aus bma 12/00

von Ulf Teschke

Am nächsten Morgen versuche ich mich am Dempster Highway: 700 Kilometer gen Norden durch die Wildnis nach Inuvik. Doch ich komme nicht weit, nach 120 km habe ich einen Plattfuß. „Tja das war’s”,Alaska denke ich, „jetzt kann Dir nur ein Wunder helfen, zum Beispiel ein Abschleppwagen.” Ich schaue zum Horizont und sehe eine Staubwolke. „Bestimmt ein LKW” geht es mir durch den Kopf und beginne, das Gepäck abzubauen und das Rad abzumontieren.
Ich staune nicht schlecht, als plötzlich ein Baufahrzeugtransporter neben mir hält und der Fahrer mich fragt, ob er mir helfen kann. Knapp 30 Minuten später steht statt eines Baggers die BMW auf dem Sattelschlepper. Gut, dass ich mein 25 m langes Seil griffbereit habe und so die Maschine für den Weg zurück nach Dawson gut verzurren kann.
Ron fährt seit drei Jahren LKW für die Provinz. Diesmal ist er mit einem nagelneuen Fahrzeug unterwegs, und ich bin überrascht, wie wenig wir von der Schotterpiste im Führerhäuschen mitbekommen. Bei einem Gespräch über Dawson-City sind wir uns schnell einig, dass eine sich seit langer Zeit in Diskussion befindende Brücke über den Yukon das Stadtbild Dawsons zerstören würde. Und so wird wohl auch in den nächsten Jahren die kostenlose Fähre über den Yukon fahren. Allerdings wird dann bei Eisgang nach wie vor keine Flussüberquerung möglich sein.

 

Ron setzt mich an der Tankstelle in Dawson ab und wenig später kann ich mich auch schon wieder auf den Weg machen. Als am Wegesrand der Hinweis auf die Duncan Gold Dust Mine erscheint, entschließe ich mich zu einer Besichtigung. Charakteristisch ist die völlig zergrabene Landschaft. Ein riesiger Radlader, ein ebensolcher LKW und eine selbstkonstruierte Goldwaschanlage gehören zum Equipment – eine der wenigen Minen, die in Privatbesitz sind. Der Sohn des Besitzers erklärt die Technik und beantwortet geduldig alle Fragen. Die Goldsuchaktivität variiert stark je nach dem aktuellen Goldpreis. Zunehmend müssen auch extrem hohe Umweltauflagen erfüllt werden, so dass sich die Idylle vom Abenteuer Goldschürfen schnell in nüchterne Realität wandelt. Ich kaufe ein paar besonders schöne Nuggets, welche vor unseren Augen per Hand ausgewogen werden. Und zum Schluss dürfen wir noch etwas mit der Pfanne waschen und erkennen, wie mühselig das Geschäft ist. Da es schon spät ist und die einzige Tankstelle der Gegend gleich schließt, muss ich langsam los. Ich möchte nicht einen Tag warten müssen.Alaska
Nun starte ich einen zweiten Versuch, nach Inuvik zu gelangen. Ohne Halt brause ich die ersten 130 km des Dempsters entlang. Später am Wright-Pass ist die Straße völlig aufgeweicht, und um Haaresbreite hätte ich Kontakt mit dem Boden aufgenommen. Es bereitet große Mühe, diese Stelle zu passieren, zumal es ziemlich steil bergauf geht und ich selbst zu Fuß kaum Halt finde. Mir wird zum wiederholten Mal klar, dass ein Jeep wesentliche Vorteile in schlechtem Gelände bietet. Umso mehr freue ich mich, es mit dem Motorrad bis hierher geschafft zu haben.
Kurze Zeit später passiere ich erstmalig die Grenze zu den Northwest Territories und wenig später zum zweiten Mal auf dieser Tour den Polarkreis. Die Fahrt zieht sich durch Berge und Krüppelwald. Die Bäume sind bis zu fünf Meter hoch. Plötzlich sehe ich neben einem Schuppen direkt an der Straße einen Bären stehen. Ich halte sofort an und drehe mich um. Der Bär schaut vorsichtig aus dem Gebüsch auf die Straße. Mein Herz klopft hörbar; „was machst Du, wenn er auf Dich zuspurtet”, frage ich mich. Dann reiße ich den Fotoapparat aus meiner Tasche, verdrehe mir fast den Rücken und löse aus. Der Bär steht mittlerweile auf der Straße. Einen Moment scheint er noch zu überlegen, wer denn da wohl in sein Reich eindringt, bevor er dann doch beschließt, die Flucht zu ergreifen.
Da ich nördlich des Polarkreises bin, dämmert es stundenlang. Erschöpft und total eingestaubt erreiche ich gegen Mitternacht Inuvik. Der Zeltplatz ist im Sommer rund um die Uhr geöffnet, und so baue ich gegen 1 Uhr das Zelt auf. Dave aus Kalifornien beobachtet mich dabei, und da es eine klare Nacht ist, lädt er mich noch zu einem Whiskey an sein Lagerfeuer ein. Obwohl schon etwas müde, stimme ich zu. So sitzen wir also mitten in der Nacht bei herrlich anzusehendem Himmel fast am Polarmeer, wärmen uns am flackernden Feuer und plaudern über dies und das. Herz, was willst Du mehr.
Am nächsten Tag nehme ich mir Zeit für die Besichtigung von Inuvik. Doch der Himmel ist grau, und das Elend der Indianersiedlung lässt bei mir keinen großen Touristenenthusiasmus aufkommen.
Wieder auf dem Weg nach SüdenAlaska
Im Morgengrauen starte ich Richtung Süden und erreiche diesmal rechtzeitig die Fähre über den Mackenzie River. In der Indianersiedlung Fort McPherson möchte ich die Zeltfabrik besichtigen. Da jedoch Sonntag ist, ist die einzige Tipifabrik der Welt geschlossen. Wieder in Dawson, stelle ich fest, dass wegen der Hundertjahrfeiern des Goldrausches alle Zeltplätze voll sind, schließlich campiere ich am sandigen Strand des Yukon.
In der Stadt treffe ich Thorsten aus Hannover. Seit vielen Monaten tourt er jetzt schon durch die Staaten und will nun in Alaskas hohen Norden. Abends vergnügen wir uns in Diamonds Tooths Gerties Gambling Hall. Doch auch an diesem Abend verlassen wir die Stadt wieder als Nichtmillionäre.
Der nächste Tag führt uns zu den Goldfeldern des Klondike. Von diesen ist nicht mehr viel zu sehen. Berge von Schotter und umgeleitete Bäche kennzeichnen die Landschaft. Auch wir können der Versuchung nicht widerstehen und kaufen uns Pfannen zum Gold waschen. Und tatsächlich, nach Stunden schimmert ein goldenes Staubteilchen am Pfannengrund!
Die Tage vergehen, und ich mache mich nun endgültig wieder auf den Weg nach Süden. Fünfeinhalbtausend Kilometer liegen noch vor mir, bis ich in zehn Tagen Annette vom Flughafen in San Francisco abholen muss. Gemeinsam wollen wir dann noch durch Kalifornien touren. Langsam wird es auch Zeit, wärmere Gefilde aufzusuchen, war es letzte Nacht doch schon weit unter null Grad.
Mein Weg führt mich zunächst über Carmacks nach Ross River auf den 220 km langen, noch gut befahrbaren südlichen Teil der Canolroad. Hierbei handelt es sich um eine von der US-Army angelegte Straße, um Öltransporte von Norman Wells (Canadian Oil Road) während des Krieges zu sichern. Über den Cassier Highway erreiche ich schließlich das zweite Mal auf dieser Tour Stewart – dicht an der Grenze von Kanada und dem südlichstem Gebiet Alaskas gelegen. Und auch diesmal bin ich fasziniert von diesem Ort. Die Wildlife Watching Area fünf Kilometer nördlich von Hyder in Alaska zeigt sich ebenfalls von ihrer guten Seite. Unglaublich nah (20 m) sehe ich Bären in aller Ruhe beim Lachsefangen zu. Mein Fotoapparat läuft heiß. Am nächsten Morgen bin ich wieder da, und es fällt mir schwer, die Bärin und ihr Cub zurückzulassen.
Zum vierten Male passiere ich dann den tiefblauen Bären-Gletscher, immer noch bin ich von seinem Anblick tief beeindruckt. Mein weiterer Weg führt mich über Kitwanga, Smithers, Prince George nach Williams Lake. Da ich in den letzten Tagen zügig gefahren bin, kann ich mir den 450 km langen Abstecher durch die BC Coast Mountains nach Bella Coola nicht verkneifen. Bemerkenswert ist, wie die Landschaft und die Straße nach einem endlosem Plateau plötzlich zum Pazifik 16% steil abfällt. Auf 16 Kilometern wird eine Höhendifferenz von 1000 Metern überwunden. Einige halsbrecherische Abschnitte sind dabei. War die Straße sonst befestigt und in gutem Zustand, sind diese 16 km ohne festen Belag und nur einspurig. Am Pazifik erwartet mich dann auch noch Regen, und so fällt es nicht schwer, wieder aufzubrechen.
In Cache Creek entscheide ich mich, über Whistler noch einmal 300 km durch die Berge zu fahren anstatt das gut ausgebaute, autobahnähnliche Straßennetz gen Süden zu nutzen. Ich werde von einer grandiosen Bergwelt belohnt.Alaska
Wenige Stunden später stehe ich staunend in Vancouver – dies ist wirklich eine schöne Stadt. Obwohl ich nun schon das vierte Mal hier bin, staune ich immer noch. Es ist richtig heiß und eine schon fast unbekannte Wärme durchströmt meinen Körper: Der Süden ist erreicht! Und bevor es über die US-Grenze nach Seattle geht, lasse ich es mir nicht nehmen, kurz in den Pazifik einzutauchen.
Mit jedem Kilometer Richtung Süden wird es heißer. Kalifornien scheint nicht mehr weit. Und tatsächlich: im Abendrot passiere ich das ersehnte Schild „Welcome to California”. Bald tauchen auch erste Entfernungsanzeiger für San Francisco auf. Irgendwie hat es etwas Magisches, auf dem eigenen Motorrad Richtung San Francisco zu fahren. Beflügelt von diesem Gefühl, verstreichen die Kilometer noch schneller als an den vorherigen Tagen. Und dann taucht sie tatsächlich aus dem Nebel auf – die Brücke aller Brücken – die Golden Gate Bridge, und ich fahre mit meinem Motorrad darüber – ein herrliches Gefühl. Es ist und bleibt ein Traum, hier zu touren. Und da es so schön ist, fahre ich in den nächsten Tagen noch ein paar mal über diese berühmte Meerenge.
In den nächsten Tagen fahren Annette und ich den Highway Number One die Küste entlang – die legendäre Strecke. Wieviel Artikel habe ich schon darüber gelesen. Und es ist wirklich super. Ein schwerer Sturm scheint hier ziemlich gewütet zu haben, viele Brücken und Straßenabschnitte werden repariert. Es ist immer noch kalt und neblig. Der Pazifik meint es nicht so gut mit uns. Also fahren wir zum Übernachten ins Landesinnere, wo es auch gleich viel wärmer ist.
Los Angeles
Kurz vor Los Angeles empfängt uns ein heißer Wind mit einer Temperatur wie bei einem Fön. Bei weit über 30°C, sind wir froh, im Motel die Lederklamotten los zu werden. In der Stadt wird dann meine Orientierungsfähigkeit immer wieder auf das Höchste gefordert. Jede Kreuzung scheint wie ein Autobahnkreuz ausgebildet zu sein. Als wir in einem spaghettiknäuel-ähnlichen Straßenwust tatsächlich einmal falsch abzweigen, bezahlen wir dies mit einem kilometerweitem Umweg.Alaska
Als Sehenswürdigkeit haben wir uns das Paul-Getty-Center ausgesucht. Erst wenige Monate eröffnet, strahlt es massiv in hellem Stein von einer Bergkuppe. Es ist unerträglich heiß, die zahlreichen sprudelnden Springbrunnen und die klaren Wasserbassins wirken kühlend. Die hellen Fassaden blenden in der Sonne fast. Für amerikansche Verhältnisse ist die Architektur ungewöhnlich gut gelungen. Man hat den Eindruck, hier hat man sich über jeden Stein Gedanken gemacht. Uns fällt außerdem auf, dass nirgens Eintritt verlangt wird, noch nicht einmal für die riesige, in den Berg gebaute Tiefgarage. Wir fahren die schachbrettartig angelegten Straßen ab. Doch das Stadtzentrum, das von vier Autobahnen eingeschlossene Los Angeles Downtown, gibt nicht viel her. Um die Stadt von oben zu sehen, fahren wir in das Aussichtsrestaurant des Arco Towers. Eine üppige Blondine im Minirock (wie im Film – klar, Hollywood ist nicht weit) begrüßt uns. Sie macht ein paar Scherze und kichert dabei. An den Nachbartischen sitzen Geschäftsleute. Wir überlegen, welche Position man wohl erreichen muss, um hier, mehr als 40 Stockwerke über dem Boden, bei leichter Pianomusik und gekünstelter Freundlichkeit der Bedienung entspannt sein Mittagessen zu verzehren.
Durch das Tal des Todes
Unser nächstes Ziel ist Death Valley – das Tal des Todes. Es wird heißer und heißer, je mehr wir uns unserem Ziel nähern. In Baker erkundigen wir uns noch einmal nach dem Wetter und nehmen zusätzlichen Wasservorrat auf. Von über 1000 m hohen Bergkämmen fahren wir ins Tal hinab. Bad Water ist unser erster Halt. Das Thermometer zeigt über 40 Grad. Unsere Lederklamotten sind durchgeschwitzt. Trotzdem wandern wir etwas auf dem glitzernden Salz herum. Tatsächlich, das Wasser schmeckt salzig. Wir befinden uns 70 Meter unter dem Meeresspiegel. Ein Schild in dieser Höhe verweist auf Normal Null. Obwohl die Straßen leer sind, treffen wir hier viele Touristen. Diese flüchten jedoch nach den obligatorischen Fotos schnell wieder in die klimatisierten Autos. Wir fahren weiter, um wenigstens etwas Wind um die Nase zu haben.
Unser Weg führt uns noch über den Artists Drive nach Furnace Creek, der Oase mitten im Tal. Leider ist das Zelten direkt im Camp nicht mehr erlaubt, so dass wir beschließen, den Statezeltplatz anzusteuern. Ein Tankwart will uns unsere Zeltidee ausreden – ohne Erfolg. Wir finden einen leicht erhöhten Platz im Schatten. Selten habe ich mich so gefreut, meine Lederjacke auszuziehen. Während ich von dem Zelt lediglich das Innenzelt aufbaue, nimmt Annette eine Dusche unter dem Trinkwasserhahn. Beim Sprung in den Pool am Abend bleibt die erhoffte Abkühlung leider aus. Das Wasser ist zwar nass aber 34 Grad warm. Nur die Verdunstungskälte bringt ein wenig Abkühlung.
Trotz unerträglicher Wärme schlafen wir – schweissnass – irgendwann ein. Es ist noch dunkel, als wir wieder wach werden. Ein Sturm rüttelt heftig an unserem Zelt. Und was ist das? Ich will meinen Sinnen nicht so recht trauen – ringsum fühlt sich alles so feucht an. Ja, unglaublich aber wahr, es regnet. Das Überzelt muss aufgebaut werden und ich frage mich, ob ich vom Schweiss oder Regen nass werde. Das Thermometer zeigt immer noch 29 Grad.
Es regnet den ganzen nächsten Tag, die Pfützen um das Zelt werden immer größer und arbeiten sich immer näher an das Zelt heran. Das Wasser fließt überhaupt nicht ab, offensichtlich kann der ausgetrocknete Boden keinen Tropfen aufnehmen. Bald kommen wir uns wie auf einer Insel in einem See vor. Gegen Abend tröpfelt es nur noch. Wir waten durch das Wasser und brechen zu einer kurzen Tour durch das Tal nach Norden auf. Teilweise stehen die Straßen unter Wasser, und ich muss aufpassen, nicht zu schnell in zu tiefe Pfützen zu geraten.
Am nächsten Morgen müssen wir schon wieder weiter. Wir fahren eine Anhöhe hinauf und passieren oben ein Schild mit der Aufschrift „Sea Level”, ach ja, wir waren weit unter Null den letzten Tag. Jetzt geht es die Berge hinauf um dieses verrückte Tal wieder zu verlassen. Die zahlreichen Hinweisschilder an Autofahrer, die Klimaanlage nicht einzuschalten und im Notfall das bereitgestellte Kühlerwasser zu nutzen, führt uns noch einmal die extreme Belastung an Mensch und Material vor Augen.
Unser nächstes Ziel ist der Yosemite Park. Am Horizont verdunkelt sich der Himmel, wir ahnen nichts Gutes. Kaum haben wir den 3000 m hohen Pass nahe der Frostgrenze am Eingang des Parks hinter uns gelassen, regnet es wie aus Kannen. Eben fühlten wir uns fast noch gekocht, jetzt ist es so kalt, dass die Finger klamm werden und sich kaum bewegen lassen. Ein Blick auf die Zeltplätze erscheint uns wie ein schlechter Film. Alles steht knöcheltief unter Wasser, mittendrin ein paar Zelte. Fassungslos machen wir uns auf die Suche nach Alternativen und finden als Quartier ein Armyzelt mit Holzofen und Schornstein zum stolzen Preis von 80 DM.
Die Tour durch Yosemite Valley entschädigt uns dann allerdings mit seiner grandiosen Landschaft für alle Kapriolen der letzten Tage. Und voll von unzähligen Eindrücken und Erlebnissen machen wir uns am Ende dieses Traumurlaubs schließlich auf den Weg zurück nach San Francisco.