aus bma 10/10
von Katharina Königsmann
Die Allgäu-Orient-Rallye in einem gemischten Team auf vier Rädern war schon 2009 ein Erlebnis für mich. Ein Frauenteam auf zwei Rädern sollte für 2010 schnell zu finden sein, lächerliche 6000 Kilometer vom Allgäu nach Jordanien. Doch das Ding hat mehrere Haken: mindestens 20 Jahre alte Fahrzeuge, Tageslimit 666 Kilometer, kein Navi, ausschließlich Landstraßen in 11 Tagen und für die Übernachtung maximal 11 Euro.
Lang dauerte die Suche nach drei wagemutigen Frauen, die in Jordanien ihre Fahrzeuge dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen spenden. Silke Heimgärtner, Natascha Schmitt und Christina Hindemith machten „die Motorbienen“ komplett. Da sich nicht jede Biene diesen Trip durchgängig auf zwei Rädern zutraute, wagten wir das Abenteuer mit zwei Honda NX 650 und einem Golf Kombi. Unsere Route: Oberstaufen – Österreich -Ungarn – Serbien – Bulgarien – Griechenland – Tü̈rkei – Syrien – Jordanien.
30. April 2010. Aufgeregt formieren wir uns zwischen bunt geschmückten Autos. Es herrscht eine lockere Stimmung unter den 96 Teams. Wir sind eher die Exoten zwischen 246 alten Autos, begeben sich doch nur 10 Motorräder auf den Weg in den Nahen Osten. Mit Aushändigung des Roadbooks fällt endlich der Startschuss für die lang ersehnte Reise.
Blechlawinen in Deutschland und Österreich, alle 200 Kilometer tanken und dann noch eine zickende Domina, machten unseren ersten Rallyetag nicht zum Kilometerfresser. Mitternacht, die Hände vibrieren, der Hintern brennt. Nach 596 Kilometern und 14 Stunden auf den Motorrädern sind die Augen müde. Den Mädels im Golf geht’s ähnlich – wir brauchen eine Bleibe. Nah bei Graz, dröhnt Partymucke aus einer Kneipe. Frech in Endurostiefeln stehe ich zwischen angetrunkenen Männern: „Wir sind vier Frauen und brauchen vier freie Betten“. Sofort kommt aus dem hintersten Eck: „Ich habe vier freie Betten“.
Coole Aktion unsere erste Nacht auf lau. Tages-und Länderaufgaben der „Rallye zur Völkerverständigung“ sind zu den Landstraßenkilometern vorprogrammierter Zeitstress. In den frühen Morgenstunden reisen wir bei Heiligenkreuz nach Ungarn ein. Tieffliegende Störche, alte Bauernkarren und freundliche Menschen lassen uns Ungarn genießen. Die schwarze Domina läuft wieder einwandfrei, ein Knick in der Benzinleitung war Schuld an ihrem Stottern.
Doch das mit dem Kartenlesen müssen wir noch üben, der Grenzübergang Horgos ist nur für Serben geöffnet. Leichter Umweg von einer Stunde, dafür Motorradspaß entlang der wilden Tisza, die zwischen Novi Sad und Belgrad in die Donau mündet. Doch auch in Serbien geht die Sonne unter, unser Tageslimit ist kurz hinter Novi Sad erreicht und zum Zelten in dieser Gegend ist nicht jede Motorbiene bereit. Rettung kommt von den Jungs vom Team 103, ein Vierbettzimmer im Dorf Star Pazova mit serbischer Grillplatte, Schnaps und Bier. Spät dran sind wir an diesem Sonnenmorgen, leichter Kater lässt erstmalig die Wahl zwischen Moped und Auto leichter fallen…
Unsere Konzentration soll sich am dritten Rallyetag nicht nur auf die Strecke beschränken: Mädels, Augen auf für ein Fußballtor. Buntes Markttreiben, kreuzende Schafherden und chaotisches Verfahren in Belgrad lässt unsere Hoffnung auf bolzende Jungs am Straßenrand dahinschwinden. Plötzlich ist es da, das schönste Fußballtor der Welt. Hut ab vor den fleißigen Bienen, alle Fahrzeuge im Tor, serbische Flagge und Fotoapparate parat, als ich schweißtriefend vom Hände-und-Füße-Gespräch mit neugieriger Familie im Schlepptau und Fußball in der Hand mein Team erreiche. Weiter über die Ausläufer der Karpaten werden Kurventräume Wirklichkeit. Der Lastengolf quält sich, die Mädels auf den Dominas heizen, vorbei geht’s an rauschenden Wasserfällen und verwunschenen Dörfern.
Schneller Nationalflaggenwechsel an unseren Fahrzeugen und kurzer Erlebnisaustausch mit anderen Teams am bulgarischen Grenzübergang Dimitrovgrad. Viel Zeit hat man nicht an diesem unbürokratischen Grenzübergang. Schlagartig ist die relaxte Fahrt vorbei. E 80, Lkw an Lkw… 57 Kilometer bis Sofia, das Auto wird zur Bremse. Schlaglöcher in nicht geahnter Dimension machen sich im Scheinwerferlicht auf der Strecke nach Plovdiv breit. Stundenlang irren wir auf der Suche nach einer günstigen Unterkunft durch die einsame Gegend. Kein Zelten, Mehrheitsbeschluss. Scheiß Demokratie!
In Höchstform, kein verkaterter Morgen, starten wir aus Pazgadin Richtung Türkei und der Wechsel der Kulturen wird immer sichtbarer, die Freundlichkeit der Menschen bleibt. Mit Tsatziki und Moussaka, den Ouzo vergessen wir mal, fühlen wir uns fast wie in Deutschland, zum Glück nur fast. Wir reisen über Griechenland/Kastanies in das osmanische Reich ein. Die Türkei begrüßt uns mit langem Grenzkorridor, Maul- und Klauenseuchebecken (juhu, endlich eine Wasserdurchfahrt) und Militärpräsenz. Erstaunlich schnell und freundlich ist der Papierkrieg erledigt. 40 Kilometer vor Istanbul wird der Verkehr zur Katastrophe, wir drängeln energisch um jede Position und erreichen nach 2410 Kilometern den ersten Rallyesammelpunkt. Abenteuerliche Autos mit noch abenteuerlicheren Menschen, gleich einer Szene aus „Mad Max“, tummeln sich auf dem Parkplatz des TV-Senders TRT im Zentrum Istanbuls. Tags darauf erledigen wir unsere Rallyeaufgaben und wie immer ist Pflege der Hondas angesagt. Ein bisschen Öl, ein wenig Kettenspray, sie sind wie der Golf extrem pflegeleicht. Faszinierendes Istanbul, wir genießen das bunte Treiben im „Kapali Carsi“ und tanken in den Parks zwischen den Moscheen auf, denn morgen wird eine Rallye aller Teams vom TRT zur Blauen Moschee stattfinden.
Nach chaotischer Startaufstellung fällt das „GO“ zum Le-Mans-Start. Über zweihundert bunt beklebte Rallyeboliden kämpfen sich hupend und drängelnd durch die Rush Hour der 13 Millionenstadt über die Brücken des goldenen Horns mitten in die touristische Kernzone zwischen Topkapi-Palast, Hagia Sofia und Blauer Moschee. Trotz Autohandicaps fühlen wir uns als die wahren Helden! Nach diesem Adrenalinschub kurze Verschnaufpause auf der Fähre über den Bosporus nach Asien zur Ankaraaufgabe. Der Kontrast zwischen Ankara und Istanbul könnte nicht größer sein. Die türkische Hauptstadt wirkt auf mich organisiert, modern und ziemlich wohlhabend. Auch hier sind die Dimensionen riesig – nach passieren des Schnellstraßenrings fahren wir noch lange bis wir den Hauptsitz des Senders TRT zu Filmaufnahmen erreichen. TsdS, Türkei sucht den Superstar! Geschmückt mit traditionellen Kopfbedeckungen, wackelnd auf den Motorrädern ertönt aus unseren Mündern zaghaft sikedim, sikedim. Alles andere Einstudierte brachte meine Zunge an die Verknotungsgrenze.
Flucht ins tiefste Anatolien zur nächsten Aufgabe. Woher kommst Du? Aus Deutschland? So weit her! Und alles mit dem Motorrad? Wir erregen Aufmerksamkeit und Bewunderung, manch einer kannte Deutschland aus seinem Arbeitsleben.
Unsere Fahrt durch diese fruchtbare Region in Kappadokien, geprägt durch den ruhenden Vulkan Erciyes, ist Genuss pur. Fix finden wir in Kayseri die Sucuk-Wurst, haben leider zum Verweilen auf dem historischen Markt keine Zeit. Orientierungslos schwirren die Bienen umher, wo geht’s nach Gaziantep? Rettung verspricht ein Polizeiauto. Mit Karte und Freundlichkeit bewaffnet wird nach dem Weg gefragt. Die Jungs fackeln nicht lange. Weit bis hinter die Tore der Stadt jagen wir den wilden Ordnungshütern hinterher. Tabu für Geschwindigkeitsbegrenzungen und rote Ampeln. Frauenbonus oder Machogehabe? Egal – der Spaßfaktor ist riesig!
Gaziantep im Südosten der Türkei hat seiner Partnerstadt Duisburg einen eigenen „Sokak“ gewidmet, den Duisburg bulvari. Auch diese Aufgabe ist in der Dunkelheit mit Hilfe Einheimischer schnell erfüllt. Unser Tageskilometerlimit ist erreicht, anderthalb Stunden bis zum Anbruch des nächsten Tages wird mit türkischem Kaffee überbrückt, zur syrischen Grenze/ Azaz ist es nicht mehr weit. Güle güle, du schönes Land. Nun geht es sehr orientalisch zu. 115 Euro pro Benziner, 100 Euro pro Motorrad, Versicherung, Verzollung und Registrierung haben ihren stolzen Preis.
Nach ätzend langem Grenzaufenthalt und 20 schlaflosen Stunden kommen wir nicht weit. Isomatten und Schlafsäcke werden auf’s nächste Feld gepackt, wählerisch ist keine mehr. Wir erwachen inmitten einer syrischen Familie, die verständnislos auf uns blickt. Ein arabisches Schriftstück erklärt ihnen unser Vorhaben, wir lachen miteinander, erzählen uns irgendwelche Geschichten, die niemand versteht und nach kräftigem Händeschütteln sind sie wieder auf ihrem Pick-up. Unser Zeitplan ist irritiert, Endziel bleibt Jordanien. Rollstuhl und Kinderspielzeug müssen in das Kinderheim nach Salamiyah. Heute ist irgendwie nicht unser Navitag, Hitzekoller? Ruhig Bienen, andere Teams irren ähnlich umher.
Kurvige Bergstraßen, staubige Wüstenwege und Beduinen mit ihren Schafherden machen diesen Tag zu einem wahren Erlebnis. Wir beneiden die Syrer ohne Schutzkleidung auf ihren knatternden Mopeds, teilweise mit 4 Mann, auf dem Gepäckträger im Plastikkorb noch Kleinstkinder. Immer hilfsbereit, uns den Weg zu zeigen oder es sich nicht nehmen lassen vorweg zu fahren, wie bis zum Kinderheim.
Schnell werden die Hilfsgü̈ter übergeben, denn die antike Oasenstadt Palmyra ruft. Zu riskant in absoluter Dunkelheit weiter zu fahren, errichten wir unser Nachtlager unter’m Sternenhimmel.
Abrupt ist die morgendliche Stille in der kargen Wüstensteppe dahin, mein Benzinkocher steht in Flammen, da habe ich wohl was falsch gemacht. Wir verzichten auf unser Wüstenfrühstück und nach etlichen Kilometern auf engem Asphalt (manch Motorbiene versucht sich schon mal im Gelände) taucht رمدت wie eine Fata Morgana vor uns auf. Kinder belagern unsere Motorräder, Ehrenrunden werden gedreht und es schert niemanden, dass wir mit den Mopeds zwischen den römischen Ruinen herumkurven. Entlang der alten Karawanenstraße Richtung Damaskus zieht sich die Wüstenlandschaft und schlagartig wird vor den Toren der Stadt die Verkehrsregelung zur echten Herausforderung. Dauerhupen und drauf los….. klappt! Blonde Haare und Motorradklamotten, wir erregen Aufmerksamkeit mitten im bunten Treiben des Bazars und bekommen eine unglaubliche Gastfreundschaft zu spüren. Ein ausgedehntes Nachtmahl und gemütliches Bett bei einer streng gläubigen Familie, auf mein Bier muss ich verzichten. Nach einem Besuch im ältesten Hamam verlassen wir das kulturelle Zentrum des Orients und nächtigen in Deraa, unweit der jordanischen Grenze/Nasib. „Welcome to Jordan“ ertönt es von jedem und ein Erlebnis besonderer Art beginnt. Nicht nur, dass das Motorradfahren in Jordanien ein königliches Privileg ist, ein heißer Sandsturm auf unserer letzten Etappe durch die östliche Wüste zeigt Grenzen. Die Motorradfahrerinnen kämpfen sich in Schräglage gegen die starken Windböen. Teilweise ist es nicht möglich die Geschwindigkeit über 40 zu bringen, von Sicht eh keine Rede. Nach neun Stunden erreichen wir das Wadi, absolutes Highlight unserer Reise. Als Wadi wird ein zeitweilig austrocknender Flusslauf in einem Trockental bezeichnet, auch hier hat der Wüstensturm sein Unwesen getrieben. Weggewehte Wegweiser, dafür sind neue Sanddünen gewachsen. So ne alte Wüstensau lässt erstmal Luft aus den Reifen, doch weit kommen wir auch so nicht. Anfangs ist’s noch spaßig. Die Teams helfen sich gegenseitig, die Fahrzeuge mit Schaufeln oder bloßen Händen aus dem Sand zu graben. Silke und ich gehen mittlerweile eigene Wege. Auf der „Wellblechpiste“ rasen wir durch das Wadi, doch plötzlich auftretender Tiefsand lässt die überschwängliche Freude mit Stürzen und verbogenen Kupplungshebeln enden. In der Dämmerung ist Silke entschwunden, zum Glück leuchten vereinzelte Lichter anderer Teams auf, ich bin nicht alleine!
40 Kilometer in 4 Stunden, wahrlich kein guter Schnitt, ich erreiche schweißgebadet das Wüstencamp. Doch wo sind die anderen Bienen? Militärtrupps werden losgeschickt, der Golf ist festgefahren, wie 50 andere Autos muss auch er die Nacht im Wadi verbringen. Um Mitternacht sind die Motorbienen wieder komplett, das große Wüstenfest beginnt. Am frühen Morgen ist der erste Blick aus dem Beduinenzelt Entschädigung genug für die kurze Nacht und die Strapazen des letzten Tages. Während Natascha und Tina den Golf mit Einheimischen aus der Wüste schleppen, konzentrieren Silke und ich uns auf die Wüstensonderprüfung bei der Kamelrennbahn, ein ebenes hart gepacktes Gelände. Kurs Felsen am Horizont, den Gashahn aufgedreht, acht Kilometer an der Kamelrennbahn vorbei, mehrere Gräben stecken wir locker weg… wir fliegen nur so hinüber – ein Highlight und gleichzeitig das offizielle Ende einer gelungenen Rallye. Danke an unsere Sponsoren, an alle, die vor und während der Rallye mit uns fieberten. Das größte Danke geht an die unzähligen hilfsbereiten, gastfreundlichen, herzlichen Menschen unterwegs, die uns den Weg erklärten oder uns gleich selbst hinführten, uns zum Tee, zum Essen oder sogar zur Übernachtung einluden, für uns übersetzten, die einfach nur Neugierde zeigten, Kontakt mit uns suchten oder uns einfach vom Straßenrand aus zuwinkten. Sie haben diese Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht!
Mehr Bilder, Infos und ein Tagebuch gibt es auf www.die-motorbienen.de.
Kurzinfo zur Rallye:
Die Allgäu-Orient-Rallye ist keine Hightech-Rallye für Pokaljäger. Neben dem guten Zweck, bietet sie Spaß, Abenteuer und den Kontakt zu anderen Kulturen sowie als Hauptgewinn ein echtes Kamel! Leider ist es bisher noch keinem Gewinnerteam gelungen, das Kamel nach Deutschland einzuführen, deshalb wurde es immer zusätzlich zu den Fahrzeugen für einen guten Zweck gespendet. Das Kamel bekommt ein junger Beduine, die Fahrzeuge gehen mit jordanischen Grenzübertritt eigentumsmäßig an die Vereinten Nationen für das World Food Programm WFP über. Der Erlös der verkauften Fahrzeuge fließen auf ein Sperrkonte des WFP und stellt so sicher, dass die Erlöse dem jeweiligen Hilfsprojekt zu gute kommen. Mehr Infos unter www.allgaeu-orient.de
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