aus bma 11/12
von Jörg „Jogi“ van Senden
Eigentlich halte ich nichts von Facebook und diesem ganzen neumodischen Zeug. Manchmal hat es aber auch etwas Gutes, denn so fand ich meinen alten Segelfreund Christian wieder, von dem ich schon einige Zeit nichts mehr gehört hatte, seit er vor einigen Jahren von Hamburg in ein verschlafenes Nest kurz vor Flensburg gezogen war. Nach einigen kurzen Schriftwechseln kamen wir auch schnell zum Thema Motorrad.
Man muss dazu wissen, dass Christian Meister des KFZ Mechaniker Handwerks ist, aber es vorgezogen hat sein Brot als Sachverständiger und Gutachter zu verdienen. Aber irgendwie sind Mechaniker nicht glücklich wenn sie nichts zum Schrauben und zum Basteln haben. Frei nach dem Motto „Bist du ölig – bist du fröhlich“ unterlag in jüngster Vergangenheit eine Honda Dax seinem gekonnten Handwerk und vor einigen Wochen berichtete er mir stolz vom Erwerb einer alten BMW R 35 aus dem Jahre 1952, an der allerdings noch ein wenig zu restaurieren wäre.
Wenn ich „ein wenig zu restaurieren“ höre gehen bei mir schon die Alarmglocken an. Bei Christian ist das anders. Einige Tage später schrieb er mir begeistert, wie schön es doch sei mit bis zu 75 km/h durch die Wiesen zu knattern und sich von einem alten Eintopf durchschütteln zu lassen. Das würde ihm mehr Spaß bereiten als mit 280 Sachen über die Piste zu fliegen. Ich solle doch mal nach Flensburg kommen und mir selber ein Bild machen. Ich bin ja ebenfalls ein Freund des entschleunigten Lebensstils und bevorzuge inzwischen auch mehr das entspannte Cruisen, aber bitte alles zu seiner Zeit. Also beschleunigte ich erst einmal ordentlich auf der A7 und war mit meinem Motorrad nach einer Stunde und 20 Minuten in Flensburg.
Nun etwas über die Historie der BMW R 35. Während die heutigen BMW Motorräder mit der Bezeichnung R allesamt zweizylindrige Boxermotoren aufweisen, waren alle zwischen 1937 und 1955 gebauten R 35 Eintöpfe. Der Rahmen war aus Blech gestanzt, das Heck war starr und für das Vorderrad gab es eine ölgedämpfte Teleskopgabel, geschützt durch Faltenbälge. Die Maschinen galten als äußerst robust. Den Antrieb bildeten eine Trockenkupplung, ein seitlich am Tank per Hand geschaltetes Vierganggetriebe und eine zierliche, frei laufende Kardanwelle, unterbrochen von einer Hardyscheibe zur Ruckdämpfung bei Lastwechseln. Für den Komfort sorgte ein gefederter Sattel. Alles in allem sehr überschaubar. Insgesamt wurden genau 15.654 Maschinen in München gebaut und für 995 Reichsmark an den Mann gebracht. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde ab 1942 die BMW R 35 in der DDR in Eisenach von der sowjetischen „Awtovelo BMW / SAG“ bis 1952 mit dem BMW Markenzeichen weitergefertigt.
Zu diesen Maschinen gehört auch Christians Oldtimer. Dann kam es zu einem Rechtsstreit um die Markenrechte von BMW. Die darauf folgenden Maschinen heißen deshalb EMW R 35/2 und R35/3 (EMW = Eisenacher Motorenwerk) und trugen statt des blau – weißen Propellers einen rot – weißen Propeller vorne, seitlich am Rahmen. Einige Änderungen wurden mit dem Wechsel des Namens von BMW in EMW an der R 35 vorgenommen. So verschwand die ölgedämpfte Gabel mit Faltenbalg und wich einer einfacheren Ausführung mit Schraubenfedern und Schutzhülsen. Weitere Änderungen gab es bei der Motorentlüftung, am Sattel, Rücklicht, Auspuff und Kotflügeln. Fortschritt brachte die Verlängerung des Rahmens und die Verstärkung des Pressbleches von 2 mm auf 3 mm um eine gedämpfte Hinterradfederung zu ermöglichen, was allerdings auch ein neues Kardangehäuse unumgänglich machte. Die Handschaltung wich einer sequentiellen Fußschaltung, so wie wir sie heute noch kennen. 2.290 DDR Mark musste der Ostbürger für eine EMW bezahlen; ohne Bezugschein sogar 2.480. Geschätzte 83.000 EMW R 35 wurden in Eisenach gefertigt bis 1955 die Produktion endgültig eingestellt wurde. Sehr detailliert und wunderschön bebildert dokumentiert ist die Geschichte der R 35 in dem Buch „Eisernes aus Eisenach“ von Andy Schwietzer, erschienen im Bodensteiner Verlag.
Nach einer kurzen Begrüßung führt mir Christian seine BMW vor. Sauber und poliert. Ein echtes Schmuckstück. „Die springt auch prima an“ meint er. Man muss nur wissen wie.
Zunächst wird der Vergaser geflutet, aber nicht zu viel, sonst säuft er ab. Danach wird der Zündzeitpunkt mittels eines kleinen Hebels am Lenker auf spät gestellt. Danach das Trittbrett für den Sozius nach oben klappen, sonst kollidiert der Kickstarter damit und es ist ab. Schweißnähte deuten darauf hin, das es dem Vorbesitzer wohl schon einmal passiert ist. Jetzt nur noch die richtige Kolbenstellung mit dem Kickstarter suchen und beherzt antreten. Nach zwei Versuchen ist die Maschine zum Leben erweckt. Irgendwie erinnert mich das Geräusch der Auspuffanlage an einen Fischkutter. „Klack“, noch schnell einen Gang eingelegt und schon marschiert die alte BMW los. Das Fahren damit will gelernt sein. Da es im Vergleich zu modernen Motorrädern wesentlich mehr Feingefühl erfordert, verzichte ich auf eine Probefahrt und schaue lieber Christian zu wie er zu Demonstrationszwecken die Straße auf und ab fährt und mit dem Fernlicht spielt. Dieses wird mit einem weiteren kleinen Hebel am Lenker betätigt von dem ein Bowdenzug in den Scheinwerfer hinein führt und dort den eigentlichen Schalter umlegt.
Begeistert vom tadellosen Zustand der Maschine wollte ich natürlich wissen welche Restaurationsarbeiten zu erledigen waren. Da der Motor stark vibrierte, musste der Kolben ausgetauscht werden. Irgendwer hat einen falschen Kolben eingebaut der 58 Gramm zu schwer war. Nun ist alles wieder gut. Und weil er gerade schon dabei war hat er auch gleich noch einen neuen Zylinder montiert. Haarrisse im Rahmen, vermutlich durch die Vibrationen entstanden, wurden geschweißt und nachlackiert. Die Gabel klemmte und musste zerlegt und wieder gängig gemacht werden. Das Getriebe war eigentlich noch einigermaßen ok, aber er hatte noch ein besseres, generalüberholtes Getriebe gefunden und die beiden kurzerhand gegeneinander ausgetauscht. Die Zündung wurde auch erneuert. Teile gibt es noch genug, meint Christian. Die R35 wurde lange und in großer Stückzahl gebaut. Da ist noch alles zu bekommen. Man muss nur suchen. Es ist schon erstaunlich, was einige Menschen unter „kleinen Restaurationsarbeiten“ verstehen. Kurze Zeit später holte Christian noch seine restaurierte Honda Dax aus dem Keller. An der hatte er vor der BMW auch nur ganz wenig zu basteln. Das möchte ich aber nicht weiter ausführen…
—
Kommentare
Ein Kommentar zu “Awtovelo BMW / SAG R 35 Bj. 1952”
Hallo..hätte da mal ein par Fragen zu Deiner Resturation vov Deiner BMW..mir steh auch so etwas bevor…würde mich freuen von Dir zu Hören..MfG M.Wegner..0172/3892637