aus bma 11/01

von Janina Riedl

AlgerienAlgerien als Urlaubsziel? Für die meisten derzeit sicherlich undenkbar! Seit sechs Jahren ist das Land Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Moslems und der Staatsmacht. Terror, Bomben, Bluttaten und zigtausend Tote – das ist die Schattenseite Algeriens, wie man sie aus den Medien kennt. Aber wie sieht die andere Seite dieses wohl schönsten Staates der Sahara aus? Im Norden regiert der Terror, doch weiter im Süden, herrscht da nicht die Stille der Wüste? Markus, Jürgen, Joe und ich waren überzeugt, dort friedliche Gegenden mit Bildern unermesslicher Schönheit zu finden. „Pas de problem” (Kein Problem), teilt der freundliche Beamte des algerischen Konsulats mit, als wir nach dem Visum fragen. Eine Woche später geht es los. Die Schiffspassage von Genua nach Tunis nutzen wir, um ein letztes Mal die Annehmlichkeiten moderner Zivilisation zu genießen: Essen aus der Kantine, bequeme Kojen und heiße Duschen. Kaum ist das Festland erreicht, starten wir Richtung algerische Grenze durch.
In drei Stunden sind die Einreiseformalitäten erledigt. „Bienvenue en Algerie”, begrüßt uns ein Schild. Wir fahren entlang einer engen Straße, die sich kurvenreich und übersät mit fiesen Schlaglöchern durch kleine Dünentäler windet. Der Tag geht dem Ende zu. Eine uneinsehbare Kurve kommt wie gelegen, und wir schlagen uns querfeldein in die Dünen. Das Nachtlager soll versteckt liegen, sicher ist sicher. Schweigend hocken wir um unser erstes Lagerfeuer, blicken in einen blutrot verfärbten Himmel und lauschen der Stille der Wüste, die vom intensiven Geruch verbrannten Holzes und dem Knistern funkensprühender Flammen untermalt wird. Diese unbeschreibliche Atmosphäre weckt ein Gefühl grenzenloser Freiheit – wirklich unterwegs zu sein draußen im Nichts, fernab vom Stress unserer modernen Hektikwelt.

 

AlgerienKaum sind wir am nächsten Tag zurück auf dem Asphalt, ist es plötzlich aus mit der Freiheit:
Eine Straßensperre schneidet uns abrupt den Weg ab. Vor einem Trupp schwerbewaffneter Soldaten bringen wir die Maschinen zum Stillstand. Bei näherer Betrachtung ist die Sache aber harmloser als befürchtet. Lockeres Hände schütteln. „Bonjour, ca va? Pas de Problem?” (Hallo, wie geht es, keine Probleme?). Mit wachsender Begeisterung wird jedes Motorrad unter die Lupe genommen, die Überprüfung der Pässe ist reine Nebensache. Nach der achten oder neunten Militärkontrolle, allesamt wegen der Vorfälle mit den Extremisten, hören wir auf zu zählen.
Richtung Süden fahren wir auf Hassi Messaoud zu. Diese größte und wichtigste Erdölmetropole des Landes ist schon etliche Kilometer vorher an den am Horizont dunkel aufsteigenden Rauchfahnen der brennenden Erdgasfackeln zu erkennen. Bis Deb Deb liegen nun grob 500 Kilometer vor uns. Dass wir uns nicht auf die Karte verlassen dürfen, weiß ich noch von meiner letzten Algerienreise. Die anscheinend leicht befahrbare Teerstraße verläuft im wahrsten Sinne des Wortes im Sand. Nachdem die Fahrt zunächst entlang weit entfernter Dünenketten führt, kurven wir wenige Stunden später immer tiefer in das Grand Erg-Oriental hinein und sehen aus wie vier winzige Ameisen, die sich in einem unermesslich riesigen Sandhaufen zielstrebig ihren Weg bahnen.
Kurz hinter Rebaa ist wieder Militär postiert. Gastfreundliche Soldaten. Als Empfangscocktail gibt es sogar eine Gratisrunde Sprit und Wasser. Nebenbei erkundigen wir uns nach dem aktuellen Pistenzustand: „Pas de problem”, heißt es selbstverständlich. Was auch sonst? Für die Menschen ist das hier ein Lebensgrundsatz, für uns allerdings ein eher dehnbarer Begriff. Wir machen uns lieber auf das Schlimmste gefasst.
AlgerienUnd richtig, nur einige Kurven weiter stehen ganze Berge von Sand. Es folgen breite, zerwühlte Sandfelder. Anstatt sich mit Vorsicht heranzutasten, will Jürgen jeden Meter mit purer Gewalt bezwingen. Dann geht alles blitzschnell. Sein Motorrad fängt an zu schlingern, schaukelt sich mehr und mehr auf. Das Vorderrad zieht gnadenlos aus der Spur, Jürgen verliert die Kontrolle. In hoch aufpeitschendem Sand und einer dichten Staubwolke geht er zu Boden. Eingeklemmt liegt er unter seiner schweren Maschine begraben. Unverzüglich stürzen wir zu ihm, befreien ihn mit vereinten Kräften von der erdrückenden Last. Seinen rechten Fuß hat es arg erwischt. Starke Schwellung, selbst kleinste Bewegungen verursachen heftige Schmerzen. Unter den Umständen ist an eine Weiterfahrt nicht zu denken. Entlastung und ein kühlender Salbenverband sind momentan das beste Heilrezept. Direkt neben der Piste, versteckt hinter einem hohen Dünenkamm, errichten wir das Krankenlager.
Zwei volle Tage rühren wir uns nicht vom Fleck, dann wird es höchste Zeit, die Zelte abzubrechen. Sämtliche Wasserreserven gehen zur Neige. Jürgens erster Fahrversuch scheitert kläglich. Er kann den Fuß kaum belasten, geschweige denn damit schalten. Wir versuchen die Fußschaltung in eine Handschaltung umzufunktionieren, verlegen vom Schalthebel ein Seil hoch zum Tankrucksack. Eine prima Lösung – genau bis zur nächsten Sandbarriere. Derart schwierige Passagen muss ab jetzt jemand von uns übernehmen. Stück für Stück kämpfen wir uns im Schneckentempo vorwärts. Nach Stunden legen wir ausgepowert an einem Brunnen eine Verschnaufpause ein. Jürgen streikt, will keinen Meter mehr weiter. Wir lassen ihn zurück, um in Deb Deb Hilfe zu organisieren. Angesichts der bevorstehenden Etappe die einzig richtige Entscheidung: 200 Kilometer Offroad pur. Die Straße ist meterhoch verschüttet, wird von den Sandmassen gänzlich verschluckt. Im schwachen Licht der untergehenden Sonne ereichen wir Deb Debs einzige Tankstelle. Mit Händen und Füßen schildern wir dem Chef unser Dilemma. Vom stolzen Besitzer eines 4×4-Pick-Up ernten wir ein schulterzuckendes „Pas de problem …”.
AlgerienIn aller Herrgottsfrühe startet die Rettungsaktion. Der „Wüsten-ADAC” birgt Jürgen samt Motorrad aus den Dünen. Mit einer steinzeitlichen Röntgenmaschine wird Jürgens Fuß im örtlichen Krankenhaus durchleuchtet. Glück gehabt, keine Fraktur. Wir wählen eine fahrerisch leichte Asphaltvariante bis Illizi.
„Wie bitte? Das wegen seiner fußballgroßen Felsbrocken und scharfkantigen Steintrassen gefürchtete &Mac226;Plateau de Fadnoun’ – Hochland des Teufels – ist allen Ernstes geteert?” Ich glaube meinen Ohren nicht zu trauen, als uns zwei Touristen, die wir in Illizi treffen, von der erfreulichen Neuigkeit berichten. Eine gut ausgebaute Straße führt uns durch die von Naturgewalten gezeichnete Mondlandschaft des faszinierenden Tassili-Gebirges. Bis hinunter nach Djanet ist die Strecke zu lang, um sie an einem Tag zu bewältigen. Abseits im Gelände suchen wir uns einen malerischen Übernachtungsplatz.
Mitten in der Nacht werde ich plötzlich durch ein Geräusch aus meinen tiefsten Träumen gerissen. Herannahende Schritte, ganz eindeutig. In Bruchteilen von Sekunden bin ich hellwach, stupse Joe von der Seite an. Die Schritte werden lauter, kommen immer näher! In höchster Alarmbereitschaft liegen wir mit pochenden Herzen in unseren Schlafsäcken, nur darauf wartend, dass ein scharfer Dolch die Zeltwand aufschlitzt und … Doch nichts passiert. Die Schritte entfernen sich wieder. Zurück bleibt nur das Rauschen des Windes und das sachte Klopfen loser Spannriemen an den Motorrädern.
AlgerienIm Morgengrauen entdecken wir tatsächlich Fußspuren um unser Lager. Dann sind wir in Djanet, „die Perle der Oasen”! Prächtige Palmenhaine, Straßenhändler, die ihre Waren auf dem Boden ausgebreitet präsentieren, von Kopf bis Fuß verschleierte Frauen, die unansprechbar durch winzige Gassen huschen. Wir genießen das Markttreiben und lassen uns betören von verführerischen Düften und orientalischem Flair. Drei Tage hält uns dieser romantische Ort in seinem Bann.
Als letzte Herausforderung haben wir uns die so genannte „Gräberpiste” vorgenommen. 500 Kilometer am Rande des Erg Issaouane bis hinauf nach Bordj Omar Driss. Die Strecke bekam ihren Namen von zahlreichen Gräbern entlang ihres Verlaufs. Als bedeutende Kolonialpiste von französischen Truppen auf uralten Karawanenpfaden gebaut, fanden hier zahlreiche Schlachten zwischen Franzosen und Tuaregs statt. Heute wird die Piste höchstens von Saharafreaks und wenigen Nomaden genutzt. Es wird gemunkelt, dass Banditen dort ihr Unwesen treiben. Joe und ich halten das für ein Gerücht, wir wollen uns diese äusserst abwechslungsreiche Strecke keinesfalls entgehen lassen. Markus und Jürgen entschließen sich lieber dazu, über Asphalt nach Tunesien zu fahren. Ausgestattet mit 50 Litern Sprit und Wasserreserven für vier Tage starten wir. Sintflutartige Regengüsse haben die ansonsten ausgetrockneten Flussläufe in heimtückische, steil abbrechende Geschicklichkeitsparcours verwandelt, dafür gedeiht ringsherum üppige Vegetation. Ein bezauberndes, seltenes Naturschauspiel: Die Wüste lebt!
AlgerienUm die Orientierung nicht zu verlieren, bestimmen wir regelmäßig mittels GPS-Gerät und Karte unsere Position. Vor uns liegt eine mehrere Kilometer breite Schwemmtonebene. Durch den Regen ist der Untergrund glitschig wie Schmierseife, beinahe unpassierbar. Das Spiel mit dem Gas erfordert Fingerspitzengefühl, nur etwas zu viel und schon rutscht der Hinterreifen weg. Mehr schlingernd als fahrend bringen wir den „Schlammassel” hinter uns. In flottem Tempo geht es weiter über eine weichsandige Ebene zwischen Buschwerk und Sträuchern. Aus heiterem Himmel schießt von hinten ein Pick-Up heran, überholt uns mit einem Affenzahn. Unmittelbar vor Joe legt der Fahrer eine Vollbremsung hin, zwingt uns zum abrupten Stehenbleiben. Mein erster Gedanke: Banditen! Zwei verschleierte, kräftige Gestalten springen aus dem Wagen, stapfen neugierig blickend um unsere Motorräder herum. Doch Ende gut, alles gut – lediglich zwei Aspirin sind Opfer des „Überfalls”.
Am Rande des Erg Issaouane lassen wir den Tag ausklingen: Mutterseelenallein in der totalen Einsamkeit, einzig umhüllt von unberührten, goldschimmernden Dünen und absoluter Stille. Wir kommen uns vor wie in „1000 und einer Nacht”. Über uns ist der tiefschwarze Himmel, übersät mit unzähligen Sternen, die wie Diamanten am Firnament strahlen.
Der nächste Tag beginnt mit schweißtreibendem Frühsport. Ein weit nach Süden reichender Dünenausläufer riegelt das Tal ab. Irgendwie müssen wir da durch. Zu Fuß sondieren wir den Weg, legen Spuren, um ja nicht an einer Dünenkante abzustürzen oder in einen Dünentrichter zu fallen. Ich probiere mein Glück zuerst. Mit Schwung die erste Düne hinauf, im Zick-Zack-Kurs den schmalen Kämmen entlang und in steiler Achterbahnfahrt hinunter in die Ebene. Geschafft! Joe gibt zu zögerlich Gas. Die KTM gräbt sich gnadenlos ein und versinkt bis zur Achse im Sand. Gepäck abladen, Hinterrad freischaufeln – und auf ein Neues.
Nächster Zielpunkt ist der Brunnen Ain el Hadjadj. Ruinen von Festungen, Gräber, ja selbst uralte Patronenhülsen dokumentieren die einstige Wichtigkeit dieser Wasserstelle. Hier verlassen wir die ursprüngliche Gräberpiste, die nach Westen verläuft, und nehmen eine Route Richtung Norden. Der letzte schwierige Brocken ist die Gara-Khannfoussa-Passage. Der Einstieg wirkt ebenso beeindruckend wie beunruhigend. Die steingepflasterte Pistentrasse wird von den gewaltigenAlgerien Sandbergen des Erg Issaouane verschluckt. Wir reduzieren den Luftdruck und stürzen uns hinein ins Vergnügen. Sand, Sand und nochmals Sand. Noch einmal erhaschen wir einen Blick auf den Gara-Khannfoussa, einen pechschwarzen Geröllberg nach dem dieser Abschnitt benannt ist, und verlassen dann endgültig die Dünen. Nach einer abschließenden Wellblech-Rüttel-Einlage erreichen wir den Militärposten an der Straßenkreuzung nördlich von Bordj Omar Driss. Wir sind schmutzig, staubig, müde, aber absolut in Hochstimmung, weil wir es gepackt haben.
Am abendlichen Lagerfeuer lassen wir die letzten vier Wochen Revue passieren und schwören uns mit den Sternen als Zeugen: Dies war garantiert nicht unser letztes Abenteuer in Algerien. Als unauslöschliche Erinnerungen bleiben einmalige Erlebnisse, Begegnungen mit außerordentlich freundlichen und hilfsbereiten Menschen in einem bezaubernden Land. Und eines steht fest: Eine Tour durch Algerien ist wirklich „pas de problem”.

Reiseinfos:

Land: Fläche 2,4 Mio. qkm; 26 Mio. EW; Bevölkerungsdichte zw. 60 EW/qkm (Norden) u. 0,55 EW/qkm (Süden); ca. 85% des Landes von Wüste bedeckt; Religion – Islam; Sprachen Arabisch und Französisch (Französischkenntnisse ratsam).
Visum: Antragsstellung ca. vier Wochen vor Reisebeginn; Algerische Botschaft, Görschstraße 45-46, 13187 Berlin, Tel. 030/4816170; das Visum kostet DM 60,- und gilt 60 Tage ab Einreisedatum; Antrag per Post möglich;
Einreise: Nationaler Führerschein und Fahrzeugschein reichen aus, Reisepass mit mindestens sechs Monaten Gültigkeit, Visum, internationale grüne Versicherungskarte nicht gültig, Haftpflichtversicherung und Devisendeklaration an der Grenze.
Geld: 1 DM entsprechen etwa 35 DA, kein Zwangsumtausch an der Grenze, 1 l Benzin kostet etwa 20 DA, für die Ein- und Ausfuhr gilt ein Maximum von 50 DA (Stand: März 2000).
Politische Situation: Der Norden wird noch immer als unsicher eingestuft, Reisen in den Süden sind jedoch wieder möglich; viele militärische und Polizeikontrollen; die Kontrollen lassen sich beschleunigen, wenn kopierte Listen mit Fahrzeug- und Personendaten mitgeführt und bereitgehalten werden; es empfiehlt sich, kurz vor der Reise aktuelle Informationen beim Auswärtigen Amt (Referat 311, Postfach 1148, 53001 Bonn, Tel.: 0228/17-3310; http://www.auswaertiges-amt.de) einzuholen.
Anreise: Per Schiff von Genua nach Tunis; Buchung im Hafen von Genua möglich, in der Hauptsaison jedoch Vorausbuchung zu empfehlen; Fahrtdauer ca. 24 Std.; Einreise nach Algerien über Tunesien (Hazoua – Taleb Larbi) oder Libyen (Ghat – Djanet) möglich, die Grenzen nach Mali und Niger sind grundsätzlich offen, die Landgrenze nach Marokko ist gegenwärtig noch geschlossen.
Reisezeit: beste Reisezeit von Anfang Oktober bis Ende Mai; im Sommer unerträglich heiß, im Winter oft kühl und Nachtfrost möglich.
Gesundheit: Standardimpfungen wie Tetanus, Polio, Hepatitis A (B), und Typhus sind empfehlenswert (keine Impfpflicht).
Infrastruktur: Hauptverbindungswege asphaltiert, aber teilweise in schlechtem Zustand, die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist in nahezu allen größeren Orten sichergestellt; abseits der Hauptverbindungswege ist man weitgehend auf sich alleine gestellt.
Übernachtung: unzählige „1000 Sterne Hotels” unter freiem Himmel, in manchen größeren Orten Hotels, einige Campingmöglichkeiten;
Karten: Übersichtskarte Michelin 953 (1:4 Millionen) und 958 (1:1 Millionen) IGN – Kartenblätter (1:500.000 und 1:200.000.
Literatur: Th. Troßmann: „Der Wüste begegnen – mit Motorrad, Auto, Kamel und zu Fuß durch die Sahara”, Verlag Frederking & Thaler // U. und W. Eckert: „Algerische Sahara”, Verlag DuMont // E. Därr: „Durch Afrika”, Verlag Reise Know-How.
Internet-Adressen: www.sahara-info.ch, www.oanda.com, www.elwatan.com.