir noch gemütlich die Küstenstraße Richtung Norden entlang, genießen die Aussicht auf die Adria über der linken Schulter. Kurz vor Split biegen wir dann auf die E 57/1 ins Landesinnere ab und überwinden auf Serpentinen die Ausläufer des dinarischen Gebirges. Auch das kroatische Hinterland ist abseits der ausgetretenen Pfade an der Küste ein attraktives Reiseland für Motorradfahrer, allerdings sollte man die Tankuhr im Auge behalten. Im Gegensatz zu Bosnien-Herzegowina ist die Tankstellendichte hier doch eher übersichtlich. Es kommt mir vor, als würden wir über eine Art Hochplateau fahren, in der Ferne recken sich Berge in die Höhe. Die Straßen sind teils sehr rau und nicht immer im besten Zustand, für ein paar Kilometer fehlt der Asphalt gleich ganz.
Und wieder ändert sich die Vegetation: Die kahlen Bergen und Zypressen haben sich längst verabschiedet und Platz gemacht für ausgedehnte, üppige Laubwälder. Ausgerechnet kurz bevor wir in den Nationalpark Plitvicer Seen einfahren, beginnt es von oben zu tröpfeln. In Karlovac machen wir erst mal Quartier, das Abenteuer „Balkan auf zwei Rädern“ liegt beinahe hinter uns.
Wir müssen uns nun leider aus Kroatien verabschieden, nach nur 30 km sind wir bereits an der Grenze zu Slowenien. An der ersten Tanke schnell noch eine E-Vignette geholt, dann schrauben wir uns auf schmalen, kurvenreichen Straßen durch die Berge bis nach Novo Mesto. Ein wahrgewordener Bikertraum: Eine Kurve reiht sich in perfektem Abstand an die nächste. Es ist fast so, als würde man einen Walzer tanzen.
Durch den Karawankentunnel geht es direkt rüber nach Österreich. Schnell noch einen kurzen Abstecher an den Wörthersee gemacht, dann können wir mit einem guten Gefühl einen Haken an den neunten Tag unserer Reise machen – vor genau einer Woche waren wir in Brünn mit meiner von David flott gemachten BMW gestartet, ohne ihn wäre ich gar nicht so weit gekommen.
Motorradfahren wie aus dem Bilderbuch, quer durch die Bergwelt Kärntens und der Steiermark, atemberaubende Ausblicke auf saftig grüne Wiesenhänge, schroffe, teilweise noch schneebedeckte Felsgipfel und dichte Nadelwälder. Die engen und häufig steilen Haarnadelkurven verlangen mir Hamburger Fischkopp doch so einiges an Fahrkönnen ab, unbeschreiblichen Spaß macht es trotzdem. Alle paar Kilometer halten wir an und zücken die Handys, um später das Bergpanorama mit unseren Liebsten und Freunden zu teilen.
Als wir nach mehreren Stunden Kurbeln kurz vor Steyr schließlich die Alpen hinter uns lassen, nehmen wir die schnellere Autobahn über Linz nach Tschechien. Unsere schmerzenden Hintern sind dankbar, die heutige Etappe nicht zu sehr auszureizen. Das Ziel für heute heißt Budweis, auf das gleichnamige Bier freuen wir uns wie irrsinnig an diesem heißen Tag.
Der letzte gemeinsame Tag unserer Motorradreise. Das westliche Tschechien entpuppt sich als leicht hügelige, teils dicht bewaldete Landschaft mit vielen kleinen Seen und Bachläufen. Unsere Fahrt führt uns durch unzählige kleine Ortschaften, vorbei an noch mehr landwirtschaftlichen Betrieben. In Pilsen halten wir kurz auf dem Platz der Republik vor der beeindruckenden St.-Bartholomäus-Kathedrale, und ab Klingenthal befahren wir bereits schon wieder deutsche Straßen.
Eine finale Umarmung an einer Tankstelle irgendwo an der Autobahn A4 bei Gera – dann geht’s für jeden von uns nur noch schnurstracks nach Hause.
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