aus bma 05/06
von Michael Schories
„Hey Mate, ha ya goin? Ya stoi longa in Oz?” Die nette Dame von der Motorradvermietung schaut mich lächelnd an und erwartet offensichtlich eine Antwort. Aber… ich habe doch überhaupt kein Wort verstanden. Hilfesuchend wende ich mich an meine walisische Bekannte Mij, die mich hierher begleitet hat. Auch sie hat Probleme das „String” genannte Kauderwelsch zu verstehen, daß die Australier als ihre persönliche Variante von Englisch verstehen. Nach langem Hin und Her wird klar, daß ich aus Deutschland komme und nur ein paar Jahre Schulenglisch vorweisen kann. Mit viel Bemühen von beiden Seiten klappt die Verständigung letztendlich doch noch ganz gut, und ich bekomme wirklich ein Motorrad in die Hand gedrückt. Na geht doch…
Nach 5-jähriger Abwesenheit bin ich mal wieder in Down Under, „Opel” heißt hier jetzt wieder „Holden”, Frühling beginnt im Oktober, Bier kommt nicht aus Flaschen, sondern „stubbies”, und der Strudel im Waschbecken läuft falsch herum ab.
Die Suche nach einer Motorradvermietung war dank Internet völlig problemlos (bikescape.com.au), und so hole ich mir einige Tage nach meiner Ankunft in Sydney meine Triumph Bonneville aus einem Industriegebiet in der Vorstadt ab. Etwa 60 Euro pro Tag kostet mich der Spaß, Helm, Klamotten, Versicherungen und Freikilometer inklusive. Wer sparen will und mit 250 ccm zufrieden ist, kann den Preis erheblich drücken. Die Bonnie ist schon okay, finde ich. Für etwa 1000 Euro hätte ich auch meine Maschine aus Deutschland anliefern lassen können, eine Hamburger Spedition (in Time) hat sich auf solche Aufgaben spezialisiert. Letztendlich scheiterte dieses Unterfangen aber daran, daß ich mein Moped schon ca. 3 Monate vor Reiseantritt auf den Weg hätte schicken müssen. Ne, so lange hätte ich es in Kiel nie ohne mein Krad ausgehalten.
Jetzt aber erst mal raus aufs Land. Sydney hat zwar nicht mehr Einwohner als Berlin, breitet sich aber auf einer viel größeren Fläche aus. So brauche ich Stunden um dem Moloch zu entfliehen und endlich freie Straßen vor mir zu haben. Die Gewöhnung an den Linksverkehr geht schnell, und die Bonnie erweist sich als ein problemloses Motorrad. Nach kürzester Zeit fühle ich mich wohl auf meiner Triumph und den australischen Straßen. Etwas verwundert bin ich nur, als ich bemerke, daß auf Autobahnen der Pannenstreifen für Fahrradfahrer freigegeben ist. Ich bewege mich Richtung Süden, zunächst auf dem Princess-Highway.
Ups, Motorradfahrer grüßen sich hier nicht per erhobener Hand. Nach dem dritten Anlauf bekomme auch ich das mit und passe mich den örtlichen Gegebenheiten an, was bedeutet, entgegenkommenden Bikern höchstens mit einem kurzen Kopfnicken „Hallo” zu sagen. Vielleicht liegt es an der hauptsächlich britisch geprägten Vergangenheit, daß eher zurückhaltende Umgangsformen benutzt werden?
Mir fällt auf, daß überdurchschnittlich viele BMW, Triumph und Ducati gefahren werden, mehr als Japaner, mehr als ich es vom deutschen Straßenbild gewohnt bin. Außerdem sind hier sehr selten Umbauten zu sehen, fast alle Maschinen bleiben im Originalzustand, nirgendwo oder sehr selten Streetfighter oder Extremchopper. Da passe ich mit der Bonnie ja gut ins Bild. Der erste Tankstopp zaubert mir gleich zwei mal ein Lächeln ins Gesicht. Zum einen verbraucht die Triumph weniger als 5 Liter per 100 Kilometer, zum Zweiten kostet der Liter Unverbleit hier umgerechnet gerade 65 Cent. Und dabei schimpfen die Aussies über die gestiegenen Benzinpreise. Na, kommt ihr mal nach Europa… Ansonsten bewegen sich die meisten Preise, z.B. im Supermarkt, auf deutschem Niveau oder knapp darüber.
Nach ca. 200 Kilometern palmengesäumter Küstenstraßen beziehe ich mein Nachtlager an einer kleinen Bucht in der Nähe von Nowra. Ich muß vorher eine Gebühr von knapp sieben Euro löhnen, da ich mich in einem Nationalpark befinde. Von einem Ranger erfahre ich, daß hier ein idealer Punkt ist, um Delphine zu beobachten. Also stehe ich stundenlang auf einer Steilküste und starre auf die offene See… erfolglos!
Für das Zelten muß ich nichts bezahlen, selbst der Elektrogrill auf dem Rastplatz funktioniert unentgeltlich. Da schmecken mir doch die Backed Beans gleich doppelt gut. Ich sage der Bonnie noch gute Nacht und verkrümele mich in mein Zelt.
Am nächsten Tag geht es weiter Richtung Süden, möglichst immer über die kleinen Nebenstraßen. Meist sind diese sehr gut ausgebaut, nur extrem kleine Wege zu Stränden sind Schotterpisten. Aber auch diese schluckt die Triumph klaglos, und nach anfänglicher Angst gehen später sogar einige „Drifts” mit 70 km/h. Das macht mit der Zeit sogar richtig Spaß! Mein heutiges Ziel ist Batmans Bay, dort will ich nach einem Bagpackers (vergleichbar mit Jugendherbergen in Deutschland) Ausschau halten. Ich finde auf Anhieb das Gesuchte, bekomme für ca. 15 Euro pro Nacht meinen eigenen Wohnwagen und beschließe länger als nur einen Tag hier zu bleiben. Die Bonnie darf vor der Tür parken.
„Guten Morgen in Australien, Micha”, scheint die Sonne mir am nächsten Morgen entgegenzuschreien. Frühstück wird also auf später verschoben, ich packe etwas Essbares in den Rucksack und starte die Bonnie. Ich weiß genau, wohin ich heute will: Pebbly Beach! Vor Jahren war ich schon einmal dort und habe immer noch in Erinnerung, daß da ein Traumstrand wartet, die Kängurus auf Streichelnähe an Menschen herankommen, und das Papageien aus der Hand fressen. Die letzten Kilometer auf einer Wellblechpiste meistert die Triumph mal wieder meisterlich, die Federbeine schlucken einfach alles. Als ich Pebbly Beach erreiche, werden alle Erinnerungen noch getoppt. Ich stehe noch keine 30 Sekunden, als das erste Känguru angehopst kommt und neugierig an den Packtaschen schnuppert. Ich setze den Helm ab und habe plötzlich einen Papagei auf der Schulter. Ja, das gibt’s nur hier, nicht nur, weil es manche dieser Tierarten nirgendwo sonst auf dieser Welt gibt. Ich gehe zum Strand, ziehe mich bis auf die Badehose aus und werde von vier anwesenden Aussies fassungslos angesehen. Bei „nur” 20 Grad Wassertemperatur baden? Unvorstellbar für die Einheimischen, kein Problem für eine Kieler Sprotte. So warm wird die Ostsee nur in guten Jahren. Bei der Rückkehr vom erfrischenden Bad sehe ich, daß ein Känguru gerade mit meinen Chips verschwindet, die ich leichtsinnigerweise neben meinem Rucksack abgelegt hatte. Mist, jetzt beschränkt sich mein spätes Frühstück also auf eine Flasche Kakao, eine australische Banane (kleiner und süßer als bei uns in Deutschland) und eine Cabanossi. Ist aber auch okay, ich wollte in diesem Urlaub sowieso zwei Kilo abnehmen. Stunden später auf der Rückfahrt zum Bagpackers schaffe ich kaum drei Kilometer ohne Stop durchzufahren, da an allen Ecken und Enden Fotomotive vom Feinsten warten. Mal ist es ein spektakulärer Blick von einer Steilküste, mal ein Pelikan, der es sich auf einer Straßenlaterne bequem gemacht hat. Außerdem treffe ich vor einem Fish’n Chips Laden in Batmans Bay drei nette Mädels aus Westaustralien, die gerade mit ihrem uralten VW Bully hippielike australische Küsten abklappern. Als ich aus ihrem Auto die mir bekannten Gitarrenriffe von „Spiderbait”, meiner australischen Lieblingsband höre, gibt’s genug Gesprächsstoff. Yeah, that’s Rock’n Roll.
Abends sehe und höre ich im Fernseher der Jugendherberge auch noch, daß in Melbourne eine Straße nach AC/DC benannt wurde. Ich liebe Australien von Tag zu Tag mehr! Wann gibt’s in Berlin endlich eine „Ton-Steine-Scherben-Straße” oder in Köln einen „Kraftwerk-Weg”?
Viele Tage und Eindrücke später geht’s per Billigflieger (Jetstar) nach Tasmanien. Alternativ bieten sich auch Fährüberfahrten von Sydney (zeitaufwendig) oder Melbourne (teuer) an. Dann besser fliegen und vor Ort ein Moped mieten. Auf Tasmanien gibt es nur einen Motorradverleih, gleich um die Ecke, wenn man in Launceston landet (Tasmanien-motorbike-hire, Evandale, Tel. 03-63919139). Leider kostet Benzin hier 5 Cent pro Liter mehr als auf dem australischen Festland, ist aber mit ca. 0,70 Euro für einen Europäer immer noch traumhaft.
Die erste Übernachtung in Launceston ist preiswert und bietet nur die einfachsten Annehmlichkeiten. Sie ist in einem Bau Jahrgang 1850 untergebracht, hat aber gerade deshalb Kultcharakter: Fawkner Inn. Außerdem wohnt man nur 200 Meter von der „Boags” Brauerei entfernt, das kann ja später noch mal interessant werden. Da ich und ein Freund aus Berlin Sonnabend Nachmittag hier eintreffen, ist natürlich nichts mit Bierverkostung. Bis Montag 11 Uhr läuft gar nichts! Okay, genießen wir also das Nachtleben der 90.000 Seelen Gemeinde Launceston. Hauptsächlich bedeutet das Karaoke bis zum Abwinken oder mehr oder weniger gute Bands mit Coverversionen von Klassikern in verrauchten Pubs. Leider kostet der Pint Guinness oder auch Aussiebier hier sagenhafte 5 Euro Minimum. Das war nicht so in der Planung meiner Urlaubskasse vorhergesehen. Aber jetzt verstehe ich besser, warum in fast jedem australischen Haushalt Bier selbst gebraut wird…
Ich werde mal sehen, ob es in der Provinz preiswerter zugeht. Nach zwei Tagen „Großstadt” wird es sowieso Zeit, mal wieder etwas Landluft zu schnuppern. Von Launceston fahren wir Richtung Ostküste. Die Küste erreichen wir aber an diesem Tag nicht, zu viele Zwangsstops sind bei dieser Landschaft nötig. Dabei ist Tasmanien nur so groß wie Bayern, aber mit Landschaften, die von schneebedeckten Bergen, breiten Flüßen, über norwegisch anmutende Fjorde bis zu palmenbesäumten Stränden etwas mehr Vielfalt zu bieten haben als Süddeutschland. Die heutige Übernachtung ist ein kostenloser Zeltplatz (inklusive Elektrogrill) in einer ehemaligen Erzminenstadt namens Derby. Die Stadt hat inzwischen nur noch 300 Einwohner, zu Zeiten des erfolgreichen Bergbaus waren hier etwa zehn mal so viele Leute beheimatet. Diese Stadt bietet aber auch die Lage an einem Fluß, der erfolgreiches Forellenfischen verspricht. Um den, abgesehen von der grandiosen Landschaft ringsum, pessimistischen Eindruck des verlassenen Ortes noch zu verstärken, schließt der einzige Pub des Ortes vor unserer Nase schon um 21 Uhr und nur Dank Ausländerbonus bekommen wir noch ein 0,275 Liter „großes” Bier vom Faß serviert.
Kurz nach dem Aufwachen bemerke ich beim Gang zum Klo, daß sich Eiskristalle auf meinem Zeltdach versammelt haben. Damit habe ich nicht gerechnet, mein Schlafsack und die Anwesenheit in Australien im Frühling haben mir mehr Wärme suggeriert. Okay, Frost gibt’s also zumindest des Nachts offensichtlich im südlichsten Teil von Oz auch.
Nächster Tag: Heute soll’s Küste geben, wir fahren über bestens ausgebaute und motorradtaugliche Straßen nach Osten. Bereits am frühen Nachmittag erreichen wir einen malerischen Strandabschnitt und bauen unsere Zelte auf. Entfernung zum Wasser 40 Meter, Wasserhöhe bei Flut eingerechnet. Während meine Mitstreiter Lagerfeuer entfachen, sammle ich Muscheln; da wird sich die Fluggesellschaft beim Rückflug aber über mein Gepäckübergewicht freuen. Später gehe ich noch zu einem Bad in die „Tasman Sea”, den hiesigen Teil des Pazifik. Hier kann ich gefahrlos nackt baden, links und rechts ist am Strand soweit das Auge blicken kann kein Mensch zu sehen, wäre jedem Aussie ohnehin zu kalt, dafür steht plötzlich ein Seehund nur zehn Meter neben meinen zurückgelassenen Klamotten. Er bleibt auch brav dort liegen bis ich die obligatorischen Fotos von ihm geschossen habe. Danke Kumpel! Vielleicht erscheint dein Porträt ja demnächst in einer deutschen Motorradzeitschrift?
Zuviel Ozean und Wasser kann auf Dauer nicht gut sein, irgendwann müssen auch wieder Berge her. Über eine Strecke, die für Motorradfahrer gebaut zu sein scheint, fahren wir ein paar Tage später auf den Mount Wellington, Tasmaniens größten Berg in der Nähe von Hobart, der Hauptstadt der Insel. Wir haben die Serpentinen nicht gezählt, aber viele Pyrenäen und Alpenpässe dürfte diese Straße in punkto Kurvenfreundlichkeit und -häufigkeit geschlagen haben. Am schönsten ist dabei natürlich, dass einem nur alle zehn Minuten ein Fahrzeug entgegenkommt. Und wo kann man außer hierzulande in dieser Welt eine Schneeballschlacht gegen Einheimische in kurzen Hosen gewinnen?
Die darauffolgenden Tage geht’s von Ost nach West, von Süd nach Nord, an die andere Seite der Küste, vorbei an dutzenden Wasserfällen, fast 300 Meter tiefen Süßwasserseen, Regenwäldern, hunderten Kängurus und Wallabies und so vielen Attraktionen, die kein Reiseführer je bemerkt hat. Wir werden zwischendurch von einer Tigersnake, einer der giftigsten Schlangen der Welt, am Weitergehen gehindert, bekommen Wombats, Echidnas und andere australische Tierarten vor die Kamera, und freuen uns immer wieder über die ungezwungene Gastfreundschaft der Aussies. „Hey Mate, ha ya goin? Ya stoi longa in Oz”, verstehe ich inzwischen. Ja, gut geht’s mir. Wenn ich nur könnte, würde ich viel länger hier bleiben als die paar Wochen Jahresurlaub. Aber in spätestens vier Jahren habt ihr mich wieder am Hals, versprochen! Mal sehen, ob ich dann meine Laverda von zu Hause mitbringe oder wieder etwas Britisches miete…
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