aus bma 8/12
von Alberto Salvagnini

Temporeiches Fahren gilt als Ursache Nr.1 für Kurvenunfälle.

adac-TrainerAlleinunfall. So wird er in der nüchternen Statistiker-oder Versicherer-Sprache genannt; die am häufigsten vorkommende Unfallsituation von Motorrädern. Über ein Viertel aller Motorradunfälle gehört zu dieser Kategorie. Der Motorradfahrer ist (meistens) in einer Kurve ohne Mitwirkung anderer Verkehrsteilnehmer gestürzt, und im Polizeibericht heißt es fast immer: „Ursache: nicht angepasste Geschwindigkeit“. Dieser Satz scheint eine verbreitete Meinung zu untermauern: „Motorradfahrer rasen, und wer rast, ist selber schuld.“ Ein Satz, den ich nicht selten im Bekanntenkreis zu hören bekomme. Doch ist es so einfach, zu urteilen? Ein Beispiel: Wenn in einer Kurve plötzlich die Fahrbahn einen schlechteren Grip bietet, beispielsweise wegen eines Belagwechsels oder einer Ölspur, sind erlaubte 50 km/h aus polizeilicher Sicht sofort eine „nicht angepasste Geschwindigkeit“.

Ein genauer Blick in die Statistik verrät uns, wie viel „gerast“ wird: Nur 3,1% aller „Fehlverhalten der Motorradfahrer“ ist die „nicht angepasste Geschwindigkeit mit gleichzeitigem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“. Ein kleiner, aber feiner Unterschied (Destatis, Jahres-band 2010; Ursachen bei Motorradunfällen mit Personenschaden).

Trotzdem frage ich mich als Trainer: Hat der Motorradfahrer die Situation von Anfang an korrekt eingeschätzt? War seine Handlung in Not richtig? Wusste er überhaupt, was machbar war, um vielleicht den Sturz zu vermeiden?

Für die sichere Kurvenfahrt ist eine gute Vorbereitung die Hälfte der Arbeit: Der vorausschauende Motorradfahrer richtet den Blick weit und will die Situation bereits vor der Kurve gänzlich erfassen. Kann man einsehen, wie es nach der Kurve weiter geht? Wie sehen Fahrbahn und Verkehrslage aus? Welche Geschwindigkeit, Gang und Linie sind passend? Schon diese kleine Checkliste lässt erahnen, wie komplex unser Vorhaben ist, wenn man sich überlegt, dass manchmal nur Sekundenbruchteile zur Verfügung stehen.

Das Allerwichtigste zuerst: der Blick. Gerade in der Kurve von grundlegender Bedeutung. Salopp ausgedrückt: Man fährt dahin, wo man hinschaut. Zwei, besser drei Sekunden voraus ist das Minimum an Platz, was bei der Kurvenfahrt unter Beobachtung stehen muss. Aber Achtung: Blickführung in der Kurve bedeutet nicht, aus dem Augenwinkel zu schauen. Vielmehr muss der Fahrer den Kopf in die Kurve hineindrehen und ihn aus der Schräglage rausnehmen. So, dass die Augen parallel zum Horizont bleiben. Der Blick „scannt“ dann ständig die Fahrbahn und liefert uns die Infos (liegt da was?) fürs weitere Handeln, z. B. ein Notmanöver in der Kurve. Aber noch sind wir nicht in der Kurve, sondern davor.

Betrachten wir den Verlauf einer einzelnen Kurve. Zuerst wird sie vorbereitet: Geschwindigkeit anpassen; den richtigen Gang einlegen; korrekte Sitzposition annehmen; Linie und Einlenkpunkt wählen.

Der Idealfall sieht dann so aus: Bremse vor der Kurve lösen und einlenken – also den Lenker an der Kurveninnenseite etwas nach vorne schieben. Dabei wird der Gasgriff leicht geöffnet – das sog. „Stützgas“. Warum? Konstante Last verhindert Lastwechselreaktionen. Ohne sie haben die Reifen die beste Voraussetzung für die Übertragung ihrer maximalen Querkräfte. Einen Gang höher schalten, also nieder- statt hochtourig zu fahren reduziert ebenso die Lastwechselreaktionen.

Der Einlenkpunkt soll spät erfolgen. Das hat Vorteile: Es kann länger gebremst und – bei einer unübersichtlichen Straße – der weitere Kurvenverlauf früher erkannt werden. Aber: Das Einlenken kann erst passieren, wenn man den Kurvenausgang und damit den weiteren Verlauf der Straße, einsieht. Die Kurvenlinie so wählen, dass nach dem Einlenken der engste Bogen folgt und die Maschine in Richtung Kurveninneres geführt werden kann. Und hier zahlt sich das späte Einlenken aus: Die Fuhre befindet sich dann gegen Ende der Kurve auf ihrer Innenseite, und der Fahrer kann entspannt beschleunigen, da er vom äußeren Fahrbahnrand einen angenehmen Sicherheitsabstand hat – Luft zum Atmen. Hinterschneiden nennt sich diese bewährte Kurventechnik.

Dazu ein Tipp vom Dr.-Ing. Achim Kuschefski vom ifz – Institut für Zweiradsicherheit: „Für die Kurvenfahrt im Hinterkopf behalten: langsam rein, zügig raus.“

Die Sitzposition in der Kurve ist ebenfalls wichtig. Die Füße berühren die Rasten mit den Ballen. Ansonsten wächst mit der Schräglage die Gefahr, dass die Fußspitze zwischen Raste und Boden eingeklemmt wird. Und wichtig: Entspannung. Ein lockerer Oberkörper ist für das souveräne (Kurven-)Fahren unerlässlich. Und mit lockeren Armen lässt sich die Maschine kinderleicht führen und gut fühlen. Wer in der Kurve nicht entspannt sitzt, fährt meiner Meinung nach am Limit. An „seinem“ Limit. Und dieses kann sehr wohl weit weg sein von dem, was z. B. die eigene Maschine erlauben könnte. Ich kann es auch so sagen: Wer sich in der Kurve wohl fühlt, hat noch Reserve: einerseits fahrerische Reserve, um die Maschine zu steuern; andererseits mentale Reserve, um aufmerksam das Verkehrsgeschehen zu beobachten. Mit Sicherheit kann man so die Kurvenfahrt besser genießen.

Mein Tipp: In der Kurve erst schneller werden, wenn man selber entspannt ist.

Eine andere Reserve, die in der Kurve nicht fehlen darf, ist die so genannte Schräglagenreserve. Zwei Faktoren beeinflussen maßgebend die korrekte Beurteilung der eigenen Schräglage/Reserve: Jede Maschine ist anders und „kratzt“ früher oder später. Und der Mensch ist nur für eine 20 Grad Schräglage „gebaut“: Darüber hinaus muss er üben. Das Üben ist wichtig: Wissen, wie viel Schräglagenreserve man hat, beugt Fahrfehlern vor. Mit genug Schräglagenreserve kann die Linie in der Kurve sowohl nach außen als auch nach innen verändert werden. Ohne bleibt nur der Weg nach außen. Eine zuvor nicht erkennbare Hundekurve mit Leitplanken-Begrenzung wird somit zur Endstation.

Während der Kurvenfahrt nicht minder wichtig: Wie sitze ich auf dem Motorrad? Wie ist die Auswirkung der bekannten Kurvenstile Drücken, Legen und Hangingoff auf die Schräglage? Alles hat Vor-und Nachteile. Das Drücken der Maschine ist bei schnellen Richtungswechseln (z. B. Ausweichen) die richtige Wahl. Der Nachteil: Die Schräglagenreserve ist schnell aufgebraucht. Mit Hanging-off fährt die Maschine am wenigsten schräg. Viel Reserve. In dieser Position kann man schneller zirkeln, aber nicht so schnell reagieren. Ein Kompromiss für eine auswendig gelernte Rennstrecke, nicht für die Straße. Im Straßenverkehr sollte man in einer Notsituation keine Zeit verschwenden, um auf das Motorrad zurückzukrabbeln, wenn, z. B. bei einer Notbremsung, die Zeit knapp ist und die volle Konzentration für die Dosierung der Bremse gebraucht wird. Auf der Straße ist das Legen klar die bessere Wahl.

Einschätzung sowie Vergrößerung der Schräglage, Kurvenstile und Notmanöver in der Kurve – unsere Lebensretter – werden bei jedem ADAC Motorrad-Sicherheitstraining geübt. Hierzu eignen sich vorzüglich unsere beiden Kreisbahnen.

Wer zusätzlich die Kurven schneller, mit dem am Boden schleifenden Knie fahren will und kann, sollte dies keinesfalls auf der Straße tun, sondern sich für ein Rennstreckentraining bei uns anmelden: Fahrsicherheitszentrum Lüneburg.