aus bma 4/11 – Fahrbericht

von Felix Hasselbrink

Aprilia Dorsoduro 1200 Modell 2011Okay, es hat etwas gedauert, bis Aprilia den 1200er-Motor in ein Serienmotorrad eingebaut hat. Aber jetzt ist sie da, die Dorsoduro 1200. Gleichzeitig ist das nun das hub­raumstärkste Bike aus Noale.

Die Dorsoduro 750 war 2009 das meistverkaufte Italo-Bike in Deutschland. Mit ca. 90 PS ist die 750er alles andere als untermotorisiert und spielt in der gleichen Liga wie die Ducati Hypermotard 1100. Aber in der Kategorie der Megamotos hängen die Trauben etwas höher. Andere Firmen bieten Supermotos mit gut 130 PS an. Und was viel wichtiger ist, diese Motorräder haben ab ungefähr 3.500 Umdrehungen stets mehr als 90 Newtonmeter Drehmoment. Das ergibt den Druck von unten, der den eigentlichen Fahrspaß in dieser Kategorie ausmacht. Bereits knapp über 2.000 U/min schiebt der V2 der Dorsoduro 1200 wuchtig nach vorne, da ziehen bereits gut 85 Newtonmeter an der Kette. Beschleunigen aus Stadttempo geht auch im großen Gang ohne Hacken und Ruckeln von statten. Dagegen muss die Dorsoduro 750 stets drehfreudig bewegt werden. Aber die 1200er hat ihn nun, den heißgeliebten Bums von unten, den Schub, der einen mit Schmackes aus den Kurven katapultiert und das Grinsen ins Gesicht zaubert.

Aprilia Dorsoduro 1200 Modell 2011Die alte Weisheit: „Hubraum ist durch nichts zu ersetzen“ gilt auch heute noch. Daran können auch die modernen Elektroniken wie Ride-by-Wire, Einspritztechnik, Multi-Engine-Management und Traktionskontrolle nichts ändern. Zusammen mit ABS ist das alles an diesem Bike verbaut, aber das Herz der Maschine ist und bleibt der Motor. Im Vergleich zur 750er zeigt er deutlich mehr Lebenszeichen, gibt die typischen V2-Vibrationen von sich und erzeugt den kräftigen Bollersound, der einfach zu dieser Motorbauweise gehört.

450 Kubikzentimeter mehr lassen die Aprilia kräftiger und erwachsener auftreten. Selbst im Regenmodus mit weicherem Leistungseinsatz stehen noch 104 PS bei 8.500 U/min zur Verfügung. Zwischen 3.500 bis 7.800 U/min bleibt die Drehmomentkurve stets über 90 Nm. Damit lässt sich schon gut leben. Im Touring-Modus hängt der Twin direkter am Gas und mobilisiert 130 Pferdchen bei 8.800 U/min. Dazu stehen 110 Nm bei 7.400 U/min zur Verfügung. Für den Sportmodus gelten die gleichen Werte, aber hier reagiert der Motor noch spontaner, fast schon etwas aggressiv auf die Befehle der Gashand. Und auffällig ist ein zusätzlicher Leistungsschub, wenn der Drehzahlmesser 6.500 anzeigt, dazu kommen etwas ruppigere Lastwechselreaktionen. Frei dreht der Motor nach oben aus, bis er die Abriegeldrehzahl dicht über 9.000 U/min erreicht. Egal, ob man das Bummeln im Drehzahlkeller oder das Ausdrehen des Twins bevorzugt, die Aprilia beherrscht beide Disziplinen. Die Ingenieure haben sich nicht nur darauf beschränkt, den Hub und die Bohrung zu vergrößern, sondern auf der Basis des bisherigen 750er-Triebwerks wurde sozusagen ein neuer V2 entwickelt. Der Motor ist trotz des stattlichen Hubraumzuwachs kaum größer geworden, hierzu trägt auch der reduzierte Zylinderversatz bei.

Aprilia Dorsoduro 1200 Modell 2011Um eine optimale Verbrennung zu erzielen, spendierten die Techniker der neuen Aprilia zwei Zündkerzen pro Zylinder. In der großen Dorsoduro arbeitet eine verbesserte Elektronik. Für beide Zylinder werden die Daten separat berechnet, und sogar die Steuerzeiten sind ein klein wenig anders.

Die motorgesteuerten Drosselklappen haben einen Durchmesser von 57 Millimeter. Den thermischen Haushalt reduziert bei der großen Dorsoduro ein Ölkühler, der unterhalb des Wasserwärmetauschers montiert ist. Mit dem Ölkühler bringt der 1200er-Motor sechs Kilogramm mehr als der 750er-V2 auf die Waage.

130 PS mobilisiert der 1200er-Motor in der Dorsoduro. Das halten die Verantwortlichen bei Aprilia für die Supermoto, die sie gerne auch Soft Motard nennen, für ausreichend. Auf dem Prüfstand soll das Aggregat in anderer Konfiguration schon 150 PS geleistet haben. Um der höheren Motorleistung gerecht zu werden, hielt Aprilia nur wenige Änderungen am Fahrwerk für nötig. Der Hauptrahmen aus Stahlrohren und die gegossenen Aluminiumseitenteile blieben nahezu unverändert. Lediglich der Lenkkopfwinkel ist leicht anders. Der Heckrahmen wird nun aus Aluminium anstatt Stahl gefertigt, um etwas Gewicht zu sparen. Laut Werksangabe sollen am Fahrwerk vier Kilogramm eingespart worden sein. Die Federelemente entsprechen in der Hardware der Dorsoduro Factory, verfügen aber über eine etwas andere Abstimmung. Sowohl an der Upside-Down-Gabel als auch an dem Federbein mit Ausgleichsbehälter lassen sich Federbasis, Druckstufe und Zugstufe verstellen.

Aprilia Dorsoduro 1200 Modell 2011 CockpitGenauso wie der neue Heckrahmen soll die Auspuffanlage, die nun mit zwei voluminösen Schalldämpfern anstelle des bisherigen Einzeltopfes mit zwei Auslaßöffnungen daherkommt, die Massen im Heck reduzieren. Hier konnte man laut Werksauskunft satte zwei Kilogramm einsparen. Das verschiebt den Schwerpunkt etwas nach unten und nach vorne.

Die aufrechte Sitzposition entspricht der bisherigen Dorsoduro. Aber die Sitzbank macht einen bequemeren Eindruck, obwohl sie nicht anders aussieht. Der Tank hat etwas mehr Volumen spendiert bekommen und ist dadurch ein wenig breiter geworden, was aber nicht stört. Die schlanke Taille blieb erhalten, und der konifizierte Alulenker liegt gut in den Händen. Die breiten Fußrasten bieten einen satten Halt, was mir schon immer sehr gefallen hat. Das Cockpit mit analogem Drehzahlmesser und LCD-Display liegt gut im Blick, und die Rückspiegel erfüllen ihre Aufgabe bestens.

Aprilia Dorsoduro 1200 Modell 2011 MotorschnittzeichnungBei der Pressepräsentation der Dorsoduro in Südeuropa führen uns die Guides über extrem kurvige Straßen in hügeligen Gebieten. Zwischen den Kurven begeistert der V2 mit seiner Sprintfähigkeit, vor den Kurven dürfen dann die Stopper ihr Können zeigen. Die radial angeschlagenen Bremssättel von Brembo beißen kräftig zu und sorgen zusammen mit den 320er-Scheiben für eine ordentliche Verzögerung. Im Gegensatz zur kleineren Dorsoduro hat man bei den Stoppern auf das Wave-Design verzichtet. Das ABS greift erst sehr spät ein. Aprilia hat die Bremshilfe bewußt recht sportlich abgestimmt. Für einen klaren Druckpunkt sorgt eine Handpumpe mit externem Flüssigkeitsbehälter, anders als bei der kleinen Dorsoduro mit den angegossenen Behältern an den Handpumpen.

Nachdem die Pirellis erstmal richtig warmgefahren sind, saust die Aprilia zielgenau um die Ecken und lässt sich dank der langen Federwege auch nicht so sehr vom manchmal schlechten spanischen Asphalt beirren. Die Fahrwerksmodifikationen lassen die Aprilia etwas satter auf der Straße liegen und bescheren ihr eine bessere Stabilität bei höheren Geschwindigkeiten, ohne dass die Handlichkeit nennenswert darunter gelitten hat. Für den größeren Motor hat Aprilia zwar den Tankinhalt um zwei Liter vergrößert, aber zur Reisemaschine ist die Dorsoduro dadurch nicht mutiert. Je nach Fahrweise dürfte die Reichweite so zwischen 150 und 200 Kilometern liegen. Na ja, die kleine Cockpitverkleidung bietet trotz der zusätzlichen Umrandung aus durchsichtigem Plastik nur wenig Windschutz, und so viel bequemer als bei der 750er ist die Sitzbank dann auch nicht, da kommt einem so mancher Tankstopp doch gelegen.

Aprilia Dorsoduro 1200 Modell 2011In der Basisversion kostet die Dorsoduro 1200 11.799 Euro. Bei den Farben hat man die Auswahl zwischen Schwarz und Weiß. ABS und die Traktionskontrolle sind zusammen für einen Aufpreis von 1.000 Euro erhältlich. Das ab­schaltbare Anti-Blockier-System ist wie bei anderen Aprilias recht sportlich abgestimmt und ermöglicht es auch, das Hinterrad etwas zu lupfen. Das ist ja schon von den 750ern her bekannt.

Neu ist die Traktionskontrolle, welche sich in drei Stufen einstellen lässt. Die Elektronik vergleicht die Drehzahl der Räder, und bei zu großer Differenz werden die Drosselklappen leicht geschlossen. Wenn das noch nicht ausreicht, verschiebt das Motormanagement zusätzlich die Zündkurve. Der Eingriff erfolgt spürbar, aber sanft. Wer mit der Supermoto Wheelies fahren will, muss also die Traktionskontrolle vorher ausschalten. Das funktioniert nur im Stand. Im Gegensatz zu den Traktionskontrollen anderer Hersteller ist die Elektronik von Aprilia lernfähig und stellt sich selbst auf andere Reifengrößen und/oder Sekundärübersetzungen ein. Bei den Fotostopps fällt der extrem kleine Wendekreis besonders positiv auf.

Mit der Dorsoduro 1200 und der neuen Tuono setzt Aprilia die aktuelle Strategie fort. Vor fünf Jahren noch be­stand die Motorradpalette aus den Mo­dellen Pegaso 650, Caponord, RSV 1000 und RSV 1000 Tuono, die alle von Yamaha- oder Rotax-Motoren angetrieben wurden. Mit den Typen Dorsoduro 750 und 1200, Mana 850, Shiver 750, RSV4 und R4V Tuono wurde das Angebot komplett erneuert und umfangreicher. Außerdem stammen nun alle Motoren aus eigenem Hause. Für die nahe Zukunft kann man sicherlich weitere Modelle mit dem 1200er-Motor erwarten. Es wäre nicht schwer, den großen Twin in die Shiver zu implantieren.

Auch von einer großen Reiseenduro als Nachfolgemodell für die Caponord und Konkurrenz zur Ducati Multistrada wird gemunkelt.

Technische Daten Aprilia Dorsoduro 1200:

  • Motor: 2 Zylinder, 90 Grad V
  • Bohrung x Hub: 106,0 x 67,8 mm
  • Hubraum: 1.197 ccm
  • Leistung: 130 PS bei 8.700 U/min
  • Drehmoment: 115 Nm bei 7.500 U/min
  • Getriebe: 6 Gänge
  • Sekundärantrieb: Kette
  • Federung vorne: USD-telegabel, Ø 43 mm
  • Federweg vorne: 160 mm
  • Federung hinten: Monofederbein
  • Federweg hinten: 155 mm
  • Reifen vorne: 120/70 R 17
  • Reifen hinten: 180/55 R 17
  • Bremse vorne: 2 x 320 mm Ø
  • 2 x Vierkolbenfestsattel
  • Bremse hinten: 1 x 240 Ø
  • 1 x Einkolbenfestsattel
  • Tankinhalt: 15,0 Liter
  • Radstand: 1.528 mm
  • Sitzhöhe: 870 mm
  • Gewicht getankt: 223 kg
  • Preis: 11.799 Euro