aus bma 8/00

von Volker Neumann

Es ist ruhig geworden um dieses Land… sehr ruhig. Sind uns allen doch die schrecklichen Ereignisse der Vergangenheit noch in deutlicher Erinnerung. Vor einigen Jahren war das noch anders. Da erwachte Ägypten gerade aus seinem Dornröschenschlaf und entdeckte den Pauschaltourismus als Deviseneinnahmequelle Nr. 1. Konnte man damals noch nahezu unbehelligt das Land bereisen, fährt heute die Angst mit und an jeder Ecke stehen Polizisten. Trotzdem, der Reiz dieses Landes am Nil ist geblieben, denn Ägypten bietet weit mehr als das Tauchparadies Hurghada und die Pyramiden von Gizeh.
ÄgyptenAls ich nach Ägypten aufbreche, will ich einen ägyptischen Arbeitskollegen besuchen. Auf der schier endlosen deutschen Autobahn kämpfe ich mich durch Kälte und Nässe und sehne mich nach afrikanischer Sonne. Vor allem kämpfe ich gegen die Uhr. Aus beruflichen Gründen kann ich erst am Freitag Nachmittag starten und muss schon Samstag Abend gute 1500 Kilometer weiter in Ancona die Fähre nach Griechenland erreichen. In Griechenland fahre ich noch gute 200 Kilometer bis nach Piräus. Von dort wird die Fähre nach Alexandria in Ägypten auslaufen.
Auf der Überfahrt lerne ich Paul, Robert und Dieter aus Nürnberg kennen. Damit nicht gleich zu Beginn der Reise etwas abhanden kommt, packen die Drei ihre Motorräder ab und verfrachten das gesamte Gepäck in ihre Kabine. Da die Kabinenabmessungen nicht gerade üppig sind, hat das zur Folge, dass mindestens einer die Kabine verlassen muss, wenn ein Anderer seine Alukisten öffnen will. Wir vier Afrika-Greenhorns schließen Freundschaft und beschließen, ein Stück gemeinsam in Ägypten zu fahren.

 

Nach gut 27 Stunden Überfahrt mit Zoll und Carnetbearbeitung fahren wir aus dem Bauch der Fähre – mittenrein in das absolute Chaos. Wir tanken nur kurz und verlassen dann die hektische Stadt auf der Wüstenstraße in Richtung Kairo. Die gelbliche Färbung des Himmels verheißt nichts Gutes. Tatsächlich, kurz vor der Hauptstadt werden wir von einem heftigen Sandsturm überrascht und verlieren uns aus den Augen. Der Weg lässt keine großen Variationsmöglichkeiten zu – es geht immer nur geradeaus – und so finden wir uns an der ersten großen Kreuzung in Kairo wieder und verbringen die erste herrliche Nacht auf dem Campingplatz von Gizeh, mit dem Blick auf die Pyramiden. Ein gigantischer Sonnen- untergang entschädigt uns für unseren nicht gerade glücklichen Einstand auf afrikanischem Boden.
ÄgyptenAm nächsten Tag geht es nicht auf Motorrädern weiter, sondern auf dem Rücken von Kamelen. Wir besuchen die drei großen Pyramiden von Gizeh, die ca. 4600 Jahre alt sind. Wir lernen, dass Kamele weder Kupplung noch Bremse haben und sehr störrisch sein können.
Leider trennen sich ab hier unsere Wege. Die Nürnberger fahren Richtung Süden, ich Rich- tung Norden nach Port Said zu meinem Kollegen und seiner Familie. Nachdem ich die gesamte Großfamilie kennen gelernt habe, fahre ich eine gute Woche später wieder nach Kairo und von da weiter am Nil entlang. Mit seinen 1200 Kilometern Länge ist er einer der längsten Flüsse in Afrika und kann treffend als die Lebensader Ägyptens bezeichnet werden. Folgt man einer Straße, die sich vom Nil abwendet, so steht man urplötzlich in der Wüste. Ein Großteil der Bevölkerung lebt am Nil. Das ist seit Urzeiten so gewesen, weshalb sich die meisten Sehenswürdigkeiten auch entlang des Nils konzentrieren.
Kurz hinter Kairo treffe ich wieder auf die Nürnberger Jungs. Ihnen ist es nicht so gut ergangen, sie hatten ziemlich mit der enormen Hitze zu kämpfen. Ende Mai sind Temperaturen um 40 Grad keine Seltenheit. Ein bis zwei Hitzeschläge haben den Aufenthalt im Krankenhaus notwendig gemacht. Doch nun sind sie wieder fit, und wir fahren gemeinsam weiter.
ÄgyptenParallel zum Fluss verläuft eine der wenigen Straßen, der wir folgen. Unsere erste Station ist der Dendera-Tempel. Weil wir zu dieser Jahreszeit einige der wenigen Touristen sind, bekommen wir eine nicht alltägliche Führung durch die verwinkelten Tempelräume. Dabei kriechen wir in Kellergemäuer, die von hunderten von Fledermäusen bevölkert werden. Entsprechend riecht es auch – es herrscht ein atemberaubender Gestank. Der Tempel ist gut erhalten und einfach phänomenal. Mit Händen und Füßen wird erzählt und gefragt. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, was hier während der ägyptischen Hochkultur los gewesen sein muss.
Die Weiterfahrt ist trotz der guten Straße anstrengend, herrschen doch sehr hohe Temperaturen. Unsere zweite große Station ist das sagenumwobene Luxor. Standen wir als motorradfahrende Ausländer bislang immer mehr oder weniger im Interesse der Öffentlichkeit, genießen wir in dieser Touristenhochburg ein gewisses Maß All- täglichkeit. Trotz unseres unumgänglichen Biker-Outfits wer- den wir in einem vornehmen Hotel zuvorkommend aufgenommen. Hier gönnen wir uns erst einmal eine Dusche.
ÄgyptenAnschliessend wird ohne Motorrad die Stadt „erkundet”. Kultur- denkmäler fin- det man hier an beiden Seiten des Nils. In Luxor selbst der große Luxor-Tempel sowie die Tempelanlagen von Karnak. Letztere sind besonders wegen ihrer hohen und besonders reich verzierten Säulen bekannt. Ich setze mich in eine stille Ecke und versuche mir vorzustellen, wie es hier wohl vor 2000 Jahren ausgesehen haben muss.
Mit der Fähre setzen wir über den Nil nach Theben West und fahren mit dem Taxi ins Tal der Könige. Dieses hat mich persönlich enttäuscht. Viele Gräber sind geschlossen und ohne ein vertieftes Hintergrundwissen sehen doch alle gleich aus. Zu Fuß übersteigen wir die Hügelkette, die das Tal der Könige vom Niltal trennt und erreichen den beeindruckenden Deir-el-Bahrin Tempel.
In Richtung Süden ist Edfu unsere dritte Station. Unser Reiseführer weist auf einen besonders großen und imposanten Tempel hin. Diesmal sind wir die einzigen Besucher. Der Führer nimmt sich unserer besonders an. Er spricht nur arabisch, was aber den unbeschreiblichen Eindrücken keinen Abbruch tut. Einige Räume sind nur in gebückter Haltung oder gar auf allen Vieren zu erreichen. Nur die Kerze unseres Führers spendet einen diffusen Schein und unsere Schatten werden zu unheimlichen Begleitern, die neben uns über die reichlich mit Hieroglyphen verzierten Wände huschen. Wieder im Tageslicht besichtigen wir ein Nilometer. Das Nilometer wird durch Grundwasser gespeist und zeigt den Pegel des Nil an. Früher wurden damit die Steuern der Bauern berechnet. Mehr Wasser bedeutete eine bessere Ernte und damit höhere Abgaben.
ÄgyptenWeiter geht es gen Süden nach Assuan. In der Stadt machen wir wieder in einem Hotel Quartier und fahren ohne Gepäck zum gigantischen Staudamm. Das Fehlen von Gebirgszügen, an den sich der Damm abstützen könnte, muss durch eine entsprechende Baumasse ausgeglichen werden. So hat der Dammfuß eine Stärke von über einen Kilometer. Es ist schon ein tolles Gefühl, den Blick über die gestauten Nilfluten schweifen zu lassen, die sich über 500 Kilometer bis in den Sudan erstrecken und sich am Horizont verlieren.
Eine besondere Attraktivität Assuans ist der bunte und lebendige Souk, auf dem wir uns mit frischem Obst versorgen. Wir machen einen Tag Pause. Abends treffen wir einen Motorradfahrer aus Bremen. Er ist auf dem Weg in den Sudan und mit seiner BMW bereits seit zwei Monaten unterwegs, da er auf dem Landweg nach Ägypten gefahren ist. Dass wir die Fähre nach Ägypten genommen haben, bewertet er abfällig. Für seinen weiteren Weg wünschen wir ihm alles Gute. Wir werden uns wiedersehen – früher als er das gedacht hätte.
Vor uns liegt die Fahrt zu den 300 Kilometer südlich von Assuan liegenden Tempeln von Abu Simbel. Mit widersprüchlichen Informationen über eine (nicht) vorhandene Tankstelle machen wir uns kurz nach Sonnenaufgang mit den entsprechenden Spritreserven auf den Weg, um eine möglichst große Strecke noch vor der Mittagshitze zu schaffen. Monoton zieht das Asphaltband unter unseren Pneus vorbei, während sich links und rechts eindrucksvoll ebene Sandwüste bis zum Horizont erstreckt. Hin und wieder bieten kleine Felsgruppen oder verdorrte Kamelgerippe etwas Abwechslung für das Auge.
ÄgyptenDann endlich Abu Simbel. Von Ramses II erbaut, drohte dieses einmalige Monument nach Vollendung des großen Assuandamms in den aufgestauten Fluten zu versinken. Um dieses Kulturerbe zu erhalten, wurde der Tempel kurzerhand in einer von der UNESCO organisierten Aktion um 64 Meter auf ein höher liegendes Plateau umgezogen. Nun blicken die vier kolossalen Ramses-Statuen wieder in den Sonnenaufgang als wäre nichts gewesen. Als Individualreisende haben wir den großen Vorteil, den Tempel in den Abendstunden alleine besichtigen zu können. Tagsüber werden streng nach Fahrplan große Touristengruppen mit dem Flugzeug aus Assuan herübergeflogen. Diese Menschenmassen in Kombination mit den einheimischen Führern, die natürlich alle etwas vom großen Kuchen des Tourismusgeschäfts abbekommen möchten, lassen jeglichen Anflug von Atmosphäre im Keim ersticken.
Am nächsten Morgen fahren wir nochmals zum Tempel, um den Sonnenaufgang mitzuerleben und nehmen dann den Rückweg in Angriff. Da wir noch genügend Benzinreserven haben (eine Tankstelle wäre übrigens vorhanden gewesen) lassen wir es uns natürlich nicht nehmen, mal kurz von der Straße herunterzufahren und ein paar Runden durch den Sand zu ziehen. Wo bekommt man in unseren Breiten schon mal die Möglichkeit, in einem so großen Sandkasten zu spielen?
Über Assuan fahren wir zurück bis Luxor. Von hier gibt es eine Querverbindung nach Osten an das Rote Meer. Die Straße ist schlecht bis teilweise gar nicht vorhanden. Wir brauchen deutlich länger als erwartet und kommen in die pralle Mittagssonne. Nur leider gibt es keinen Schatten, um darin die Mittagszeit zu verbringen. Zu allem Überfluss haben wir noch einen Plattfuß (es sollte nicht der letzte sein).
Erschöpft und durchgeschwitzt erreichen wir das Rote Meer. Der erste Anblick entschädigt uns für die vergangenen Mühen. Die Wüste endet an türkisblau schimmerndem Wasser wie es in der Südsee nicht schöner sein kann. Von Karibik-Flair jedoch keine Spur, die Wüste zieht sich bis ins Meer – jegliche Küstenvegetation fehlt. Wir verkneifen uns, ins kühle Nass zu springen und fahren auf der parallel zur Küste verlaufenden Straße nach Norden. Unterwegs kommen wir durch kleine Fischerdörfer, die keinerlei touristische Infrastruktur haben. Erst in dem Badeort Hurghada finden wir ein kleines, beschauliches Hotel mit Dachterrasse, wo sich tolle Sonnenuntergänge beobachten lassen. Hier machen wir nun ein paar Tage Badeurlaub.
Jedes durch ein Urlaubsunternehmen erschlossene Hotel hat einen eigenen Strand. Diesen Vorzug haben wir leider nicht und baden deshalb an dem öffentlichen Strand. Mit Schwimmen und Entspannen vergehen die Tage wie im Fluge. Auf einem Schnorchelausflug sehen wir eine Unterwasserwelt mit Korallenriffen, wie wir es noch nie erlebt haben.
Nun müssen wir aber los, die Fähre wird nicht auf uns warten. So haben wir wenig Zeit, den schon 1869 fertiggestellten Suez-Kanal und die Schiffe bei der Fahrt durch die Wüste zu bestaunen. In Kairo verbringen wir nochmals eine Nacht und lassen uns bei einem Bummel um die Pyramiden noch einmal alle tollen Erlebnisse durch den Kopf gehen. Als wir an der Sphinx mit ihrem abgestützten Bart vorbeigehen, lächelt sie uns milde zu, als ob sie genau wüsste, warum es uns hier so gut gefallen hat. Wahrscheinlich sieht sie uns auch den Wüstenbazillus an, der uns befallen hat und uns in den folgenden Jahren noch das eine oder andere mal nach Afrika treiben wird. An diesem Abend nehmen wir Abschied von Ägypten.
Am nächsten Tag geht es wieder auf die Wüstenstraße nach Alexandria. Und hier passiert es wieder – ein Plattfuß. Eigentlich haben wir überhaupt keine Zeit für großartige Reparaturen, da es ja gilt, die Fähre zu erreichen. Der Reifenpilot verpufft wirkungslos. Auf fremde Hilfe können wir kaum hoffen. Also demontieren wir mit vereinten Kräften den Reifen und ziehen einen neuen Schlauch ein. Die sengende Hitze der Mittagszeit lässt die Luft über dem Asphalt flimmern und unsere Köpfe kochen. Mit wehenden Fahnen kommen wir gerade noch rechtzeitig im Hafen an. Im Gegensatz zu uns ist der arabische Beamte nicht aus der Ruhe zu bringen. Es werden in Himmelsruhe alle Papiere und das Carnet geprüft, gestempelt und wieder ausgegeben. Peinlich genau werden die Bikes geprüft, ob wir nicht vielleicht doch eine Pyramide haben mitgehen lassen. Doch wir sind sauber.
Und siehe da, auf dem Schiff ist auch der „echte BMW-Biker”. An der Grenze zum Sudan hat er es sich anders überlegt und ist umgekehrt. Das Schiff ist halt doch bequemer, oder hatte er vielleicht Heimweh? Das kommt in den besten Familien vor, zieht es doch auch uns nach fünf Wochen wieder in heimische Gefilde mit grünen Wiesen und Wäldern.
In Griechenland trennen sich die Wege von meinen neuen Nürnberger Freunden und mir, aber trotz der großen Entfernung nach Hamburg hält unsere Freundschaft bis heute.