aus bma 12/01

von E. Grygas

Schloss Storkau steht direkt an der Elbe, ein paar Kilometer östlich von Stendal und das liegt etwa 100 Kilometer westlich von Berlin. Drum herum breitet sich die Altmark aus. Dort gibt es keine Berge und Pässe, kein Meer und keinen Strand und auch sonst nichts was Besucher in Scharen herbei lockt. Beruflich musste ich aber im Juni wieder mal für eine Woche dorthin. Klaus und ich hatten uns länger nicht mehr gesehen und beschlossen uns dort zu treffen.
Als ich los fahre verspricht das Wetter nur bestes, aber die Elbe ist noch nicht erreicht, da nagelt mich ein Gewitter für zwei Stunden unter einer Brücke fest. Trotzdem halte ich mich an meinen Plan, nehme nicht die Autobahn und folge ab Lauenburg der Elbe aufwärts. Hinter Boizenburg beginnt auf der überraschend kurvigen B 195 mit ihren langen Alleen ein Fahrspaß der erst in Wittenberge endet, als es nach Süden geht. Breit ausgebaut durchzieht die B 189 das Land. Hinter Stendal beginnt dann noch das kleine „Wo geht’s hier bitte nach Storkau?”-Abenteuer. Schließlich ist die neueste Abfahrt gefunden und ich holper über ein paar schlaglöchrige Ortsdurchfahrten zum Schloss am Elbufer.

 

Ich bin freudig überrascht, als Harald auf seiner BMW daher kommt. Wir verabreden eine Feierabendtour. Leider spielt das Wetter nicht mit und uns bleiben nur Sauna und Benzinreden. Den strahlenden Sonnenschein am Mittwoch lassen wir uns dann aber nicht entgehen, machen sehr rechtzeitig Feierabend und trödeln durch die ruhige, beinahe liebliche Landschaft über Arneburg, Busch und Behrendorf bis Werben. Wir wollen auf der anderen Elbseite zurück, wenden uns nach Havelberg und gelangen so auf eine wunderschöne Allee. Überdacht von kräftigen Eichen und begleitet von einem breiten Randstreifen erreicht das Band aus grauem Granit nach mehr als fünf Kilometern kurz hinter Räbel den Fluss. Wir setzen mit der Seilfähre zur anderen Uferseite über.
Ein paar Kilometer fahren wir durch Schilffelder parallel zur Havel und biegen in Kamern nach Klietz ab. Von dort bringt uns eine stille Straße über behäbige Kurven an einem großen, dichten Wald entlang wieder nach Süden. Als wir über die alte Brücke fahren, zeichnet das Abendlicht zur Linken die Türme von Tangermünde dunkel vor den Himmel, während zur Rechten die zwei schlanken Bögen hell aufleuchten. Es ist die wenige hundert Meter stromabwärts stehende neue Brücke. Ein paar Kurven noch um alte Obstbäume herum, dann sind wir zurück.
Freitagmittag verabschiedet Harald sich nach Bremen. Ich ziehe in eine kleine Pension nach Tangermünde um. Klaus hat sich für 16 Uhr angesagt. Bis dahin bummel ich durch die kleine Stadt, werfe einen Blick auf Stadtmauer und Tore, das gotische Rathaus, die Schenke in der ehemaligen Nikolaikirche und verirre mich beinahe auf dem Kopfsteinpflaster in den mittelalterlich geprägten Gassen.
Als Klaus endlich mit dem Auspacken fertig ist, rollen wir auf unseren Mopeds durch die Stadt hinunter zum Hafen und hinauf zur Burg. Bei Eis und Milchkaffee schauen wir von den hohen Mauern über Tanger und Elbe weit ins Land, wie dereinst Kaiser Karl IV. Nach einer Ehrenrunde in die nähere Umgebung lassen wir uns vor dem alten Schulhaus Pferdeäpfel in der Holzmolle (Frikadellen vom Pferd) und Bötel (gefülltes Eisbein) servieren und begießen unser Wiedersehen mit Kuhschwanzbier und Klosterklaus, einem leckeren Kräuterlikör.
Der Abend im Schatten der St. Stephanskirche, die mit ihrem gewaltig aufragenden, von zwei sehr ungleichen Turmhelmen bekrönten Westwerk die Stadtsilhouette bestimmt, wird lang und die Altmark muss am nächsten Morgen auf das Brummen unserer Motorräder eine Weile warten. Dann aber geht es doch los. Wiesen und Äcker dehnen sich bis zu den Wäldern am Horizont aus. Der Klatschmohn leuchtet rot die Feldraine entlang und die Kornblumen lassen ihr Blau über den Roggenfeldern sehen. In langen Reihen stehen Eichen und Linden, Kastanien, Eschen und Birken an der Straße Spalier und skurril geformte Obstbäume setzen sich zu Alleen zusammen. Die lichten Kiefernwälder duften nach Harz und das Rotocker ihrer Stämme leuchtet mild über dem dicken Teppich aus lichtgrünem Moos. Die Orte heißen Jerchel, Buch, Lüderitz und Bismark und haben große Backsteinkirchen an kleinen Marktplätzen.
Wir fahren auf rundrückigen, ausgefahrenen Pflasterstraßen, die eine löchrige Asphaltdecke vergeblich zu bedecken sucht, über Gladigau und Kossebau nach Arendsee, einem kleinen betulichen Luftkurort, in dem wir rasten. Das Land hat sich bislang in sanften Wellen gehoben und gesenkt, in der Altmärkischen Wische hinter Seehausen wird es wieder eben. Bei Dalchau ragt die mächtige Neubauruine eines Reaktors in brutaler Größe aus verwilderten Wiesen auf. Wie zum Ausgleich erheben sich kurz darauf Hügel aus der Ebene, von denen der Blick weit über das hier und da zwischen Bäumen aufblitzende Band der Elbe und die parkähnliche Landschaft geht. Nun folgt die Straße dem Fluss, bis wir nach Tangermünde zurück gekehrt sind.
Sonntagmorgen macht Klaus sich auf den Weg zurück nach Frankfurt. Ich habe mich für ein langes Wochenende entschieden und fahre zunächst nach Süden, nach Jerichow und Parey und dann ein Stück den Elbe-Havel-Kanal entlang. Dann geht es ins Schollene Land. Lichtungen und dichter Wald wechseln sich ab. Die Landstraße zieht Kurve um Kurve. Hinter Rehberg kehrt die Ruhe wieder, und es geht hinab zur Havel. Hinter Havelberg schmiegt sie sich immer näher an die Elbe und mündet schließlich bei Grevsdorf in den Strom. Störche finden in den feuchten Wiesen und Auen Nahrung im Überfluss. Sie haben in Rühstädt auf jedem Dach mindestens eins ihrer großen Nester gebaut.
Gardelegen, Salzwedel, Lüchow – auf Bundesstraßen geht es heimwärts. Allmählich ändert sich die Landschaft. Die Felder werden kleiner, statt Alleen stehen nur Baumreihen an einer Seite, Pflasterstraßen werden selten, Klatschmohn und Kornblume leuchten nur noch hier und da auf. Zwischen Dannenberg und Lüneburg, als letztes Crescendo, eine lange finstere Allee. Dann die Autobahn, der Elbtunnel und nun ist alles wieder anders. Nur der Wind bläst wie immer von vorn.