aus Kradblatt 1/15
von Thomas Meyer

 

Zicke oder Bella? Aprilia Caponord, Bj. 2002

 

Aprilia-Caponord-linksEs ist schon eine Weile her, dass dieser Typ in meine Nachbarschaft gezogen ist. Macht ein Heft über italienische Motorräder (www.motalia.de), weiß fast alles über Mopeds, immer am Schrauben, aber ganz nett eigentlich, der Felix Hasselbrink. Irgendwann haben wir einen gemeinsamen Ausflug gemacht, und er hat mich auf seiner Bimota DB2 fahren lassen. Und ich habe mich gefragt, ob ich falsch gelebt habe. Vorbei war die Zeit von 200 Kilometern im Jahr auf einer betagten Honda Transalp. Nach vielen Probefahrten habe ich mir dann eine Ducati Hypermotard gekauft und bin ab sofort fast jeden Tag 100 bis 200 Kilometer gefahren. Und zwar so intensiv, dass an meinem Ellenbogen die Schleimbeutel schlapp machten und ich kaum noch einen Bleistift halten konnte. Schweren Herzens wurde die Hyper wieder verkauft, und ich brauchte etwas anders.

Stundenlanges Geschwafel mit Felix über das optimale Moped für mich hat mich wieder in die Richtung Reiseenduro gebracht. Okay Felix, einen Versuch hast du noch, mich von italienischen Motorrädern zu überzeugen. 100 PS oder so sollten es schon sein. Ducati Multistrada? Toll, sportlich, aber als Gebrauchte noch zu teuer. Guzzi Stelvio? Gefällt mir optisch nicht so. Blieb noch die Aprilia Caponord. Sie war für die Masse der Biker etwas glücklos, wurde ja jetzt aber kräftig aufgefrischt.

Letztes Jahr beim dritten Frielinger Italo-Frühstück habe ich sie dann zum ersten Mal live gesehen. Es war Samstagnachmittag und wir waren noch am Aufbauen. Groß und mächtig, mit Koffern und Handprotektoren, so stand sie vor mir: Aprilia Caponord Rally Raid. Der Eigentümer war so begeistert von seinem besten Stück, ich hab‘ mich gar nicht erst getraut zu fragen, ob ich auch mal fahren darf. Aber eine Sitzprobe mit Frau war drin: „Bequem“, war Susannes Feststellung. „Da fahr‘ ich auch wieder mit dir mit.“

Also die Kleinanzeigen in der Motalia durchforstet und diverse Internetbörsen durchsucht. Und nach einiger Zeit habe ich ein preisgünstiges Modell gefunden: Bei Eitorf, rund 200 Kilometer von Bad Hersfeld entfernt, wurde mir eine zum Kauf angeboten. Keine Rally Raid, kein ABS, aber Baujahr 2002, nur 28.000 Kilometer runter und 3.500 Euro teuer. Also Termin ausgemacht, OBI-Hänger hinten dran und am Samstagmorgen hin.

Der erste Eindruck ist okay. Der zweite Eindruck: Hilfe, ich komme nicht richtig auf die Erde! Nur die Zehenspitzen erreichen den geraden Boden. Also vorsichtig vom Hof gestakst und um die Ecke den Hügel hoch. Probefahrt. Junge, Junge, wie viel Gewicht hat sich da so weit oben versammelt? In der ersten Kurve falle ich fast um. Das ist ein himmelweiter Unterschied zum Spielzeug Hypermotard. Unheimlich kopflastig, das Ding – ich erschrecke richtig. Aber man sitzt wunderbar im Motorrad, aufrecht, locker und entspannt. Jede folgende Kurve gelingt mir etwas besser, der Motor zieht kräftig beim Beschleunigen von unten raus durch. Nichts klappert, nichts rappelt, alles sehr wertig und technisch in Ordnung. Der Sound ist fast schon bayrisch, das gefällt mir weniger.

Aprilia-Caponord-FrontAlso bei der nächsten Gelegenheit rechts in Feldweg und die Bella in Ruhe angeschaut. Leichte Kratzer an der Verkleidung, komische kleine Flecken im Lack, hinterer Reifen abgefahren: nicht perfekt gepflegt, aber auch nicht vergammelt – ein ehrliches Motorrad halt. Aber unheimlich hoch. Wenn sie so auf dem Hauptständer steht, hab‘ ich überhaupt keine Chance, irgendwo Grund zu finden. So ist das, wenn man mit kurzen Beinen durch das Leben kommen muss. Sie gefällt mir, die Chemie stimmt zwischen uns, die will ich haben, also zurück zum Verkäufer.
Doch was ist das? Der Anlasser dreht einmal ächzend die Kurbelwelle rum, und das war’s? Oh Mann, Zündung und Licht angelassen und nun nicht mehr genug Saft im Akku. Jetzt steh‘ ich hier mit 250 Kilogramm edlem, italienischem Maschinenbau mitten in einer Senke auf Schotter und hab‘ Mühe, das Ding nicht umzuschmeißen. Anschieben? Nach zwei Metern gebe ich auf. Anzünden? Kein Feuer dabei, und die Tankanzeige leuchtet ja auch schon auf Reserve. Und das Ganze irgendwo in der Pampa. Kein Haus weit und breit. Google verrät mir, wo ich bin und die Telekom weiß noch die Rufnummer. Bis der Besitzer mich findet, komme ich nochmals ins Überlegen. Schrott und die Finger weg lassen oder haben wollen? Zehn Minuten später starten wir die Capo mit einem Überbrückungskabel. Das Ganze senkt den Preis nochmals, und kurze Zeit später fahre ich die Aprilia über meine Alurampe auf den Anhänger. Die Rampe ist danach Schrott, weil sie das Gewicht der Capo nicht vertragen hat. Und ich bin mir nicht sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben…

Einen neuen Reifen und Batterie später bin ich mit meiner Frau auf der Hausstrecke unterwegs. Das ist wieder wie früher auf der Transe, gemütlich und entspannt die wunderschöne Heimat genießen – zusammen mit seinem Partner. Nur mit mehr Power und mehr Gewicht. Na ja, ich hab‘ ja in den Jahren auch zugelegt. Und viel mehr Lastwechselreaktionen als die Honda hat die Aprilia. Beim Gasanlegen gibt mir Susanne mit dem Helm immer wieder einen mit.

Aprilia-Caponord-BastelstundeZwei Wochen später mache ich eine kleine Voralpenrunde mit alten Freunden. Wir haben eine 125er dabei, deshalb wird’s schön gemütlich. Und saumäßig bequem ist die Caponord. 250 Kilometer am Stück und der Hintern tut immer noch nicht weh. Das ist bei Mitchi auf der 125 Suzuki Enduro anders. Das erste Bier gibt’s für ihn im Stehen!

Dummerweise setzt bei der Capo immer mal wieder die Zündung in schneller gefahrenen Kurven aus. Einfach so. Je weiter wir fahren, desto schlimmer wird’s. Unterm Helm bin ich schwer am Fluchen auf den italienischen Schei… Nach einem Fastzusammenstoß muss ich hinten fahren, weil ich immer mal wieder unberechenbar langsamer werde. Nach dem Tanken ist dann ganz Schluss, sie läuft nicht mehr an. Gott sei Dank lokalisieren wir das Problem im Seitenständerschalter, der einfach überbrückt wird. Später steigt die hintere Bremse beim Pässefahren aus – zu heiß. Ich mag die Caponord, aber lieben tue ich sie noch nicht. Felix fragt schon mal vorsichtig nach einem Bericht über die Capo an, aber ich will nicht.

Während ich früher die Transalp im Winter einfach hab‘ stehen lassen und die Fliegen auf der Verkleidung schimmelten, versuche ich diesmal, die Aprilia zu optimieren. Neue Ruckdämpfer am Hinterrad, einen der beiden Gaszüge tausche ich aus, weil die Einstellschraube abgebrochen war. Spiel aus den Gaszügen entfernt, neuer Schalter am Seitenständer und dazu noch Givi-Kofferhalter montiert. Der Kupplungszylinder wird ebenfalls getauscht, weil er leicht undicht war.

Jetzt kommen wir so langsam zusammen. Zwischen Weihnachten und Neujahr bei 12 Grad machen wir die letzten Kilometer im Jahr 2011. So eine Griffheizung ist nicht schlecht, obwohl ich sie in den letzten 30 Jahren nicht wirklich vermisst habe. Die Autofahrer erschrecken richtig über meine flotte Linie. Na ja, es ist Dezember.
Im Frühjahr auf der Hausstrecke am Eisenberg setzen dann die „Abstandshalter“ an den Fußrasten auf. Das Gewicht der Dicken stört mich nicht mehr. Nur gewachsen bin ich leider nicht. Wenn nun die Koffer dran sind, brauche ich fast einen Kran zum Aufsteigen. Gott sei Dank ist der Seitenständer massiv, und ich kann über die Fußrasten aufsteigen. Die Lastwechselreaktionen sind geringer geworden. Alles passt, die Capo und ich werden immer mehr eins.

Aprilia-Caponord-SchotterUrlaubsplanung: Meine Frau will ans Meer – relaxen und ich in die Berge – Moped fahren. Streit? Ehekrise? Scheidung? Nein. Wie im letzten Jahr geht es wieder nach Italien, Ligurien. Übers Internet buchen wir eine Ferienwohnung in Imperia in der Nähe von Monaco an der Mittelmeerküste. Die Capo kommt wieder auf den Anhänger, so haben wir vor Ort zwei Fahrzeuge. Die Rampe hatte ich im Winter gerichtet und verstärkt.
Am ersten Tag setze ich meine Frau in einem Badeort am Strand ab und verziehe mich in das Hinterland. Innerhalb von nur 50 Kilometern von Meereshöhe auf 1.800 Meter? Das ist hier kein Problem. Ein Problem ist eher, ein gerades Stück Straße zum Überholen zu finden. Kurve an Kurve an Kurve – ein Paradies für Kurvensüchtige wie mich. Der weiße, durchgezogene Mittelstreifen gilt in Italien für Zweiradler nur als Empfehlung, schnell habe ich mich an die italienische Fahrweise gewöhnt. Ab sofort lasse ich die Packtaschen in der Wohnung – die beiden Koffer machen ganz schön breit in der Hüfte. Und hier ist die Capo in ihrem Geläuf: Kurvige Straßen, Beschleunigen, Bremsen alles im zweiten oder dritten Gang so zwischen 2.500 und 5.000 Umdrehungen. Der Motor hat richtig Bums, ruckfrei zieht er unten raus. Und ist eine Gerade zwischen den Kurven, so hat die Fuhre ab 5.000 richtig Biss bis 9.000 U/min.

Dann heißt es feste zupacken, die vorderen Stopper greifen herzhaft zu, während die Hinterradbremse aufgrund der Temperatur wieder mal aussteigt. In Triora treffe ich den einzigen Capo-Fahrer während meiner Reise. Er berichtet in gebrochenem Englisch von den gleichen Problemen. Ab sofort wird hinten nur noch bei ausgehendem Talent gebremst.

Kommen wir zum Fahrwerk/Federung: Egal ob neuer Belag, leichte Verwerfungen im Asphalt, Belagflickerei ohne Bitumen oder ein kleines Schlagloch, nichts holpert, hüpft oder springt. Selbst eine Unebenheit im Scheitelpunkt einer Kurve – die Capo fährt wie an einer Schnur gezogen. Die Gabel bügelt alles weg. Das Gewicht hält das Vorderrad immer am Boden. Ich bin begeistert. Und steigt meine Herzdame zu, wird ganz einfach von außen die Federung hinten vorgespannt.

Selbst kleine Offroad-Einlagen, wie die Strecke zwischen Triora und Mendatica über den Colle Garezzo, klappen super. Stehend bin ich zu vorderradlastig, also fahre ich im Sitzen. Leider geht, wie auf der Küstenstraße im Stop-and-go-Verkehr, die Kühlwassertemperatur hoch. Auf Passhöhe zeigt das umfangreiche Display ungelogen 98 Grad an. Kein Ventilator läuft. Ohne Anzuhalten fahre ich weiter, um ja den Motor abzukühlen. Auf der anderen Seite des Passes bin ich in den Wolken: zehn Meter Sicht. Schweißnass und in Sorge um den Motor freue ich mich über fallende Temperaturen, Wind und nach sechs Kilometern auch wieder über Asphalt. Alles geht gut. Am nächsten Tag erstehe ich im örtlichen Baumarkt einen Lichtschalter mit Kabel für 3,30 Euro und klemme den Ventilator direkt an der Batterie an. Zum Testen muss ich mich nun ja nochmal über den Schotterpass „quälen“. Tolle Sicht bis an die Küste, moderate Wassertemperaturen um 80 Grad und grenzenlose Einsamkeit belohnen mich.

Zurück zum Offroad: Natürlich ist die Capo keine Enduro, aber Schotter oder befestigte Feldwege gehen schon. Die Federung hat alles im Griff, nix schlägt durch, auch setzt nix auf. Ich hab‘ mir nur Gedanken gemacht, wie ich sie wieder in die Senkrechte bekomme, bei einem Umfaller. Mir ist nix eingefallen …

Aprilia-Caponord-rechtsDie Gegend ist die Wucht: Rauf, runter, links, rechts, enge Gebirgstäler, schmale Küstenlandschaft, Palmen, Laubwald, Nadelwälder oder baumlos – alles da. Die Sträßchen sind in einem guten Zustand – ab April auch ohne Schneeketten befahrbar. Die längste Gerade ist maximal 100 Meter lang. Immer wieder mal ein Tunnel zur Soundprobe. In manchen Ecken künden Bremsspuren vor Kurven von Autos, die sportlich bewegt wurden. So komme ich bei meinen Touren durch die Berge an eine Strecke, die von 14 bis 18 Uhr gesperrt ist. Und zwar für ein Training von ganzen zwei (2) kleinen Rallyeteams! Einfach ein Gesperrt-Schild und ein DIN A4-Flyer in italienisch – fertig! Unfassbar! Die Jungs meinen aber, ich könne fahren, weil sie gerade am Schrauben sind. Und so nebenbei: Mitten in der gesperrten Talabfahrt steht dann ein Minibagger, verengt die Fahrbahn und baggert seelenruhig Abwasserkanäle frei.

Auf einmal tauchen bei Carpasio Strohballen zwischen Felsen und Straße auf. Das Aufbauteam erzählt mir von einem Bergrennen am Sonntag: Vom Scooter bis zum Superbike fährt da alles. Eine Klasse für schwere Reiseenduros haben sie aber nicht. Das ist schon eine andere Welt. Geht aber auch…

Überall finden sich in den Tälern malerische Dörfer – guten Kaffee gibt es ebenfalls überall. Espresso für einen Euro, wer trinkt da was anderes? Nur den Wein zum Essen verkneife ich mir. Eigentlich wollte ich abnehmen und viel Salat essen. Klappt aber nicht, die Pasta schmeckt perfekt!

Aprilia-Caponord-CockpitIch bin so jeden zweiten Tag zwischen 100 und 250 Kilometer unterwegs und abends ziemlich kaputt. Ist ganz schön anstrengend, das Schwingen durch die herrliche Landschaft. Tolle Orte sind Rezzo, Pieve di Teco, Triora oder Calizzano. Der Verkehr auf der Küstenstraße nervt extrem, man steht mehr, als dass man fährt. Deshalb benutze ich auch schon mal die Autobahn, um schnell zwei, drei Täler weiter weg zu kommen.

Und die Caponord: Außer der Geschichte mit der Temperatur läuft sie problemlos. Jetzt sind wir wirklich eins. Der Motor begeistert mich, ausreichend Schub in jeder Lage. Bequem für stundenlange Touren, egal ob allein oder zu zweit. Die Bremse hinten werde ich im Winter bestimmt auch noch in den Griff bekommen. Für einen fetteren Sound will ich an zwei gebrauchten Schalldämpfern von eBay etwas herumexperimentieren. Man muss ja was für den Winter zu basteln haben.

Mein Fazit: Die gebe ich nicht mehr her. Wenn sie jetzt nur noch technisch so zuverlässig wird, wie die Transalp. Doch da arbeite ich dran. Jetzt verstehe ich so langsam, warum Liebhaber italienischer Motorräder immer am Schrauben sind. Neben der Optimierung der Schätzchen kann man da nebenbei auch wunderbar vom Job abschalten.

Noch ein Wort zum Navi:
Ich hab mein Pkw-Navi Fabrikat Navigon 40 mit dem Saughalter einfach am Windschild befestigt. Das hat immer gehalten, selbst auf den Schotterwegen. Mein Navi stellt dem Nutzer ein voreingestelltes Motorradroutenprofil zur Verfügung. Genutzt werden dann hauptsächlich landschaftlich schöne Strecken – klasse. Bei der Eingabe einer Route empfiehlt es sich, als Wegpunkte kleine Dörfer zu programmieren. Denn dort führt die Hauptstraße meistens mitten durch. So wird die Anfahrt des Stadtzentrums bei größeren Städten gleich vermieden. Die Karte lasse ich mir mit Fahrtrichtung oben anzeigen und nicht genordet. So kann ich auf den kleinen Strecken in den Bergen erkennen, wie es nach der Kurve weitergeht: fast wie ein Roadbook bei einer Rallye. Für Abenteurer kann ich die Einstellung „kürzeste Strecke“ empfehlen. Gerade in Italien wird man so in den Bergen über einfachste Sträßchen oder auch mal über eine (nicht gesperrte) Offroad-Strecke geschickt.

Nicht bewährt hat sich, das Navi im Tankrucksack unterzubringen. Es spiegelt, und man muss den Kopf zu tief senken, um etwas zu erkennen. Der Blick wird zu sehr von der Straße abgelenkt. Nach vier Stunden war der Akku leer, das Navi muss in den Bergen mit den vielen Kurven viel rechnen. An der Capo gibt es eine 12 V-Steckdose. Der Betrieb mit Ladekabel funktioniert auch während der Fahrt problemlos. Aber zur groben Orientierung oder Routenplanung habe ich immer wieder auf die gute, alte Karte zurückgegriffen.

 

 Für diesen Artikel geht unser Dank an die Motalia, in der er bereits erschienen ist: www.motalia.de