aus bma 7/13
von Felix Hasselbrink, www.motalia.de

Aprilia Caponord 1200 ABSWährend der Markt der Superbikes immer kleiner wird, sich immer weniger Käufer für Brenneisen mit bis zu 200 PS entscheiden, wächst die Kundschaft der Tourer und Reiseenduros. Topseller in dem Segment ist bekanntlich die BMW R 1200 GS, aber auch die Ducati Multistrada und die Triumph Tiger verkaufen sich gut. Da ist es fast schon verwunderlich, dass Aprilia sich so viel Zeit ließ, ein entsprechendes Nachfolgemodell für die Caponord 1000 anzubieten. Aber jetzt ist es soweit.

Caponord – Nordkap, bei diesem Namen sollen Reisegelüste aufkommen. Es gab schon einmal ein Aprilia-Modell mit dieser Bezeichnung, damals sorgte der V2-Rotax-Motor mit einem Liter Hubraum für den Vortrieb. Nachdem das Motorrad nicht mehr gebaut wurde, hatte Aprilia lange kein Tourenmodell mehr im Programm. Diese Lücke füllt ab sofort die neue Caponord, welche auf Basis der Dorsoduro 1200 entstand. Bei Aprilia machte man es sich aber nicht so einfach, lediglich Verkleidung, große Sitzbank und Koffer anzubauen. Nein, das halbe Motorrad wurde überarbeitet, zahlreiche Details verändert, und in dieser Maschine bietet Aprilia erstmalig ein semiaktives Fahrwerk als Option an.

Die offizielle Premiere feierte die Maschine auf der EICMA im letzten November. Dort konnte man zwei Vorserienmodelle in den Farben Schwarz und Weiß bewundern. Bis zur jetzigen Serienreife gab es aber noch einige Veränderungen, und Mitte März standen die ersten Fahrzeuge für die Pressepräsentation auf italienischen Insel Sardinien bereit.

Aprilia Caponord 1200 ABSSchon beim ersten Rundgang um das Motorrad fielen diverse Neuerungen auf. Da ist zum einen der zusätzliche Spritzschutz am Hinterrad, ähnlich wie bei der Multistrada, bestimmt nicht jedermanns Geschmack, aber sicherlich zweckdienlich und im Zweifelsfall einfach zu demontieren. Ebenfalls neu gestaltet ist der Bereich vor dem Motor mit einem deutlich größeren Wasserkühler. Der Ölkühler wanderte deshalb weiter nach unten, und komplett neu sind seitliche Plastikverkleidungen in diesem Bereich. Dadurch ist insgesamt etwas weniger vom Motor zu sehen, er ist aber nicht so verdeckt, wie bei manch anderem italienischen V2-Motorrad. Der V2 ist aus der Dorsoduro bekannt. Dort gilt er als äußerst druckvoll aber auch als etwas durstig, was der Supermoto mit dem kleinen Tank nur eine eingeschränkte Reichweite beschert. Aber ein Tourer sollte möglichst Etappen von 300 Kilometern schaffen, man will ja auf der Reise nicht von Tankstelle zu Tankstelle fahren. Also machten sich die Techniker daran, den Treibstoffkonsum zu senken und sprechen von einer Reduzierung um die 20 Prozent. Neue Drosselklappen haben einen von 57 auf 52 Millimeter reduzierten Durchmesser, und zwei anstatt einer Einspritzdüse pro Zylinder sollen für eine bessere Effizienz sorgen. Dazu programmierten die Ingenieure ein neues Mapping. Und schlussendlich wurde eine längere, drehzahlsenkende Sekundärübersetzung verbaut.

Auf dem Papier leistet die Caponord 125 PS, der nominelle Unterschied zur Dorsoduro mit 130 PS ist also gering, dafür liegt die Maximalleistung bereits bei 8.000 U/min an. Im Fahrbetrieb wirkt die Capo etwas träger, was zum einen in dem höheren Gewicht begründet ist, und ebenfalls die längere Übersetzung macht sich bemerkbar. Aber auch die Grundauslegung ist anders: Die Mappings sind zahmer programmiert. So bietet die Supermoto im Sportmodus eine recht aggressive Leistungsentfaltung, so spontan, dass viele Besitzer den Touringmodus vorziehen, den Sportmodus gar nicht verwenden. Bei der Capo entspricht der Sportmodus in etwa dem Touringmodus der DoppelD, und damit lässt sich flott fahren. Die Touringeinstellung des neuen Modells ist mehr fürs Reisen gedacht, und der Regenmodus erklärt sich von selbst. In diesem wird die Spitzenleistung auf 100 PS begrenzt, und die Drosselklappen öffnen langsamer. Mir passt für die Probefahrten die Sporteinstellung am besten.

Aprilia Caponord 1200 ABSDie interessanteste Neuerung an der Caponord ist die semiaktive Federung, bei deren Entwicklung Aprilia vier Patente angemeldet hat. Auf die Details einzugehen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Wie bei der Ducati Multistrada stehen als Grundeinstellung vier vordefinierte Beladungszustände zur Auswahl (Fahrer, Fahrer mit Gepäck, zwei Personen, zwei Personen mit Gepäck).

Bei der Pressepräsentation sind die Maschinen auf eine Person mit Gepäck voreingestellt. Schon auf den ersten Kilometern ist zu merken, dass das Fahrwerk recht komfortabel arbeitet. Die Bremsschwellen vorm Hotel werden gut weggedämpft, auch tiefe Schlaglöcher verlieren ihren Schrecken. So lässt sich sicherlich auch auf schlechten Straßen prima reisen. 

Aber für eine sportliche Fahrweise ist die Dämpfung zu soft. Da muss man entweder die Federvorspannung dadurch erhöhen, dass man auf Zweipersonenbetrieb wechselt, oder man wählt den Automatikmodus, in dem sich die Federelemente automatisch der Belastung anpassen. Das bietet im Moment in dieser Art nur Aprilia. Jetzt werden Bodenunebenheiten nicht mehr ganz so sanft aufgefangen, aber die Maschine fährt deutlich zielgenauer, lässt leichter Kurskorrekturen in Kurven zu und vermittelt ein sicheres Fahrgefühl bei höherem Tempo in Schräglage. Aus dem kom­moden Tourer ist schlagartig ein Sporttourer geworden. Da kann man mal wieder deutlich sehen, was für Auswirkungen unterschiedliche Dämpfungseinstellungen auf das Fahrverhalten haben. Na ja, jede fest definierte Voreinstellung ist nur ein Kompromiss, da ist diese selbstständige, aktive Veränderung der Vorspannung im Automodus schon ein Fortschritt.

Aprilia Caponord 1200 ABS BremseDas semiaktive Fahrwerk verarbeitet die Informationen diverser Sensoren, erfährt wann beschleunigt und gebremst wird und steuert den typischen Reaktionen entgegen. Nickbewegungen beim Gasgeben und Bremsen werden deutlich reduziert, und beim starken Bremsen wird die Gabel automatisch straffer und taucht nicht so weit ein. Das sorgt für verbesserte Stabilität, und die Linie lässt sich besser halten. Stichwort Bremsen: Selbstverständlich ist ein ABS an Bord, die vorderen Stopper lassen sich gut dosieren, und auch die Hinterradbremse bietet eine überdurchschnittliche Ver­­zögerung. 

Im Sportmodus und mit erhöhter Federvorspannung eignet sich die Reisemaschine zum Kurvenräubern auf sardinischen Küstenstraßen. Klar, 265 Kilogramm vollgetankt lassen sich nicht verleugnen, aber man ist doch schon recht flott unterwegs, ohne sich anstrengen zu müssen. Nein, zum Kraftakt artet das Kurvenwedeln nicht aus. 

Der Twin gibt deutliche Lebensgeräusche von sich, bollert beim Beschleunigen kräftig, macht aber nicht durch störende Vibrationen auf sich aufmerksam. Die Leistungsabgabe erfolgt gleichmäßig, doch ab 6.000 U/min wird der V2 spürbar drehfreudiger.

Das Getriebe lässt sich einwandfrei bedienen, nur die Kupplung dürfte etwas leichtgängiger zu betätigen sein. 

Hinter dem manuell verstellbaren Windschild genießt man einen ordentlichen Windschutz. Mit dem breiten Lenker lässt sich die Maschine leicht dirigieren und die bequeme, große Sitzbank sowie die gut platzierten Fußrasten lassen große Etappen möglich erscheinen. 

Aprilia Caponord 1200 ABSDas völlig neue Cockpit bietet zahlreiche Infos, aber das lässt sich noch toppen: Als weiteres technisches Feature ist es mit einem Zusatzmodul möglich, ein iPhone als Zweitdisplay anzuschließen. Damit können neben Navigation, Datenaufzeichnung und anderem so viele Zusatzinformationen angezeigt werden, wie es bisher bei keinem anderen Motorrad möglich war: Verbrauch und Schräglagenwinkel kann man sich genauso anzeigen lassen, wie den nächstgelegenen Aprilia-Händler. Wer in einer fremden Stadt sein Motorrad nicht wiederfindet, dem hilft das iPhone mit der automatischen Anzeige des Parkplatzes im Navi-Modus. Und auf Knopfdruck wird stets die Entfernung zum Nordkap angezeigt.

Die Basisversion der neuen Caponord mit mehrstufiger Traktionskontrolle und ABS wiegt vollgetankt 251 Kilogramm. Daneben gibt es die Ausführung Travel Pack mit dem semiaktiven Fahrwerk, Tempomat, Koffern und Hauptständer, diese stemmt 265 Kilo auf die Waage. Das zulässige Gesamtgewicht beträgt 460 kg. 

Die Caponord ist für 13.790 Euro erhältlich, für die Mehrausstattung des Travel Pack sind 2.400 Euro Aufpreis zu veranschlagen. Zuerst werden die Farbversionen Grau und Weiß produziert. Wer lieber eine rote Maschine hätte, muss sich noch etwas gedulden.

Aprilia setzt viel Hoffungen in die neue Maschine, und plant, in diesem Jahr in Deutschland 400 Käufer für dieses Modell begeistern zu können. Das ist sicher ein hoch gestecktes Ziel. Aprilia fehlen Image und Tradition, so wie sie BMW, Ducati und Moto Guzzi haben. Es gibt keine eingeschworene Fangemeinde, und beim Händlernetz sowie Marketing ist Verbesserungspotenzial zu erkennen. Dazu wurden in der Vergangenheit ein paar Fehler gemacht, die dem Ruf der Marke nicht unbedingt geholfen haben. Das ist schade, denn die Caponord hat eine Chance verdient. Wer sich für ein Motorrad dieser Kategorie interessiert, sollte unbedingt einmal eine Probefahrt mit der neuen Aprilia machen. 

Technische Daten:  

Aprilia Caponord 1200 Travel Pack

  • Motor: 2 Zylinder, 90 Grad V
  • Bohrung x Hub: 106,0 x 67,8 mm
  • Hubraum: 1.197 cm³
  • Leistung: 125 PS bei 8.000 U/min
  • Drehmoment: 115,0 Nm bei 6.800 U/min
  • Getriebe: 6 Gänge
  • Sekundärantrieb: Kette
  • Federung vorne: USD-Telegabel, Ø 43 mm
  • Federweg vorne: 167 mm
  • Federung hinten: Monofederbein
  • Federweg hinten: 150 mm
  • Reifen vorne: 120/70 ZR 17
  • Reifen hinten: 180/55 ZR 17
  • Bremse vorne: 2 x 320 mm Ø
  • 2 x Vierkolbenfestsattel
  • Bremse hinten: 1 x 240 mm Ø
  • 1 x Einkolbenschwimmsattel
  • Tankinhalt: 24,0 Liter
  • Radstand: 1.555 mm
  • Sitzhöhe: 840 mm
  • Gewicht getankt: 265 kg
  • Preis 2013: 16.190 Euro