aus bma 7/09

von Klaus Herder

Aprilia SMV 750 DorsoduroMänner mögen Luder, und Frauen mögen Machos. Zumindest theoretisch und wenn es zum Beispiel um die Gestaltung netter Tagträume oder um unverbindliche Kurzzeitbeziehungen geht. Geheiratet werden dann aber meist nicht die Pamela-Anderson- oder George-Clooney-Klone, sondern die deutlich alltagstauglicheren Normalos von nebenan. Beim Motorradkauf sieht’s ganz ähnlich aus: Die Hingucker von Buell, Ducati oder Voxan sorgen für gut besuchte Messestände, in der heimischen Garage parken aber Bandits, CBFs und Deauvilles. Wer will schon eine Zicke als Partnerin? Eben.
Etwas fürs Auge darf’s aber natürlich trotzdem sein, denn entsprechend aufgebrezelte Partner/ Moppeds machen das Schaulaufen ja deutlich reizvoller. Womit wir nun bei der Supermoto-Mode wären.

Was Mitte der 80er Jahre als neue Motorsport-Spielart aus den USA nach Europa schwappte bzw. sich als Supermotard speziell in Frankreich entwickelte, ist als Verpackungs-Thema seit geraumer Zeit auch bei stinknormalen Straßenmotorrädern schwer angesagt. Dabei waren hochgelegte Schutzbleche über fetten Straßenreifen und minimalistische Tank-Sitzbank-Kombinationen hinter breiten Lenkern ursprünglich gar kein Modegag, sondern pure Notwendigkeit. Schließlich ging es darum, beim Mix aus Motocross, Dirttrack und Straßenrennen möglichst zügig um ziemlich knifflige Mickey-Mouse-Kurse zu driften und dabei einen Mix aus Asphalt und losem Untergrund zu bewältigen, der freundlicherweise noch mit ein paar Sprunghügeln dekoriert war. Bevorzugtes Arbeitsgerät waren umgebaute Motocross-Maschinen, also Einzylinder, denen neben besagter Straßenbereifung auch noch üppigere Bremsen spendiert wurden und deren Federwege unters Messer kamen.

Aprilia SMV 750 DorsoduroDa aber nahezu alles, was erfolgreich auf Rennstrecken unterwegs ist, irgendwann auch für Otto Normalheizer und den öffentlichen Straßenverkehr verwurstet wird, ließen die ersten in Serie produzierten Supermotos nicht lange auf sich warten. Yamaha TDR 250 und Gilera Nordwest waren Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre die ersten Vertreter ihrer Art, kamen aber vermutlich etwas zu früh. Doch mittlerweile ist das Thema Supermoto mehrheitsfähig. Ducati Hypermotard 1100, BMW G 650 Xmoto und HP2 Megamoto sowie natürlich KTM mit den Modellen 690 und 990 Supermoto sind die Trendsetter dieser Mode. Sogar eine Triumph Tiger mutierte von der Reise-Enduro zur reinen Straßenmaschine, die mit ein wenig Supermoto-Dekoration kokettiert.

Die Zeiten der Einzylinder-Monokultur sind nicht nur bei den käuflichen Pseudo-Supermotos vorbei, auch in den einschlägigen Supermoto-Rennserien wird seit ein paar Jahren zweizylindrig gekämpft. Zumindest von Aprilia mit den SXV-Modellen, was mit bislang vier WM-Titeln belohnt wurde. Dass diese Marketing-Steilvorlage verwandelt werden musste, versteht sich von selbst und so hat der norditalienische Hersteller seit Mitte 2008 die SMV 750 Dorsoduro im Programm.

 

Dorsoduro mit seiner uro-Endung klingt schwer nach Enduro-Kunstbegriff, ist aber der Name eines Stadtteils von Venedig und heißt übersetzt „harter Rücken“. Die Namensgebung kommt nicht von ungefähr, hat die seit Ende 2004 zum Piaggio-Konzern gehörende Firma Aprilia doch ihren Sitz in Noale, Provinz Venedig, und damit in unmittelbarer Nähe der Lagunenstadt. Die Idee ist ausbaufähig, eine „BMW R 1200 GS Schwabing“ hätte doch auch ihren Reiz.

Aprilia SMV 750 DorsoduroMit den SXV-Wettbewebsmodellen hat die Dorsoduro außer der Zylinderzahl und deren V-Anordnung nicht viel gemein. Dafür um so mehr mit dem Mittelklasse-Erfolgsmodell Shiver (siehe bma 2/2008). So zum Beispiel den Verbundrahmen aus Stahlrohren im oberen Bereich und den seitlich montierten Aluguss-Elementen, die den Motor und die für die SMV neu konstruierte Aluschwinge aufnehmen. Die Geometrie der Dorsoduro musste sich leichte Eingriffe gefallen lassen. Der steilere Lenkkopfwinkel (66,1 statt 65,1 Grad) und der kürzere Nachlauf (108 statt 109 mm) zielen noch mehr in Richtung Handlichkeit. Ein längerer Radstand (1505 statt 1449 mm) sorgt dafür, dass in Sachen Geradeauslauf und Stabilität keine Probleme zu befürchten sind. Die sehr moderaten Änderungen lassen erahnen, dass hier kein hypernervöser Kurvenschwenker als Entwicklungsziel stand, sondern die gut berechenbaren und alltagstauglichen Fahrwerkseigenschaften der Shiver nur noch etwas geschärft werden sollten.

Ähnliches geschah mit dem flüssigkeitsgekühlten 90-Grad-V-Zweizylinder. Der blieb im mechanischen Bereich praktisch unangetastet. Aus 95 PS wurden zugunsten eines fülligeren Drehmomentverlaufs 92 PS, die nun bei 8750 statt bei 9000 Umdrehungen anliegen. Das maximale Drehmoment legte dafür von 79 auf 82 Nm zu, was allein nicht wirklich spektakulär wäre, doch der Höchstwert wird jetzt bereits bei 4500/min und damit satte 2750 Umdrehungen früher als bei der Shiver gestemmt. Möglich macht’s eine geänderte Abstimmung der Zünd- und Einspritzelektronik. Um der Dorsoduro noch etwas mehr Sprinttalent mitzugeben, kürzte Aprilia die Endübersetzung und verbaute ein Kettenrad mit 46 statt 44 Zähnen, was praktisch den einzigen Eingriff in die Antriebs-Hardware darstellt.

Aprilia SMV 750 DorsoduroDie Verpackung ist eine gänzlich andere, und das merkt der geneigte Probefahrer am deutlichsten beim Entern des Arbeitsplatzes. Der befindet sich nämlich in luftigen 880 mm Sitzhöhe, was Menschen unter 1,75 m Gesamtlänge ein ausgeprägtes Balancegefühl abverlangt. Die ultraflache, nur mäßig gepolsterte Sitzbank bettet den Allerwertesten aber überraschend komfortabel – zumindest anfangs, 100 km später sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Der dezent gekröpfte breite Lenker mit seinen wuchtigen Handprotektoren liegt gut zur Hand, die Handhebel sind vierfach verstellbar, die Spiegelausleger breit genug für gute Rücksicht und das übersichtliche Cockpit goldrichtig im Blickfeld platziert. Der Abstand zwischen Sitzbankoberkante und den Fußrasten ist groß genug, um auch langen Beinen einen angenehmen Kniewinkel bieten zu können. In moderat sportlicher, durchaus bequemer Sitzposition harrt der Fahrer den Dingen, die da kommen. Und die kommen gewaltig – und zwar zuerst einmal auf die Ohren!

Herrlich bassig grollt’s aus dem geschickt ins Heck integrierten Edelstahl-Schalldämpfer. Die Leerlaufdrehzahl liegt auf Anhieb konstant niedrig, die Gasannahme ist tadellos. Ebendiese funktioniert als „Ride-by-wire“, einem elektronischen Wunderwerk, bei dem die Gasgriffbefehle nicht direkt zu den beiden Drosselklappen unterm 13-Liter-Tank geleitet werden. Der Umweg geht über ein Potentiometer (ein variabler elektrischer Widerstand), das die Drehbewegung des Gasgriffs in elektronische Signale für die Einspritz-Elektronik umwandelt. Deren Management berücksichtigt unter anderem Drehzahl, Geschwindigkeit, Gang, Motortemperatur und Luftdruck, um daraus Befehle für die beiden Servomotoren zu basteln, die wiederum die Drosselklappen steuern. Klingt kompliziert, ist es vermutlich auch, funktioniert aber brillant. Äußerst kultiviert schiebt der ultrakurzhubige Vierventiler aus dem tiefsten Drehzahlkeller an. Drehfreudig und drehmomentstark geht’s ab 2000 Touren ohne Rucken und Zucken, ohne Durchhänger oder Einbruch sehr, sehr munter durchs Drehzahlband. Störende Vibrationen gibt’s nicht, der Sound wird immer fauchiger. Auf kurzen Schaltwegen steppt der linke Fuß den verstellbaren Schalthebel durchs leichtgängige Sechsganggetriebe. Der Griff zum Kupplungshebel erfordert deutlich mehr Körperseinsatz.
Der herrliche Twin jagt leichtfüßig wie ein Elektromotor der 9500/min-Marke und damit dem sanft einsetzenden Drehzahlbegrenzer entgegen. Fürs flotte Vorankommen ist eine solche Übung aber völlig überflüssig, denn meist genügen schon mittlere Drehzahlen, um im nächsten Gang satt beschleunigend Anschluss zu finden.

Aprilia SMV 750 DorsoduroFür verspielte Fahrer ist die Möglichkeit interessant, vom Lenker aus per Tastendruck drei verschiedene Fahrprogramme abzurufen: Sport, Touring und Regen. Der Normalfahrer hält sich meist im Touring-Modus auf, im Sport-Programm sorgt die Elektronik zwar auch nicht für mehr Leistung, dafür aber für eine noch direktere Gasannahme und einen ziemlich harten, ungestümen und Supermoto-mäßig bösen Leistungseinsatz. Eine nette Spielerei für die Momente des Lebens, in denen der Fahrer bei freier Schussbahn die Sau rauslassen möchte. Noch überflüssiger ist nur der Regen-Modus, der ein gutes Drittel der Leistung kappt und sich wie ein Notlaufprogramm anfühlt. Trotz etwas weniger Leistung wirkt die im Touring- oder Sportmodus bewegte Dorsoduro immer etwas munterer als die auch nicht gerade flügellahme Shiver. Messwerte bestätigen das zwar nicht – da liegen beide praktisch gleichauf – doch die etwas kürzere Übersetzung und die etwas angriffslustigere Sitzposition sorgen für die gefühlte Extra-Power.

Aus dem Stand vergehen bis zum Landstraßenlimit keine vier Sekunden, als Höchstgeschwindigkeit nennt Aprilia 200 km/h. Dieser Wert hat aber eher theoretische Bedeutung, denn oberhalb von 170 km/h entwickelt die vollgetankt 211 Kilogramm schwere Fuhre ein gewisses Eigenleben. Nichts Beunruhigendes, aber der vom Wind gebeutelte Fahrer leitet über den breiten Lenker zwangsläufig Kräfte ins Fahrwerk ein, die für ein spürbares Pendeln sorgen. Mit Fahrwerksschwächen hat das nichts zu tun, eher mit Physik, speziell mit Hebelwirkung. Beim verschärften Angasen auf der Landstraße zeigt die Dorsoduro dann aber, dass der famose Motor in einem adäquaten Fahrwerk steckt. Da wirkt nichts nervös oder zappelig, die Aprilia lenkt absolut neutral ein und biegt zielgenau auf einem sauberen Strich ums Eck. Sie fällt nicht von allein in die Kurven, etwas Ansage braucht die Italienerin schon, doch dann meistert sie langsame wie schnelle Kurven super stabil und wuselt ohne größeren Kraftaufwand durch winkligste Wechselkurven. Der Fahrer hat jederzeit das gute Gefühl, die Sache voll im Griff zu haben. Die Upside-down-Gabel und das Federbein (beide in der Federbasis und Zugstufendämpfung einstellbar) reagieren sensibel auf kleinste Unebenheiten, stecken mit ihrer eher straffen Grundabstimmung aber auch grobe Verwerfungen locker weg. Die 160 mm Federweg vorn und hinten werden bestens genutzt.

Aprilia SMV 750 DorsoduroDie ab Werk montierten Dunlop Sportmax Qualifier (120/70 ZR 17 vorn, 180/55 ZR 17 hinten) mögen auf manchen anderen Motorrädern ein echtes Ärgernis sein, doch auf der Dorsoduro machen sie einen hervorragenden Job und passen bestens zur nahezu grenzenlosen Schräglagenfreiheit. Ins Wimmern kommen die Gummis immer dann, wenn die perfekt dosierbaren Vierkolben-Festsättel in die 320-mm-Scheiben beißen, bzw. wenn der nicht nur Deko- und Alibi-Zwecken dienende Heckstopper kräftig zupackt. Die Bremsanlage ist referenzverdächtig, wer sie narrensicher machen möchte, bekommt neuerdings sogar ein ABS. Damit und inklusive Nebenkosten stehen dann 9699 Euro auf dem Preisschild. Ohne ABS sind’s sieben grüne Scheine weniger, also 8999 Euro. Die tadellos verarbeitete und in Schwarz, Rot, Silber sowie Weiß lieferbare Aprilia SMV 750 Dorsoduro kostet 500 bzw. 700 Euro (ohne/mit ABS) mehr als die technisch eng verwandte Shiver und ist damit kein Superschnäppchen. Ein sehr faires Angebot ist sie aber allemal, denn sie bietet genau das, was uns in einer Beziehung dauerhaft glücklich sein lässt: Jede Menge Lebensfreude und ein munteres Wesen, absolute Zuverlässigkeit und Standfestigkeit, einen ehrlichen Charakter und gute Berechenbarkeit. Saufen tut sie auch nicht, denn beim flotten Landstraßen-Surfen steht immer eine 4 vor dem Verbrauchs-Komma. Als Sahnehäubchen obendrauf gibt’s ein freches Supermoto-Make-up, das zwar nach Luder aussieht, mit zickigem Luder-Verhalten aber rein gar nichts zu tun hat. Vom Sport-Modus einmal abgesehen…