aus Kradblatt 3/16

Text und Fotos: Conny Wefer
Bearbeitung: penta-media.de

Als Track-Marshal zum MotoGP in Australien

Wima 2015 AustralienDie „International WIMA Rally“ in Australien auf Phillip Island zu besuchen war seit zwei Jahren mein größter Wunsch. Die WIMA = Women’s International Motorcycle Association wurde 1950 von Louise Scherbyn (USA) gegründet und ist der weltweit größte Frauenmotorradclub mit ca. 1500 Frauen aus 21 Nationen. Jedes Jahr findet in einem anderen europäischen Land eine Rally statt, zusätzlich alle 4–6 Jahre in Übersee. Rund 300 Frauen aus aller Welt treffen sich und haben eine Woche Spaß am Motorradfahren, Benzingeplauder, Feiern und daran das Land und die Gebräuche kennenzulernen.

Nun sollte in diesem Jahr dieses Treffen auf Phillip Island stattfinden und im Rahmen dessen lud die australische Präsidentin Moira Stewart alle WIMA Frauen ein, sich als Track Marshal auf der MotoGP zu „verdingen“. Das hatte Moira für uns mit den Managern des Grand Prix Circuit organisiert. 1949 fand die erste offizielle Motorrad-Weltmeisterschaft im Grand Prix Sport statt. Bis dahin gab es nationale und internationale Rennen, z.B. Monza, Isle of Man, Assen und andere.

WIMA internationales Treffen 2015Mein Englisch ist nicht schlecht und reicht um mich zu unterhalten, nicht zu verdursten oder zu verhungern. Was für die Australien-Reise auf mich zukam war jedoch nicht ohne.
Das Visum über das Internet zu beantragen und dafür 18 Seiten in englischem Fachchinesisch auszufüllen war schon eine kleine Herausforderung. Als Zahlungsmittel für das Visum wird lediglich eine Kreditkarte akzeptiert. Da ich noch nie eine besessen hatte, musste ich also zuerst zur Bank. Nach Erhalt der Karte und Onlinezahlung kam das Visum dann auch prompt fünf Minuten später per Mail. Schöne neue Welt.
Der nächste Schritt war auf der „Phillip Island Grand Prix Circuit Seite“ die Bewerbung für den Job als Track Marshal auszufüllen. Boah, das war schon sehr speziell.

Da ich recht spät dran war mit meiner Anmeldung, hatte ich gar nicht mehr damit gerechnet, den Job zu bekommen. Eine Woche vor Abflug bekam ich die ersehnte Mail mit der Zusage, benötigten wurde lediglich noch die ID-Nr. meines Passports.

Hurra, es konnte losgehen! Bremen – Amsterdam – Kuala Lumpur – Melbourne.
Nach einer Nacht bei der Familie meines alten Schulfreundes Andreas, fuhr ich am nächsten Tag mit Auto, Zelt und sonstigem Equipment hinüber nach Phillip Island.
Der Linksverkehr war grundsätzlich kein Problem für mich. Andy hatte am Tag vorher mit mir geübt und mir eingebläut, mich beim Abbiegen und im Kreisverkehr besonders zu konzentrieren und lieber einen Moment länger zu warten, als auf der falschen Fahrbahnseite zu landen. Ich habe mich einfach daran gehalten und hatte keine Probleme.

EinweisungAm Mittwochnachmittag kamen Moria, die ich noch in den tiefen Melbournes eingesammelt hatte, und ich auf dem Gelände der Rennstrecke an. Wir gingen zur Anmeldung und bekamen jeweils ein sogenanntes Marshal Paket. Darin befanden sich eine Schirmmütze, ein oranges Shirt, Aufkleber, ein Track-Book, eine Pudelmütze und vor allem 10 Seiten Informationen und Hinweise. Die Pudelmütze darf keinem Känguru aufgesetzt werden, wenn man es nach dem Bad in der Mikrowelle trocknen will. Die Australier sind in einigen Dingen genauso blöde wie die Amis. Zusätzlich gab es noch zwei Eintrittskarten für meine eventuellen Gäste.

Die Officials haben einen separaten Campground, der 24 Stunden von Security überwacht wird, denn den ganzen Tag ist ja keiner da, wenn alle ihren Job an der Strecke machen.
Wir bauten unsere Zelte auf und so langsam füllte sich der Platz mit den anderen ehrenamtlichen Helfern.
Mit den rund 400 anderen Officials machten wir uns am Donnerstagmittag auf den Weg zum Master Shed. Dort wurden wir in schicke orange Overalls gesteckt.

BergeuebungDanach mussten alle Neuen einen 2-stündigen Einweisungs-Kurs absolvieren. Vorher hatten wir in den 50 Seiten Unterlagen, die uns zugeschickt worden waren, unter anderem schon die Bedeutung der zahlreichen Flaggen gelernt. Während des Kurses wurde uns noch einmal die Bedeutung und Wichtigkeit eingebläut. Danach ging es raus auf die Rennstrecke. Dort warteten in einem Kiesbett zwei Motorräder auf uns.

Wow, was war das? Die wurden kurzerhand umgeschmissen! Anschließend wurde uns gezeigt was dabei zu beachten ist, wenn wir eine verunfallte Mopete von der Strecke holen müssen.

Während des Rennens sind immer Handschuhe zu tragen. Um die Mopete wegzutragen werden Schlaufen vorne und hinten durch die Felgen gelegt; nie durch die Bremsscheiben, denn die sind heiß. Wenn eine Maschine noch rollen kann, wird sie natürlich nicht getragen.

Mehr BierEin Motorrad hinfallen zu lassen, egal ob etwas zerbricht oder nicht, macht auch mal Spaß.
Nachdem das nun alles geübt war, musste ich Moira trotzdem noch mit einigen Fragen löchern. Mein Englisch ist zwar nicht so schlecht, aber ich hatte bei allen „Aussies“ das Gefühl, dass sie beim Sprechen eine Wolldecke im Mund haben, so undeutlich nuscheln sie vor sich hin. Till Schweiger ist gar nichts dagegen. Von daher erschien es mir sicherer, das eine oder andere noch einmal in Ruhe von jemandem erklären zu lassen, die schon mehr Erfahrung mit der Materie sammeln konnte. Bei Moira sind es bereits 10 Jahre. Außerdem ist sie früher selber Side Car Rennen gefahren und deshalb mit den Abläufen gut vertraut.

Da wir am Freitag um 7:15 Uhr am Master Shed antreten mussten wurde der Abend kurz. Also 5:30 Uhr aufstehen, duschen und ab zum Master Shed. Dort bekam ich nach Liste, sauber organisiert, meinen Team Marshal und ein Lunch-
Paket zugeteilt. Mit Kaffee bewaffnet hörten nach der Einteilung 400 Officials erwartungsvoll den Instruktionen ihrer Lead-Marshals zu.

Unsere TonneDie allgemeinen Marshals werden rund um den Kurs an Marshal Kontrollstellen positioniert. Zu ihren Aufgaben gehört die Unterstützung des Fire & Medicine Personals, welches nach einem Unfall die Rennstrecke zu reinigen und die Rennfahrer zu unterstützen hat. Außerdem wird von den Marshals erwartet, die Strecke zwischen den einzelnen Rennen zu überprüfen und Ablagerungen, Steinchen und Splitt, die eine Gefahr für die nächsten Wettbewerber bedeuten könnten, zu entfernen.

Im Team ging es dann mit dem Bus zu unserer Corner. Corner 12, die letzte Kurve vor Start und Ziel. Zu meiner Freude wurde ich mit Elsbeth aus der Schweiz in ein Team eingeteilt, die mir bereits durch die WIMA gut bekannt war. Besser hätte es nicht laufen können.

In unserer Corner stand schon unser Equipment, Mülltonne, Feuerlöscher, Besen, Schlaufen und vor allem Wasser für uns bereit. Die obersten Gebote lauteten, auf uns und unsere Teamkameraden zu achten, insbesondere genug zu trinken und den Sonnenschutz nicht zu vergessen. Nur wenn es uns gut geht, besitzen wir auch die volle Konzentration auf die Strecke und die Fahrer. Und nur dann sind die Fahrer safe. Ihr merkt, die Gehirnwäsche beim Einführungskurs hat gewirkt.

Team Corner 12 Start FinishGleich um 8:20 Uhr fingen auch schon die ersten Trainingsläufe an. Gegen 9 Uhr bekam Brian, unser Team-Marshal, über Funk die Instruktion, das gleich das Safety Car mit den Bossen zur Streckenkontrolle los fährt. Das bedeutet für uns, dass wir mit allem Equipment durch das Kiesbett zur Strecke mussten, um uns aufzustellen. Nun wurde kontrolliert, ob Team und Equipment vollständig sind.

Zurück an unserer Position konnten wir endlich frühstücken, denn wir hatten mittlerweile 10:30 Uhr und außerdem waren gerade 15 Minuten Rennpause. Das Problem ist nämlich, dass man während der Rennen stehen und Handschuhe tragen muss. Man darf auch nicht essen oder fotografieren. Die ganze Aufmerksamkeit hat, laut Konditionierung, der Strecke und den Fahrern zu gelten.

Elsbeth und ich hatten ein super Team erwischt. Wir hatten viel Spaß und vor allem konnten wir noch so einiges von Brian erfahren, der schon seit 20 Jahren diesen Job macht. Was wir unterschätzt hatten, war das ständige Stehen. Das war wirklich anstrengend. Auch der Motorenlärm war enorm. Ohne Ohrstöpsel ging es gar nicht. Ein Hörschaden wäre vorprogrammiert gewesen.

Der Zeitplan war einem Buch zu entnehmen, in dem alles minutiös geplant war. Sogar in welcher Minute welche Sirene zu ertönen hatte. Dieser Plan war so eng gestrickt, dass zwischen den einzelnen Läufen maximal 20 Minuten zur Verfügung standen, um zum meilenweit entfernten WC zu laufen oder andere unvermeidliche Dinge erledigen zu können. Natürlich rennen alle Track-Marshals immer gleichzeitig zur Toilette. Und dann pell dich mal eben aus so einem Overall. Das Rennen dauerte bis 17 Uhr.

Keith Brian Elsbeth ConnyDanach ging es zurück zum Shed, wo frisches Freibier auf uns wartete. Ihr glaubt ja nicht, wie man sich nach so einem Job über ein kühles Blondes freuen kann.
In Australien kostet ein Bier umgerechnet 4 bis 5 Euro, ein Glas Wein mindestens 5 Euro und 50 g Tabak satte 40 Euro. Ich teilte mir meinen aus Deutschland (max. Import 50 g) mitgenommenen Tabak deshalb gut ein und lebte somit, wenn auch nicht ganz freiwillig, ziemlich gesund.

Nach dem Freibier-Genuss mussten wir vom Shed noch zurück zu unserem Campground wandern. Meine Füße behaupten, dass der Weg 5-mal länger war als am Morgen.
Angekommen saßen wir noch in einer gemütlichen Runde mit den WIMAs. Asa (Schweden), Keiko (Japan), Elsbeth (Schweiz), Claudia (Deutschlalnd), Kathy & Moira (Australien). Die Eindrücke vom ersten Renntag waren unfassbar spannend, aufregend, beeindruckend … da gab es viel zu sabbeln.

Der nächste Tag wurde allerdings noch spannender, denn nun standen wir direkt an Start und Ziel gegenüber der Boxengasse. Ich kann mich noch immer darüber ärgern, dass wir nicht fotografieren durften.
Samstagabend gab es für alle ein Barbecue und Bier in rauen Mengen. Am Abend fielen wir alle völlig erschöpft ins Zelt. Den ganzen Tag stehen, die Sonne und die vielen Eindrücke verarbeiten, das bringt auch gestandene Frauen an ihre Leistungsgrenzen.

LeinwandDer Tag der Entscheidung brach an. Am Sonntagmorgen ging es zum letzten Mal frisch geduscht und gestärkt zum Master Shed. Wir bekamen noch einmal, wie auch die Tage zuvor, Lunchpakete und Wasser, Instruktionen, Vorführungen der Flaggen und eine Auffrischung der restlichen Gehirnwäsche.

Wer macht nun heute das Rennen? Rossi? Naja, das Ergebnis kennen wir mittlerweile.
Am Nachmittag startete das Moto 3 Rennen, bei dem wir tatsächlich eine verunfallte Maschine von der Strecke holen mussten. Dem Fahrer ist glücklicherweise nichts passiert.

Es folgte die Moto 2 und dann endlich DAS RENNEN.
Im MotoGP der Königsklasse konnten wir auf der großen Leinwand gegenüber, die Kollision eines Piloten mit einer Möwe verfolgen. Das Publikum hinter uns raunte laut auf. Einige brisante Überholmanöver machten das Rennen bis zum Schluss spannend.

Nachdem alles gelaufen war und die Fahrer wieder in der Boxengasse waren, wurden die Durchgänge der Absperrungen geöffnet, so dass die Zuschauer über den Track zum Sieger-Podest laufen konnten.
Wir gingen zurück zum Master Shed und ließen zum letzten Mal mit unseren Teams ein kühles Bier durch unsere Kehlen rinnen. Von den Lead-Marshals gab es noch ein offizielles „Thanks“ an die International Officials der ­WIMA-Ladys aus Übersee. Es gab tränenreiche Abschiede und Adressen wurden ausgetauscht. Mit Brian bin ich weiterhin in Kontakt.

Es waren wunderbare Momente den MotoGP in Australien so nah und live miterleben zu können und zu dürfen. Unbeschreiblich. Ich könnte noch seitenweise davon schwärmen. Jeden Tag wurde mein Grinsen breiter, die Füße runder und das Heimweh kleiner.
Ihr möchtet es auch mal erleben? Alle Infos gibt’s unter Women’s International Motorcycle Association.

Frauen im Motorrad-Sport (unvollständig)

Ehemalige:

  • Gertrude Eisenmann (1908–1961) „Meisterin des Motorrads“ (Deutschland) belegte bereits 1905 erste Plätze bei Fernfahrten.
  • Inge Stoll (Deutschland, 1930–1958) ist die erste Frau, die im GP-Sport Punkte errang, als Beifahrerin in einem Norton-Gespann. Plätze: 1952: 5; 1953: 3; 1954: 7; 1955: 4; 1956: 11; 1957: 9; 1958 verunglückte sie tödlich bei einem Rennen in Brünn.
  • Katja Poensgen (Deutschland, geb. 1976) ist die einzige Motorrad-Rennfahrerin, die in der 250 cm³-Klasse Punkte einfuhr. Sie startete in den Saisons 2001 und 2003 und wurde 2001 beim italienischen Grand Prix in Mugello Vierzehnte.
  • Taru Rinne (Finnland, geb. 1968) sammelte insgesamt 25 Punkte in der 125 cm³-Klasse (1988 und 1989). Zweitschnellste im Training zum 1989er Grand Prix von Deutschland.

Aktuelle deutsche Fahrerinnen:

  • Nina Prinz, geb. 1982, Superbike und Langstrecken-WM
  • Lena Eilers, geb. 1997, ADAC-JuniorCup
  • Selina und Sophia Liebschner, geb. 1999 bzw. 2002, Moriwaki-250-Cup
  • Ann-Kathrin Gerdes, geb. 2004, Speedway-Fahrerin