aus bma 07/02

von Marcus Lacroix

Falco 1000Wer sich heute ein Motorrad anschafft, erwirbt nicht einfach nur ein Fahrzeug, sondern – so zumindest der geheime Wunsch – das passende Image dazu. Vielen Fahrern ist das Image dabei sogar bei weitem wichtiger als die eigentliche Funktion der Sache. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich so viele Möchtegernsportler mit den schärfsten Reiteisen durch den alltäglichen Straßenverkehr quälen, ohne jemals auch nur annähernd am Potenzial der Maschine zu kratzen (Autobahnvollgasfahrten, die jeder Lusche beherrscht, mal außen vor). Selbst bei Sicherheitstraining auf der Rennstrecke sind diese Fahrer hoffnungslos von ihrem Material überfordert. Erst kürzlich mit KM in Oschersleben (www.km-sicherheits-training.de) konnten wir beobachten, wie Fahrer mit 50 PS Mittelklassemaschinen außen um 150 PS Fireblades & Co. herumfuhren und – nachdem sie auf der Geraden gnadenlos abgeledert wurden – beim Anbremsen plötzlich wieder vorbeistachen.

Auch Aprilia hat so einen Supersportler im Programm. Die RSV Mille lässt sich nicht zuletzt durch die Sporterfolge der Italiener recht problemlos an den Mann bzw. die Frau bringen. Im Alltag hat sie aber halt den Nachteil super sportlich zu sein, sportlicher als es manch ein Fahrer ertragen kann. Und so fristen viele Mille bzw. (noch extremer) Mille R wohl ein Dasein als Poserbikes vor der Eisdiele oder am Bikertreff. Ein paar dieser bemittleidenswerten Exemplare dürfen eventuell mal bei einem Renntraining ein wenig näher in Richtung Grenzbereich vordringen, bevor dem Fahrer das Talent ausgeht – der Mehrheit bleibt die gelegentliche Autobahnhatz.

Falco 1000Was kann man also den Fahrerinnen und Fahrern anbieten, die vom sportlichen Image der Italiener aus Noale profitieren wollen, die das Flair italienischer Motorräder lieben und auch mal ordentlich am Gas drehen wollen, sich im Alltag aber nicht gestresst von der StVO auf einer RSV Mille verrenken wollen? Aprilia blieb die Antwort nicht schuldig und präsentierte bereits 1999 auf der Mailänder Motorradmesse dem staunenden Publikum die SL 1000 Falco. Der ideale Spaßbereiter für alle, denen ein Japaner eh nicht ins Haus kommt, denen bei einer BMW R 1150 S die imagefördernden Sporterfolge des Herstellers fehlen und denen Triumphs Sprint RS einen Zylinder zu viel hat.

Der deutsche Motorradfahrer indes tut sich mit der Falco ein wenig schwer und so fühlten wir dem V2 mal auf den Zahn. Wem kann man das schicke Teil empfehlen?
Die erste Käuferschicht steht ganz klar fest: Liebhaber italienischen Designs kommen voll auf ihre Kosten. Die SL 1000 Falco ist ein echter Hingucker. Die blanken Streben des Alu-Doppelrohrrahmens, die an ihren Enden in rauhem Guss-Alu stecken, fesseln den Blick ebenso wie die kantige Halbschalenverkleidung mit dem dreigeteilten Klarglas-Scheinwerfer. Die Auspuffanlage mündet dankenswerter Weise in zwei relativ schlanke Endöpfe, die deutlich eleganter aussehen, als der TÜV-taugliche Trümmer an der RSV Mille. Bis hin zu dem formschön integrierten Rücklicht wirkt die SL 1000 Falco harmonisch sportlich elegant. Selbst die Form der Spiegel passt ins Bild. 100 Punkte für den Kandidaten.

Nun spielt das Aussehen der Maschine für die meisten Motorradfahrer zwar eine herausragende Rolle, ordentlich ums Eck soll der Bock aber ja auch gehen. Nehmen wir also auf der Falco Platz und lassen den Falken fliegen. Schon nach der ersten Sitzprobe, noch bevor der Motor läuft, können wir einen ziemlich großen Teil der motorradfahrenden Zunft als potenzielle Kaufinteressenten aus-schließen. Alle, denen die Sitzposition auf einem Tourensportler vom Schlag der Honda VFR bereits sportlich erscheint, bzw. alle die aus dieser Position heraus den Oberkörper lieber weiter nach hinten lehnen würden, den Lenker lieber höher hätten, können hier mit dem Lesen des Artikels aufhören – die Falco ist nichts für Euch. Die Falco mag ja vom Werk her als Sporttourer gedacht sein, ein 176 cm großer Fahrer kann das „tourer” aber getrost streichen. Die Sitzposition auf der Falco ist eindeutig sportlich – mehr Sportlichkeit braucht im realen Leben kein Mensch.

Und wo wir gerade beim Ausschließen der Interessentengruppen sind: nach dem Starten des Motors verabschiedet sich schon die nächste Gruppe. Alle die den seidigen, vibrationsarmen Lauf eines japanischen Reihenvierers lieben können weiterblättern. Das Rotax-Triebwerk der Falco rumpelt schon im Stand kernig vor sich hin. Natürlich bei weitem nicht so schlimm (oder schön) wie eine Buell, aber immerhin. Ein Bummelmotor, mit dem man im letzten Gang über Land fährt und bei 80 km/h Kühe zählt, steckt nicht in der Italienerin.

Falco 1000Die hydraulische Kupplung, deren Hebel ebenso wie der Handbremshebel einstellbar ist, erfordert unnötig hohe Handkräfte (Tschüß ihr Leser mit nix in den Armen), der erste Gang rastet nicht ganz geräuschlos ein und die Post geht ab. Stadtverkehr mag die Falco, bzw. deren Fahrer nicht besonders. Der Motor läuft bei niedrigen Drehzahlen ruppig rau, die Kupplungshand ruft im Stau nach einer Pause. Kleine Fahrer kommen nur schlecht auf den Boden, die sportliche Sitzposition lässt die Handgelenke schmerzen.

Auf der Landstraße schlägt dann aber endlich die Stunde des Falken. Hier offenbart der 60-Grad-V2 Motor endgültig seine sportliche Herkunft aus der RSV Mille. Zwar wurde das Triebwerk ein klein wenig mehr auf Straßenbetrieb ausgerichtet und leistet in der SL „nur” 118 PS (125 sind’s in der Mille), dafür setzen sich die 998 Kubikzentimeter mit Benzineinspritzung und Vierventilköpfen bei entsprechender Drehzahl sehr eindrucksvoll in Szene. Druck aus dem Keller – wie man ihn angesichts des Hubraums vielleicht erwarten würde – ist allerdings nicht vorhanden. In den ersten drei Gängen ist die Falco zwar auch unter 4000 U/min fahrbar, richtiger Fahrspaß der sportlichen Natur kommt aber erst auf, wenn man die Drehzahlmessernadel über 5500 U/min hält. Spielchen wie „im sechsten Gang in der 70er-Zone das Gas aufreißen” verkneift man sich besser, wenn man sich bei den Kumpels nicht lächerlich machen will. Auch der fünfte und vierte Gang eignen sich nicht, um die Falco hier in eine Rakete zu verwandeln (wir sprechen nach wie vor von sportlicher Fahrweise). Dreht man im dritten nun das Gas auf Anschlag, wird man grandios nach vorne geworfen. Blitzschnell dreht das Aggregat hoch, bis bei 10.000 U/min der Begrenzer einsetzt und eine Warn-LED im Cockpit hektisch flackert. Zack – den nächsten Gang im gut schaltbaren Getriebe reingezogen und weiter geht’s Richtung Orbit. Radarfallen sollte man dabei allerdings geschickt umgehen. Unsere Probefahrt-Falco nuckelte bei schneller Landstraßenhatz noch zu verschmerzende 6,5 Liter Super je 100 km aus dem 21 Liter-Kunststofftank (Tschüß Magnettankrucksackfans).

Richtig Spaß bieten auch Ortsschilder, die dem flotten Treiben ja leider ein gesetzliches Ende setzen. Einfach die Fuhre bis zum letzten Drücker ordentlich auf Zug zu halten und wenige Meter vor dem Ortsschild dann aus gerade noch führerscheinerhaltenden 120 km/h in die goldenen Brembos an der Vorderhand langen. Man erntet nicht nur eine exzellente und super dosierbare Bremsleistung, sondern auch Blicke von Passanten, die einen als geisteskranken Spinner abstempeln. Sei’s drum, der StVO wurde Genüge getan. Aprilias patentierte hydraulische Rutschkupplung verhindert beim gleichzeitigen Runterschalten wirkungsvoll ein Stempeln des Hinterrads. Die Bremse an der Hinterhand ist im Fahrbetrieb eigentlich überflüssig, hilft aber z.B. gegen unbeabsichtigtes Wegrollen an der Ampel.
Für ein flottes Vorwärtskommen auf der Landstraße ist neben einem potenten Motor ein stabiles und handliches Fahrwerk unverzichtbar. Natürlich hat sich Aprilia auch in diesem Bereich nicht lumpen lassen und die Falco entsprechend ausgestattet. Otto-Normalfahrer wird mit den Möglichkeiten der voll einstellbaren Gabel (Vorspannung, Zug- und Druckstufendämpfung) zwar überfordert sein, dafür gibt es schließlich aber ja auch erfahrene Motorradhändler. Das Sachs-Federbein am Heck lässt sich in Federvorspannung und Zugstufendämpfung anpassen, wobei für erstere der Hakenschlüssel im Bordwerkzeug fehlt, und zweitere sich sehr unelegant kaum erkennbar hinter der Kette versteckt. Insgesamt ist die Fahrwerksauslegung der Falco sehr sportlich – sprich auf schlechten Landstraßen sehr unbequem. Das Sitzpolster des Fahrers schreit nach einer Behandlung durch BD-Deutschland (www.bd-deutschland.de) und der Soziusplatz sollte auf langen Strecken eher für das Gepäck freigehalten werden. An Befestigungshaken hat Aprilia gedacht und ein komplettes Reiseset (zwei Softkoffern, eine Bagpack-Rolle, ein Tankrucksack) ist ebenfalls im Angebot.

Auch ein Teil des Fahrwerks, das allerdings nicht voll überzeugt, sind die Reifen. Wie auch bei einer kürzlich gefahrenen Yamaha Bulldog gelang es zumindest dem Autor nicht, mit den Metzeler MEZ3 auf schlechten Wegstrecken einen sauberen Strich hinzulegen. Fahrbahnunebenheiten sorgen unabhängig vom Reifenluftdruck und den Fahrwerks- einstellungen für deutliche Aufstellmomente, die auch beim Bremsen in Schräglage nerven. Außerdem laufen die Reifen Längsrillen nach und schnelle Schräglagenwechsel erfordern unnötig hohe Kräfte. Immerhin folgen die Metzeler auf glatten Straßen sauber der vorgegebenen Richtung und bieten ordentlich Grip sowohl beim Anbremsen wie auch in Schräglage. Glücklicherweise sind in letzter Zeit wieder einige neue Reifen auf den Markt gekommen (z.B. der Metzeler M1 Sportec, der uns gerade in Oschersleben begeisterte), die die Macht des schwarzen Gummis über ein Motorrad untermauern.
Keine Schwächen leistet sich die Falco auf

der Autobahn. Spurstabil bis zur Topspeed, die irgendwo bei 250 km/h liegt. Die Verkleidungsscheibe lässt den Helm im Windstrom stehen und verschont einen so vor lästig lärmenden Verwirbelungen.
Falco 1000Das Cockpit bietet eine Vielzahl von
Informationen incl. Rundenzeiten- und Topspeed-Memory. Wie man diese abruft steht hoffentlich im Handbuch – intuitiv ist es nämlich nicht bedienbar („ups, warum zeigt der Tacho plötzlich in Meilen an?”). Der Ölstand lässt sich bequem an einem Steigrohr ablesen, das Staufach unter dem Soziusplatz ist ganz praktisch und die Scheinwerfer scheinen ordentlich.

Fazit: Die Falco ist ein absolut faszinierendes, leider aber auch verkanntes Motorrad. Manch ein Mille R & Co.-Fahrer könnte mit ihr sicherlich auch abseits der Rennstrecke mehr Spaß haben und trotzdem auf der Bahn schnellere Runden drehen als bisher. Die Falco ist ein Wolf im Schafspelz, den Aprilia marketingtechnisch leider voll zwischen die Stühle gesetzt hat. Sporttourern ist sie oft zu sportlich, Supersportlern fehlt es an markantem Renndesign. Wer aber auf Understatement setzt und sich darüber freuen kann, wenn er Rennhobeln trotz (oder wegen) einem Motorleistungsdefizit das Rücklicht zeigt, der sollte sich mal beim nächsten Aprilia-Vertragshändler zur Probefahrt anmelden.
Für 2002 ist die Falco nur in silber lieferbar. Der eine oder andere Händler hat aber eventuell auch noch ein farbiges 2001er-Modell im Laden stehen. 10.499 Euro kostet die SL 1000 Falco, für 500 Euro mehr gibt es sie als „Edition” mit Softbags, Gepäckrolle und Tankrucksack.