bma 08/96

von Marcus Lacroix

Kennt Ihr Leonardo aus Italien? Nein, ich meine nicht den genialen Erfinder, Wissenschaftler und Künstler Leonardo da Vinci, sondern den Motorroller Leonardo 125. Wir wissen nicht, ob die Mannen bei Aprilia ihrem berühmten Landsmann damit ein Denkmal setzen wollten, ein glückliches Händchen bewiesen sieLeonardo 125 bei der Konstruktion aber auf jeden Fall. Doch bevor ich diesem Fahrbericht zu weit vorgreife, beginne ich lieber am Anfang der Geschichte. Auf der Suche nach einem interessanten Zweirad mit 125 Kubikzentimeter Hubraum stießen wir beim Bremer Aprilia und Suzuki Vertragshändler Lohrig & Crone auf den Aprilia Motorroller Leonardo 125, der uns auch sogleich für eine ausgiebige Probefahrt angeboten wurde. Warum es ausgerechnet 125 ccm sein mußten, fragt Ihr Euch? Also nochmal für alle, die es bisher nicht gehört haben: seit März 1996 gilt der 1b Führerschein für Maschinen bis 125 ccm (auf 80 km/h gedrosselt). Außerdem dürfen alle Klasse 3-Inhaber, die ihren Schein vor dem 1. April 1980 gemacht haben, 125 ccm Motorräder mit maximal 15 PS ohne Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit fahren. Der von uns gefahrene Leonardo war nicht gedrosselt. Eine mögliche Drosselung auf 80 Stundenkilometer ist jedoch bei Aprilia in Vorbereitung.

Beim Anblick der feinen Technik dieses Rollers hätten dem alten italienischen Meister sicherlich die Augen getränt. Davon konnte er seinerzeit nur träumen. 12 Pferdestärken aus einem flüssigkeitsgekühlten 125er Viertakt-Vierventilmotor mit obenliegender Nockenwelle, stufenloses Automatikgetriebe mit Fliehkraftkupplung, 35er Telegabel vorne und zwei in der Federvorspannung einstellbare Federbeine hinten, hydraulische Scheibenbremsen, 12 Zoll Räder, Benzintank unter dem Trittbrett und so weiter. Auch das Design hätte dem Künstler Leonardo zur Ehre gereicht. Keine Frage, die Italiener können es am besten. In diesem Fall kam, allen Unkenrufen zum Trotz, sogar die Funktionalität nicht zu kurz; eine Seite, die man bei den Italienern sonst manchmal vermißt.

Leonardo 125Der sauber verarbeitete Leonardo 125 nimmt jederzeit auf Knopfdruck seine Arbeit auf. Eine Startautomatik befreit den Fahrer von der sonst üblichen Fummelei mit dem Choke. Nach einem kurzen Augenblick nimmt der noch kalte Motor bereitwillig Gas an. Erhöht man die Drehzahl, stellt die Fliehkraftkupplung den Kraftschluß zum Hinterrad her und der 136 Kilogramm schwere Roller setzt sich in Bewegung. Schon auf den ersten Metern fällt die gelungene Fahrwerksgeometrie auf. Vermitteln Motorroller vor allem bei langsamer Fahrt oft ein kippeliges Fahrgefühl, so erinnert der Leonardo eher an ein Motorrad. Sehr handlich und trotzdem spurstabil läßt er sich durch den Verkehr zirkeln. Aufgrund der schmalen Bauform gibt es in der Stadt weder hinderliche Staus, noch irgendwelche Parkplatzsorgen. Mit der nötigen Sorgfalt kann man sich an jeder Ampel in die erste Reihe mogeln (ja, ich weiß, es ist illegal!), und die 12 PS sorgen für eine ausreichend starke Beschleunigung, um den Stau schnell hinter sich zu lassen. Durch die gute Schalldämpfung fällt man dabei noch nicht einmal besonders auf. Krawallbrüder und -schwestern gibt es bekanntermaßen ja auch so schon genug.

Hört bei einem kleinen Roller der Spaß auf der Landstraße schnell auf, so fühlt man sich mit dem Leonardo hier richtig wohl. Problemlos erreicht er die 100 km/h, mit denen es sich auf der Landstraße gut mitschwimmen läßt. Macht man sich hinter der winzigen Cockpitverkleidung ganz klein, schwingt sich der Motorroller zu beachtlichen 120 km/h auf. Das Fahrwerk verkraftet diese Geschwindigkeit problemlos. Auf ebenen Straßen läuft der Roller durch Kurven wie an der sprichwörtlichen Schnur gezogen, und erst hohe Geschwindigkeiten auf schlechten Landstraßen sorgen für eine leichte Unruhe. Schwer zu beherrschen ist das Fahrzeug aber auch dann nicht. Dem Handling kommt der unter dem Trittbrett montierte 9,5 Liter Tank entgegen, der für einen tiefen Schwerpunkt sorgt. Ein sicheres Fahrgefühl auf trockenen und nassen Straßen vermitteln auch die breiten Reifen (130/70 vorne, 140/70 hinten). Mit seinen 12 Zoll Rädern fällt der Roller nicht gleich in jedes Schlagloch, wodurch die Motorradcharakteristik noch unterstützt wird.
Leonardo 125Hat man es gar zu arg angehen lassen, so setzt die Bremsanlage dem forschen Treiben bei Bedarf ein jähes Ende. Über die beiden Handbremshebel läßt sich der Leonardo problemlos zum Stehen bringen. Auch bei unserem Probefahrtroller fiel dabei wieder einmal auf, daß eine neue Bremsanlage erst einmal eingefahren werden muß. Die Bremsleistung stieg mit zunehmender Kilometerzahl deutlich an.
Auf der bequemen Sitzbank des Leonardos läßt es sich selbst auf längeren Strecken gut aushalten und auch der Sozius findet ein angemessenes Plätzchen. Sehr lang gewachsene Zeitgenossen sollten aber unbedingt eine Probefahrt machen, da sie möglicherweise bei der Unterbringung der Beine Probleme bekommen. Fährt man mit zwei Erwachsenen auf dem Roller, so müssen die hinteren Federbeine mit dem im Bordwerkzeug enthaltenen Hakenschlüssel vorgespannt werden. Diese in zwei Minuten erledigte Arbeit verhindert wirkungsvoll das Durchschlagen der Federung beim Überfahren von Bordsteinkanten und ähnlichen Hindernissen.
Die ganz große Stunde des Leonardo 125 schlägt jedoch beim täglichen Einkauf. Da kommt man mit seinem Einkaufswagen, beladen mit einer Menge Lebensmittel, zum Roller geschoben und grinst innerlich über die Muttis, die ihre Plastiktüten mühsam am Fahrrad verstauen. Man entriegelt das Schloß am Rollerheck und klappt cool die Sitzbank nach vorne. Dann stopft man bequem den ganzen Einkauf in das darunter liegende große Ablagefach und klappt den Sitz wieder herunter. Wo bei anderen Rollern der Tank sitzt, hat der Leonardo ganz einfach Platz. Das als Extra lieferbare Topcase macht dennoch Sinn, denn damit bekommt ein Junggeselle auch den Wochen-Einkauf locker verstaut. Ebenfalls als Extra ist ein lenkerfestes Windschild lieferbar, das den Wetterschutz auf dem Roller noch erhöht.
Leonardo 125Auch die weitere Ausstattung des Aprilia Rollers kann sich durchaus sehen lassen. So ist zum Beispiel das Cockpit besser ausgestattet als bei vielen Motorrädern. Wassertemperaturanzeige, Tankanzeige, Reservekontrolleuchte, Licht- und Fernlichtkontrolle, Öldruck- und Blinkerwarnleuchte, Kilometerzähler, Tacho und Digitaluhr. Lediglich ein Tageskilometerzähler fehlt. Der Doppelscheinwerfer, bei dem ständig beide Lampen leuchten dürfen, bietet auch Nachts eine passable Fahrbahnausleuchtung, und die Spiegel bieten eine gute Rücksicht. Es gibt serienmäßig einen einfach zu bedienenden Haupt- und einen Seitenständer und die Trittbrettauflagen lassen sich zur besseren Reinigung ausknöpfen. Ein Haken unterhalb des Cockpits ermöglicht das Einhängen einer Einkaufstasche, damit diese nicht vom Trittbrett rutscht.
Alle 6.000 km muß der Leonardo zur Inspektion. Technisch Interessierte bekommen aber auch so über zwei herausnehmbare Seitenblenden Zugang zum Motor. Doch Vorsicht, auch wenn das Handbuch gute Tips zur Wartung gibt, sollten Unbedarfte lieber den Fachmann ranlassen. Eine Warnung geht auch an alle Klasse 3 Führerscheinbesitzer, die mit einem motorisierten Zweirad noch keine Erfahrung haben. Nehmt lieber noch eine Fahrstunde auf einer 125er oder übt bei einem Sicherheitstraining (ADAC u.a.) den Umgang mit dem Krad! Auch wenn der Leonardo einfach zu beherrschen ist, so erfordert das sichere Fahren einer 125er die gleiche Konzentration und Übung wie das Fahren eines größeren Motorrades. 60 km/h in der Stadt sind nach wie vor gefährlicher, als 200 km/h auf der Autobahn.
Mir persönlich hat der Aprilia Leonardo 125 von allen Rollern, die ich bisher gefahren habe, am besten gefallen. Die Italiener haben es tatsächlich geschafft, Form und Funktion unter einen Hut zu bekommen, weshalb ich den Preis von 5.950 DM (incl. Nebenkosten) für durchaus akzeptabel halte. Erhältlich ist der Leonardo 125 in den Farben Dunkelblau und Silber.
Fast zu vernachlässigen sind die Betriebskosten, die der 12 PS-Roller verursacht. Die Haftpflichtversicherung kostet 126,80 DM, die Teilkasko mit 300 DM Selbstbeteiligung 85,10 DM (HUK-Coburg bei 100%) im Jahr. Der Benzinverbrauch (Super Plus bleifrei) betrug während unserer Probefahrt vier Liter je 100 Kilometer. Dazu muß ich allerdings gestehen, daß ich den Roller sehr zügig und vor allem auf Überlandfahrten eingesetzt habe. Durch eine gesittetere Fahrweise ließe sich der Verbrauch sicher deutlich senken.
Zum Schluß bleibt noch die Frage nach offenen Wünschen. Als Motorradfahrer wünsche ich mir natürlich mehr Leistung und mehr Hubraum. Wirklich notwendig ist es jedoch nicht und Leonardo tritt schließlich nicht als Superbike an. Aber hat eigentlich schon einmal jemand an einen Motorroller mit 30 oder mehr Pferdestärken gedacht?! Schön wäre es auch, wenn Aprilia den im Handbuch bereits erwähnten Katalysator in die Serie einfließen lassen würde, auch wenn dadurch der Preis noch etwas steigen würde.
Auf jeden Fall macht der Aprilia Leonardo 125 mehr Sinn als manch ein 125er Motorrad. Er bietet einen weit höheren Gebrauchswert und gewiß kein bißchen weniger Fahrspaß!